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476 Z - 3/13 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 18.03.2013
Aktenzeichen: 476 Z - 3/13
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Auch eine nicht sachgemäße oder an sich zeitiger gebotene Kursweisung des Bergfahrers muss vom Talfahrer grundsätzlich und zwingend befolgt werden.

2) Dies gilt ausnahmsweise nur dann nicht, wenn der Bergfahrer dem Talfahrer keinen geeigneten Talweg freilässt oder wenn es dem Talfahrer nach § 1.05 RhSchPV wegen einer unmittelbar drohenden Gefahr ausnahmsweise erlaubt ist, von der Kursweisung des Bergfahrers abzuweichen.

3) Die Beweislast für diese entlastenden Tatsachen liegt beim Talfahrer.


Urteil  der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt

vom 18. März 2013

Az.: 476 Z 3/13 (Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort, Az.: - 5 C 4/10 BSch -)

rechtskräftig


Aus dem Tatbestand:

Die Klägerinnen sind Versicherer des TMS »A« und machen aus übergegangenem bzw. abgetretenem Recht gegen die Beklagte zu 1) als Eignerin des MS »L« und gegen den Beklagten zu 2) als verantwortlichen Schiffsführer (im Folgenden: Schiffsführer P) Schadensersatzansprüche aus dem nachstehend beschriebenen Schiffsunfall geltend. Am 22. Juli 2008 ereignete sich auf dem Rhein nördlich des Hafens Köln-Niehl bei Rheinkilometer 697,52 gegen 6.15 Uhr eine Schiffskollision. Hieran war das von dem Schiffsführer S geführte TMS »A« als Bergfahrer und MS »L« mit dem Schiffsführer P als Talfahrer beteiligt. Beide Schiffe fuhren beladen. Zum Unfallzeitpunkt herrschten auf dem Rhein gute Sichtverhältnisse. Der Streit der Parteien geht im Wesentlichen darum, zu welchem Zeitpunkt TMS »A« eine Begegnung Steuerbord-Steuerbord von MS »L« verlangt und zu welchem Zeitpunkt die blaue Tafel gesetzt und das Funkellicht angeschaltet worden ist. Streitig ist auch der Inhalt einzelner Funkkontakte. Unstreitig wurde MS »L« weiter nach Steuerbord an den rechtsrheinischen Rand der Fahrrinne geführt. Es kam zur Kollision, wobei der Kopf von TMS »A« backbords auf das Vorderschiff von MS »L« auftraf und an der Backbordseite entlang schrammte. An beiden Schiffen entstanden erhebliche Schäden. MS »L« schlug über Steuerbord um und lag mit dem Kopf zu Berg außerhalb der Fahrrinne fest. Nach mehreren vergeblichen Versuchen konnte es am Abend des Tages freigeturnt werden. Die Klägerinnen haben zur Begründung der Klage vorgetragen: TMS »A« sei bereits ab Rheinkilometer 699 etwa in der Mitte des Stroms und damit am rechten Rand der Fahrrinne gefahren. Mit einem Koppelverband habe es - bei gesetzter blauer Tafel nebst Funkellicht - eine Steuerbord-Steuerbord Begegnung gegeben. Etwa bei Rheinkilometer 698 habe der Schiffsführer die ebenfalls rechtsrheinisch fahrende Talfahrt bemerkt. Er habe sie als Väth-Schiff identifiziert und über Kanal 10 den Talfahrer angesprochen und eine Steuerbord an Steuerbord Begegnung verlangt und angefragt, warum er so weit steuerbord fahre. Eine Antwort habe er nicht erhalten. Deshalb habe er später den Talfahrer erneut angesprochen und eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord verlangt. Es sei wiederum keine Reaktion erfolgt, wobei TMS »A« nun am rechtsrheinischen Rand der Fahrrinne ca. 40 Meter vom rechtsrheinischen Ufer geführt worden sei. Der Schiffsführer habe abgestoppt und rückwärts gemacht. Erst als MS »Lohn< etwa 200 m vor dem Kopf von TMS »A« gewesen sei, habe er eine Antwort von TMS »L« erhalten mit dem Inhalt, er solle nach Steuerbord halten, MS »Lohr« wolle eine Begegnung Backbord-Backbord machen. Er habe geantwortet, dass dies nicht mehr möglich sei. TMS »A« sei inzwischen ständig geworden. MS »b« sei in Steuerbordschrägfahrt in Richtung rechtsrheinisches Ufer dann in den Kurs des TMS »A« gekommen. Er - der Schiffsführer - des MS »A« habe die Maschine vollan zurück gemacht, um die Kollision weniger heftig ausfallen zu lassen. Im Zeitpunkt der Kollision habe auf der Steuerbordseite des TMS »A« eine Fahrrinnenbreite von 120 - 150 m für eine gefahrlose Begegnung zur Verfügung gestanden. Aus der zeitlichen Abfolge der Funkgespräche und der gefahrenen Geschwindigkeit der Schiffe ergebe sich jedenfalls, dass TMS »A« in einem Abstand von deutlich mehr als 500 m die Begegnung Steuerbord an Steuerbord unter Hinweis auf die gesetzte blaue Tafel verlangt habe, ohne zunächst eine Antwort oder eine Reaktion des MS »L< zu erhalten. Ferner stehe fest, dass MS »L« der Weisung des Bergfahrers nach einer Begegnung Steuerbord an Steuerbord nicht entsprochen habe, sondern entgegen dieser Kursweisung gefahren sei. Die Klägerinnen haben beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) 21.224,30 € und an die Klägerin zu 2) 21.224,30 €, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. September 2008 zu zahlen sowie den Beklagten als Gesamtschuldnern die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Verklarungsverfahrens P, Schifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort - 25 II 2/08 Bsch - aufzuerlegen. Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben vorgetragen: Der Schiffsführer P des MS »L« habe den Bergfahrer aus einer Entfernung von etwa 1 km in der Mitte der Fahrrinne erstmals wahrgenommen, wobei der Bergfahrer ohne blaue Tafel und Funkellicht unterwegs gewesen sei. MS »L« habe eine Begegnung Backbord-Backbord erwartet und seinen Kurs noch etwas weiter nach Steuerbord an den Rand der Fahrrinne verändert. Erst als die Schiffe noch etwa eine Schiffslänge voneinander entfernt gewesen seien, habe TMS »A« plötzlich über Kanal 10 eine Begegnung SteuerbordSteuerbord verlangt, steuerbords die blaue Tafel gesetzt und das Funkellicht eingeschaltet. Der Schiffsführer des MS »L« habe sofort geantwortet, dass SteuerbordSteuerbord nicht mehr klar gehe, sondern dass eine Backbord-Backbord Begegnung erfolgen solle. Weitere Gespräche habe es zwischen den Schiffsführern nicht gegeben. TMS »A« sei dann in Backbordschräglage in seinen Kurs geraten. Er habe deshalb noch weiter nach Steuerbord gehalten und sei aus der Fahrrinne geraten. Eine Begegnung Backbord-Backbord wäre gefahrlos möglich gewesen, wenn TMS »A« nicht seinen Kurs nach Backbord verändert hätte. Das Rheinschifffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach mit einem Anteil von 30 Prozent für gerechtfertigt erklärt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Dem Schiffsführer des TMS »A« sei ein verschuldeter Verstoß gegen §§ 1.04 a), b) 6.04 Nr. 1 Rheinschifffahrtspolizeiverordnung (RheinSchPV) anzulasten. Der Bergfahrer müsse dem Talfahrer einen geeigneten Weg für die Begegnung freilassen. Der Talfahrer habe bis zu der Kollision beständig einen für eine Begegnung Backbord-Backbord geeigneten Kurs im rechtsrheinischen Bereich der Fahrrinne verfolgt, dies sei für den Bergfahrer auf Grund der guten Sichtbedingungen über eine für ein eigenes Fahrmanöver hinreichend große Strecke erkennbar gewesen. Die örtlichen Gegebenheiten hätten unstreitig hinreichend Raum für eine gefahrlose Begegnung Backbord-Backbord gelassen. Da eine Kursweisung des Bergfahrers ebenso feststehe wie die Tatsache, dass der Talfahrer nicht den ihm gewiesenen Weg genommen habe, sei der Talfahrer darlegungs- und beweispflichtig, dass keine § 6.04 Nr. 3 b) RheinSchPV entsprechende Kursweisung erteilt worden sei. Er habe seine Behauptung zu beweisen, der Bergfahrer habe ihm keinen geeigneten Weg gewiesen und er habe die Kursweisung nicht befolgen können. Dieser Beweis sei erbracht. Ein Bergfahrer, der keine rechtzeitige Weisung erteile oder der nicht dafür sorge, dass seine Weisung vom Talfahrer rechtzeitig wahrgenommen werde, lasse diesem keinen geeigneten Weg frei. Entscheidende Bedeutung komme im Rahmen der Beweiswürdigung den Bekundungen des an dem Geschehen persönlich nicht beteiligten Zeugen R zu. Demgegenüber hätten die Bekundungen der Schiffsführer der unfallbeteiligten Schiffe bzw. des Zeugen M als Besatzungsmitglied des MS »L«, die die Unfallschilderung der jeweiligen Partei bestätigt hätten, keinen maßgeblichen Beweiswert, weil diese Zeugen ein besonderes persönliches Interesse am Ausgang des zu erwartenden Schadensersatzverfahrens hätten und deshalb nicht ersichtlich sei, dass der Darstellung der einen Seite mehr Glauben zu schenken sei als der Darstellung der anderen Seite. Demgegenüber habe das Gericht bei den Bekundungen des Zeugen R keine Entlastungs- oder Belastungstendenzen zu finden vermocht. Er habe von drei Anrufen des Bergfahrers berichtet, allerdings nicht bekundet, dass der Bergfahrer bei dem ersten Anruf eine Wegweisung gegeben hätte. Das Gericht gehe davon aus, dass dem Zeugen ebenfalls erinnerlich gewesen wäre, wenn der Bergfahrer bei dem ersten Anruf tatsächlich den Talfahrer als VäthMotor angesprochen, eine Begegnung Steuerbord-Steuerbord verlangt und gefragt hätte, warum er so weit steuerbords fahre. Nach der Aussage des Zeugen R habe der Bergfahrer erst bei seinem zweiten, weniger als eine Minute später erfolgenden Anruf eine Begegnungsanweisung Steuerbord an Steuerbord ausgesprochen. Die hierauf erfolgende Reaktion des Talfahrers habe der Zeuge dem Inhalt nach in Übereinstimmung mit den Aussagen der Zeugen S, P und M wiedergegeben. Danach habe der Talfahrer in direkter Antwort eine Begegnung Backbord an Backbord verlangt. Der Zeuge habe auch einen dritten Anruf des Bergfahrers bestätigt, der allerdings angespannt erneut »Steuerbord an Steuerbord« verlangt habe und nicht, wie der Zeuge S geantwortet haben wolle, dass es für Backbord-Backbord zu spät sei. Aus dieser Aussage des Zeugen R schließe das Gericht, dass die Begegnungsanweisung des Bergfahrers nicht so rechtzeitig erfolgt sei, dass der Talfahrer ihr noch ohne die Gefahr einer Kollision hätte nachkommen können. Der Talfahrer habe vielmehr bis zum verspäteten Setzen des Zeichens gemäß § 6.04 Nr. 2 RheinSch-PV davon ausgehen können, dass die Bergfahrt ihn an Backbord vorbeifahren lassen werde. Demgegenüber vermöge das Gericht der Aussage des Zeugen H keinen Beweiswert beizumessen. Dieser Zeuge habe einen Funkverkehr der beteiligten Schiffsführer geschildert, der noch über die von dem Zeugen S bekundeten Gespräche hinausgehe. Seine Aussage sei zwar ausgesprochen detailliert gewesen; es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Zeuge den tatsächlichen Funkverkehr, wenn er ihn tatsächlich mitgehört haben sollte, in einer die eine Partei begünstigenden Weise ergänzt und ausgestaltet habe. Im Rahmen der Beweiswürdigung sei auch der durch die GPS-Aufzeichnungen dokumentierte unstreitige Kurs des MS »L« in der Annäherung der Schiffe hin zum rechtsrheinischen Rand der Fahrrinne zu berücksichtigen. Es widerspreche jeder Übung und der Lebenserfahrung, dass der Schiffsführer von MS »L« angesichts der guten Sichtverhältnisse sehenden Auges auf einen Kollisionskurs mit TMS »A« gegangen wäre, wenn TMS »A« sich vor der Kollision auf Backbordkurs bereits am rechtsrheinischen Rand der Fahrrinne befunden und zudem die blaue Tafel gesetzt und das Funkellicht eingeschaltet gehabt hätte. Dass die Annäherung des Bergfahrers von MS »L« etwa infolge Unaufmerksamkeit erst durch den zweiten Anruf von Seiten TMS »A« aufgefallen wäre, schließe das Gericht angesichts der durch die insoweit unstreitige GPS-Aufzeichnung dokumentierten langsamen Kursveränderung aus der Mitte der Fahrrinne heraus nach Steuerbord an den Rand der rechtsrheinischen Fahrrinne aus. Es werde hieran deutlich, dass MS »L« von einer Begegnung Backbord-Backbord ausgegangen sei und hierfür noch mehr Raum zwischen den Schiffen habe schaffen wollen. Um der hiernach verspäteten Kursweisung Folge zu leisten, hätte MS »L« bei einer Entfernung von maximal 200 m einen Kreuzkurs vor dem Kopf von TMS »A« nach Backbord einschlagen müssen. TMS »A« hätte in Anbetracht der Kurse der Schiffe und der Annäherungsgeschwindigkeit nicht auf seiner Kursweisung beharren und seinen Kurs fortsetzen oder sogar noch nach Backbord verändern dürfen. Dahinstehen könne, ob die von TMS »A« behaupteten Schallzeichen gegeben worden seien; sie seien jedenfalls nicht rechtzeitig erfolgt. Allerdings sei die Haftung für die Folgen des Schiffsunfalls nicht allein auf das Verschulden des Schiffsführers S zurückzuführen. Vielmehr sei auch von einem Verschulden des Schiffsführers P des MS »L« am Zustandekommen der Kollision auszugehen. Auch die Beklagten hätten nicht zu beweisen vermocht, dass Schiffsführer P die ihm gemäß § 1.04 RheinSchPV auferlegten Sorgfaltspflichten in jeder Hinsicht beachtet habe. Wie bereits ausgeführt gehe das Gericht von einem ersten an den Talfahrer gerichteten Anruf von Seiten TMS »A« ohne Kursweisung aus. Es habe nicht zweifelhaft sein können, dass MS »L« gemeint gewesen sei. Auf diesen Anruf hätte MS »L« antworten und nach dem Begehr fragen sollen. In der kritischen Phase der Annäherung nach der erfolgten Begegnungsanweisung hätte MS »L« überdies die Geschwindigkeit reduzieren müssen, um das Risiko und die Folgen einer Kollision zu mindern. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Kollision vermieden worden wäre oder zumindest ihre Folgen bei Beachtung dieser nautischen Verpflichtung weniger gravierend ausgefallen wären. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien form- und fristgerecht Berufung eingelegt, wobei die Klägerinnen eine Entscheidung durch die Berufungskammer begehrt haben, während die Beklagten sich mit ihrer — zeitlich später eingegangenen — Berufung an das Rheinschifffahrtsobergericht Köln gewandt haben. Die Klägerinnen wiederholen und vertiefen im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen ... Falsch sei die Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts, der Bergfahrer »A« hätte nicht auf seiner Kursweisung beharren und seinen Kurs fortsetzen dürfen, sondern ausweichen müssen. Eine der zentralen Grundregeln des Binnenschifffahrtsverkehrsrechts sei das Gebot, dass der Bergfahrer seiner hohen Verantwortung der Kursweisung gerecht werde und bei seiner Kursweisung bleibe, gerade weil der Talfahrer sie befolgen müsse. Darüber hinaus habe das Schifffahrtsgericht auch nicht festgestellt, dass der Bergfahrer die Möglichkeit gehabt hätte, seinen Kurs zu ändern und dadurch den Unfall zu verhindern. Das Rheinschifffahrtsgericht habe dem Bergfahrer vorgeworfen, wegen des Kollisionskurses nicht rechtzeitig Schallzeichen gegeben oder eine Klärung herbeigeführt zu haben. Schiffsführer S habe allerdings bei seiner Vernehmung als Zeuge im Verklarungsverfahren ausgesagt, in einer Entfernung von 500 m ein Achtungs-Signal gegeben zu haben. Unabhängig davon habe das Rheinschifffahrtsgericht nicht festgestellt, dass Schallzeichen den Unfall verhindert hätten. Dies wäre nicht der Fall gewesen, da sich der Talfahrer nie um die Kursweisung gekümmert habe ... Die Beklagten verteidigen zunächst das angegriffene Urteil insoweit, als das Rhein- schifffahrtsgericht ein Verschulden der Schiffsführung des TMS »A« bejaht hat, sie wenden sich jedoch gegen die Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts, dass die Schiffsführung des MS »L« ein Mitverschulden an dem Schiffsunfall treffe. Im Einzelnen tragen sie vor: Das Rheinschifffahrtsgericht sei zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Partei »L« den Beweis dafür erbracht habe, dass die Kursweisung des TMS »A« in einem Abstand beider Schiffe von Bug zu Bug »von weniger als 200 m« erteilt worden sei. Dieser Abstand sei angesichts der von beiden Schiffen gefahrenen Geschwindigkeiten zu gering gewesen. Allein der Schiffsführung des TMS »A« wäre es möglich gewesen, die Kollision zu vermeiden, indem sie unmittelbar vor der Kollision die zu diesem Zeitpunkt eingeleitete Backbordbewegung gestoppt hätte und geradeaus weitergefahren wäre. Für die Schiffsführung des MS »L« sei es dagegen nicht möglich gewesen, der Kursweisung des TMS »A« zu folgen.... Zutreffend sei, dass der Bergfahrer eine hohe Verantwortung hinsichtlich der Kursweisung trage. Das bedeute aber auch, dass an die ordnungsgemäße und rechtzeitige Kursweisung des Bergfahrers hohe Anforderungen zu richten seien. Dieser besonderen Verantwortung sei der Bergfahrer »A« in diesem Havariefall nicht gerecht geworden. Nicht berechtigt sei jedoch der Vorwurf des Rheinschifffahrtsgerichts, die Schiffsführung des MS »L« habe auf einen ersten Funkspruch des TMS »A« nicht geantwortet. Der von dem Zeugen R bekundete Funkspruch habe nicht einmal die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllt, die an einen solchen Funkspruch gemäß § 6.32 Abs. 2 a) bis d) RheinSchPV zu richten seien. Es könne daher bereits nicht festgestellt werden, dass ein Schiff, das diesen Funkspruch gehört habe, verpflichtet gewesen sein solle, sich daraufhin zu melden. Als einziger Bergfahrer sei für die Schiffsführung des MS »Lohr« das TMS »A« zu sehen gewesen. Hinsichtlich dieses Bergfahrers sei die Situation aber klar gewesen, da die Kurse für eine Begegnung Backbord-Backbord festgelegt gewesen seien ... Durch Urteil vom 10. Januar 2012 hat das Rheinschifffahrtsobergericht Köln — 3 U 42/11 BSchRh — auf Antrag der Beklagten den Rechtsstreit zur Entscheidung über ihre Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts vom 18. Juli 2011 an die Berufungskammer verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Beide Berufungen sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Dies folgt für die Berufung der Klägerinnen aus Art. 37 Abs. 2, Abs. 3 der Mannheimer Akte und für die Berufung der Beklagten aus den §§ 517, 519, 520 ZPO. Die Berufungskammer ist gemäß Art. 37bis der Mannheimer Akte insgesamt zur Entscheidung über die Berufungen der Klägerinnen und der Beklagten zuständig, da die Berufungskammer zuerst angerufen wurde, und zwar durch die Berufung der Klägerinnen, während die Berufung der Beklagten zeitlich später bei dem Rheinschifffahrtsobergericht Köln eingelegt worden ist. In der Sache hat nur die Berufung der Klägerinnen Erfolg, während die Berufung der Beklagten zurückzuweisen ist. Die Beklagten sind den Klägerinnen aus abgetretenem bzw. übergegangenem Recht gemäß den §§ 3, 92 ff. BinSchG, 823 Abs. 1 BGB nicht nur in Höhe von 30 Prozent, sondern in vollem Umfang dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet. Der Schiffsführer P des MS »L« hat den Schiffsunfall am 22. Juli 2008 schuldhaft verursacht, während sich ein Verschulden des Schiffsführers S von dem TMS »A« nicht feststellen lässt.

1. Der Schiffsführer P von dem MS »Lohr« hat schuldhaft gegen die Vorschrift des § 6.04 Nr. 5 RheinSchPV verstoßen.

a) Hiernach müssen die Talfahrer den Weg nehmen, den ihnen die Bergfahrer weisen. Diese Regelung bezweckt, mehr Klarheit für die Begegnungskurse zwischen Bergund Talfahrt zu schaffen und damit die Sicherheit des Schiffsverkehrs zu erhöhen. Die Talfahrer müssen deshalb grundsätzlich auch eine nicht sachgemäße oder an sich zeitiger gebotene Kursweisung der Bergfahrer befolgen. Dies gilt nur dann nicht, wenn ein Bergfahrer entgegen § 6.04 Nr. 1 RheinSchPV keinen geeigneten Weg für den Talfahrer freigelassen hat oder wenn sonst Umstände vorliegen, die es der Talfahrt nach § 1.05 RheinSchPV erlauben, von der Kursweisung des Bergfahrers abzuweichen. Den Beweis für diese Ausnahme von der Pflicht zur Beachtung der Kursweisung des Bergfahrers hat der Talfahrer zu erbringen (vgl. BGH NJW-RR 1989, 473 = ZfB 1989 Sammlung Seite 1251). Von dieser Beweisverteilung ist im Ausgangspunkt auch das Rheinschifffahrtsgericht zutreffend ausgegangen.

b) Schiffsführer P hat den ihm gewiesenen Weg nicht genommen, ohne berechtigt zu sein, von der Kursweisung des Bergfahrers abzuweichen. Entgegen der Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts kann es nicht als bewiesen angesehen werden, dass der Schiffsführer S die Kursweisung erst so spät gegeben hat, dass der Schiffsführer P als Talfahrer sie nicht mehr befolgen konnte. Aufgrund der im Verklarungsverfahren erhobenen Beweise ist es jedenfalls nicht auszuschließen, dass die Kursweisung Steuerbord an Steuerbord entsprechend dem Vortrag der Klägerinnen bereits mit einem Abstand von mehr als 500 m vor der späteren Unfallstelle erfolgt ist und nicht erst — so der Vortrag der Beklagten — zu einem Zeitpunkt, als sich die beiden Schiffe schon auf eine Entfernung von einer Schiffslänge (Bug zu Bug) genähert hatten. Dass der Schiffsführer P auch bei einer derart zeitigen Kursweisung keinen geeigneten Weg für eine Steuerbord an Steuerbord Begegnung mehr hatte, wird nicht einmal von den Beklagten selbst behauptet, jedenfalls haben sie nicht bewiesen, der Schiffsführer P habe auch eine solche Kursweisung nicht befolgen können. Ob ihm die Befolgung einer Kursweisung im zeitlichen Abstand von weniger als einer Minute vor der Kollision noch möglich war, ist deshalb für die Annahme seines Verschuldens unerheblich. aa) Das Rheinschifffahrtsgericht hat überzeugend begründet, dass es einen ersten Funkspruch des TMS »A« zumindest mit dem Inhalt »Die Talfahrt am Niehler Stadthafen« gegeben hat und dass dieser Funkspruch nur an den Schiffsführer des MS »Lohr« gerichtet sein konnte. Ein solcher Funkspruch ist von dem für die Beweiswürdigung des Rheinschifffahrtsgerichts als entscheidend angesehenen — unbeteiligten — Zeugen R bestätigt worden. Anhaltspunkte dafür, dass dieser Funkspruch bei dem Schiffsführer des MS »L« nicht angekommen ist, bestehen nicht. Nicht zu folgen vermag die Berufungskammer allerdings der weiteren Feststellung des Rheinschifffahrtsgerichts, in diesem Funkspruch sei noch keine Kursweisung des Bergfahrers ausgesprochen worden. Dies lässt sich den Bekundungen des Zeugen R nicht entnehmen. Dieser hat zwar nicht ausdrücklich bestätigen können, dass bereits im Rahmen des ersten von ihm vernommenen Funkspruchs eine Kursweisung im Sinne einer Begegnung Steuerbord-Steuerbord erfolgt sei. Auf der anderen Seite hat der Zeuge R dies aber auch nicht ausgeschlossen. Bei dieser Sachlage verbleibt die Möglichkeit, dass der Zeuge R einen Teil des ersten Funkspruchs, der nach dem Vortrag der Klägerinnen ebenfalls den Hinweis auf eine Begegnung Steuerbord-Steuerbord enthielt, nicht gehört hat. bb) Dass die Kursweisung durch den Schiffsführer des TMS »A« zu spät erfolgt ist, wird auch nicht durch die GPS-Aufzeichnungen bewiesen, die den Kurs des MS »L« in der Annäherung der Schiffe unstreitig wiedergeben. Zwar teilt die Berufungskammer die Ansicht des Rheinschifffahrtsgerichts, dass es jeder Übung und der Lebenserfahrung widerspräche, dass der Schiffsführer von MS »L« angesichts der guten Sichtverhältnisse »sehenden Auges« auf einen Kollisionskurs mit TMS »A« gegangen wäre. Unberücksichtigt bleibt indessen jedoch die Möglichkeit, dass MS »L« den vorangegangenen Funkspruch des TMS »A« aus Unaufmerksamkeit nicht gehört hatte. Bei einer solchen Konstellation ist es durchaus nachvollziehbar und lebensnah, dass der Schiffsführer des MS »L« keine Veranlassung gesehen hat, seinen Kurs weiter nach Backbord zu richten und davon ausging, eine Begegnung Backbord-Backbord sei möglich. cc) Den ihnen obliegenden Beweis einer nicht rechtzeitigen Kursweisung des Bergfahrers vermögen die Beklagten schließlich auch nicht aufgrund der Aussagen der übrigen Zeugen zu führen. Den Bekundungen der Besatzungsmitglieder des MS »L«, dem Zeugen M und dem im Verklarungsverfahren ebenfalls als Zeugen vernommenen Schiffsführer P, die übereinstimmend von nur einer einzigen und zu späten Funkdurchsage des Bergfahrers berichtet haben, stehen die Aussagen des ebenfalls als Zeugen vernommenen Schiffsführers S von einer zeitigen Kursweisung entgegen. Auch nach Auffassung der Berufungskammer gibt es keine objektiven Beweisanzeichen dafür, welcher dieser Aussagen eher Glauben zu schenken ist, zumal die Zeugen als Schiffsführer bzw. als Besatzungsmitglied ein persönliches Interesse an dem Ausgang des Verfahrens haben. Den Aussagen des unbeteiligten Zeugen H hat das Rheinschifffahrtsgericht keinen Beweiswert beigemessen. Ob dies zu Recht erfolgt ist, kann die Berufungskammer offen lassen. Der Zeuge hat jedenfalls die Behauptung der Beklagten einer zu späten Kursweisung nicht bestätigt, sondern — im Gegenteil — bereits von einer ersten Kursweisung in dem ersten Funkspruch berichtet. dd) Wenn hiernach aber nicht auszuschließen ist, dass der Schiffsführer des TMS »A« tatsächlich — wie behauptet — bereits in dem ersten Funkspruch eine Kursweisung Steuerbord-Steuerbord gegeben hatte und nicht erst zu einem Zeitpunkt, als sich die beiden Schiffe nur noch in einem Abstand von einer Schiffslänge von Kopf zu Kopf befunden haben, haben die Beklagten auch nicht bewiesen, dass der Schiffsführer des TMS »A« dem Schiffsführer des MS »L« keinen geeigneten Weg für die Begegnung gelassen habe. Die Beklagten stützen ihre Behauptung, dem MS »L« sei zu wenig Raum belassen worden für eine Begegnung Steuerbord-Steuerbord gerade darauf, dass erst zu einem sehr späten Zeitpunkt eine Kursweisung erfolgt sei, so dass eine Reaktion nicht mehr möglich gewesen wäre. Auch unter Zugrundelegung des Vortrags der Beklagten wäre aber eine Begegnung Steuerbord-Steuerbord möglich gewesen, wenn entsprechend der Behauptung der Klägerin bereits in einem Abstand von mehr als 500 m eine Kursweisung Steuerbord-Steuerbord erfolgt wäre und der Schiffsführer des MS »L« daraufhin tatsächlich seinen Kurs auf eine Steuerbord-Steuerbord Begegnung ausgerichtet hätte, das heißt, sein Schiff weiter nach Backbord gelenkt hätte. Dies ergibt sich auch aus der Abbildung 8 des von den Beklagten vorgelegten Gutachtens des Privatgutachters B vom 19. Februar 2009, das die Lage der Schiffe bei einer Entfernung Bug zu Bug von 550 m zeigt.

2. Neben diesem feststehenden Verschulden des Schiffsführers des MS »L«, der die Kursweisung des Schiffsführers des TMS »Anouk« entgegen § 6.04 Nr. 5 RheinSchPV nicht beachtet hat, haben die Beklagten ein Verschulden des Schiffsführers des TMS »A«, das sich die Klägerinnen im Rahmen des Mitverschuldens anrechnen lassen müssten, nicht bewiesen.

a) Dies gilt zunächst für die vom Rheinschifffahrtsgericht als bewiesen angesehene Behauptung der Beklagten, der Bergfahrer habe die Kursweisung i.S.d. § 6.04 Nr. 5 RheinSchPV derart spät gegeben, dass kein geeigneter Weg mehr für eine Begegnung SteuerbordSteuerbord verblieben sei. Wie oben ausgeführt worden ist, haben die Beklagten eine nicht rechtzeitige Kursweisung des Bergfahrers nicht zu beweisen vermocht.

b) Ebensowenig kann zu Lasten des Bergfahrers von einem Verstoß gegen § 6.04 Nr. 3 b) RheinSchPV ausgegangen werden. Nach dieser Vorschrift müssen Bergfahrer, die — wie hier — bei Tag, d. h. nach Sonnenaufgang (vgl. § 1.01 RheinSchPV), die Talfahrer an Steuerbord vorbeifahren lassen, rechtzeitig nach Steuerbord ein weißes helles Funkellicht und eine hellblaue Tafel zeigen. Der Schiffsführer des TMS »A« hat im Rahmen seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren bekundet, dass im Zeitpunkt der ersten Kursweisung an den Talfahrer die blaue Tafel bereits gesetzt gewesen und auch das weiße Funkellicht in Funktion gewesen sei. Dem stehen zwar die Bekundungen des Schiffsführers des MS »L« und eines Besatzungsmitglieds dieses Schiffes entgegen, wonach das Setzen der blauen Tafel und das Anschalten des Funkellichts erst kurz nach dem — nach ihrer Darstellung — ersten Funkspruch bei einem Abstand von lediglich einer Schiffslänge und damit verspätet erfolgt sei. Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diesen Bekundungen ein höherer Wahrheitsgehalt als denjenigen des Schiffsführers des TMS »A« zukommt. Die beiden unbeteiligten Zeugen R und Hn haben unmittelbar nur den Funkverkehr verfolgt, die Schiffe in der Annäherung vor der Kollision nicht gesehen. Bei diesem Beweisergebnis haben die Beklagten den ihnen obliegenden Beweis eines Verstoßes des Bergfahrers gegen § 6.04 Nr. 3 b) RheinSchPV nicht geführt.

c) Entsprechendes gilt für einen möglichen Verstoß des Bergfahrers gegen § 6.04 Nr. 4 RheinSchPV. Wenn zu befürchten ist, dass die Absicht der Bergfahrer von den Talfahrern nicht  verstanden worden ist, müssen die Bergfahrer zwei kurze Töne geben, wenn die Vorbeifahrt — wie hier — an Steuerbord stattfinden soll. Die Beklagten haben die Aussage des Schiffsführers des TMS »A« im Verklarungsverfahren, in einer Entfernung von etwa 500 m und damit rechtzeitig ein Achtungssignal gegeben zu haben, nicht widerlegt. Auf die weitere Frage, ob ein akustisches Signal den Schiffsführer von MS »L« dazu bewogen hätte, seinen Kurs nunmehr auf eine Steuerbord-Steuerbord Begegnung einzurichten, kommt es deshalb nicht an.

d) Schließlich lässt sich ein Verschulden des Schiffsführers des TMS »A« auch nicht daraus herleiten, dass er nach der Antwort des Schiffsführers des MS »L« nach dem zweiten Funkspruch, eine Begegnung Steuerbord-Steuerbord sei nicht mehr möglich, gleichwohl an dieser Weisung festgehalten hat. Die Beklagten machen unter Hinweis auf ein von ihnen vorgelegtes Privatgutachten des Sachverständigen B geltend, dass zu diesem späten Zeitpunkt nur noch eine Begegnung Backbord-Backbord möglich gewesen wäre, während auf Grund der Stellung der Schiffe im Strom eine Begegnung Steuerbord-Steuerbord ausgeschlossen gewesen sei. Es steht aber nicht fest, ob die Behauptung der Beklagten zur Stellung der Schiffe zutrifft. Zwar ergeben sich der Kurs und die Annäherungsbewegung des MS »L« auf die Kollisionsstelle aus den von dem Privatgutachter B ausgewerteten GPSAufzeichnungen. Offen ist demgegenüber jedoch, an welchem Standort sich konkret TMS »A« vor der Kollision befand. Insoweit führt auch das Rheinschifffahrtsgericht in dem angegriffenen Urteil zutreffend aus, dass nicht zweifelsfrei geklärt sei, welchen Kurs TMS »A« in der Annäherung ab Kilometer 698 tatsächlich verfolgt habe. Der von dem Privatsachverständigen B in die Bearbeitung der GPS-Aufzeichnungen lediglich auf Grund der Angaben von Schiffsführer P eingetragene Kurs des TMS »A« ist nicht bewiesen.

Aus den dargelegten Gründen wird daher für Recht erkannt:

1. Auf die Berufung der Klägerinnen wird das Grundurteil des Amtsgerichts — Rheinschifffahrtsgerichts — Duisburg-Ruhrort vom 18. Juli 2011 — 5 C 4/10 BSch — geändert und wie folgt neu gefasst: Die Klage wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

2. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten zu tragen.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2013 - Nr.5 (Sammlung Seite 2232 ff.); ZfB 2013, 2232 ff.