Rechtsprechungsdatenbank

259 Z - 8/92 - Berufungskammer der Zentralkommission (Rheinschiffahrtsgericht)
Entscheidungsdatum: 02.09.1992
Aktenzeichen: 259 Z - 8/92
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Rheinschiffahrtsgericht

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 2. September 1992

259 Z - 8/92

(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim vom 21. Mai 1991 - C 109/89 RhSch -)

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz aus Anlass eines Schiffszusammenstosses, der sich am 8.2.1989 auf dem Rheinstrom oberhalb des Kaiserwörthhafens in Ludwigshafen bei km 421,2 ereignet hat.

Am 8.02.1989 gegen 21.00 Uhr fuhr der Schubverband G der Klägerin, bestehend aus dem Schubboot G2 und den hintereinander vorgespannten Schubleichtern G14 und H8 (Gesamtlänge des Verbandes 183 m x 11,40 m, 2600 PS, beladen mit 1600 t Klärschlamm, Tiefgang gemittelt 1,70 - 1,72 m) bei Dunkelheit und unsichtigem Wetter auf dem Rheinstrom unterhalb des Kaiserwörthhafens in Ludwigshafen zu Berg. Der Maxauer Pegel stand an diesem Tage auf 3,63 m, der Mannheimer Pegel auf 1,74 m.

Dem Schubverband kam MS A (70 m x 7,05 m, 750 t, 765 PS, beladen mit 557 t Kies, maximaler Tiefgang: 2,52 m), dessen Eigner, zumindest Ausrüster der Beklagte zu 1) ist und an dessen Ruder der Beklagte zu 2) stand, entgegen. Wegen des unsichtigen Wetters und einer Sichtweite von allenfalls 200 m war auf beiden Schiffen das Radargerät in Betrieb. Auf MS A wurden das Radargerät und der Funk von dem Lotsen Deck bedient.

Der Schiffsführer des Schubverbandes, der nach Radar fuhr, gab laufend über Kanal 10 seine Position durch. Als sich auf seine Durchsage MS A als Talfahrer meldete, wurde zwischen den Schiffsführungen eine Begegnung Steuerbord/Steuerbord vereinbart.

Bei der Begegnung der Fahrzeuge stiess MS A mit seinem Steuerbordvorschiff gegen die Steuerbordseite des Schubkopfes von SL H8. MS A rutschte dann mit fast seiner gesamten Länge bis zur Höhe des Steuerhauses am Kopf des Schubleichters entlang. Aufgrund der inzwischen eingetretenen Rückwärtsfahrt des Schubverbandes trennten sich die Havaristen. MS A trieb nunmehr ohne eigene Maschinenkraft in Backbordschräglage zu Tal und streifte mit seinem Kopf das bei Rhein-km 421,2 linksrheinisch stilliegende MS E. Durch die Kollision wurden MS A und SL H8 beschädigt.

Die Klägerin hat behauptet, MS A sei etwa in Fahrwassermitte etwas nach rechtsrheinisch versetzt zu Tal gefahren, als es erstmals auf dem Radarschirm des Schubverbandes geortet worden sei. Zu dieser Zeit sei der Schubverband rechtsrheinisch unmittelbar am Grund zu Berg gefahren. Da Schiffsführer B von SB G2 erkannt habe, dass der Talfahrer Kurs auf den des Schubverbandes gehalten habe, habe er den Talfahrer zweimal über Funk auf diesen falschen Kurs hingewiesen, ohne Antwort zu erhalten. Da der Talfahrer seinen fehlerhaften Kurs beibehalten habe, habe Schiffsführer Bornkessel beide Hauptmaschinen gestoppt und den Talfahrer erneut mehrfach mit dem Hinweis angerufen, dieser fahre ihm direkt vor den Kopf. Bei Beginn dieser Durchsage sei der Talfahrer noch mindestens 400 m oberhalb des Schubverbandes gewesen. Da sich der Talfahrer auch weiterhin nicht gemeldet habe, habe Schiffsführer B beide Hauptmaschinen auf volle Kraft zurückgesetzt. Dennoch sei der Talfahrer mit Kollisionskurs auf den sich bereits talwärts bewegenden Schubverband zugekommen, mit der Steuerbordseite seines Kopfes auf die Steuerbordseite des Schubkopfes von SL H8 geprallt und im weiteren Verlauf der Ereignisse mit fast seiner gesamten Länge am Kopf des Schubleichters entlanggerutscht. Nachdem der Leichterkopf bis zum Steuerhaus des Talfahrers gekommen sei, sei MS A zum Stillstand gekommen. Durch die anhaltend starke Rückwärtsfahrt des Schubverbandes hätten sich die Havaristen getrennt. Infolge der Kollision sei MS A noch mehr in Schräglage geraten und habe dann noch das stilliegende MS E gestreift.

Die Angaben der Beklagten im Verklarungsverfahren und der Kurs des MS A liessen, so hat die Klägerin weiter ausgeführt, den Schluss zu, dass der Beklagte zu 2) das Radarbild nicht oder unzureichend ausgewertet habe und nach optischer Sicht gefahren sei.

Den mit der Klage verfolgten Schadensersatzanspruch hat die Klägerin näher auf 46.387,85 DM beziffert und weiter anteilige Verklarungskosten in Höhe von 6.682.-- DM geltend gemacht.

Ferner hat die Klägerin die Voraussetzungen einer dinglichen und beschränkt persönlichen Haftung des Beklagten zu 1) im Rahmen der Vorschriften des Binnenschiffahrtsgesetzes dargetan.

Die Klägerin hat beantragt,

 die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,

1. an sie 46.387,85 DM nebst 4% Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen, und zwar der Beklagte zu 1) sowohl dinglich haftend mit dem MS A als auch im Rahmen der Vorschriften des Binnenschiffahrtsgesetzes persönlich haftend,

2. an sie weitere 5.666,34 DM nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben die Darstellung der Klägerin bestritten und ausgeführt, MS A sei etwa 30 m aus dem linken Ufer gefahren. Der zu Berg fahrende Schubverband sei ebenfalls linksrheinisch gefahren und habe einen Abstand von etwa 40 - 50 m vom Land eingehalten. Nachdem man eine Begegnung Steuerbord/Steuerbord vereinbart gehabt habe, habe der Lotse D, der Beklagte zu 2), den Bergfahrer aufgefordert, Platz zu machen. Der Schubverband sei darauf auch nach Backbord abgegangen, dann aber wieder nach linksrheinisch herübergekommen, so dass MS A kein geeigneter Weg für die Begegnung freigelassen worden sei. Der Lotse Deck habe den Bergfahrer nochmals aufgefordert, Platz zu machen und nach Backbord abzugehen. Dabei habe Deck darauf hingewiesen, dass er nicht in Land fahren könne. Obwohl MS A noch weiter nach linksrheinisch ausgewichen sei, sei es zur Anfahrung gekommen. Inzwischen sei MS A soweit nach linksrheinisch hin ausgewichen, dass es Kurs auf MS E gehabt habe. Schiffsführer Stühff von MS E habe MS A herankommen sehen und befürchtet, es werde ihn mit dem Bug direkt treffen. Er habe deshalb seine Ankerkette gefiert, wodurch der Stillieger noch 2 - 3 m näher zum Ufer beigegangen sei. Trotzdem sei MS A mit dem Steven gegen den Stillieger angekommen und an ihm entlanggerutscht.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat nach Beiziehung der Verklarungsakten H 2/89 Schiffahrtsgericht Mannheim und der den Unfall betreffenden Bussgeldakten der WSD Süd-west den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. In den Entscheidungsgründen seines Urteils hat das Rheinschiffahrtsgericht ausgeführt, zwischen den Parteien sei eine Begegnung Steuerbord über Steuerbord vereinbart worden. Nach dem Ergebnis der im Verklarungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme habe der Schubverband dem zu Tal fahrenden MS A ausreichend Platz für die Begegnung gelassen. Der Abstand des Kopfes des Schubverbandes im Zeitpunkte der Kollision habe dem Abstand des Schubbootes zum linksrheinischen Ufer entsprochen, der entsprechend den Schätzungen des Zeugen S etwa 40 - 55 m betragen habe. Dieser Abstand hätte es bei sorgfältiger Navigation des MS A ermöglicht, gefahrlos dem Schubverband Steuerbord über Steuerbord zu begegnen. Zwar habe MS A bereits bei der Wahl seines Kurses das unmittelbar unterhalb stilliegende MS E berücksichtigen müssen, eine Durchfahrtsbreite von 30 - 40 m zwischen diesem Stillieger und dem Schubverband hätte aber auch unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten der Radarfahrt und der Notwendigkeit eines leichten Steuerbordvorhalts wegen der nach geographisch linksrheinisch absetzenden Trift ausgereicht. Dass MS E seinen Backbordanker 10 m seitlich zum Fahrwasser abgesetzt habe, habe die Durchfahrtsbreite für MS A nicht verringert.
 

Ein Mitverschulden der Schiffsführung des Schubverbandes lasse sich nicht feststellen. Der Bergfahrer sei nicht verpflichtet, einem Talfahrer einen günstigen oder gar den günstigsten Weg zu ermöglichen. Es genüge, dass der Bergfahrer dem Talfahrer einen risikolos befahrbaren und damit objektiv geeigneten Weg zur Begegnung freilasse. Das aber sei geschehen, wenn auch dem Schubverband ein grösserer Abstand als 40 - 55 m vom linksrheinischen Ufer möglich gewesen wäre.

Die Beklagten wenden sich mit ihrer Berufung gegen die Beweiswürdigung des Rheinschiffahrtsgerichts und greifen die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil an.

Die Beklagten beantragen,

 das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

 die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin tritt den Ausführungen der Beklagten entgegen und denen in dem angefochtenen Urteil bei.

Entscheidungsgründe:


Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt worden. In der Sache musste die Berufung auch Erfolg haben.

Der Klägerin stehen gegen die Beklagten die mit der Klage verfolgten Ansprüche nicht zu. Denn ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 2), für das der Beklagte zu 1) als Eigner des MS A einstehen müsste, liegt ebensowenig wie ein eigenes Verschulden des Beklagten zu 1) vor. Die Kollision des Schubverbandes G mit dem MS A beruht ausschliesslich auf einem Verschulden seiner Schiffsführung.

Diese Überzeugung stützt die Berufungskammer auf folgende Erwägungen:

1. Zur Unfallzeit am 8.2.1989 gegen 21.00 Uhr war es dunkel. Es herrschte Nebel mit einer Sichtweite von allenfalls 200 m. Der Maxauer Pegel stand auf 3,63 m, der Mannheimer Pegel auf 1,74 m. Der Wasserstand war also gering. Nach dem in den Bussgeldakten befindlichen Aktenvermerk des Wasserschutzpolizeiamtes Rheinland-Pfalz, Station Ludwigshafen, vom 12.2.1989 betrug die Strombreite 160 m in dem Unfallrevier von Rhein-km 422 bis Rhein-km 420. Die fahrbare Breite des Stromes war jedoch erheblich geringer. Etwa ab km 418,5 beschreibt der Rhein eine starke Rechtskrümmung, die etwa bei Rhein-km 422 in eine Linkskrümmung übergeht. Dem rechten Ufer des Stroms ist der ausgedehnte Schnepfengrund vorgelagert. Nach einem ebenfalls in den Bussgeldakten befindlichen Bericht des Wasserschutzpolizeiamts Rheinland-Pfalz, Station Ludwigshafen, vom 15.8.1989 musste der Schubverband bei einem gemittelten Tiefgang von 1,70 - 1,72 m zum rechten Ufer wegen des Schnepfengrundes einen Abstand von etwa 80 m einhalten. Ein notwendiger Abstand von etwa 80 m ergibt sich auch aus dem im Verklarungsverfahren eingeholten "Tiefenlinienplan aus Querprofilen" des Wasser- und Schiffahrtsamts Mannheim.

2. Zur Unfallzeit lag bei Rhein-km 421,2 das MS E am linken Ufer etwa 2 - 3 m vom Land ab vor Anker. Sein Backbordanker war etwa 10 m seitlich vom Schiff gesetzt. Ebenfalls linksrheinisch befindet sich bei Rhein-km 421,5 die Einfahrt zum Kaiserwörthhafen.

3. Die Kollision zwischen dem zu Berg fahrenden Schubverband G und dem zu Tal kommenden MS A hat sich, was unbestritten ist, oberhalb von E ereignet. Der Zusammenstoss ist etwa 40 bis 50 m aus dem linken Ufer erfolgt. Das ergibt sich aus dem Ergebnis des Verklarungsverfahrens und den Aussagen der Beteiligten sowie der Zeugen in dem Bussgeldverfahren : Im Verklarungsverfahren hat Schiffsführer B angegeben, er sei mit seinem Schubverband "während der ganzen Zeit" in einem Abstand von ca. 70 m zur Pfälzer Seite, also zum linken Ufer, gefahren. Den Talfahrer habe er zunächst wegen der starken Krümmung des Stromes im Radarbild nicht sehen können. Auf 400 m Abstand habe er MS A gerufen und erklärt, dass ihm der Talfahrer auf den Kopf fahre. Er habe keine Antwort erhalten und seine Durchsage nochmals wiederholt. MS A habe den Kurs stur weiter auf den Kopf des Schubverbandes gehalten. Der Schubverband sei fast gerade gefahren. Hingegen hat der Zeuge M, der zur Unfallzeit als Matrose an Bord des Schubbootes G2 gewesen ist, im Bussgeldverfahren angegeben, der Schubverband sei etwa 60 - 70 m vom linken Ufer entfernt gewesen. Diese Darstellung hat der Zeuge M im Verklarungsverfahren wiederholt und hinzugefügt, vom rechtsrheinischen Ufer sei der Abstand etwa genauso gross gewesen. Man habe sich fast an der Grenze des Fahrweges des Schubverbandes bewegt. Wäre der Schubverband noch weiter nach rechtsrheinisch beigefahren, wäre man auf den Grund gekommen. Man sei ungefähr parallel zum Ufer gefahren. Im Bussgeldverfahren hat der Zeuge M ausserdem zur Fahrweise des Talfahrers angegeben, MS A sei etwa in Strommitte zu Tal gefahren. Der Talfahrer habe dann seinen Kurs noch weiter nach Steuerbord gerichtet und sei direkt auf den Schubverband zugefahren. Im Verklarungsverfahren hat der Zeuge M dazu bemerkt, der Kurs des Talfahrers habe am Anfang noch ganz gut ausgesehen. Im weiteren Verlauf der Fahrt sei er immer näher an den Grund heran- und die letzen 300 m sei er dicht am Grund entlanggefahren. Hingegen soll MS A nach den Bekundungen des Beklagten zu 1) im Bussgeldverfahren 30 - 40 m und nach seinen weiteren Angaben im Verklarungsverfahren etwa 30 m aus dem linken Ufer gefahren sein, wobei er im Verklarungsverfahren erläuternd hinzugefügt hat, genau könne man das aber nicht sagen.

Auch der Beklagte zu 2) hat seinen Angaben im Verklarungsverfahren zufolge den Abstand des Talfahrers vor dem Unfall mit etwa 30 m aus dem linken Ufer geschätzt. Wenn die Berufungskammer meinte, den Angaben der Besatzung des MS A den Vorzug vor denen der Besatzungsmitglieder des Schubverbandes geben zu können, so waren dafür die Angaben des Zeugen S entscheidend, der die Angaben der Besatzung des MS A in der Kernfrage, welchen Weg der Schubverband dem Talfahrer freigelassen hatte, im wesentlichen bestätigt hat. Dieser Zeuge, der Schiffsführer des stilliegenden MS E gewesen ist und am Unfall unbeteiligt war, hatte von seinen nachbeschriebenen Standorten aus einen guten Überblick und hat sein Augenmerk den Havaristen zugewandt. Zudem erscheinen seine Angaben frei von Übertreibungen und wohlüberlegt. Der Zeuge S hat seinen Angaben im Verklarungsverfahren zufolge die unfallbeteiligten Schiffe und ihre Kurse vor dem Unfall nicht wahrgenommen. Er hat in seiner Kajüte ein Krachen gehört und ist erst hierdurch aufmerksam geworden. Seinen weiteren Angaben zufolge hat er aus dem Fenster seiner Kajüte gesehen, wie ein Schuber langsam zurückzog. Hierauf ist er aus seiner Kajüte an Deck getreten, um sich "das anzusehen". Zu Berg hat er dann einen Schatten gesehen, den er als Umriss eines Schiffes erkannt hat. Dieses Schiff, so hat er weiter angegeben, sei etwa 100 m voraus gewesen, habe schräg im Strom gelegen und sei auf ihn zugekommen. Da dieses Schiff auf ihn zugeschossen sei und er habe vermeiden wollen, dass MS A nicht ihn, d.h. nicht sein Schiff, mit dem Bug direkt treffe, habe er die Ankerketten gefiert, wodurch E noch 2 - 3 m zum Land beigegangen sei. MS A habe dann E mit dem Steven etwa 10 m von der Vorderkante entfernt angefahren, sei an diesem Schiff entlanggerutscht und habe es an Land gedrückt. Zu den Abständen der Havaristen hat der Zeuge S angegeben, der Schuber sei etwa 30 bis 40 m von ihm ab gewesen, als der Schuber zurückgezogen habe. Damit meine er den Zeitpunkt, als er ihn zum ersten Mal gesehen habe. Er könne nicht sagen, ob der Schuber im Zeitpunkt dieser Beobachtung gestreckt gelegen habe. So wie das ausgesehen habe, habe der Schuber gerade im Strom gelegen. Als er zurückgezogen habe, sei der Schuber in seiner Lage ziemlich stabil geblieben, worüber er sich noch gewundert habe. Im Bussgeldverfahren hatte der Zeuge S zuvor angegeben, er habe in seiner Kajüte zunächst ein Krachen und dann Maschinengeräusche und an deren Art gehört, dass ein Fahrzeug volle Kraft zurückmache. Sein Schiff habe begonnen zu schaukeln. Er habe sich darauf auf das Achterdeck seines Schiffes begeben und gesehen, dass es sich um einen Schubverband gehandelt habe. Er sei dann nach vorne auf den Bug seines Schiffes gegangen und habe A auf sich zutreiben gesehen. Zu dieser Zeit sei der Schubverband bereits in Höhe des Kaiserwörthhafens gewesen. Er habe Angst gehabt, A würde sein Schiff rammen und habe deshalb beide Anker gefiert. Hätte er die Anker nicht gefiert, wäre ihm A direkt in den Bug gefahren. Er habe beide Anker 3 - 4 m gefiert. So habe ihn A vom Bug bis zum Achterschiff gestreift und sein Schiff auf Land gesetzt. Die Bergplatte von E sei zerkratzt worden. A sei dann quer zum Strom zu Tal getrieben und habe einen Anker gesetzt. Es steht bei dieser Sachlage ausser Zweifel, dass der Zeuge Stühff zunächst Beobachtungen aus seinem Kajütenfenster und, nachdem er seine Wohnung verlassen hatte, vom Achterdeck seines Schiffes ausgemacht hat. Von seinem Achterdeck aus hat Stühff, wie er im Verklarungsverfahren ausdrücklich ausgesagt hat, den Schuber 30 bis 40 m neben seinem Schiff gestreckt im Strom liegen sehen. Zu dieser Zeit muss das Heck des Schubverbandes bereits geringfügig talwärts gelegen haben; denn S hat das Heck des Schubers bereits in Höhe des Hecks seines Schiffes gesehen, als er zum erstenmal aufgrund der Unfall- und Maschinengeräusche aus der Kajüte herausschaute.

Zur Lage des MS A nach dem Zusammenstoss folgt aus den Angaben des Zeugen S, dass dieses Schiff zunächst eine nicht näher feststellbare Querlage hatte, als es auf den Stillieger zutrieb und durch das Ankommen an dieses Schiff und die Strömung weiter in Querlage geraten ist. Aus dem Zusammenhang der Angaben des Zeugen S ist zu entnehmen, dass der Schubverband vor dem zu Tal treibenden MS A rückwärts zu Tal fuhr.

Zu der Lage des Schubverbandes im Strom ist die Berufungskammer der Überzeugung, dass eine Änderung des Abstandes des Verbandes zu beiden Ufern durch die bei der Kollision wirksam gewordenen Kräfte nicht eingetreten ist. Aus den Aussagen des Zeugen M und denen des Schiffsführers B entnimmt die Berufungskammer, dass das Schubboot sich bereits in Rückwärtsfahrt befand, als der Zusammenprall erfolgte. Wenn auch MS A mit der Steuerbordseite seines Kopfes gegen den Steuerbordkopf des vorderen Schubleichters ankam, brauchte das nicht notwendig einen nachhaltigen Einfluss auf den rückwärts verlaufenden Kurs des Schubverbandes auszuüben; denn Schiffsführer B zog durch seine rückwärtsdrehenden Schrauben den Verband in eine gestreckte Lage. Zudem konnte er auch durch den Einsatz seiner Flankenruder Kursabweichungen leicht korrigieren. Anhand der Vorauslinie seines Radargerätes und der Anzeige seines Wendeanzeigers konnte er auch die Lage seines Verbandes im Strom genau feststellen und notfalls entsprechend seinen Kurs korrigieren. Zweifel daran, dass der Schubverband durch den Unfall seine Lage im Strom nicht geändert hat und mit unverändertem Abstand zu beiden Ufern zu Tal gefahren ist, sind daher unbegründet. Diese Überlegungen werden zudem durch den Zeugen S bestätigt, der den Schubverband in gestreckter Lage im Strom gesehen hat. Dass dieser Zeuge im übrigen den Kurs des Schubverbandes nicht nur beiläufig, sondern mit dem Interesse eines fachkundigen Schiffsführers wahrgenommen hat, ergeben die Angaben des Zeugen darüber, dass er sich über diese Lage des Schubverbandes gewundert habe.

Geht man mit den Bekundungen des Zeugen S von einem Abstand zwischen dem stilliegenden MS E und dem Schubverband von 30 - 40 m aus, muss der Schubverband mit diesem Abstand vom linksrheinischen Ufer 40 - 50 m entfernt gefahren sein, da MS E etwa 2 - 3 m vom Ufer entfernt stillgelegen hat.

Wenn aber der Schubverband seinen Abstand zu beiden Ufern nicht geändert hat, wie den Aussagen des Zeugen M und denen des Schiffsführers B zu entnehmen ist, muss eine gleiche Lage des Schubverbandes im Strom auch für den Zeitpunkt der Kollision angenommen werden.

4. Bei der hier gegebenen Sachlage hat die Schiffsführung des Schubverbandes G unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs dem zu Tal fahrenden MS A entgegen der für das Begegnen vorgeschriebenen Grundregel des § 6.04 Nr. 1 RheinSchPV keinen geeigneten Weg freigelassen.

Obwohl ein ausreichendes Fahrwasser bis zu dem rechtsrheinisch vorspringenden Schnepfengrund bestand, ist Schiffsführer B mit dem von ihm geführten Schubverband G nur 40 - 50 m vom linken Ufer entfernt zu Berg gefahren. Wenn er schon dem zu Tal kommenden MS A eine Kursweisung für eine Begegnung Steuerbord auf Steuerbord wies, hätte er seinen Kurs weiter zum rechten Fahrwasserrand verlegen müssen, was gefahrlos möglich gewesen wäre. Weder der Wasserstand des Rheinstroms zur Unfallzeit noch die Abladung der Schubleichter hinderten ihn, weiter zum rechten Ufer beizugehen, damit er den Talfahrer gefahrlos passieren lassen konnte. Innerhalb der Stromkrümmung und wegen der Radarfahrt benötigte sein Verband zwar ebenfalls einen gewissen Raum, das 80 m breite Fahrwasser reichte aber für die gefahrlose Begegnung mit einem zu Tal fahrenden Motorschiff auch bei einer Radarfahrt ohne weiteres aus. Es haben sich bisher auch keine Vorschriften als notwendig ergeben, die Begegnung von Fahrzeugen bei unsichtigem Wetter für den Bereich des Unfallreviers abweichend von den allgemeinen Vorschriften zu regeln. Daran ändert auch nichts, dass Schiffsführer B auf der Bergfahrt im Bereich von km 421,2 wegen des aus seiner Sicht in einer starken Linkskrümmung verlaufenden Stromes den Kopf seines Verbandes nach Backbord legen musste, um der Stromkrümmung zu folgen. Er konnte den für ihn linken Rand des Fahrwassers anhalten und lediglich das Heck seines 183 m langen Verbandes lag dann zur Strommitte hin leicht heraus. Kollidierte aber, wie es hier der Fall war, sein Kopfleichter mit der Steuerbordvorderkante 40 - 50 m vom linken Ufer entfernt mit MS A, so weist dieser Umstand darauf hin, dass der Schubverband einen zu weit in der Mitte des Fahrwassers verlaufenden Kurs gehabt hat. Diesen verfehlten Kurs hat Schiffsführer B auch dann noch bis zur Kollision fortgesetzt, nachdem ihm der Beklagte zu 2) über Kanal 10 mitgeteilt hatte, er könne nicht weiter nach linksrheinisch und in das Land fahren.

5. Durch seine Fahrweise hat Schiffsführer B die Kollision schuldhaft herbeigeführt.

Zwar braucht ein Bergfahrer einem Talfahrer weder den günstigsten noch einen günstigen Weg freizulassen, der Bergfahrer muss aber einen Weg freilassen, der vom Talfahrer risikolos befahren werden kann. Es darf aber insbesondere in einer Stromkrümmung keine Gefahrenlage entstehen (BGH VersR 1963, 825; Bemm/Kortendick, Rheinschiffahrtspolizeiverordnung 1983, § 6.04 Rdn 16). Der Bergfahrer muss bei der Wahl seines Kurses und dem sich daraus ergebenden Weg, den der Talfahrer bei der Begegnung zu nehmen hat, auch berücksichtigen, dass dem Talfahrer die Möglichkeit gegeben sein musste, auch an Fahrzeugen, die er erst nach dem Begegnen passieren muss, ohne Gefahr vorbeizukommen (BGH VersR 1968, 44; 1969, 611; Bemm/Kortendick, a.a.O., § 6.04 Rdn 17). Ein Talfahrer kann in einer Stromkrümmung, wie sie hier im Revier bestand, schon bei guten Sichtverhältnissen nicht am äussersten Rand des linksrheinischen Fahrwassers fahren, weil das Wasser dort in den Hang fällt. Diese Fahrwasserverhältnisse zwingen einen Talfahrer, worauf auch die Parteien in ihrem Vorbringen mit Recht hingewiesen haben, den Kopf seines Schiffes nach Steuerbord zu richten, damit das Schiff dem Stromverlauf folgt. Diese Ruderlegung bewirkt, dass das Schiff eine gewisse Querlage einnehmen muss, also erheblich breiter fährt als auf einer geraden Stromstrecke.

Ein Radartalfahrer muss bei der Wahl seines Talkurses in Rechnung stellen, dass das Auflösungsvermögen der Radarortung einen weiteren Abstand vom Ufer verlangt, um ein Verschmelzen des Echos des eigenen Schiffs mit dem des Ufers zu vermeiden. Durchfährt ein Radartalfahrer eine scharfe Rechtskrümmung des Stromes, muss er deshalb einen Vorhalt nach Steuerbord machen. Auch weist die Vorauslinie seines Radargeräts nicht in Richtung auf den eingeschlagenen Kurs, sondern entsprechend dem Vorhalt des Schiffes abweichend von dem Kurs nach Steuerbord. Auch das muss der weisungsberechtigte Bergfahrer bei der Wahl seines Kurses in Rechnung stellen. Schon diese Umstände zeigen auf, dass einem Radartalfahrer, der in einer scharfen Rechtskrümmung nur einen Weg von 30 bis 40 m Breite finden kann, ein nicht ungefährlicher Weg freigelassen worden ist.

Diese Gefahr wurde hier dadurch verstärkt, dass 200 m unterhalb der Unfallstelle bei Rhein-km 421,2 linksrheinisch das MS E stillag. Auch wenn dieses Schiff nur 2 - 3 m vom Land ablag, schränkte es den Weg für MS A nicht unerheblich ein. Zwar bedeutete der etwa 10 m seitlich gesetzte Anker des Stilliegers keine weitere Gefahr, weil der Rheinstrom an dieser Stelle so tief ist, dass kein anderes Schiff auf dem Anker raken kann, weshalb auch die Besatzungsmitglieder des MS A nach dem Ergebnis ihrer Aussagen insoweit keine Gefahr gesehen haben. Die Schiffsführung des Schubverbandes hätte hier aber wegen des Stilliegers in Rechnung stellen müssen, dass der Radartalfahrer bei dessen Passieren schon deshalb einen erheblichen Abstand halten musste, um dieses Schiff nicht bei der Vorbeifahrt abzureissen. Ferner musste die Schiffsführung des Schubverbandes bei der Wahl des eigenen Kurses und dem für den Talfahrer freizulassenden Wege berücksichtigen, dass der Talfahrer wegen der beschränkten Nahauflösung des Radarbildes den Stillieger nicht scharf anhalten konnte und grösseren Raum brauchte. Der Talfahrer musste auch einen Sicherheitsabstand einhalten, um in der erforderlichen Schräglage dieses Fahrzeug gefahrlos zu passieren.

Zusammenfassend ist die Berufungskammer der Überzeugung, dass der Bergfahrer dem Talfahrer keinen risikolos befahrbaren Weg freigelassen hat.

6. Der Schiffsführung des MS A kann aus dem bei der Annäherung an den Kollisionsort eingehaltenen Kurs kein Vorwurf gemacht werden. Wenn MS A 40 - 50 m vom linken Ufer entfernt mit dem Schubverband kollidiert ist, besteht kein Grund zu der Annahme, A sei von rechtsrheinisch kommend dem Schubverband vor den Kopf gelaufen, da selbst die Besatzungsmitglieder des Schubverbandes keine derartigen Beobachtungen gemacht haben. Vielmehr soll nach ihren Angaben A sich umgekehrt von linksrheinisch kommend zum rechten Ufer bewegt haben. Dass A bei der Kollision den Kopf nach Backbord genommen hatte, mag auf einem letzten Versuch, dem Schubverband auszuweichen oder eine Kopf-auf-Kopf-Kollision zu vermeiden, beruhen. Denkbar ist nach dem Gesamteindruck der Angaben der Besatzungsmitglieder des MS A auch, dass man im letzten Teil der Geschehnisse nichts mehr unternehmen konnte und deshalb der Kopf des Talfahrers infolge der Strömung und mangels eines Vorhalts zum Hang hin abgegangen ist. Muss aber nach der ganzen Sachlage angenommen werden, dass MS A unter Berücksichtigung der eigenen Schiffsbreite bei der Annäherung an den Kollisionsort mit etwa 40 - 50 m Abstand vom linken Ufer zu Tal gefahren ist, können mit Rücksicht auf die besonderen für die Talfahrt bestehenden Gegebenheiten (vgl. vorstehend unter Nr. 5) auch insoweit gegen die Besatzung dieses Schiffes keine Vorwürfe erhoben werden.

Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim vom 21.5.1991 wie folgt abgeändert:

 Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Deren Festsetzung gemäss Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Mannheim.