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240 P - 2/91 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 27.01.1992
Aktenzeichen: 240 P - 2/91
Entscheidungsart: Beschluss
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

Urteil

vom 27. Januar 1992

Tatbestand und Verfahren:

Am 28. November 1988 wurden bei einer Kontrolle des Vorgeladenen V, Eigentümer und Schiffsführer des Rheinschiffs MS « S », der im gekuppelten Verband mit dem Rheinschiff  MS « N » auf dem Rhein fuhr, durch die Strassburger Wasserschutzpolizei auf Höhe des Flusskilometers 286,500 verschiedene Unregelmäßigkeiten festgestellt. Als Folge ließ der Oberstaatsanwalt von Strassburg den Berufungsbeklagten vor das Rheinschifffahrtsgericht Strassburg mit der doppelten Anschuldigung zitieren, er sei am 28. November 1988 auf dem Rhein gefahren, ohne ein ordnungsgemäß ausgefülltes Bordbuch an Bord mitzuführen (Art. 1.10 RhSchPVO) und er habe sich geweigert, den zuständigen Behörden bei der Kontrolle der Vorschriften behilflich zu sein (Art. 1.20 der selben VO). Das Gericht ist in seinem Urteil am 26. Juni 1990 davon ausgegangen, dass das Vergehen des Nichtmitführens des ordnungsgemäß ausgefüllten Bordbuches an Bord erwiesen ist, und hat den Vorgeladenen « der ihm angelasteten Tatbestände » für schuldig erklärt, ihn zu einer Geldbuße von 3.000 Francs so wie zur Erstattung der Kosten an den Staat verurteilt und die Ersatzhaft auf das Mindestmaß festgelegt.

In dieser Entscheidung wird der zweite in der Anschuldigung erwähnte Verstoß, d.h., die Weigerung, bei der Kontrolle behilflich zu sein, nicht an geführt. Folglich wurde V dafür nicht verurteilt.

Gegen dieses RA G am 20. März 1990 zugestellte Urteil hat der Beschuldigte Berufung eingelegt. Die Berufung wurde am 19. April 1990 sowohl dem Rheinschifffahrtsgericht wie der Staatsanwaltschaft durch Gerichtsboten mit dem Vermerk zugestellt, dass sie vor der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt eingelegt wird. In seinem Antrag vom 30. April 1990 behauptet der Rechtsanwalt des Beschuldigten,  die Staatsanwaltschaft habe nicht den ihr obliegenden Beweis erbracht, dass es eine innerstaatliche Gesetzesbestimmung gibt,  die vorschreibt, welche Eintragungen in dem Bordbuch obligatorisch vorzunehmen sind, und dass es für den V angelasteten Tatbestand keinerlei Ahndungsmaßnahme gäbe. Er beantragt Freispruch des Betroffenen und hilfsweise eine Reduzierung des Bußgeldes.

In seinem Berufungsantrag vom 11. Mai 1990 trägt der Vertreter der Staatsanwaltschaft Strassburg vor, dass weder der Rechtsanwalt des H. V, noch dieser selbst, noch an seiner Stelle eine andere Person in der Gerichtskanzlei erschienen sei, um die Berufung in das eigens für diesen Zweck vom Gesetz vorgesehene Register aufnehmen zu lassen. Seiner Auffassung nach hat der Berufungskläger in einem die Bestimmungen der Artikel 502 und 547 StPO missachtet, in denen es heißt: « die Berufungserklärung hat vor der Kanzlei des Gerichts zu erfolgen, das die angefochtene Entscheidung ausgesprochen hat » und « sie ist von dem Kanzler und dem Berufungskläger oder  dessen Beauftragtem zu unterzeichnen ». Diese Erklärung ist in ein öffentliches und « ad hoc » geführtes Register einzutragen.

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft schließt daraus, dass die am 19. April 1990 von RA G im Namen des Beschuldigten V angezeigte Berufung gemäß Abs. 2 und 4 Artikel 37 Mannheimer Akte, die diesbezüglich besagen, dass die Berufungserklärung in Übereinstimmung mit den in dem betreffenden Staat geltenden Bestimmungen zu erfolgen hat, als nicht geschehen und nicht zulässig zu betrachten ist.

In der Sache ist die Staatsanwaltschaft der Meinung, dass die Tatbestände erwiesen sind, und betont, der Beschuldigte habe in deutlich böswilliger Weise die vorgenommene Kontrolle behindert.

Bei diesem Sachstand erfolgt die Berufung in dieser Sache in der Verhandlung am 4. März 1990, zu der lediglich RA G erschienen ist und der Vertreter der Staatsanwaltschaft sich entschuldigt hatte. Nach dem Vortrag von RA G wurde die Sache zur Beratung bestimmt.

RA G hat der Kammer mit schriftlicher Eingabe in der Beratung vom 25. April 1991 mehrere Bemerkungen bezüglich der formalen Berufungskonditionen im Falle der Anrufung der Zentralkommission für den Rhein vorgelegt. Er weist darauf hin, dass die Berufung vor dieser Kommission ausschließlich unter die Bestimmungen der Mannheimer Akte fällt, die laut Art. 55 der französischen Verfassung Vorrang vor dem innerstaatlichen Recht hat. Dies gilt gleichermaßen für Berufung in Zivilsachen wie in Strafsachen. Sie erfolgt laut Art. 37, Abs. 2 der  Mannheimer Akte durch rechtsförmliche Anzeige. « Rechtsförmliche Anzeige » bedeutet in Frankreich die Zustellung einer Urkunde durch einen Gerichtsboten. Diese strikte Bedeutung lässt sich jedoch nicht auf die Modalitäten der Zustellung der Berufungsurkunde nach Maßgabe des genannten Art. 37.2,  anwenden. Die im französischen Recht festgelegte Art der Anzeige einer Berufung im Sinne der « Anmeldung », wie es im deutschen Text der Mannheimer Akte heißt, beschränkt sich auf die offizielle Benachrichtigung des Gerichts von der Berufungserklärung. Diese Mitteilung unterliegt keiner besonderen Form (Zentralkommission für den Rhein 25.02.1921 MORGENROTH 120 S – 3/8). Sie hat keinen formalistischen Charakter.

Die Berufungskammer hat mit Entscheid vom 3. Juni 1991 die Wiederaufnahme der mündlichen Verhandlung angeordnet und eine Sitzung auf den 28. Oktober 1991 anberaumt, in deren Verlauf der Vertreter der Staatsanwaltschaf und RA G, die ordnungsgemäß einberufen worden waren, angehört wurden und die Sache erneut zur Beratung gestellt wurde.

Zulässigkeit der Berufung:

Laut Artikel 37 Mannheimer Akte, deren Bestimmungen Vorrang vor innerstaatlichem Recht haben, ist die Berufung gegen die Entscheidung eines Rheinschifffahrtsgerichtes vermittels Anzeige an das Gericht, das die Entscheidung ausgesprochen hat und an die Gegenpartei einzulegen. Diese Anzeige, so weiter in Artikel 37, Abs. 2, « erfolgt nach Maßgabe der Landesgesetze ».

In Frankreich erfolgen Anzeigen sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen durch Zustellung durch einen Gerichtsboten.

Im vorliegenden Fall ließ H. V seine Berufungserklärung innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils sowohl dem Gericht, das die Entscheidung verkündet hatte, als auch der gegnerischen Partei durch Gerichtsboten anzeigen. Seine Berufung ist folglich zulässig.

Tatbestand:

Die Vorschriften über das Führen von Bordbüchern stehen in Kapitel 14.04 bis 14.07 der RhSchUO. Sie entsprechen dem einstimmig verabschiedeten Beschluss 1975-I-23 der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt vom 16. Mai 1975. In Anwendung des Artikels 46 Abs. 2 der Mannheimer Akte, abgeändert durch Artikel 1 h) des Strassburger Übereinkommens vom 20. November 1963, in dem es heißt: « einstimmig gefasste Beschlüsse sind bindend», erübrigt sich bei der Umsetzung auf nationalem Hoheitsgebiet die Veröffentlichung eines Dekrets durch den Premier Minister so wie die irrtümliche Heranziehung des Textes von Artikel 46 Mannheimer  Akte. Lediglich die Veröffentlich des Beschlusses durch den zuständigen Minister im Journal Officiel (Amtsblatt) ist erforderlich. Jedwede Zuwiderhandlung gegen die genannten Bestimmungen stellt dem zufolge einen Verstoß dar, der auf nationalem Hoheitsgebiet verfolgt und geahndet werden kann. Aus den Feststellungen der Polizisten ergibt sich, dass das Bordbuch der « S » nicht ordnungsgemäß geführt war. Übrigens hat Kapitän V zugegeben, dass er es für den 27 November nicht korrekt ausgefüllt hatte. In Wirklichkeit und in Erwägung der Erklärungen des Kapitäns fehlten Einträge ebenfalls für den 28. November. Das Vergehen gegen Artikel 1.10 RhSchPVO ist somit erwiesen und H. V mit den in Artikel 32 Mannheimer Akte vorgesehenen Bußgeldern zu belegen. Die verkündete Strafe von 3.000 Francs entspricht der Schwere des Verstoßes und ist demnach aufrecht zu erhalten.

Das Urteil ist zudem in dem Teil zu bestätigen, der H. V zur Zahlung der Kosten an den Staat verurteilt.

Hingegen ist der Erstrichter, indem er zusätzlich zu diesen Entscheidungen eine Zwangshaft angeordnet hat, über die Bestimmungen von Artikel 32 Mannheimer Akte hinausgegangen, denn sie ermächtigen die Richter von Rheingerichten nicht, Haftstrafen auszusprechen, auch nicht hilfsweise (Urteil Heinrich Fendel 241 P – 3/91 vom 6. Mai 1991).

Folglich ist das überwiesene Urteil, ausgenommen in seinem die Zwangshaft betreffenden Teil, der zu streichen ist, zu bestätigen. Die Kosten sind von dem Berufungskläger zu tragen.

Aus diesen Gründen:

Erklärt die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt:

Die Berufung ist in der Form zulässig;

sie ist mit Ausnahme des Teils bezüglich der Zwangshaft nicht begründet;

zu dieser Verurteilung besteht kein Anlass, sie ist aus dem Urteil zu streichen .

Außerdem:

Die Berufung wird abgewiesen und das ergangene Urteil vorbehaltlich des oben Ausgeführten bestätigt und voll rechtskräftig;

der Berufungskläger wird zur Zahlung der Kosten des Berufungsverfahrens verurteilt;

diese Kosten werden gemäß Artikel 39 Revidiertes Rheinschifffahrtsübereinkommen durch das Rheinschifffahrtsgericht Strassburg festgesetzt.