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3 U 209/13 BSchRh - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 12.09.2016
Aktenzeichen: 3 U 209/13 BSchRh
Entscheidungsart: Beschluss
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Abteilung: Rheinschiffahrtsobergericht

Leitsätze:

1) Ein Gerichtssachverständiger kann gemäß §§ 406, 42 ZPO abgelehnt werden, wenn genügend Gründe vorhanden sind, die objektiv geeignet sind, in den Augen einer verständigen Partei Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu erregen. Dies kann der Fall sein, wenn der Sachverständige von einem falschen oder nicht feststehenden Sachverhalt ausgeht, den Angaben des Gegners mehr Glauben schenkt oder vom Beweisbeschluss abweicht und substantiierten Vortrag einer Partei gänzlich unberücksichtigt lässt. Die Äußerung von Rechtsansichten oder Wertung begründen alleine keine Zweifel an der Unparteilichkeit, insbesondere dann nicht, wenn diese sachlich begründet sind, wohl aber eine pauschale rechtliche Würdigung, die einseitig zu Lasten einer Partei ergeht und zu der angesichts des Gutachtenauftrages kein Anlass bestand.

2) Eine Besorgnis der Befangenheit kann auch bestehen, wenn der Sachverständige über eine offensiv kritische Auseinandersetzung mit den gegen sein Gutachten gerichteten Zweifeln hinausgeht, also eine Entgleisung vorliegt, die einem gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht passieren darf. Gegen Angriffe darf der Sachverständige sich auch mit deutlichen Worten zur Wehr setzen, solange er nicht versucht, sein Gutachten jenseits eines objektiven Maßstabes zu verteidigen.

3) Ob die Beweisfrage sachlich richtig oder falsch beantwortet ist oder das Gutachten wirklich oder vermeintlich unzulänglich ist, ist für die Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit unerheblich; das Verfahren ist nicht dazu bestimmt zu überprüfen, ob die Beurteilung der beweisrechtlichen Fragen sachlich richtig oder falsch ist.

Beschluss des Rheinschiffahrtsobergerichtes Köln

vom 12. September 2016

3 U 209/13 BSchRh.

Das Gesuch der Klägerin vom 21.06.2016, den gerichtlichen Sachverständigen H wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.

Gründe:

Das zulässige, insbesondere fristgerecht (§ 406 Abs. 2 Satz 1, 2 ZPO) eingereichte Ablehnungsgesuch ist nicht begründet und war daher zurückzuweisen. Gemäß § 406 Abs. 1 Satz 1, § 42 Abs. 2 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Eine zur Ablehnung berechtigende Besorgnis der Befangenheit liegt danach vor, wenn vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus genügend objektive Gründe vorhanden sind, die in den Augen einer verständigen Partei geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu erregen. Dies setzt die Befürchtung voraus, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber (vgl. BGH, Beschluss vom 11.04.2013 – VII ZB 32/12, NJW-RR 2013, 851, mwN). Das Verfahren der Ablehnung eines Sachverständigen ist indes nicht dazu bestimmt zu überprüfen, ob seine Beurteilung der beweisrechtlichen Fragen sachlich richtig oder falsch ist. Die wirkliche oder vermeintliche Unzulänglichkeit der sachverständigen Begutachtung mag die Anordnung der Ergänzung oder Erläuterung des Gutachtens oder eine neue Begutachtung durch denselben oder einen anderen Sachverständigen erforderlich machen, die Ablehnung rechtfertigt sie nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 27.09.2011 – X ZR 142/08, NJW-RR 2011, 1555; OLG Karlsruhe, Beschluss vom. 21.07.2015 – 7 W. 39/15, juris; Saarbrücken, Beschluss vom 06.12.2007 – 5 W267/07, DS 2008, 148, 149). Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen können sich aber aus dem Umgang des Sachverständigen mit dem Prozessstoff und dem daraus vom Gericht abgeleiteten Gutachtenauftrag ergeben, so zum Beispiel wenn der Sachverständige den Eindruck erweckt, er halte eine streitige Behauptung zu Lasten einer Partei für erwiesen (OLG München Beschluss vom 05.03.1991 – 1 W 896/91, NJW 1992, 1569; OLG München Beschluss vom 04.07.2005- 1 W 1010/05, BeckRS 2005, 12300; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 18.04.2007 – 5 W 90/07, DS 2007, 353; ähnlich OLG Köln Beschluss vom 30.12.1986 – 20 W 65/86, NJW-RR 1987, 1198), der Sachverständige also von einem falschen oder nicht feststehenden Sachverhalt ausgeht oder den Angaben des Gegners mehr Glauben schenkt (vgl. insgesamt OLG Saarbrücken Beschluss vom 06.12.2007 – 5 W 267/07, DS 2008, 148, 149). Entsprechendes gilt, wenn der Sachverständige vom Beweisbeschluss abweicht und substantiierten Vortrag einer Partei gänzlich unberücksichtigt lässt (OLG Bamberg Beschluss vom 22.03.1993 – 8 W5/93, MedR 1993, 351). Die Äußerung von Rechtsansichten oder Wertung begründen allein keine Zweifel an der Unparteilichkeit, insbesondere dann nicht, wenn diese sachlich begründet sind (BGH Beschluss vom 06.02.2006 – X ZR 148/03, DS 2006, 318, 319; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 20.03.2013 – 12 W 1/13, juris; OLG Nürnberg Beschluss vom 01.08.2001 – 4 W 2519/01, MDR 2002, 291; OLG Karlsruhe Beschluss vom 27.04.1994 – 18 a W 9/94, MDR 1994, 725). Gibt der Sachverständige aber eine pauschale rechtliche Würdigung ab, die einseitig zu Lasten einer Partei ergeht, und zu der – angesichts des wie immer stets nur auf Tatsachenfeststellung gerichteten Gutachtenauftrags – kein Anlass bestand, besteht die Besorgnis der Befangenheit (OLG Hamburg Beschluss vom 05.03.2004 – 8 W 41/04, MDR 2004, 906). Ausgehend von diesem Maßstab besteht nicht die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen H. Soweit die Befangenheit des Sachverständigen grundsätzlich mit dem Umstand der Vorbefassung begründet wird, weil der Sachverständige H Mitglied in der Untersuchungskommission der WSV zu den Ursachen der Havarie der MS »Waldhof« war, bleibt diese Rüge erfolglos. Der Sachverständige ist in Kenntnis der Parteien von dieser Mitgliedschaft bestellt worden. Die Klägerin hat diesen Umstand nicht innerhalb der hierfür erforderlich Frist des § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO als Befangenheitsgrund geltend gemacht. Das Befangenheitsgesuch gegen den Sachverständigen ist erst nach Vorlage des Ergänzungsgutachtens aufgrund der dortigen Ausführungen von der Klägerin gestellt worden. Soweit die Klägerin begründet, die Ausführungen des Sachverständigen in seinem Ergänzungsgutachten ließen eine einseitige parteiliche Stellungnahme erkennen, bleibt das Befangenheitsgesuch in der Sache ohne Erfolg. Entgegen der Ansicht der Klägerin hat der Sachverständige mit der Wortwahl nicht zum Ausdruck gebracht, dass er parteilich ist. Der Sachverständige hat folgendes ausgeführt. »Die Stellungnahme der Klägerin im Schriftsatz vom 21.01.2016 zum AG HWH 01-15 enthält mehrere Schlussfolgerungen, die nicht zutreffen und daher nicht widerspruchslos hingenommen werden können. «Die Klägerin ist insoweit der Auffassung, der Sachverständige sei nicht in einer Situation, etwas hinnehmen zu müssen. Er habe daher gezeigt, dass er seine Neutralitätsverpflichtung vergessen habe. Eine Besorgnis der Befangenheit besteht aber erst dann, wenn die Äußerung des Sachverständigen über eine offensiv kritische Auseinandersetzung des Sachverständigen mit den gegen sein Gutachten gerichteten Zweifeln hinausgegangen wäre, also eine Entgleisung vorgelegen hätte, die einem gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht passieren darf (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 02.08.2013 – 4 W 53/13, MDR 2013, 1425). Diesen Maßstab hat der Sachverständige bei weitem nicht überschritten. Vielmehr setzt er sich – entsprechend dem Auftrag des Senats – mit den Einwendungen der Klägerin gegen sein Erstgutachten auseinander und führt aus, dass bestimmte Schlussfolgerungen der Klägerin nicht zutreffend seien. Diesen Schlussfolgerungen widerspricht der Sachverständige lediglich. Eine persönliche Bemerkung oder gar der Eindruck, der Sachverständige versuche, sein Gutachten jenseits eines objektiven Maßstabes zu verteidigen, liegt nicht vor, zumal – was hier nicht geschehen ist – sich der Sachverständige gegen Angriffe auch mit deutlichen Worten zur Wehr setzen darf (vgl. OLG Zweibrücken, MDR 2013, 1425). Soweit der Sachverständige der von der Klägerin vorgetragenen Analyse widerspricht, hat der Sachverständige sich im Rahmen seines Gutachterauftrages geäußert. Die Frage, ob das Gutachten fachlich überzeugend ist, spielt für die Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit entsprechend den dargelegten Grundsätzen keine Rolle. Hinsichtlich der weiteren einzelnen Einwendungen der Klägerin ist folgendes auszuführen.

1. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen nicht anzunehmen, soweit dieser hinsichtlich Ergänzungsfragen ausführt, diese gingen »an der Fragestellung vorbei«. Denn der Sachverständige erläutert jeweils aus welchem Grund er die Fragestellung für die vom Gericht gestellten Beweisfragen nicht für erheblich hält. Dies stellt wiederum eine Bewertung durch den Sachverständigen dar; die sich im Rahmen des gerichtlichen Auftrags bewegt und eine Befangenheit nicht zu begründen vermag.

2. Die Klägerin rügt, der Sachverständige habe die Ergänzungsfrage, die unter Ziffer 2.8 des Ergänzungsgutachtens genannt wird, nicht beantwortet. Tatsächlich hat sich der Sachverständige mit der Ergänzungsfrage auseinandergesetzt, indem er ausführt, dass sich das Gutachten auf den 20-m-Abstand beziehe, was zutreffend sei. Damit hat der Sachverständige im Rahmen seiner gutachterlichen Tätigkeit zu der Ergänzungsfrage Stellung genommen. Soweit die Antwort des Sachverständigen nicht ausreichen mag, kann dies eine weitere Ergänzung des Gutachtens oder die Anhörung des Sachverständigen erforderlich machen, führt aber nicht zu der Besorgnis, der Sachverständige sei befangen.

3. Keine Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen ergibt sich daraus, dass der Sachverständige einen Geschehensablauf unterstellt, den die Klägerin hinsichtlich des Inhalts des Telefonvermerks vom 28.03.2011 bestritten habe. Zwar kann – wie dargelegt – die Annahme eines streitigen Vortrags als unstreitig zu Lasten einer Partei im Grundsatz die Besorgnis der Befangenheit begründen. Allerdings sind die Ausführungen des Sachverständigen dahin zu verstehen, dass dieser die Aussagen der B und Z (der Parteigutachter d. Red.) für eine Annahme des üblichen Verhaltens hält, so dass aus seiner Sicht – nach Auswertung der Positionen – ein anderer Geschehensablauf plausibel erscheint. Dies stellt eine fachliche Beurteilung dar, die sich im Rahmen des Gutachtenauftrags bewegt. Ob diese Beurteilung letztlich auch insoweit valide ist, kann nicht Gegenstand des Antrags der Klägerin auf Ablehnung des Sachverständigen sein.

4. Soweit die Klägerin darauf abstellt, der Sachverständige sei Mitglied in der Untersuchungskommission der WSV gewesen, begründet dies – wie bereits ausgeführt – keinen Befangenheitsgrund. Nichts anderes ergibt sich, wenn der Sachverständige im Ergänzungsgutachten, auf den Bericht Bezug nimmt und hier ausführt, dass »die Untersuchungskommission ... sich auftragsgemäß nicht mit Fragen nach der Schuld befasst (hat) und ... daher objektiv und unvoreingenommen ihre Arbeit tun (konnte).« Die Bewertung der Arbeit in diesem Kontext lässt nicht erkennen, dass der Sachverständige zu einer unparteilichen Beantwortung der auch den WSV Bericht betreffenden Beweisfragen nicht in der Lage und gewillt war. Auch die Formulierung in Ziff. 3.2 des Ergänzungsgutachtens »die fachkundige Auswertung derselben Fakten führt verständlicherweise zu denselben Ergebnissen« begründet keine Befangenheit, zumal der Sachverständige ausdrücklich klarstellt, nicht bloß »auf Linie des WSV-Berichts« zu sein, sondern eine eigene Begutachtung vorgenommen zu haben. Zudem weist der Sachverständige im Weiteren darauf hin, dass sich der WSV-Bericht nicht mit einem schuldhaften Verhalten der Schiffsführung des GMS Acropolis befasst hat.

5. Soweit der Sachverständige im Ergänzungsgutachten dem Vorwurf begegnet, die Verwendung der Ergebnisse der Experten der »Waldhof-Untersuchungskommission der WSV« sei zulässig und ein zielführendes Mittel zur unvoreingenommenen Beurteilung, ist hiergegen nichts einzuwenden. Die Verwertung des »WSV Berichts« begründet keine Voreingenommenheit, da der Bericht bereits vom Amtsgericht im Einvernehmen der Parteien beigezogen und verwertet worden ist. Dass es sich bei den Experten insoweit um »kompetente Dritte« handelt, ist eine Umschreibung der Experten und lässt auch in dieser Formulierung keine Voreingenommenheit erkennen.

6. Soweit der Sachverständige im Ergänzungsgutachten die Ansicht äußert, dass sich die Bergfahrt nach der geltenden RheinSchPV »nach dem Verständnis des GA nicht rechtswidrig verhalten« habe, begründet dies im Kontext der Beantwortung der Fragestellung nicht den Vorwurf der Voreingenommenheit. Der Sachverständige hatte Stellung zu nehmen zu bestimmten Aussagen des Gutachters F, die sich darauf bezogen, ob eine Begegnung im genannten Revierbereich gestattet war. Seine ergänzenden Ausführungen beziehen sich mithin auf »Ziff. 4.5 Stellungnahmen zur 1. und 2. Ergänzung und zum GA F«. Wenn insoweit der Sachverständige eine Einschätzung abgibt zur Rechtswidrigkeit/Illegalität, ist dies Gegenstand der Beantwortung der an ihn gestellten Frage, nicht eine voreingenommene, die Grenzen der Begutachtung überschreitende eigene Wertung.

7. Soweit der Sachverständige unter Ziff. 3.11 b) des Ergänzungsgutachtens ausführt, der Teilbericht zur Havarie des TMS Waldhof sei der Klägerin bekannt und somit im Verfahren verwertbar, ergibt sich daraus keine Voreingenommenheit. Der Sachverständige hat hier im Ergänzungsgutachten ausgeführt, dass der Klägerin nicht ein näher bezeichneter Teilbericht zur Havarie, wohl aber der WSV Bericht – der den Teilbericht umfasse – bekannt sei. Soweit der Sachverständige ausführt, dieser sei im Verfahren verwertbar, ergibt sich daraus keine eigene Beurteilung, da der Bericht bereits vom Amtsgericht im Einvernehmen der Parteien beigezogen und verwertet worden ist.

8. Die hier gerügte Wortwahl »nicht bestritten« begründet nicht den Vorwurf der Befangenheit; sie dient erkennbar nur der Bestätigung der Aussage.

9. Soweit der Sachverständige sich zum Vorwurf, ihm fehlten nautische Fähigkeiten, äußert, begründet ein Bestreiten des Vorwurf keine Befangenheit.

10. Soweit sich der Sachverständige zur Geltung des Rechts zum Unfallzeitpunkt verhält, ist auch das nicht geeignet, den Vorwurf der Befangenheit zu begründen, vielmehr war auch diese Stellungnahme Bestandteil der an ihn gerichteten Fragen.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2017 - Nr.2 (Sammlung Seite 2465f.); ZfB 2017, 2465 f.