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4 U 365/65 - Oberlandesgericht (-)
Entscheidungsdatum: 13.12.1967
Aktenzeichen: 4 U 365/65
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Abteilung: -

Leitsatz:

Die Tätigkeit als „Fuhrmannskieshändler" erfüllt in der Regel den Scheintatbestand im Sinne des § 5 GüKG. Infolgedessen ist die Transportleistung nach den tariflich vorgesehenen Entgelten abzurechnen; Differenzbeträge sind nachzuzahlen.

Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg

vom 13. 12. 1967

Zum Tatbestand:

Der Kläger fordert von der Beklagten die Nachzahlung von über 38000,- DM als Beförderungsentgelt mit der Begründung, die Beklagte habe ihm für Beförderungsleistungen geringere als die tariflich vorgesehenen Festpreise bezahlt.

Der Kläger ist Fuhrunternehmer. Die Beklagte betreibt u. a. die Aufbereitung von Rohkies, den sie zum Teil von der Fa. H. bezog. Der persönlich haftende Gesellschafter Kn. dieser Lieferfirma ist der Schwiegersohn des persönlich haftenden Gesellschafters der Beklagten.

Der Kläger behauptet, er habe der Beklagten seine Dienste als Fuhrunternehmer angeboten. Kn., an den er verwiesen worden sei, habe ihn überredet, als Kieshändler aufzutreten, worauf er an seinem Wohnort einen Handel mit Sand und Kies gewerbepolizeilich angemeldet und sodann etwa 1 Jahr lang Rohkies von der Grube der Fa. H. zum Werk der Beklagten geliefert habe. In den Rechnungen sei der Leistungsgegenstand „frei Werk G." ohne Berechnung der Fuhrleistungen ausgewiesen worden. Auf das Unzulässige dieses Verhaltens sei er erst durch die zuständige Straßenverkehrsgenossenschaft aufmerksam gemacht worden. Die Beklagte habe die Kiespreise diktiert. Die Differenz zwischen diesen Rechnungsbeträgen, die von der Beklagten zu bezahlen waren, und den Beträgen, die er an die Fa. H. zahlte, habe er als Fuhrlohn betrachtet, der jedoch gegenüber dem tariflich vorgeschriebenen Festentgelt um die Klagesumme zu niedrig gewesen sei. Aus dem sog. Kieshandel habe er auch keinen Gewinn erzielen können, weil die Ein- und Verkaufspreise für die Fuhrmannshändler gleich hoch seien. Die Beförderungspreise seien stets das bestimmende Element.

Die Beklagte bestreitet die Behauptungen und meint, der Kläger sei als Kieshändler aufgetreten und habe die Beförderung nur als Hilfstätigkeit angesehen. Sie habe den Rohkies beim Kläger und anderen Fuhrmannshändlern nicht zur Ausschaltung der Beförderungstarife, sondern zwecks Inanspruchnahme der Großhandelsvergünstigung nach § 7 Abs. 3 UStG gekauft.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr jedoch auf die Berufung des Klägers in vollem Umfang stattgegeben.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Wenn und soweit die Voraussetzungen des § 5 GüKG nach der Richtung hin eingreifen, dass durch die rechtliche Gestaltung der Beziehungen zwischen den Parteien als Fuhrmannshandel und damit als Direktverkehr im Streckengeschäft nur ein Scheintatbestand im Sinne dieser Vorschrift geschaffen wor¬den ist, so führt dies dazu, dass die Verordnung vom 13. Februar 1962 zur Anwendung zu gelangen hat und der Kläger nach den §§ 22 Abs. 3, 23 GüKG Fuhrlohn in Höhe der tariflichen Beträge fordern kann (Hein/Eichhoff/Pukall/Krien, GüKG, § 5 Anm. 20; Balfanz, a. a. 0., § 5 Anm. 1).
Eine Umgehung der Vorschriften des Güterkraftverkehrsgesetzes durch Schaffung von Scheintatbeständen liegt vor, wenn zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolges nicht der übliche, sondern ein außergewöhnlicher Weg eingeschlagen wird, der an den vom Gesetz angeordneten Rechtsfolgen vorbeiführen soll (BGH NJW 1960, S. 1057 ff.). Die Rechtslage ist insoweit weitgehend derjenigen angepasst, die für das Gebiet des Steuerrechts sich aus § 6 StAnpG ergibt (BGH NJW 1960, S. 1057 ff., 1058; Hein/Eichhoff/Pukall/Krien, a. a. 0., § 5 GüKG Anm. 2a, 3a).
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Schaffung eines Scheintatbestandes im vorbezeichneten Sinne vorliegt, ist in erster Linie darauf abzustellen, welches wirtschaftliche Ziel die Beteiligten bei Abschluss der in Betracht kommenden Beträge verfolgten (BGH NJW 1960, S. 1057, 1058-1059). Die Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte führt dazu, dass die rechtlichen Beziehungen zwischen dem Kläger und der Beklagten als Schaffung eines Scheintatbestandes im Sinne des § 5 GüKG zu werten sind. Zwar steht es den Beteiligten frei, von mehreren durch das Gesetz zur Verfügung gestellten rechtlichen Gestaltungsformen die für sie wirtschaftlich günstigste zu wählen, wie dies in Literatur und Judikatur zu § 6 StAnpG im einzelnen hervorgehoben wird (Kühn, AO, 8. Aufl., § 6 StAnpG, Anm. 1); erweist sich die getroffene Wahl aber als missbräuchlich, weil der zur Erreichung des - bei umfassender Berücksichtigung des gesamten Sachverhalts festzustellenden Zieles der Vertragsparteien - nicht als der wirtschaftlich angemessene anzusehen ist, so greift § 5 GüKG ein.
Die Funktion des Handels - und dies muss auch für den Fuhrmannshändler gelten, bei dem dieser Gesichtspunkt im vorstehenden Zusammenhang mit besonderer Aufmerksamkeit zu prüfen ist - kennzeichnet sich als Erfüllung einer Mittlerfunktion in Bezug auf eine Ware zwischen Hersteller und Verbraucher. Entgegen der Ansicht des Bezirksverwaltungsgerichts Koblenz (Urteil vom 16. April 1956, Der Güterverkehr 1956, S. 199 f. mit Anmerkung von Bidinger) mag diese Mittlerfunktion auch beim Fuhrmannshändler in Frage kommen (OLG Neustadt, Urt. vom 14. Januar 1953, Der Güterverkehr 1953, S. 155 ff. mit ablehnender Anmerkung von Momm; BFH, Urteil vom 20. Juli 1961; VRS Bd. 22, Nr. 109, S. 238 f.); dies ist aber doch nur unter besonderen Voraussetzungen und insbesondere nur dann der Fall, wenn die Beförderung lediglich eine Hilfstätigkeit bei der Ausübung der Mittlerfunktion des Handels darstellt (Hein/Eichhoff/Pukall/Krien, a. a. 0., § 48 Anm. 7d auf S. 9).
Davon, dass Voraussetzungen dieser Art im Falle der Parteien vorgelegen hätten, kann nicht die Rede sein. Der Kläger übte im Rahmen seiner Beziehungen zur Beklagten nicht eine Mittlerfunktion im vorstehend gekennzeichneten Sinne aus, die die Transportleistungen nur als Hilfstätigkeit erscheinen ließ; er sollte dies auch gar nicht tun. Vielmehr war der Transport des Rohkieses der Hauptbestandteil seiner Leistungen, neben dem alles andere zurücktrat. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass es der Beklagten bei der Herstellung ihrer Beziehungen zu den „Fuhrmannshändlern" - soweit sie hier bedeutsam sind - auf die Transportleistungen als solche ankam und dass auch ihre Vertragspartner diese in der Form der von den Beteiligten gewählten rechtlichen Beziehungen auszuführen sowie zu erbringen gedachten (wird näher ausgeführt).
Schließlich kann die Beklagte mit Erfolg auch nicht geltend machen, sie habe in der Absicht gehandelt, Umsatzsteuer zu sparen und nicht in der Absicht, die Tarife des Güternahverkehrs zu unterschreiten. Zwar trifft es zu, dass die Anwendbarkeit des - tatbestandlich schwerer abgrenzbaren - § 6 StAnpG unter anderem auch davon abhängt, dass die beanstandete Wahl einer Gestaltungsmöglichkeit in der Absicht der Steuerersparnis erfolgt, womit eine restriktive Anwendung des umfassenden Tatbestandes des § 6 StAnpG gewährleistet wird (Kühn, a. a. 0., § 6 StAnpG, Anm. 2, 3). Auch trifft es zu, dass im Anwendungsbereich des § 5 GüKG zu fordern ist, dass der gewählte Weg an den vom Gesetz angeordneten Folgen vorbeiführen soll. Angesichts der leichteren objektiven Abgrenzbarkeit des Tatbestandes des § 5 GüKG an Hand der übrigen zwingenden Vorschriften des Güterkraftverkehrsgesetzes ist eine restriktive Auslegung der Vorschrift nicht im gleichen Umfang geboten wie bei § 6 StAnpG, wie dies der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 29. Oktober 1962 (NJW 1963, S. 102, 103) sinngemäß zum Ausdruck gebracht hat. Nach der Überzeugung des Senats erfordert die Anwendung des § 5 GüKG jedenfalls nicht, dass gerade die Unterschreitung der Tarifsätze des Güternahverkehrsrechts das Motiv für eine wirtschaftlich im dargelegten Sinne ungewöhnliche Gestaltung bürgerlich-rechtlicher Verträge gewesen ist; es reicht aus, wenn sich die Absicht zumindest des einen Vertragsteils auf Ersparnisse anderer Art richtete und sie nur durch die Wahl einer außergewöhnlichen Gestaltungsform verwirklicht werden konnte, die an den Tarifsätzen des in Rede stehenden Rechtsgebietes vorbeiführte."