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408 P - 4/01 - Berufungskammer der Zentralkommission (-)
Entscheidungsdatum: 26.07.2001
Aktenzeichen: 408 P - 4/01
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: -

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

Urteil

vom 26. Juli 2001

(ergangen auf Berufung gegen ein streitiges Urteil  des Rheinschifffahrtsgerichts Straßburg vom 29. Mai 2000 - 1 E 00/00780 –)

I. – Sachverhalt und erstinstanzliches Verfahren

H. „R“  ist Eigentümer und Schiffsführer des Motorschiffes « “E“  ».

Am 16. Dezember 1999 um 6.10 Uhr begegnete sein Schiff bei Stromkilometer 299 in der Gemarkung der Gemeinde Straßburg in der Bergfahrt auf dem Rhein dem Schiff der Wasserschutzpolizei Straßburg. Kurz darauf kontrollierten ihn die Gendarmen, als er in den Schleusen Straßburg-Neuhof hielt.

H. „R“  gab an, er führe einen Kalitransport von Hanau (Deutschland) nach Ottmarsheim (Frankreich) durch und habe die Nacht in Gambsheim verbracht.

Die Gendarmen hielten in ihrem Protokoll folgendes fest:

- Da er in der Betriebsform A1 fuhr, hätte er nicht vor 6 Uhr auslaufen dürfen. Er hatte hingegen Gambsheim um 5.30 Uhr verlassen.

- Am Vortag war er um 7 Uhr von Mannheim los gefahren und hatte in Gambsheim um 21.35 Uhr angelegt, obwohl er in der Betriebsform A1 14 Stunden Fahrt nicht überschreiten durfte.

- Die Eintragungen im Bordbuch waren falsch, denn dort stand als Ankunftszeit in Gambsheim 21 Uhr und als Abfahrtszeit 6 Uhr. 

- Das Dienstbuch des Steuermanns „L“  wies seit dem 14.Oktober 1999 keine Eintragungen mehr auf und war zum letzten Mal behördlich überprüft worden am 14. August 1998.

Am 24. Januar 2000 wurde H. „R“  von der Staatsanwaltschaft Straßburg zur Verhandlung vor dem Rheinschifffahrtsgericht Straßburg am 29. Mai 2000 wegen folgender Verstöße vorgeladen:

- nicht ordnungsgemäß ausgefülltes Bordbuch,

- nicht ordnungsgemäß ausgefülltes Schifferdienstbuch,

- Nichteinhaltung der Dauer der Fahrtunterbrechung eines nicht mit Fahrtenschreiber ausgerüsteten Schiffes bei Nacht,

- Nichteinhaltung der Ruhezeiten der Besatzung.

Diese von der Staatsanwaltschaft am 28. Januar 2000 zugestellte Vorladung erhielt H. „R“  am 8. Februar 2000.

Mit Schreiben vom 13. Februar 2000, eingegangen bei der Staatsanwaltschaft Straßburg am 21. Februar 2000, beantragte H. „R“  die Vertagung seiner Sache mit dem Hinweis, er sei vom 28. Mai 2000 bis 11. Juni 2000 nicht in Europa.

Er erneuerte diesen Antrag auf Vertagung mit Schreiben vom 27. Mai 2000, eingegangen beim Amtsgericht am 29. Mai 2000. Für den Fall, dass diesem Antrag auf Vertagung nicht statt gegeben werde, legte H. „R“  seine Bemerkungen dar, die sich hinsichtlich der festgestellten Verstöße wie folgt zusammenfassen lassen:

MS « “E“  » ist mit einem Fahrtenschreiber ausgerüstet, aber man habe es versäumt, die Scheibe einzulegen.

Die Abfahrt von Gambsheim bereits um 5.30 Uhr sei dem Umstand zuzuschreiben, dass durch andere Schiffe an der Schleuse die Ruhe gestört worden sei. Die Fahrt endete an diesem Tag um 17 Uhr in Ottmarsheim, das entspricht einer Reisezeit von 11 Stunden 30.

In Betriebsform A1 ist es fast unmöglich, die Ruhezeiten zu bestimmen, da diese in der Freizeit enthalten sind. Die Besatzungsmitglieder sind jedoch nicht gezwungen, an Bord zu bleiben, und es ist einem Arbeitgeber mit Sicherheit nicht erlaubt, sie ständig zu überwachen. Zudem könnte die Eintragung der Ruhezeiten als Alibi genutzt werden.

Sicherlich muss das Schifferdienstbuch überprüft werden, aber eine einmonatige Verspätung ist bei dieser Formalität nur von untergeordneter Bedeutung. Die Gendarmerie hätte es mit einer Ermahnung bewenden lassen können.

In der Verhandlung am 29. Mai 2000 stellte das Gericht fest, dass H. „R“ , obwohl er von der Vorladung Kenntnis hatte, nicht erschien. Es entschied, ein streitiges Urteil zu sprechen, das nach Maßgabe von Artikel 410 Strafprozessordnung zuzustellen ist.

Das Gericht zählte die Verstöße auf, derentwegen H. „R“  vorgeladen worden war, war der Ansicht, dass die Tatbestände feststehen und die Tatbestandsmerkmale korrekt wiedergegeben wurden, erklärte den Geladenen für schuldig und verurteilte ihn zu einem Bußgeld von 3.000 FF so wie zur Erstattung der Kosten an den Staat.

Am 11. Oktober 2000 wurde dieses Urteil bei der Staatsanwaltschaft Straßburg bewirkt.

Am 27. November 2000 sandte die Stadtkasse von Straßburg H. „R“  eine Zahlungsaufforderung über 3.054 FF.

H. „R“  legte mit Schreiben vom 19. Dezember 2001, registriert am 27. Dezember 2001 beim Rheinschifffahrtsgericht Straßburg, Beschwerde ein, indem er geltend machte, dass ihm die Gründe seiner Verurteilung nie mitgeteilt worden seien und dass er, falls das Urteil ungeachtet dessen als gültig betrachtet werden sollte, vor der Berufungskammer der  Zentralkommission für die Rheinschifffahrt Berufung einlege. 

II. Zulässigkeit der Berufung

Laut Artikel 37, Abs. 2 Mannheimer Akte beginnt die dreißigtägige Berufungsfrist mit der Zustellung des Urteils, die entsprechend den im jeweiligen Staat geltenden gesetzlichen Formen zu erfolgen hat.

Gemäß Artikel 40 Mannheimer Akte müssen Urteile und andere Entscheidungen, Vorladungen und Vertagungsmitteilungen in den bei den Rheinschifffahrtsgerichten anhängigen Sachen in Bezug auf die Zustellung in allen Staaten so angesehen werden, als ob sie von einer Behörde des jeweiligen Staates erlassen seien. Bei Personen, die einen bekannten Wohnsitz in einem der Uferstaaten haben werden Vorladungen und Zustellungen in diesen Sachen an diesem Wohnsitz bewirkt.

Im Übrigen ergibt sich aus der Verbindung von Artikel 498 und 562 Strafprozessordnung, dass die Berufungsfrist erst mit der nach Maßgabe der Vorschriften der internationalen Übereinkommen erfolgten Aushändigung des Schriftstückes beginnt.

In der vorliegenden Sache ist keine Zustellung oder auch nur der Versuch einer Zustellung des Urteils an H. „R“  nachgewiesen und folglich findet die Berufungsfrist auf ihn keine Anwendung.

Zum anderen ist die Begründung in der Berufungserklärung selbst enthalten, so dass die in Artikel 37, Abs. 3 Mannheimer Akte vorgeschriebene dreißigtägige Frist zur Begründung der Berufung automatisch eingehalten wurde und die Berufung damit in der Form zulässig ist.

III. Standpunkt der Parteien

In der Verhandlung vor der Berufungskammer bekräftigte der Geladene, das Urteil nicht bekommen zu haben und die vorgebrachten Anklagepunkte, die zur Festlegung des Zahlungsbescheids gegen ihn geführt haben, nicht genau zu kennen. Er ist der Auffassung, dass die Vertagung wegen einer seit „L“  vorgesehenen Amerikareise gerechtfertigt war und dass er von der Ablehnung durch das Gericht zumindest hätte unterrichtet werden müssen. Für den Fall, dass das Urteil dennoch als gültig betrachtet werden sollte, beabsichtige er, die in seinem Schriftsatz vom 27. Mai 2000 entwickelte Argumentation wieder aufzunehmen.

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft bekräftigte die Auffassung, dass das Schifffahrtsgericht zu Recht eine aus privaten Gründen beantragte Vertagung abgelehnt habe. Er schließt nicht aus, dass der Geladene das Urteil mit einfacher Post bekommen habe, erklärt jedoch, dass er das nicht nachweisen könne.

Er hält sich diesbezüglich an die Einschätzung der Berufungskammer.

IV. Gültigkeit des Urteils

Das Rheinschifffahrtsgericht hat ausgehend von der Auffassung entschieden, dass die Voraussetzungen für Artikels 410 Strafprozessordnung erfüllt waren.

Gemäß dessen Wortlaut wird ein ordnungsgemäß persönlich vorgeladener Beschuldigter, der nicht erscheint und nicht entschuldigt ist, kontradiktorisch verurteilt. Dieser Text kann nur auf einen Geladenen, der sich entschuldigt hat, angewandt werden, wenn das Gericht ausdrücklich feststellt, dass die Entschuldigung nicht gültig ist.

Das Gesetz schließt keineswegs Entschuldigungen aus privaten Gründen aus. Die Gerichte beurteilen nach eigenem Ermessen, müssen sich jedoch äußern.

In seinen Schreiben vom 13. Februar 2000 und 27. Mai 2000 beantragte H. „R“  die Vertagung seiner Sache, weil er zu dem vorgesehenen Zeitpunkt nicht in Europa sein würde.

Diese Anträge sind nicht geprüft worden und es wurde anschließend sofort das streitige Urteil gesprochen, wodurch der Geladene nicht die Möglichkeit zu einem Einspruch hatte.

Somit wurde H. „R“  daran gehindert, seine Verteidigungsmittel vor dem Gericht vorzutragen und zu entwickeln.

Es muss noch hinzugefügt werden, dass laut Artikel 36 Mannheimer Akte die Tatbestände, Streitfragen und die Gründe, auf denen das Urteil beruht, darin auch aufgeführt werden müssen.

Artikel 485 französische Strafprozessordnung wiederum bestimmt, dass die Gründe die Basis der Entscheidung sind, was bedeutet dass wenigstens die Tatumstände dargelegt werden müssen.

Im vorliegenden Fall wurden diese nicht wiedergegeben und das Protokoll der Wasserschutzpolizei wird nicht einmal erwähnt.

Das Urteil ist auf Grund der Mängel, die es aufweist, aufzuheben.

Aus diesen Gründen:

erklärt die Berufungskammer Folgendes:

Die Berufung von H. „R“, ist in der Form zulässig.

Das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Straßburg vom 29. Mai 2000  wird aufgehoben.

Die Verfahrenskosten gehen zu Lasten des Staates und werden durch das Rheinschifffahrtsgericht Straßburg gemäß Artikel 39 Revidierte Rheinschifffahrtsakte festgesetzt.