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2 BvR 687/67 - Bundesverfassungsgericht (-)
Entscheidungsdatum: 10.07.1968
Aktenzeichen: 2 BvR 687/67
Entscheidungsart: Beschluss
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesverfassungsgericht Karlsruhe
Abteilung: -

Leitsatz:

Wenn eine Reederei nicht gewillt ist, Frachtgut an den SBV aufgrund der Frachtverteilungsverordnung vom 6. 6. 1967 abzugeben, so würde, wenn die Frachtverteilungsverordnung aufgrund einer einstweiligen Anordnung nicht vollzogen würde, eine ernste Benachteiligung des Kleinschifferstandes drohen. Demgegenüber sind die Nachteile, die der Reederei bei Befolgung der Frachtverteilungsverordnung entstehen können, geringer zu veranschlagen.

Beschluss

des Bundesverfassungsgerichts

vom 10. Juli 1968

Die Antragsteller, eine o.H.G. in Firma A und ihre geschäftsführenden Gesellschafter B und C, haben Verfassungsbeschwerde erhoben, weil sie die Verordnung der WSD Duisburg über die Verteilung von Frachtgut im Binnenschiffsverkehr vom 6. 6. 1967 - FrachtvertVO - und die wegen Nichtbeachtung der Verordnung durch die Antragsteller erlassenen Bußgeldbescheide der WSD für verfassungswidrig und nichtig halten. Darüber hinaus beantragen sie im Wege der einstweiligen Anordnung vorab, der Bundesrepublik Deutschlands, vertreten durch die WSD Duisburg, den Erlass weiterer Bußgeldbescheide gegen die Beschwerdeführer zu untersagen.

Nur über diesen letzterwähnten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatte das Bundesverfassungsgericht zunächst zu entscheiden. Der Antrag wurde abgelehnt.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Die Antragsteller betreiben eine Reederei. Sie beförderten schon vor Inkrafttreten der Frachtverteilungsverordnung in größerem Umfang auf den in § 2 FrachtvertVO benannten Bundeswasserstraßen als Hauptfrachtführer Steinkohle und Steinkohlenkoks aus dem Ruhrgebiet in den süddeutschen Raum. Nach Inkrafttreten der Frachtverteilungsverordnung führte die Antragstellerin zu 1) weitere größere Transporte dieser Art mit eigenem Schiffsraum und durch Einschaltung von Kleinschiffern, die ihr vertraglich verbunden sind, durch. Hierbei trat sie nicht als Hauptfrachtführerin, sondern teils als Unterfrachtführerin, teils als Agentin des schweizerischen Transportkontors  auf; das erreichte sie durch entsprechende Ausgestaltung der teilweise schon längere Zeit laufenden Transportverträge. § 3 und § 6 FrachtvertVO wurden weder von der Antragstellerin zu 1) noch von dem Transportkontor beachtet.
Die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Duisburg ist der Ansicht, die Antragstellerin zu 1) sei als Hauptfrachtführerin im Sinne des § 3 FrachtvertVO anzusehen, weil die abweichenden Bestimmungen der maßgeblichen Transportverträge als Umgehung der Frachtverteilungsverordnung unbeachtlich seien. Sie erließ am 26. Oktober 1967 gegen den Antragsteller zu 3) als Geschäftsführer der Antragstellerin zu 1) einen Bußgeldbescheid gemäß §§ 9 FrachtvertVO, 37 GewBinnSchVerkG, 6 OWiG über 5 000 und 50 000 DM. Der Bußgeldbescheid ist nicht rechtskräftig. Seit 20. November 1967 erfüllen die Antragsteller unter Protest die sich aus der Frachtverteilungsverordnung ergebenden Verpflichtungen.

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung kann keinen Erfolg haben.
                                                                            

I.


1. Eine einstweilige Anordnung ist auch im Verfahren der Verfassungsbeschwerde zulässig (BVerfGE 11, 102 [103]; 16, 220 [226]).

Die Antragstellerin zu 1) ist aktiv legitimiert (BVerfGE 20, 283 [290]; 4, 7 [12]).

2. Gegen die Zulässigkeit einer einstweiligen Anordnung in der von den Antragstellern beantragten Form könnten deshalb Bedenken bestehen, weil die Verfassungsbeschwerde gegen den Bußgeldbescheid der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Duisburg vom 26. Oktober 1967 mangels Erschöpfung des Rechtsweges unzulässig und das beantragte Verbot, weitere Bußgeldbescheide zu erlassen, allein möglicherweise nicht Gegenstand der Entscheidung ,in der Hauptsache sein könnte (BVerfGE 16, 220 [226]). Der Antrag muss jedoch sinngemäß dahin verstanden werden, dass beantragt werde, die Vorschriften der Frachtverteilungsverordnung über die Andienungspflicht und das Bußgeld im Verhältnis zu den Antragstellern im Wege der einstweiligen Anordnung außer Vollzug zu setzen. Nur in diesem Fall wären die Antragsteller jedenfalls vorläufig davon entbunden, die Frachtverteilungsverordnung zu be¬achten, und die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Duisburg daran gehindert, weitere Bußgeldbescheide gegen die Antragsteller zu erlassen.

Durch die Frachtverteilungsverordnung sind die Antragsteller selbst gegenwärtig und unmittelbar betroffen (BVerfGE 1, 97 [101 ff.]).

3. Ein Rechtsschutzinteresse der Antragsteller kann nicht deshalb verneint werden, weil sie seit 20. November 1967 die Frachtverteilungsverordnung beachten. Weitere Bußgeldbescheide ergehen gegen sie zwar nicht. Das erzwungene normgerechte Verhalten beseitigt das Rechtsschutzinteresse aber schon deshalb nicht, weil den Antragstellern durch Beachtung des § 3 der von ihnen für verfassungswidrig gehaltenen Frachtverteilungsverordnung wirtschaftliche Nachteile entstehen.


II.


1. Eine einstweilige Anordnung kann nur ergehen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist wegen der weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in der Regel auslöst, bei Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen; dies gilt insbesondere, wenn es sich um die Aussetzung des Vollzugs einer Rechtsnorm handelt (BVerfGE 3, 41 [44]; 6, 1 [4]; 7, 175 [179]; 16, 220 [226]; 18, 151 [153]; Beschluss vom 25. Juni 1968 - 1 BvR 307/68 -). Dabei haben die Gründe, welche die Antragsteller für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Norm anführen, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, da in dem Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Anordnung die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Maßnahme selbst nicht Gegenstand der Prüfung sein kann (BVerfGE 7, 175 [179]; 7, 367 [371]; 11, 102 [104]; 18, 151 [153]). Das Bundesverfassungsgericht muss daher allein die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache jedoch Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde (BVerfGE 3, 34 [37]; 6, 1 [4]; 16, 220 [227]; 18, 151 [153]).

2. Bei dieser Abwägung kann nicht festgestellt werden, dass die Antragsteller durch die Ablehnung der einstweiligen Anordnung schwere Nachteile im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG erleiden würden. Diejenigen Nachteile, die bei Außervollzugsetzung der Verordnung eintreten würden, überwiegen.
Die Antragsteller sind als Reeder selbst in der Lage, sich Transportaufträge zu verschaffen, während die im Schiffer-Betriebsverband Jus et Justitia zusammengeschlossenen Kleinschiffer dies mangels kaufmännischer Organisation am Land nicht können und dem Schiffer-Betriebsverband selbst Reedergeschäfte untersagt sind (§ 18 Abs. 2 GewBinnSchVerkG). Da die Antragsteller nicht gewillt sind, Frachtgut an den Schiffer-Betriebsverband Jus et Justitia abzugeben, drohte, wenn die Frachtverteilungsverordnung nicht vollzogen würde, eine ernste Benachteiligung des Kleinschifferstandes. Demgegenüber sind die Nachteile, die den Antragstellern bei Befolgung der Frachtverteilungsverordnung entstehen können, geringer zu veranschlagen."