Rechtsprechungsdatenbank

422 Z - 4/03 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 03.10.2003
Aktenzeichen: 422 Z - 4/03
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Norm: §§ 823, 249 BGB; §§ 485 ff. ZPO, § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Außerhalb eines Rechtsstreits besteht kein Anspruch eines Beteiligten eines Verklarungsverfahrens, die Kosten dieses Verfahrens geltend zu machen. Hat der Beteiligte keinen Schaden erlitten, den er gerichtlich geltend machen könnte, muss er seine Kosten selbst tragen.

2) Die Kosten eines Verklarungsverfahrens sind nur als adäquate Folge eines nach §§ 823, 249 BGB zum Schadensersatz verpflichtenden Unfalls erstattungsfähig.

Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

Urteil

vom 3. Oktober 2003

422 Z - 4/03

(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 6. Januar 2003 - 5 C 22/02 BSch -)

Tatbestand:

Die Klägerin ist der Kaskoversicherer der MS H.

Der Beklagte zu 1) ist der Schiffsführer, der Beklagte zu 2) ist der Schiffseigner des TMS A.

Am 27.07.2001 kam es zwischen den in der Ortslage Stürzelberg auf dem Rhein zu Tal fahrenden TMS A und dem Koppelverband C im Rahmen eines Überholmanövers zu einer Anfahrung.

Aus Anlass dieses Unfalls beantragte der Beklagte zu 1) bei dem Schifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort zur Aufklärung der Unfallursachen die Durchführung eines Verklarungsverfahrens. Dabei beantragte der Beklagte zu 1), den Schiffseigner des MS H mit der Begründung beizuladen, der Schiffsführer dieses Schiffes habe den Unfall verschuldet. Bei dem Unfall hat MS H keinen Schaden erlitten.

Die in dem Verklarungsverfahren durchgeführte Beweisaufnahme hat die Vorwürfe gegen MS H nicht bestätigt. In der Folgezeit sind auch keine Schadensersatzansprüche gegen den Schiffsführer und den Schiffseigner dieses Schiffes von den Interessenten des TMS A erhoben wordeDie Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht von den Beklagten die Erstattung der ihr in dem Verklarungsverfahren entstandenen Rechtsanwaltskosten sowie die Erstattung von Expertisekosten, die ihr durch das Sachverständigenbüro Petermann GmbH für die Besichtigung der Schäden des TMS A in Höhe von 3.760,55 € und für die Besichtigung des Koppelverbandes C in Höhe von 1.685,73 € entstanden sind.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 9.818,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkte über dem Basiszins seit dem 1.07.2002 zu zahlen. Wegen dieser Forderung haftet der Beklagte zu 2) nicht nur dinglich mit dem ihm gehörenden TMS A, sondern im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes auch persönlich.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen und der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Verklarungsverfahrens 5 11 3/01 BSch Amtsgericht Duisburg-Ruhrort aufzuerlegen.

Die Beklagten machen geltend, nach dem Abschluss des Verklarungsverfahrens sei kein Rechtsstreit auf Zahlung von Schadenersatz gegen die Interessenten des MS H geführt worden, in dem auch über die Kosten des Verklarungsverfahrens hätte entschieden werden können. Die Parteien hätten sich auch nicht über diese Kosten geeinigt. Unter diesen Umständen müsse jeder Beteiligte des Verklarungsverfahrens seine Kosten selbst tragen.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat durch das am 6.01.2003 verkündete Urteil nach dem Klageantrag erkannt. Zur näheren Begründung seiner Entscheidung hat das Rheinschifffahrtsgericht ausgeführt, die Klägerin habe aus abgetretenem Recht in Anwendung der Rechtsgrundsätze des § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO bzw. aus § 13a Abs. 1 Satz 1 FGG jeweils in Verbindung mit §§ 398 BGB, 114 BinnSchG einen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Rechtsanwalts- und Sachverständigengebühren. Mangels eines Schadens könnten diese Kosten nicht als adäquate Folge des Unfalls nach §§ 823,249 BGB geltend gemacht werden, ein Anspruch ergebe sich aber aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO bzw. 13a Abs. 1 Satz 1 FGG. Weil an MS H kein Schaden entstanden sei, sei den Interessenten dieses Schiffes die Möglichkeit abgeschnitten, in einem nachfolgenden Rechtsstreit über die ihnen entstandenen Kosten entscheiden zu lassen. Es entspreche deshalb einer interessengerechten Lösung, diese Kosten der Klägerin zuzusprechen. Der Schiffsführer des TMS A habe das Verklarungsverfahren beantragt. Zur Vermeidung etwaiger erheblicher Nachteile, sei der Schiffseigner des MS H veranlasst worden, diesem Verfahren beizutreten. Man könne ihm nun nicht entgegenhalten, er könne seine Kosten nicht geltend machen, weil zwischen den Interessenten der beteiligten Schiffe kein Rechtsstreit geführt worden sei und er selbst keinen Schaden erlitten habe.

Gegen dieses Urteil, das ihnen am 22.02.2003 zugestellt worden ist, haben die Beklagten durch einen am 20.02.2003 eingegangenen Schriftsatz Berufung mit dem Antrag auf Entscheidung des Rechtsstreits durch die Berufungskammer der Zentralkommission in Straßburg eingelegt. Durch einen weiteren, am 6.03.2003 eingegangenen Schriftsatz haben die Beklagten ihre Berufung begründet.

Die Beklagten sind der Ansicht, dass der Klägerin kein Anspruch auf Erstattung ihrer Kosten zusteht, weil sie keinen Schaden erlitten habe. Auch Billigkeitsgründe in Anlehnung an die Vorschriften der §§ 485 ff ZPO bzw. des § 13a FGG rechtfertigen einen solchen Anspruch nicht.

Die Beklagten beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und tritt der Auffassung der Beklagten entgegen.

Entscheidungsgründe:

Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Beklagten musste auch in der Sache Erfolg haben.

Der Rechtsvorgänger der Klägerin hat selbst bei dem Unfall vom 12.07.2001 auf dem Rhein keinen materiellen Schaden im Sinne des § 823 BGB erlitten. Die hier verfolgten Kostenansprüche sind lediglich Vermögensschäden, die ein Beteiligter selbst tragen muss. Unter diesen Umständen kann keine Kostenerstattung erfolgen.

1. Außerhalb eines Rechtsstreits besteht kein Anspruch eines Beteiligten eines Verklarungsverfahrens, die Kosten dieses Verfahrens geltend zu machen. Hat der Beteiligte keinen Schaden erlitten, den er gerichtlich geltend machen könnte, muss er seine Kosten selbst tragen. Vgl. dazu: OLG Karlsruhe, Urteil vom 2.03.1992 - U 11/92 BSch, (TranspR 1993, 375), OLG Nürnberg, Beschluss vom 23.05.2000, - 8 W 24/00 BSch - (ZfB, 2000, S.S. 1800). Ebenso: Wassermeyer, Kollisionsprozess, 4. Aufl. S. 378, der an dieser Stelle auf ein nicht abgedrucktes Urteil des RSchOG Köln vom 14.02.1969 - 3 U 155/68 - verweist. Bemm/v. Waldstein, Rheinschifffahrts­polizeiverordnung, 3. Aufl. lehnen in Einf. 77 in Fällen, in denen ein Beteiligter keinen Schaden erlitten hat, eine Kostenerstattungspflicht ab. Auch Vortisch/Bemm, Binnenschifffahrtsrecht, 4. Aufl., gehen davon aus, dass Kosten eines Verklarungsverfahrens nur als adäquate Folge eines nach den §§ 823, 249 BGB zum Schadenersatz verpflichtenden Schadens erstattungsfähig sind. V. Waldstein, das Verklarungsverfahren im Binnenschifffahrtsrecht, Diss. 1992, S. 111 ff nimmt eine Erstattungsfähigkeit von Verklarungskosten mangels eines Schadens in solchen Fällen an, in denen ein Rechtsschutzbedürfnis auf Seiten des Anspruchsinhabers vorliegt, ohne näher auszuführen, wieso das Rechtsschutzbedürfnis einem Anspruch gleichsteht, falls eine gesetzliche Anspruchsgrundlage fehlt. Dieser Meinung kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil Billigkeitsgrundsätze im Recht der unerlaubten Handlungen nicht zur Schaffung neuer Anspruchsgrundlagen über den gesetzlichen Umfang hinaus führen können.

2. Eine Kostenerstattung wäre allenfalls unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer sittenwidrigen Schadenszufügung nach §§ 826, 249 BGB denkbar. Ein solcher Fall ist hier aber nicht anzunehmen. Der Antrag auf Durchführung eines Verklarungsverfahrens dient der Aufklärung eines Schadensfalles und ist aus diesen Gründen im Binnenschifffahrtsgesetz vorgesehen. Wer von der gesetzlich vorgesehenen Regelung Gebrauch macht, um Klarheit über die Ursachen eines Schadensfalles zu erhalten, macht lediglich von seinen gesetzlich vorgesehenen Rechten Gebrauch und begeht keine zum Schadensersatz verpflichtende vorsätzlich sittenwidrige Schädigung eines Verfahrensbeteiligten. Ob unter besonderen Umständen eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung anzunehmen ist, kann hier dahingestellt bleiben, da die Klägerin derartige besondere Umstände nicht vorgetragen hat.

3. Allgemeine Billigkeitserwägungen rechtfertigen es entgegen der Ansicht des Rheinschifffahrtsgerichts nicht, § 494a ZPO oder § 13a ZPO auf die hier gegebene Rechtslage entsprechend anzuwenden. Wäre es dem Beteiligten eines Verklarungsverfahrens, der selbst keinen Schaden hat und später auch nicht in Anspruch genommen wird, gestattet, seine Kosten des Verklarungsverfahrens geltend zu machen, würden die gesicherten Grenzen des Schadensersatzrechts verlassen und an ihre Stelle eine gewisse Beliebigkeit gesetzt. Es bedarf keiner Ausführungen, dass dem Gesetzgeber bei der umfassenden Änderung des Binnenschifffahrtsgesetzes durch das Gesetz zur Änderung der Haftungsbeschränkung in der Binnenschifffahrt vom 25.08.1998 (BGBI. 1, S. 2489) die Versagung von Kostenerstattungsansprüchen bekannt gewesen ist und er gleichwohl keine Veranlassung gesehen hat, eine entsprechende Gesetzesänderung vorzunehmen.

Im übrigen erscheint es nicht zulässig, später erlassene und für andere Rechtslagen erlassene Vorschriften auf früher bestimmte Regelungen entsprechend anzuwenden, wenn der Gesetzgeber einen solchen Willen nicht ausdrücklich in gesetzlicher Form bekundet hat. Im Interesse der Rechtssicherheit ist der Richter an das Gesetz gehalten und darf das Gesetz nicht überspannen. Das aber wäre anzunehmen, wenn die sehr subjektiven Vorstellungen von dem, was billig ist oder nicht, auf dem Wege des Kostenerstattungsrechtes Eingang in Entscheidungen über Ansprüche der vorliegenden Art hätten. In diesem Rahmen konnte sich die Berufungskammer auch nicht der Erwägung verschließen, dass eine Partei im eigenen Interesse auch Nachteile hinnehmen muss, wenn sie sich an einem Verklarungsverfahren nicht beteiligt. Schließlich hätten die Interessenten das MS "Hermann Stapf’ eine objektive Klärung der Unfallursachen durch das Rheinschifffahrtsgericht abwarten können. Wer eine "Verteidigungsverklarung" betreibt, kann nicht mit einer Erstattung der dafür erforderlichen Kosten rechnen, wenn er selbst keinen Schaden erlitten hat und später auch keine Ansprüche gegen ihn erhoben werden. Schließlich kann ein Beteiligter seine Rechtsstellung selbst zuverlässig abschätzen und weiß selbst, ob er zum Schadensersatz verpflichtet ist.

4. Nach alledem musste es bei der bisherigen ständigen Rechtsprechung der Rheinschifffahrtsgerichte sein Bewenden haben. Zu einer Änderung dieser gefestigten, jahrzehnte alten Rechtssprechung bietet das Vorbringen der Klägerin keine Veranlassung, zumal es sich bei den hier in Rechnung gestellten Beträgen der Sache nach um reine Interventionskosten des Versicherers handelt, der im eigenen Interesse zur Abwendung seiner Einstandspflicht gehandelt hat.

Aus den dargestellten Gründen konnte das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Das angefochtene Urteil war deshalb auf die Berufung der Beklagten abzuändern und die Klage auf Kosten der Klägerin gemäß § 91 ZPO abzuweisen.

Die Entscheidung ergeht gemäß Art. 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte gerichtsgebührenfrei.

5. Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 6.01.2003 verkündete Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort - 5 C 22/02 BSch - wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei.

Die Festsetzung der Kosten der Beklagten erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2004 - Nr.1  (Sammlung Seite 1909 ff.); ZfB 2004, 1909 ff.