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295 Z - 18/93 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 08.12.1993
Aktenzeichen: 295 Z - 18/93
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Auf die nach § 6.32 Nr.5 RheinSchPVO für die Radarfahrt zu Berg vorgeschriebenen genauen Funk-Ansagen und den Hinweis auf die Zeichensetzung zur Kursweisung nach § 6.04 RheinSchPVO sowie auf das vorgeschriebene Schallzeichen „einen langen Ton", kann im Interesse der Verkehrssicherheit nicht verzichtet werden. Verkürzte bzw. unvollständige Ansagen über Kanal 10 sind unzulässig.

2) Der Schiffsführer eines mit Radar zu Tal fahrenden Schiffes läßt es an der nach § 1.04 RheinSchPVO gebotenen Aufmerksamkeit fehlen, wenn ihm Funkdurchsagen von Bergfahrern in deren Sendebereich entgehen. Hört er die Ansagen nicht, ist ihm schuldhafte Unaufmerksamkeit vorzuwerfen. In der für ihn ungeklärten Situation muß er das nach § 6.32 Nr. 4 RheinSchPVO vorgeschriebene Schallzeichen geben und sofort die Geschwindigkeit vermindern.

Urteil der Berufungskammer der Zentrallkommission für die Rheinschiffahrt

Vom 08.12.1993

– 295 Z – 18/93 –

(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 26. August 1992 - 5 C 44/91 BSch -)

Zum Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 13.9.1990 bei Rhein-km 726 (Ortslage Stürzelberg) ereignet hat. MTS J des Klägers, geführt von Schiffsführer F., kollidierte auf der Talfahrt mit dem zu Berg fahrenden MTS R der Beklagten zu 1, das vom Beklagten zu 2 geführt wurde. Beide Schiffe waren beladen. Sie fuhren wegen des unsichtigen Wetters mit Radar. An den kollidierten Schiffen entstand hoher Sachschaden. Durch ausgelaufenes Produkt wurden erhebliche Ölverschmutzungsschäden herbeigeführt.

Der Kläger hat behauptet, vor der Bucht von Stürzelberg habe MTS J, wie es dort üblich sei, den Übergang nach linksrheinisch gemacht. Zu dieser Zeit sei noch keine Bergfahrt in Sicht gewesen. Dann sei rechtsrheinisch fahrend MTS R ins Bild gekommen. Dieser Bergfahrer habe sich nicht gemeldet. Auf einen Abstand der Schiffe von etwa 400-500 m habe Schiffsführer F. dann gefragt, was denn nun sei, ob die Begegnung Steuerbord an Steuerbord stattfinden solle. Eine Antwort habe er nicht erhalten. Nachdem er diese Frage nochmals vergeblich wiederholt habe, habe MTS R plötzlich Kurs nach Steuerbord genommen und habe eine Begegnung Backbord/Backbord verlangt. F. habe nur noch antworten können, daß es dazu zu spät sei. Er habe dann das Ruder nach Steuerbord ausgedreht, die Kollision sei aber nicht mehr zu verhindern gewesen. J habe bei der Kollision noch ziemlich gestreckt gelegen.

Die Beklagten haben vorgetragen, MTS R sei zunächst rechtsrheinisch gefahren und habe bei Rhein-km 727,3-727,4 den Übergang nach linksrheinisch gemacht und sei dann mit einer Geschwindigkeit von 11-13 km/h weiter zu Berg gefahren. Es habe sich dann in der Ortslage von Stürzelberg ein Talfahrer gemeldet, der von MTS R eine Begegnung Backbord/Backbord verlangt habe. Als dieser Talfahrer auf dem Radarbild von MTS R sichtbar geworden sei, hätten beide Schiffe einen Kurs gehabt, bei dem die geforderte Begegnung problemlos gewesen sei. Das zu Tal fahrende MTS J habe im weiteren Verlauf der Annäherung zunächst allmählich und dann immer stärker Kurs nach Backbord genommen und sei, als der Abstand der Schiffe noch etwa 300-400 m betragen habe, direkt auf MTS R zugefahren. Der Beklagte zu 2 habe den Talfahrer sofort angesprochen, es bleibe bei Backbord/Backbord. Schiffsführer F. von MTS J habe jedoch erwidert, es werde Steuerbord/Steuerbord begegnet. Der Beklagte zu 2 habe dann noch versucht, durch Verstärkung des Maschineneinsatzes an den beiden linksrheinischen Stilliegern vorbeizukommen und näher an das linke Ufer heranzufahren. Das sei jedoch nicht mehr gelungen. In Höhe der Ankerlieger seien MTS R mit Steuerbordschräglage und MTS J mit Backbordschräglage zusammengestoßen. Ursache für den Fahrfehler von Schiffsführer F. sei möglicherweise seine erhebliche Fahrzeitüberschreitung gewesen.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt. Die Berufungen beider Parteien hatten keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

„ Beide beteiligten Schiffsführer haben den Unfall gleichermaßen verschuldet, ohne daß ein überwiegendes Verschulden der einen oder anderen Seite festgestellt werden kann.

1. Ohne Erfolg wenden sich beide Parteien gegen die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil.
Es kann nicht festgestellt werden, daß Schiffsführer F. bei der Annäherung an die spätere Unfallstelle rechtzeitig Ansagen über Kanal 10 gemacht hat, wie er das im Verklarungsverfahren behauptet hat. Denn hiervon haben weder die Besatzungsmitglieder des zu Berg fahrenden MTS R, noch die Besatzung des diesem Bergfahrer folgenden Polizeibootes, noch die Zeugen, die sich auf den beiden Stilliegern in Höhe der Unfallstelle aufgehalten haben, etwas gehört, was nach Meinung der Berufungskammer dafür spricht, daß die angeblichen Durchsagen nicht erfolgt sind.
Als ungeklärt müssen ferner die Kurse beider unfallbeteiligter Schiffe kurz vor der Kollision erachtet werden. Das Rheinschifffahrtsgericht hat mit Recht angenommen, daß sich die Aussagen beider beteiligter Schiffsführer und ihrer Matrosen unvereinbar gegenüberstehen und die unbeteiligten Zeugen zu dieser Frage keine Wahrnehmungen gemacht haben.

2. Der Beklagte zu 2 hat den Unfall schuldhaft herbeigeführt. Nach § 6.32 Nr. 5 RheinSchPVO muß ein Bergfahrer, sobald er Fahrzeuge auf dem Bildschirm bemerkt, deren Standort oder Kurs eine Gefahrenlage verursachen kann, oder wenn er sich einer Strecke nähert, in der sich auf dem Radarschirm noch nicht wahrzunehmende Fahrzeuge befinden können, „einen langen Ton" geben, der so oft wie notwendig zu wiederholen ist, und dem entgegenkommende Fahrzeuge über Sprechfunk seine Fahrzeugart, seinen Namen, seine Fahrtrichtung und seinen Standort mitteilen und ansagen, ob er die blaue Tafel oder das weiße Funkellicht zeigt oder nicht.

Wie sich aus den Aussagen der im Verklarungsverfahren vernommenen Zeugen W., POM B. und POM S. ergibt, hat sich der Beklagte zu 2 nicht vorschriftsmäßig gemeldet, sondern zunächst über Kanal 10 angesagt: „Für die Talfahrt bei Stürzelberg, für die Bergfahrt Backbord an Backbord." Bei der Wiederholung der Ansage hat er gesagt: „Für die Talfahrt Backbord an Backbord." Eine solche Ansage kann zu Mißverständnissen und zu einer Gefahrenlage führen, weil ohne Namensnennung und Standort unsicher ist, wer die Begegnung wünscht und auf wen sich die Talfahrt einstellen muß. Insbesondere fehlte auch jeglicher Hinweis auf die vorgeschriebenen Zeichen zur Kursweisung nach § 6.04 RheinSchPVO. Auf eine solche Ansage kann im Interesse der Verkehrssicherheit nicht verzichtet werden. Wenn es richtig sein sollte, wie der Zeuge B. ausgesagt hat, daß die Radarschiffahrt immer mehr dazu übergeht, sich nicht mehr mit dem Namen zu melden, ist dem nach der Überzeugung der Berufungskammer durch die Gerichte entgegenzutreten. Unter den hier gegebenen Umständen kann allerdings nicht hinreichend sicher festgestellt werden, daß sich die unzulässig verkürzte Ansage über Kanal 10 schadensursächlich ausgewirkt hat, weil nicht sicher ist, ob Schiffsführer F. zu einer Zeit, als er noch durch einen entsprechenden Kurs der gewünschten Begegnung Backbord/Backbord hätte entsprechen und hierdurch den Unfall hätte vermeiden können, überhaupt den Ansagen über Kanal 10 Aufmerksamkeit gewidmet hat. Es ist weiter auch nicht hinreichend sicher, ob er bei einer vorschriftsmäßigen Ansage die Kursweisung bestätigt und dann auch befolgt hätte.

Vorzuwerfen ist dem Beklagten zu 2 aber, daß er es bei einer solchen Ansage belassen und dann erst seine Ansage wiederholt hat, als sich die Schiffe bereits auf 300-400 m genähert hatten. Da er linksrheinisch fuhr, hätte er in Rechnung stellen müssen, daß der Talfahrer in den Hang bei Rhein-km 726 fallen konnte. Auch war es zu keiner Absprache über die bevorstehende Begegnung gekommen. Hieraus hätte er auf eine Gefahrenlage schließen müssen. In § 6.32 Nr.5 RheinSchPVO ist verbindlich vorgeschrieben, daß der Bergfahrer bei einer Gefahrenlage das dort vorgeschriebene Schallzeichen „einen langen Ton" zu geben und seine Ansagen mit dem vorgeschriebenen Inhalt so oft wie notwendig zu wiederholen hat. Davon kann hier bei einer einmaligen und dazu noch unvollständigen Ansage und deren Wiederholung zu einer Zeit, als eine sachgemäße Reaktion seitens des Talfahrers zur Vermeidung des Unfalls ausgeschlossen war, nicht die Rede sein. Durch die festgestellten Verstöße gegen § 6.32 Nr.5 RheinSchPVO hat der Beklagte zu 2 den Unfall mitverschuldet.

3. Schiffsführer F. von MTS J hätte als Radartalfahrer § 6.32 Nr. 4 RheinSchPVO beachten müssen. Nach dieser Vorschrift muß ein Fahrzeug in der Radarfahrt zu Tal, sobald es auf dem Radarschirm Fahrzeuge bemerkt, deren Standort oder Kurs eine Gefahrenlage verursachen kann, oder wenn es sich einer Strecke nähert, in der sich auf dem Radarschirm noch nicht wahrzunehmende Fahrzeuge befinden können, das Dreitonzeichen nach § 4.06 Nr. 1 Buchstabe c geben und dieses Schallzeichen so oft wie notwendig wiederholen. Ferner muß unter diesen Umständen der Talfahrer seine Geschwindigkeit vermindern und falls nötig, Bug zu Tal anhalten oder aufdrehen.

Nach seinen eigenen Bekundungen im Verklarungsverfahren hat Schiffsführer F. bei der Annäherung an die Unfallstelle keinerlei Schallzeichen gegeben. Er hat auch dann Schallzeichen unterlassen, als er MTS R auf dem Radarschirm sah. Spätestens jetzt mußte sich ihm aufdrängen, daß die beiderseitigen Kurse eine Gefahrenlage nicht ausschlossen, vielmehr die Situation ungeklärt war. Denn er hatte nach seinen eigenen Angaben im Verklarungsverfahren von dem Bergfahrer keine Ansage über Kanal 10 über die Kursweisung empfangen. Solange aus seiner Sicht keine Kursweisung für die bevorstehende Begegnung mit dem Bergfahrer mitgeteilt und von ihm nach § 6.32 Nr.5 Abs.2 RheinSchPVO bestätigt und von ihm mitgeteilt worden war, nach welcher Seite hin er ausweichen wollte, konnte er nicht davon ausgehen, daß die Begegnung gefahrlos durchgeführt werden konnte. Unter diesen Umständen hätte er das nach § 6.32 Nr.4 RheinSchPVO vorgeschriebene Schallzeichen geben und sofort die Geschwindigkeit vermindern müssen. Ferner ist Schiffsführer F. vorzuwerfen, daß er es als Radartalfahrer an der gebotenen Aufmerksamkeit (§ 1.04 RheinSchPVO) hat fehlen lassen. Ihm ist die Durchsage des Schiffsführers des Bergfahrers zur Kursweisung und über die gewünschte Begegnung entgangen.

Daß eine Durchsage des Beklagten zu 2 zur Kursweisung und über die gewünschte Begegnung über Kanal 10 erfolgt ist, haben die beiden Polizeibeamten B. und S., die mit einem Polizeiboot MTS R folgten, gehört und im Verklarungsverfahren bestätigt. Beide Zeugen wollen die gleiche Stimme wiedererkannt haben, die im letzten Teil der Geschehnisse erneut eine Begegnung Backbord/Backbord verlangte und wobei es sich nach der Sachdarstellung beider Parteien nur um die des Beklagten zu 2 gehandelt haben kann, weil beide Zeugen auch gehört haben, wie Schiffsführer F. entgegnete, daß es nicht mehr gehe. Daß diese Zeugen nur an der Stimme erkannt haben wollen, daß es sich jeweils um die gleiche Person gehandelt habe, berührt nicht die Glaubwürdigkeit ihrer Angaben, zumal der Zeuge B. nach seinen Angaben über ein gutes Gehör für Stimmen verfügt, weil er Amateurfunker ist. Auch wenn sich dieser Zeuge nicht 100%ig sicher war, nimmt das seinen Aussagen nicht den Beweiswert, da es auf eine absolute Sicherheit nicht ankommt. Es besteht hier die hinreichende Sicherheit, daß die Angaben des Zeugen den Tatsachen entsprechen. Die Relativierung seiner eigen Angaben zeigt indessen, daß der Zeuge seine Angaben sehr vorsichtig und mit der erforderlichen Objektivität gemacht hat. Die Berufungskammer meint daher, seinen Angaben, die mit denen des Polizeibeamten S. übereinstimmen, folgen zu können und nimmt daher an, daß eine Durchsage des Beklagten zu 2 über Kanal 10 in dem beschriebenen Sinne erfolgt ist, entsprach auch die Durchsage, wie oben bereits ausgeführt worden ist, nur unvollständig der Vorschrift des § 6.32 Nr.5 RheinSchPVO. Bei gebotener Aufmerksamkeit, die von einem Talfahrer bei der Radarfahrt zu verlangen ist, hätte die Durchsage Schiffsführer F. nicht entgehen können, weil sich die Schiffe schon soweit genähert hatten, daß sich der Talfahrer im Sendebereich des Bergfahrers befand, was die Berufungskammer aus dem von den beiden Polizeibeamten bekundeten zeitlichen Abstand der Durchsagen entnimmt. Wenn der Schiffsführer F. die Ansage des Bergfahrers nicht gehört hat, kann das nur auf einer schuldhaften Unaufmerksamkeit beruhen. Bei gehöriger Sorgfalt hätte er auch die Durchsage verstehen können. Mindestens hätte er bei Zweifeln über Kanal 10 seinerseits die in § 6.32 Nr.5 Abs. 2 RheinSchPVO vorgeschriebenen Ansagen vornehmen müssen, damit er nach einer ergänzten Ansage des Bergfahrers den gewiesenen Weg bestätigen konnte.
Auf dem aufgezeigten Fahrverhalten von Schiffsführer F. beruht auch der Unfall. Bei gehöriger Zeichengebung und Beachtung der Durchsagen über Kanal 10 hätte er eine Kursverständigung mit dem Bergfahrer erreichen und durch einen Kurs entsprechend der Kursweisung den Unfall vermeiden können....

4. Im Rahmen der nach den §§ 254 BGB, 92 c BinSchG gebotenen Abwägung des Verschuldens der beteiligten Schiffsführer ist die Berufungskammer in Übereinstimmung mit dem Rheinschiffahrtsgericht der Überzeugung, daß das auf jeder Seite obwaltende Verschulden als gleich schwer erscheint; denn beide Schiffsführer haben die für die Fahrt bei unsichtigem Wetter mit Radar erlassenen Vorschriften unbeachtet gelassen und hierdurch in gleichem Umfange zu dem Unfall beigetragen. Ein überwiegendes Verschulden der einen oder anderen Seite läßt sich nicht feststellen...."


Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1994 - Nr.4 (Sammlung Seite 1461 ff.); ZfB 1994, 1461 ff.