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4 StR 562/59 - Bundesgerichtshof (Strafgericht)
Entscheidungsdatum: 03.02.1960
Aktenzeichen: 4 StR 562/59
Entscheidungsart: Beschluss
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Strafgericht

Leitsatz:

Die Strafvorschrift gegen Unfallflucht (§ 142 StGB) ist auf den Verkehr zu Wasser nicht anwendbar.

 

Beschluß des Bundesgerichtshofes

vom 3. Februar 1960

4 StR 562/59

Vorbemerkung:

In der ZfB Heft 3, März 1960, S. 59, war über einen Vorlagebeschluß des Kammergerichtes vom 29. Oktober 1959 - ([2] 1 Ss 271/59) - berichtet worden (s. Straftatbestand und Gründe des Kammergerichts im einzelnen a.a.O.). Schon schneller als erwartet hat der Bundesgerichtshof die Streitfrage entschieden und, im Gegensatz zu der Auffassung des Kammergerichts, dagegen unter Bestätigung der vom OLG Koblenz vertretenen Rechtsansicht (s. ZfB 1959, S. 276) festgestellt, daß die Strafvorschrift des § 142 StGB gegen Unfallflucht auf den Wasserstraßenverkehr nicht anwendbar ist.

Damit ist de lege lata Klarheit geschaffen. Für den Gesetzgeber wird es de lege ferenda darauf ankommen, für den Fall, daß die Strafwürdigkeit von Unfallflucht auf Wasserstraßen bejaht wird, unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Wasserstraßenverkehrs entsprechend formulierte Tatbestandsmerkmale im neuen Strafgesetzentwurf zu verankern. Nach Auffassung weiter Kreise des Binnenschiffahrtsgewerbes dürfte es zweckmäßig sein, die Unfallflucht im Wasserstraßenverkehr nicht mit dem Wortlaut des für den Straßenverkehr vorgesehenen Straftatbestandes zu vermischen, eben weil - auch aus den vom Bundesgerichtshof angestellten Erwägungen - die Verhältnisse auf der Wasserstraße anders als im Straßenverkehr gelagert sind. Eine mit dem Gewerbe abgestimmte besondere Strafvorschrift sollte daher rechtzeitig vorbereitet werden. Sofern man bei den bisherigen vorbereitenden Besprechungen der zuständigen Bundesministerien (Bundesjustiz- und Bundesverkehrsministerium) über einen neuen Strafgesetzentwurf andere Wege gegangen ist und die Vermischung beider Fälle in einer Vorschrift sowohl für die Wasserstraße als auch für die Straße für richtig gehalten hat, so dürfte der Beschluß des Bundesgerichtshofes wohl rechtzeitig den richtigen Weg gewiesen und die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit der Verhältnisse sowie des tatsächlich andersgelagerten Bedürfnisses unterstrichen haben.

Aus den Gründen:

Mit Recht geht das Kammergericht bei der Auslegung des § 142 StGB vom Wortlaut des Gesetzes aus. Denn die Auslegung jeder gesetzlichen Bestimmung muß bei ihrem Wortlaut beginnen. Verwendet ein Gesetz einen Begriff, der auch außerhalb der Rechtsanwendung im Alltagsleben üblich ist - das trifft für die in § 142 vorkommenden Begriffe „Verkehrsunfall" und „Fahrzeug" zu -, so stellt sich für die Auslegung des Gesetzes die Frage, ob der in ihm verwandte Begriff in dem gleichen Sinn wie im alltäglichen Sprachgebrauch gemeint ist.
Das muß nicht so sein. Denn das Gesetz gebraucht gelegentlich Begriffe in einem engeren Sinne als die tägliche Umgangssprache.

Es läßt sich nicht von vornherein ausschließen, daß die Begriffe „Verkehrsunfall" und „Fahrzeug" in § 142 StGB ebenfalls in einer besonderen, den allgemeinen Sprachsinn einengenden Bedeutung gemeint sind. Ob das der Fall ist, läßt sich nur durch Ergründung des Gesetzeswillens erkennen.
Anhaltspunkte für die vom Gesetzgeber mit der Schaffung einer Vorschrift verfolgte Absicht liefert in erster Linie deren Entstehungsgeschichte.

Entgegen der Auffassung des Kammergerichts lassen die Entstehungsgeschichte der Strafvorschrift gegen Unfallflucht und die Geschichte ihrer späteren Änderung erkennen, daß durch sie, wie von Anfang an, so auch nach ihrer späteren Änderung, nur Unfälle im Straßenverkehr von Landfahrzeugen erfaßt werden sollten. Von niemandem, auch nicht vom Kammergericht wird bezweifelt und kann bezweifelt werden, daß § 22 KFG nur Unfälle betraf, an welchen die Führer von Landfahrzeugen beteiligt waren. Denn unter einem Kraftfahrzeug im Sinne dieser Bestimmung, die den Führer eines solchen Fahrzeugs unter den dort weiter umschriebenen Voraussetzungen mit Strafe bedrohte, waren nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 1 Abs. 2 aaO „Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an besondere Geleise gebunden zu sein", zu verstehen.

Die bisher einzige Änderung jener Bestimmung hat die Verordnung vom 2. April 1940 (RGBI 1, S. 606) gebracht und sie als § 139 a dem Strafgesetzbuch eingefügt. An dessen Stelle ist der mit ihm wörtlich übereinstimmende § 142 StGB durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (BGBl 1, 735) getreten. Grund für die Änderung der früheren sich nur gegen Führer von Kraftfahrzeugen richtenden Bestimmung des § 22 KFG war, wie der amtlichen Begründung zur Änderungsverordnung von 1940 (DJ 1940, 508 Nr. 201) zu entnehmen ist die Notwendigkeit, „der fortschreitenden Entwicklung des Straßenverkehrs" gerecht zu werden.

Der Gesetzgeber wollte zwar den Kreis der Personen erweitern, die als Täter von Unfallflucht in Betracht kommen können, wollte aber den Kreis nicht über Teilnehmer am Straßenverkehr hinaus erstrecken, hat dies jedenfalls nicht klar zum Ausdruck gebracht. Nur die Erfahrung mit diesem Verkehr wird von der amtlichen Begründung für die Notwendigkeit der Erweiterung der Strafbestimmung auf jeden Teilnehmer an diesem Verkehr, also beispielsweise auch auf Fußgänger, herangezogen.
Die Verkehrsvorgänge zu Wasser und in der Luft gehören zwar zum umfassenden Begriff des Verkehrs insgesamt, unterscheiden sich aber von den mit ihnen verwandten Fällen des Straßenverkehrs in bemerkenswerter Weise, was mit den wesentlichen Eigenarten und Besonderheiten ihrer Gestaltung zusammenhängt. Dem bloßen Schweigen des Gesetzes und seiner Geschichte kann jedenfalls ein so bedeutsamer Änderungswille nicht entnommen werden.

Auch dem Hinweis von Rietzsch in DJ 1940, 532/536, eines Referenten im damaligen Reichsjustizministerium, ist schon seinem eigenen Gedankengang zufolge kein sicherer Anhalt für die vom Kammergericht angenommene gesetzgeberische Absicht zu entnehmen (wird ausgeführt).

Die besondere Eigenart und Schnelligkeit des Verkehrs auf der Straße und seine stetige Zunahme, insbesondere die Steigerung der mit ihm verbundenen Gefahren für alle Arten von Teilnehmern ließen es notwendig erscheinen, ein Gebot des Wartens an der Unfallstelle für jeden von ihnen aufzurichten. Denn die Möglichkeit der Entfernung vom Unfallort ist durch die weite Verzweigung des Straßennetzes erleichtert. Die Erfüllung der vom Gesetzgeber angeordneten Wartepflicht an der Unfallstelle ist einem Teilnehmer am Straßenverkehr auch zuzumuten, da er dieser Pflicht leicht nachkommen kann. Dagegen ist ein Warten am Unfallort etwa in der Luft überhaupt unmöglich und auch im Schiffsverkehr nicht selten nur schwer durchzuführen. Wegen dieser auffälligen Verschiedenheiten unter den mehreren Arten des Verkehrs hatte es einer ausdrücklichen Bestimmung bedurft, derzufolge auch der Schiffsverkehr in die Strafvorschrift gegen Unfallflucht einbezogen sein sollte.

Auch auf die Entscheidung RGSt 75, 355/59 kann das Kammergericht sich für seine weitgehende Auffassung nicht mit Erfolg berufen (wird ausgeführt).
Es lassen sich gewiß, worauf das Kammergericht an sich zutreffend hinweist, auch im Verkehr auf Wasserstraßen viele Fälle von Zusammenstößen insbesondere kleiner, wendiger und schneller Wasserfahrzeuge denken, bei denen den daran Beteiligten ein Halten leicht möglich und deshalb eine dennoch unternommene Flucht verwerflich ist. Bei der Frage, ob kriminalpolitische Notwendigkeiten die Einbeziehung des Schiffsverkehrs in die Regelung des § 142 StGB fordern, glaubt der Senat jedoch von dem Regel- oder Durchschnittsfall eines Unfalls auf dem Wasser ausgehen zu sollen. Die Verkehrsverhältnisse dort sind von denen auf dem Land in erheblichen Punkten verschieden, worauf das Oberlandesgericht in Koblenz in seiner erwähnten Entscheidung mit Recht hinweist. Während beim Landverkehr mit seinem vielverzweigten Straßennetz die Möglichkeit für einen Unfallbeteiligten, unerkannt zu entkommen, naheliegt, besteht sie auf dem Wasser nicht im gleichen Maße. Das zeigt auch der vorliegende Fall eines langsamen Schleppzugverkehrs; die an dem Unfall Beteiligten konnten mühelos und ohne nennenswerte Verzögerung ermittelt werden. Die Sicherung von Spuren am Unfallort, die u. a. durch das Gebot, dort zu warten, ermöglicht und gewährleistet werden soll, scheidet im Wasserverkehr häufig aus. Der Senat vermag deshalb eine dringende Notwendigkeit nicht zu erkennen, die Regelung des § 142 StGB auf den Schiffsverkehr auszudehnen.

Der Senat glaubt auch, den Erörterungen der amtlichen Strafrechtskommission nichts für die eine oder andere Ansicht entnehmen zu können. Selbst wenn dort die Auffassung vertreten worden sein sollte, bereits der geltende § 142 StGB erfasse auch den Schiffsverkehr, so vermöchte er sich dieser Meinung aus den dargelegten Gründen nicht anzuschließen. Er hält es vielmehr - nicht zuletzt im Interesse der Rechtssicherheit - für eine Aufgabe des Gesetzgebers, den erweiterten Umfang der Strafbarkeit wegen Unfallflucht selbst eindeutig anzuordnen, wenn er ein entsprechendes Bedürfnis für die Zukunft für gegeben hält.