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284 Z - 9/93 - Berufungskammer der Zentralkommission (Rheinschiffahrtsgericht)
Entscheidungsdatum: 17.06.1993
Aktenzeichen: 284 Z - 9/93
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Rheinschiffahrtsgericht

Leitsatz:

Für den Erlaß eines Grundurteils, das die Feststellung eines Verschuldens des Beklagten voraussetzt, das für den Schaden ursächlich gewesen ist, genügt nicht die bloße Feststellung, daß der Beklagte ein fehlerhaftes Überholmanöver ausgeführt hat. Zu dieser haftungsbegründenden Kausalität muß die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der dem Beklagten angelasteten unerlaubten Handlung und dem behaupteten Schaden hinzutreten, für die der Kläger die Beweislast trägt. 

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 17.06.1993

284 Z - 9/93

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)

Zum Tatbestand:

 

Der Kläger, Versicherer des MS „Josef May", verlangt von dem Beklagten, Eigner und Schiffsführer des MTS „Butt", aus übergegangenem Recht Schadensersatz nach einer Grundberührung. Er hat behauptet, dem MS „Josef May" sei am 1.10.1989 zunächst der zu Berg fahrende Schubverband „Stark 1" entgegengekommen. Da sich die Fahrrinne zwischen km 438,6 und 438,7 bei dem damaligen Wasserstand stark verengt gehabt habe, seien in diesem Bereich Begegnungen und Überholungen nur auf engstem Raum und bei Seitenabständen von ca. 10 bis 20 m möglich gewesen. Nach der Begegnung mit dem Schubverband sei das leere MTS „Butt" in rascher Fahrt aufgekommen und habe auf der Backbordseite des MS „Josef May" zur Überholung angesetzt. Der Seitenabstand habe nur ca. 10 m betragen. Schon ab km 438 habe der Schiffsführer des MS „Josef May" seine Fahrt zurückgenommen. Gleichzeitig habe er Achtungssignal gegeben. Da der Beklagte die Geschwindigkeit seines Schiffes nicht herabgesetzt habe, habe er ihn über Kanal 10 gebeten, langsamer zu fahren. Der Beklagte habe jedoch nicht geantwortet und sei weitergefahren. Dabei habe MTS „Butt" auf beiden Schiffsseiten eine Heckwalze hinter sich hergezogen. Bei der Vorbeifahrt sei das Hinterschiff von MS „Josef May" angesogen worden, wodurch das Vorschiff nach Steuerbord geraten sei. Als Gegenruder gelegt worden sei, habe MS „Josef May" mit dem Hinterschiff eine starke Grundberührung erlitten, wodurch es zu den von den Sachverständigen festgestellten Schäden gekommen sei.

Der Beklagte hat ausgeführt, die Vorbeifahrt der Schiffe sei ohne Komplikationen in einem ausreichenden seitlichen Abstand von mehr als 10 m bei reduzierter Maschinenleistung verlaufen. Von MS „Josef May" sei kein Hinweis auf einen angeblichen Schaden anläßlich der Vorbeifahrt erfolgt. Erst am 17.10.1989 habe der für den Kläger tätige Experte zu einer gemeinsamen Schadensbesichtigung eingeladen. Aus der Schadenstaxe ergäben sich keine Schäden, die bei einer Grundberührung typischerweise festzustellen seien.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen: 

„Mit dem Rheinschiffahrtsgericht entnimmt auch die Berufungskammer den Aussagen der unbeteiligten Zeugen, bei denen es sich um erfahrene Schiffsführer handelt, daß MTS „Butt" mit einer für den geringen Seitenabstand der Schiffe zu hohen Geschwindigkeit das MS „Josef May" überholt und hierdurch die Gefahr einer unzulässigen Sogeinwirkung auf dieses Schiff herbeigeführt hat. Beide Zeugen haben übereinstimmend und unabhängig voneinander eine Fahrweise des MTS „Butt" beobachtet, die für die Gefahr einer Grundberührung des MS „Josef May" sprach, wenn sie auch von ihren Schiffen aus den Abstand der beiden Schiffe und die genaue Geschwindigkeit des MTS „Butt" nicht angeben konnten. Auch die Berufungskammer sieht ebenso wie das Rheinschiffahrtsgericht keine durchgreifenden Gründe, die Fahrweise des Beklagten anders als die beiden erfahrenen Zeugen zu beurteilen.

Ebensowenig wie das Rheinschiffahrtsgericht hat sich die Berufungskammer davon überzeugen können, daß der mit der Klage verfolgte Schaden auf die fehlerhafte Fahrweise des Beklagten zurückzuführen ist. Wie das Rheinschiffahrtsgericht mit Recht ausgeführt hat, ist eine Grundberührung des MS „Josef May" nur durch den Schiffsführer dieses Schiffes, den Zeugen M. und mit Einschränkungen durch seine Matrosin, die Zeugin St., bestätigt worden. M. will während der Überholung durch MTS „Butt" „voll über den Kies marschiert" sein; die Zeugin St. will im Maschinenraum von MS „Josef May" gehört haben, „daß das Schiff über Kies" gegangen ist; der Zeuge M. habe dann, so hat die Zeugin weiter bemerkt, als sie an Deck gekommen sei, geschimpft und gesagt, es habe jemand zu schnell überholt und auch, wer es gewesen sei.

Auch die Berufungskammer sieht diese Aussagen nicht als ausreichenden Nachweis dafür an, daß MS „Josef May" im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der Überholung durch MTS „Butt" eine Grundberührung gehabt hat und hierauf die von den Sachverständigen festgestellten Schäden an der Ruderanlage dieses Schiffes beruhen. Gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen M. und den Beweiswert der Angaben der Zeugin St sprechen mehrere erhebliche Umstände.

1. Weder die angebliche Unfallstelle noch die zur Unfallzeit gegebene Verkehrssituation einschließlich des Überholmanövers des MTS „Butt" können den Angaben des Zeugen M. zweifelsfrei entnommen werden.... Bei dieser Sachlage läßt sich der Ort der angeblichen Grundberührung nicht sicher festlegen, zumal der Zeuge M. keine Angaben darüber gemacht hat, um seinen Standort im Zeitpunkte der angeblichen Grundberührung durch Angaben zum Abstand zu den oberhalb des Roxheimer Loches ausgelegten beiden Bojen und der Einmündung des dort befindlichen Kanals zu präzisieren.

Das Verkehrsgeschehen auf dem Strom einschließlich des Überholmanövers des MTS „Butt" hat der Zeuge M. bei seiner Aussage vor Gericht widersprüchlich dargestellt...

2. Nach Angaben des Zeugen M. soll sein Schiff durch Sogwirkung nach Steuerbord abgegangen sein. Er will hart Backbordruder gegeben und zur Verstärkung der Ruderwirkung das Notruder zugeschaltet und die Maschinenkraft verstärkt haben, um Druck aufs Ruder zu bekommen. Es habe danach einen harten Schlag am Ruder gegeben und man sei dann „auch voll über den Kies marschiert". Er habe dann noch versucht, MTS „Butt" über Funk anzusprechen. Gegen diese Angaben sprechen folgende Zweifel:

Wie aus der Schadenstaxe des Sachverständigen H. folgt, haben die beiden an der Schadensaufnahme beteiligten Privatsachverständigen festgestellt, daß der Steuerbord- Ruderschaft von MS „Josef May" mit Verstellung des Blattes nach außen um 12 Grad verdreht war. Später wurde durch die Werften nach Abnahme des Steuerbordquadranten am Schaft des Ruders eine Verbiegung des Konus von 5 mm festgestellt. Auch wurde eine passende Kerbung im Stehblech des Stoppers und eine zusätzliche Spur im Quadrant gefunden, was zur damaligen Darstellung des Zeugen M., das Steuerbordruder sei anscheinend hart gegen den Deckstopper gelaufen, passen konnte. Bei Erwägung der Fakten haben die Sachverständigen diese Ansicht des Zeugen M. jedoch verworfen, weil der Vorgang ihrer Ansicht nach anders gelaufen sein mußte. Sie haben die Ansicht vertreten, als der Zeuge M. durch Betätigung des Tillers bei zugeschalteter Zusatzpumpe eine Hart- Backbord-Ruderlage angestrebt habe, habe sich sein Schiff achtern gesetzt und bei etwa 3/4 Ruderlage Grundberührung gehabt. In diesem Moment sei das unter hohem Druck bewegte Steuerbord-Ruder am Sandgrund festgehalten und ein Gegendruck erzeugt worden. Bevor der hierfür vorgesehene Sekundär-Überlastungsschutz diesen Gegendruck habe abbauen können, sei der Ruderschaft in Sekundenbruchteilen bereits verdreht worden.

Die Berufungskammer sieht keinen begründeten Anlaß, die aufgezeigten Feststellungen der beiden Privatsachverständigen und die sich hieraus ergebenden Schlußfolgerungen in Zweifel zu ziehen. Es bedarf auch keiner Erörterung, ob deren Ausführungen für die Richtigkeit der Bekundungen des Zeugen M. sprechen. Auch dann bleiben erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Zeugen M.

Aus den Ausführungen der beiden Privatsachverständigen ergibt sich, daß außer den Schäden an dem Ruder keinerlei sonstige Spuren einer Grundberührung an MS „Josef May" festgestellt werden konnten, was den Bekundungen des Zeugen M. widerspricht, wonach sein Schiff „voll über den Kies marschiert ist". Wären diese Angaben richtig, hätte der Schiffskörper erkennbare Schleifspuren aufweisen müssen. Weitere Zweifel an der Sachdarstellung des Zeugen M. ergeben sich daraus, daß nicht als bewiesen erachtet werden kann, der Zeuge habe nach der angeblichen Grundberührung die Schiffsführung des MTS „Butt" auf den Vorfall hingewiesen....

Daß die Interessenten des MTS „Butt" ersichtlich erst am 17.10.1989 zu der Schadensbesichtigung aufgefordert worden sind, der Zeuge M. den Schadensfall ausweislich der Gesprächsnotiz des Geschäftsführers schon am 3.10.1989 dem Kläger gemeldet hat, spricht zwar dagegen, daß der Schaden nach dem 3.10.1989 entstanden ist, schließt aber nicht aus, daß der Schaden erst nach Abschluß des Überholmanövers des MTS „Butt" entstanden sein kann.

Nach vorstehenden Ausführungen konnte sich die Berufungskammer nicht von der Richtigkeit des Klagevorbringens überzeugen. Es bleiben schwerwiegende Zweifel an der Richtigkeit der Aussagen des Zeugen M. Die Folgen dieser Beweislosigkeit gehen zu Lasten des Klägers, der die Beweislast für die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der dem Beklagten angelasteten unerlaubten Handlung und dem behaupteten Schaden trägt.

Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung ist itir den Erlaß eines Grundurteils der Berufungskammer wegen der dem Schiffseigner entgangenen Nutzungen des MS „Josef May" kein Raum. Ein solches Grundurteil würde die Feststellung eines Verschuldens des Beklagten voraussetzen, das für den an MS „Josef May" entstandenen Ruderschaden ursächlich gewesen ist. Ein solches Verschulden ist jedoch, wie vorstehend ausgeführt ist, gerade nicht bewiesen. Es genügt nicht die bloße Feststellung, daß der Beklagte ein fehlerhaftes Überholmanöver ausgeführt hat. Zu der haftungsbegründenden Kausalität muß die haftungsausfüllende Kausalität hinzutreten. Daran fehlt es."


Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993- Nr.22 (Sammlung Seite 1447 f.); ZfB 1993, 1447 f.