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223 Z - 6/89 - Berufungskammer der Zentralkommission (-)
Entscheidungsdatum: 29.05.1989
Aktenzeichen: 223 Z - 6/89
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: -

Leitsätze:

1) Bestreiten der Aktivlegitimation einesVersicherers verlangt auch den Beweis, einen Kollisionsschaden nicht ausgeglichen zu haben.
2) Zu den Pflichten eines Stilliegers, der nach kurzem Aufenthalt die Talfahrt fortsetzt.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 29. Mai 1989

223 Z - 6/89

(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim vom 22.  Dezember 1987 - C 103/87 RhSch -)

Tatbestand:

Die Klägerin ist Versicherer des Motorschiffs "R" (1856 t, 1320 PS, 90 x 11 m). Sie nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Schiffsunfall in Anspruch, der sich am 8.11.1986 gegen 6 Uhr auf dem Rhein in M ereignet hat. Die Beklagte zu 1) ist Eignerin, zumindest Ausrüsterin des Motortankschiffs "EB" (2521 t, 1104 KW, 108,4 x 11,20 m), das zur Zeit des Unfalls vom Beklagten zu 2) verantwortlich geführt wurde. Das MTS "EB" fuhr oberhalb der Neckarmündung rechtsrheinisch leer zu Berg. Es herrschte dichter Nebel, der zeitweise nur eine Sicht bis zu 200 m zuliess. Das Motortankschiff fuhr daher nach Radar und begegnete der entgegenkommenden Talfahrt nach entsprechender Absprache Steuerbord an Steuerbord. Unterhalb der bei Stromkilometer 424,45 befindlichen K-A-Brücke kam das beladene MS "R" zu Tal. Dieses Motorschiff fuhr ebenfalls nach Radar. Die persönlichen und technischen Voraussetzungen für die Radarfahrt waren bei beiden am Unfall beteiligten Fahrzeugen gegeben. Um seinen Lotsen, AO, abzusetzen ging MS "R" rechtsrheinisch bei. Nachdem das Motorschiff wieder abgelegt hatte, kam es zu einem Zusammenstoss mit dem MTS "EB", bei dem beide Fahrzeuge beschädigt wurden.
Die Klägerin behauptet : MS "R" sei direkt unterhalb der K-A-Brücke rechtsrheinisch kopfvor beigegangen und habe, nachdem der Lotse an Land gegangen sei, seine Talfahrt fortgesetzt, wobei es seinen Kurs so eingerichtet habe, dass es dem zu Berg herankommenden MTS "EB" anstandslos Steuerbord an Steuerbord hätte begegnen können. Nachdem MS "R" sich schon ein gutes Stück in normaler Talfahrt befunden hätte, habe das entgegenkommende MTS "EB" plötzlich und ohne jeden Grund seinen Kurs hart nach Steuerbord verlegt und sei damit praktisch quer vor den Steven von MS "R" gelaufen. Als dessen Schiffsführer bemerkt habe, dass es ihm nicht mehr gelingen werde, durch ein Backbordausweichmanöver noch vor dem Bug von MTS "EB" vorbeizukommen, habe er vollan zurückgeschlagen, habe es aber nicht vermeiden können, dass er mit dem Backbordvorschiff von MS "R" gegen das Backbordmittelschiff des MTS "EB" geraten sei.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten gesamtschuldnerisch haftend zu verurteilen, an sie 516.232.- bfrs, - evtl. den entsprechenden Betrag in Deutscher Mark nach dem am Zahlungstage gültigen Kurs - nebst 4% Zinsen seit dem 1.1.1987 zu zahlen, und zwar die Beklagte zu 1) ausser dinglich haftend mit dem MTS "EB" im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes auch persönlich haftend.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie haben die Aktivlegitimation der Klägerin mit Nichtwissen bestritten und vorgetragen: Als sich das MTS "EB" etwa 300 m unterhalb der bei Stromkilometer 425,68 befindlichen K-S-Brücke befunden habe, habe man im Radarbild festgestellt, dass sich bei Stromkilometer 425,5 rechtsrheinisch ein Stillieger befunden habe.
Das Motorschiff habe sich unter Angabe seines Standortes erneut über Funk gemeldet, habe jedoch keine Antwort erhalten. MTS "EB" habe zum rechtsrheinischen Ufer zunächst einen Abstand von 30-40 m eingehalten und sei dann etwas auch Steuerbord abgegangen, um durch die Brücke zu fahren. Plötzlich habe der Stillieger mit dem bergwärts liegenden Teil des Schiffes von der Kaimauer abgelegt, ohne sein Manöver anzuzeigen, und sei in einem immer stärker ausbrechenden Winkel, der schliesslich 45° betragen habe, auf MTS "EB" zugekommen. MS "R" sei dann mit seinem Steven gegen die Backbordseite von MTS "EB" gestossen und habe das Motortankschiff hart zum linksrheinischen Ufer gedrückt, bis es schliesslich gegen einen Dalben an der linksrheinischen Kaimauer geraten sei. Im Zeitpunkt der Kollision habe MTS "EB" eine leichte Steuerbordlage gehabt, da man im letzten Augenblick versucht habe, nach Steuerbord auszuweichen. Wegen des Unfalls, der Gegenstand dieses Rechtsstreits ist, ist ein Bussgeldverfahren gegen Schiffsführer vO von MS "R" anhängig gewesen. Nachdem diesem zunächst eine Geldbusse von 150.- DM auferlegt worden war, ist das Verfahren auf seinen Einspruch hin vom Rheinschiffahrtsgericht M gemäss § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt worden (OWi 1030/87 RhSch). In einem Parallelprozess (C 101/87 Rheinschiffahrtsgericht M = U 1/88 Rheinschiffahrtsgericht Karlsruhe) hat die Eignerin des MTS "EB" den Eigner und Schiffsführer vO von MS "R" auf Schadensersatz wegen des durch die Kollision vom 8.11.1986 am Motortankschiff entstandenen Schadens in Anspruch genommen. In diesem Parallelverfahren sind der Beklagte zu 2) des vorliegenden Rechtsstreits und eine Reihe von Zeugen vernommen worden. Mit der Verwertung der Zeugenaussagen haben die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits sich einverstanden erklärt. Ferner hat das Rheinschiffahrtsgericht den Schiffsführer vO von MS "R" als Zeugen gehört. Nach durchgeführter Beweisaufnahme hat das Rheinschiffahrtsgericht die Klage abgewiesen, weil es ein unfallursächliches Verschulden der Führung von MTS "EB" an der hier streitigen Kollision nicht für erwiesen angesehen hat. Die Klägerin hat Berufung eingelegt. Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und rügt die Beweiswürdigung des ersten Richters.


Es beantragen:
Die Klägerin, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären.
Die Beklagten, die Berufung zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht hat die Beweisaufnahme nicht nur ergeben, dass MTS "EB" keine Schuld an dem Unfall habe, vielmehr stehe fest, dass die Kollision ausschliesslich auf ein unzulässiges Ablegemanöver und eine höchst fahrlässige Fahrweise des MS "R" bei unsichtigem Wetter zurückzuführen sei. (Verstösse gegen §§ 6.14, 6.13, 6.30, 6.32 Nr. 4 a u.b RhSchPVO).

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin hat in der Sache aus den folgenden Gründen keinen Erfolg.


1. Die Tatsache, dass die Beklagten die Aktivlegitimation der Klägerin mit Nichtwissen bestritten haben, gibt der Berufungskammer keinen Anlass, auf diesen Punkt des näheren einzugehen. Es ist üblich, dass Versicherungsgesellschaften wie die Klägerin die an bei ihr versicherten Schiffen bei Kollisionen entstandenen Schäden ausgleichen und dann die auf sie kraft Gesetzes übergegangenen Schadensersatzansprüche ihres Versicherten gegen die Schädiger geltend machen. Die Beklagten haben keine Tatsachen vorgetragen, die den Schluss nahelegen, es sei im vorliegenden Verfahren anders vorgegangen worden. Insbesondere haben die Beklagten nicht vorgetragen, die Klägerin habe die an dem bei ihr versicherten MS "R" bei der im vorliegenden Rechtsstreit zur Entscheidung stehenden Kollision entstandenen Schäden nicht ausgeglichen, könne also keine auf sie übergegangenen Ersatzansprüche einklagen. Bestreiten der Aktivlegitimation der Klägerin mit Nichtwissen kann den dargelegten notwendigen Vortrag, der auch zu beweisen wäre, nicht ersetzen.
2. Nach Ansicht der Berufungskammer ist die umstrittene Kollision von dem MS "R" aus den folgenden Gründen schuldhaft herbeigeführt worden.
 
a) Es ist unstreitig, dass sich zur Zeit vor der Kollision die im Revier fahrende Berg- und Talfahrt Steuerbord an Steuerbord begegnete. Auch die an der Kollision beteiligten Schiffe fuhren zunächst Kurse, die eine solche Begegnung problemlos ermöglicht hätten, wie ebenfalls unstreitig ist.
In diese Begegnungssituation brachte das MS "R" ein neues Element als es zum rechtsrheinischen Ufer beiging, an der dort befindlichen Lotsenstation kopfvor einlegte, um seinen Lotsen von Bord zu lassen. Als es, nachdem dies geschehen war, sofort wieder ablegte, um die Talfahrt fortzusetzen, musste es notwendigerweise in den Kurs der Bergfahrt geraten. Dieser verlief nämlich in der Nähe des rechts¬rheinischen Ufers, weil eine Begegnung von Berg- und Talfahrt Steuerbord an Steuerbord einen solchen Kurs voraussetzte. Angesichts der durch das Manöver vom MS "R" entstandenen neuen Situation musste die Möglichkeit einer Steuerbordbegegnung mit dem MS "EB" für die Führung dieses Schiffes zumindest zweifelhaft erscheinen. Sie durfte damit rechnen, dass der eigene Kurs von der Führung des MS "R" erkannt worden war, bevor dieses Schiff an der Lotsenstation anlegte. Sie durfe weiter darauf vertrauen, dass das MS "R" sein folgendes Verhalten auf diesen Kurs abstellen werde. Dazu bestand Anlass, weil dieses Schiff durch sein geschildertes Manöver eine neue Situation herbeigeführt hatte. Hinzu kamen die schlechte Sicht und der damit verbundene Zwang zur Fahrt mit Radar. Die Führung des MS "R" konnte bei gehöriger Sorgfalt die Lage nicht anders sehen. Sie konnte nicht davon ausgehen, dass man auf "EB", nachdem "R" von der Lotsenstation ablegte und die Talfahrt fortsetzte, die Möglichkeit einer Begegnung Steuerbord an Steuerbord als gesichert ansehen und einen entsprechenden Kurs fahren werde. Es war sehr naheliegend, dass man auf "EB" die nach der Fortsetzung der Talfahrt durch "R" entstandene Begegnungssituation anders werten und jetzt eine Backbordbegegnung für notwendig halten werde. Dabei musste entscheidend berücksichtigt werden, dass das Kursweisungsrecht beim Berfahrer lag. Ihm war also Gelegenheit zu geben, davon in einer Weise Gebrauch zu machen, welche die Möglichkeit einer Kollision ausschloss. Weiter war zu berücksichtigen, dass die Kurse von "R" und "EB" bevor das erstere Schiff zum rechtsrheinischen Ufer beiging jede Gefahr einer Kollision ausgeschlossen hatten, und dass "R" diese Lage durch sein geschildertes Anlegen am rechtsrheinischen Ufer grundlegend geändert hatte. Hierin lag allerdings nach kein Verstoss gegen § 6.03 Nr. 3 RSchPVO, da mit dem Anlegen am rechtsrheinischen Ufer allein nicht die Gefahr eines Zusammenstosses verbunden war. Diese Gefahr wurde aber aktuell, als "R" wieder ablegte, um seine Talfahrt fortzusetzen.
b) Angesichts der von ihm selbst geschaffenen Lage durfte "R" , nachdem es angelegt hatte, entweder seine Talfahrt erst fortsetzen, nachdem "EB" vorbeigefahren war. Wollte man solange nicht warten, so waren über Sprechfunk die Absicht der Fortsetzung der Talfahrt anzukündigen, der Kurs des eigenen Schiffes bei dieser Fortsetzung anzugeben und die Reaktion des Bergfahrers auf diese Ankündigung abzuwarten. Stimmte dieser als Kursweisungsberechtigter nicht zu, so hätte die Fortsetzung der Talfahrt zu unterbleiben bei der Bergfahrer vorbeigefahren war. Genauso hatte "R" sich zu verhalten, wenn seine Ankündigung ohne Erwiderung blieb. Als das Schiff die Talfahrt nach kurzem Anlegen einfach fortsetzte, überraschte es die Führung von "EB" und liess ihr keine ausreichende Zeit, auf die neue Lage zweckmässig zu reagieren. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine Begegnung beider Schiffe Steuerbord an Steuerbord auch jetzt noch möglich gewesen wäre. Es ist sehr verständlich, dass man auf "EB" eine solche Möglichkeit bei der Fortsetzung des eigenen Kurses nicht sah, sondern glaubte, nach Steuerbord gehen zu müssen, um eine Backbordbegegnung durchführen zu können. Erneut ist hier darauf hinzuweisen, dass "EB" das Kursweisungsrecht hatte und dieses Recht auch in der Form ausüben konnte, dass es den eigenen Kurs nach Steuerbord vorlegte, um Raum für eine Backbordbegegnung zu schaffen, wenn eine Kursabsprache aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich war. Der Führung von "R" ist vorzuwerfen, das Kursweisungsrecht dadurch an sich gerissen zu haben, dass sie die Talfahrt nach dem Anlegen einfach fortsetzte und so den Bergfahrer zwang, den eigenen Kurs demjenigen der Talfahrt anzupassen, wobei dies auch noch aus einer Überraschung sowie in Eile zu geschehen hatte und schliesslich noch bei schlechter Sicht, Elemente, die selbst eine falsche Beurteilung der Lage durch den Bergfahrer entschuldigen würden. Weiter ist der Führung von "R" vorzuwerfen mit der geschilderten Fortsetzung der Talfahrt gegen § 6.03 Nr. 3 RSchPVO verstossen zu haben, da jetzt der eigene Kurs gegenüber demjenigen vor dem Anlegen an der Lotsenstation so verändert worden war, dass er die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen konnte.
c) Eines Eingehens auf Zeugenaussagen bedarf es aus den dargelegten Gründen nicht, da die Entscheidung auf der Grundlage unstreitiger Tatsachen erfolgen kann, welche die Verantwortung für die Kollision offenlegen und die Schuldfeststellung erlauben. Die Entscheidung des Rheinschiffahrtsgerichts kann mit allerdings veränderter Begründung aufrechtzuerhalten werden.

Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 22.12.1987 verkündete Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts M wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
3. Die Festsetzung der Kosten erfolgt entsprechend Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte durch das Rheinschiffahrtsgericht M.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1991 - Nr.1, 2 (Sammlung Seite 1304 f.); ZfB 1991, 1304