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3 U 257/58 - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 23.03.1961
Aktenzeichen: 3 U 257/58
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Abteilung: Rheinschiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Zur Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Wasserstraßenverwaltung. Die „Richtlinien über Verkehrssicherung auf den Reichswasserstraßen (Binnenwasserstraßen)" des früheren Generalinspektors für Wasser und Energie vom 14. 9. 1944 (MBL Speer Nr. 28/1944, S. 197 ff) haben Geltung behalfen, solange neue Bestimmungen nicht erlassen sind.

 

Urteil des Oberlandesgerichts in Köln

Rheinschiffahrtsobergerichts

vom 30. März 1961

3 U 257/58


Zum Tatbestand:

Das der Klägerin gehörende MS „A" hat durch Raken zwischen Mehlem und Rhöndorf erhebliche Schäden erlitten, die sie von der beklagten Bundesrepublik ersetzt verlangt. Unstreitig ist der Schaden durch Berührung mit einem größeren Stein oder Felsblock auf der Stromsohle innerhalb der eigentlichen Fahrrinne entstanden. Personal der Beklagten hatte vor dem Unfall den Auftrag erhalten, dieses Hindernis, auf dem bereits 2 andere Schiffe gerakt haben sollten, mit dem Peilrahmen aufzusuchen. Im jetzigen Klageverfahren geht es um die Frage, ob die Beklagte ihrer Verkehrssicherungspflicht hinreichend nachgekommen ist.. Von der Klägerin wird u. a. behauptet, daß der Peilrahmen 21/z Tage früher habe eingesetzt werden können, als dies wirklich geschehen sei, und in diesem Fall der Unfall vermieden worden wäre.
Die Beklagte bestreitet die Möglichkeit eines früheren Einsatzes des Peilrahmens. Nachdem die Klage in erster Instanz abgewiesen worden war, wurde sie in der Berufungsinstanz dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Den internationalen vertraglichen Vereinbarungen entsprechend bekennt sich die Beklagte selbst zu der Verpflichtung, eine durch die grolle Rheinregulierung Ende des 19. Jahrhunderts geschaffene „engere Fahrrinne ständig in einer bestimmten Ausdehnung und mit einer bestimmten Sohlentiefe in schiffbarem, also verkehrssicherem Zustande, zu erhalten. An der Unfallstelle ist diese amtliche Fahrrinne, deren Verlauf in den amtlichen Stromkarten eingezeichnet ist, 150 m breit und beträgt die Solltiefe, bezogen auf den sogen. gleichwertigen Wasserstand, 2,10 m. Die Verkehrssicherungspflicht muß sich also notwendig auf jedes Schiffahrtshindernis beziehen, das sich innerhalb dieser Fahrrinne und im Bereich der amtlichen Solltiefe befindet. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um „natürliche" Hindernisse wie Steine, Felsbrocken und Sandbänke oder um „künstliche" Hindernisse wie Wrackteile, verlorene Anker und dergleichen handelt und ob diese Hindernisse durch ganz natürliche Vorgänge - etwa durch die Gewalt der Strömung und durch Eisgang - oder ob sie auf andere Weise, etwa durch schleifende Stränge oder Schiffsuntergang, dorthin gelangt sind. In jedem Falle sind alle diese Hindernisse innerhalb des schiffbaren Raumes der amtlichen Fahrrinne „Fremdkörper" und eine unmittelbare Gefahr für die hier mit Recht auf vollkommene Sicherheit vertrauende Schiffahrt.
Die Beklagte ist verpflichtet und handelt auch grundsätzlich danach, durch regelmäßige Kontrollen die Verkehrssicherheit hier laufend zu überprüfen und die Solltiefe ständig gleichbleibend zu erhalten. Sie ist auch unzweifelhaft verpflichtet, sobald nur einigermaßen begründeter Verdacht besteht, daß trotzdem plötzlich innerhalb der Fahrrinne ein Hindernis aufgetreten ist, sofort dieses Hindernis tatkräftig und sachgemäß mit geeigneten Hilfsmitteln aufzusuchen und es zu beseitigen.
Auch die "Richtlinien über Verkehrssicherung auf den Reichswasserstrafyen (Binnenwasserstraßen)" des früheren Generalinspektors für Wasser und Energie vom 14. 9. 1944 (MBL. Speer Nr. 28/1944 S. 197 ff), die mangels Erlasses neuer Bestimmungen auch für die zuständigen Dienststellen der Beklagten zur Unfallzeit noch Geltung hatten, lassen über die diesbezüglichen Pflichten keinen Zweifel: Gemäß Ziff. 1 dieser Richtlinien ist es Aufgabe des Reiches, jetzt der Beklagten (Art. 89 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG. vgl. dazu Kählitz, Anm. IV zu § 94 RhPVO S. 324 ff), nach Möglichkeit Vorsorge zu treffen, daß durch Schiffahrtshindernisse keine Schiffshavarien entstehen. Zu den Schifffahrtshindernissen werden ausdrücklich Steine und Untiefen sowie „andere durch Naturerscheinungen eingetretene Veränderungen" gerechnet.
Gemäß Ziff. II B 1 hat sich der Außenbeamte bei Eingang von Hindernismeldungen sofort an Ort und Stelle zu begeben und sobald als möglich den Amtsvorstand vom Befund und den getroffenen Mattnahmen zu benachrichtigen. Von den regelmäßigen Peillungen abgesehen, sind im Talweg natürlicher Wasserstraßen Peilungen immer dann vorzunehmen, wenn nach den Umständen anzunehmen ist, daß für die Schiffahrt beeinträchtigende Veränderungen des Fahrwassers eingetreten sind.
Gemäß Ziff. II B 3 hat der Außenbeamte sofort die Forträumung eines Hindernisses zu betreiben, das die Schifffahrtstraße sperrt oder den Verlust von Schiffsraum und Ladung herbeiführen kann pp.
Es geht nun nicht an, dabei der Tiefe nach auf Zentimeter abzustellen, wie es die Beklagte möchte. Wenn der Peilrahmen das hier in Frage stehende Hindernis bei Einstellung auf Solltiefe deutlich berührte und innerhalb von 5 Tagen 3 Fahrzeuge auf ihm schwer gerakt und Havarie gemacht haben, so steht damit objektiv fest, daf) es sich tatsächlich um ein gefährliches Schiffahrtshindernis gehandelt hat, welches schnellstens beseitigt werden mußte.
Wie sich aus dem eigenen Vorbringen der Beklagten ergibt, ist der einzige verfügbare Peilrahmen während der kritischen Tage, in denen das Hindernis an der Unfallstelle hätte gesucht werden müssen, tatsächlich in R. bei den unmittelbar von der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Duisburg-Ruhrort durchgeführten Räumungsarbeiten an der ehemaligen Autobahnbrücke eingesetzt worden. Es handelte sich dort um eine planmäßige Räumung des Brückenbereichs von Trümmern, die seit dem Kriege, also schon seit mehr als 7 Jahren im Strombett gelegen hatten.
Die Beseitigung wirklich akuter Gefahren für die Schifffahrt war in jedem Falle vordringlich. Selbst schwerpunktartig betriebene und sicherlich auch im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherung bedeutsame Bauarbeiten, wie die langfristig geplante Trümmerräumung an den kriegszerstörten Brücken, hatte demgegenüber zunächst einmal zurückzutreten. Darüber konnten auch bei den zuständigen Dienststellen der Beklagten keine ernsthaften Zweifel bestehen.
Bei ordnungsgemäßer Durchführung der Abrahmung hätte aber auf jeden Fall das Hindernis genau so gefunden und betonnt werden müssen, wie es später am 23. 8. tatsächlich geschehen ist. Der Hinweis der Beklagten auf die Möglichkeit, daß auch dann die grüne Boje schon nach kurzer Zeit immer hätte abgefahren und bis zum Passieren des MS „A" noch nicht wieder ersetzt sein können, bedeutet demgegenüber eine Spekulation mit reinem Zufall und vermag die Unfallursächlichkeit des im Bereich der Beklagten begangenen Fehlers bei der Verkehrssicherung nicht in Frage zu stellen.

Da ein mitwirkendes Verschulden der Führung des MS „A" nicht festgestellt werden kann, haftet die Beklagte gemäß § 831 BGB uneingeschränkt für die Folgen des Versäumnisses ihres Außenbeamten des zuständigen Aufsichtsbezirkes E. Von der Möglichkeit eines Entlastungsbeweises gemäß Abs. 1 Satz 2 der genannten Bestimmung hat die Beklagte keinen Gebrauch gemacht. Die Angaben des Zeugen B und die sonstigen Unterlagen lassen es auch als sehr zweifelhaft erscheinen, ob die Beklagte die Verkehrssicherung auf dem Rhein schon damals so sorgfältig organisiert und überwacht hatte, wie es bei der Bedeutung der Aufgabe erforderlich gewesen wäre. So sind Vorschriften über die Handhabung der eigentlichen Suchaktionen des Peilrahmens, die geeignet sind, ein nautisch einwandfreies Verhalten des schwimmenden Gerätes im dichten Verkehr auf dem Rhein sicherzustellen, in der Tat erst am 2. 3. 1958, also fast 6 Jahre nach dem Unfall, als „vorläufige Richtlinien erlassen worden.