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5 K 878/61 - Verwaltungsgericht (-)
Entscheidungsdatum: 13.02.1962
Aktenzeichen: 5 K 878/61
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Verwaltungsgericht Düsseldorf
Abteilung: -

Leitsatz:

Zur örtlichen Zuständigkeit der Wasser- und Schifffahrtsdirektion bei der Überprüfung und Ahndung von Frachtverstößen. Nach Inkrafttreten des Binnenschiffsverkehrsgesetzes (1. 10. 1953) sind nur in Form von Rechtsverordnungen veröffentlichte Beschlüsse über die Festsetzung von Binnenschiffsfrachten rechtsverbindlich. Eine unwirksam gewordene Frachtfestsetzung kann nicht dadurch rechtsverbindlich werden, dass auf sie in einer späteren gültigen Rechtsverordnung, die zur Ergänzung lediglich eine Zuschlagsfracht vorsieht, Bezug genommen wird. Die nach § 21 in Verbdg. mit § 29 BSchVG geregelte Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen zwecks Veröffentlichung genehmigter Frachtenausschussbeschlüsse begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Urteil des Verwaltungsgerichts in Düsseldorf

vom 13. Februar 1962

5 K 878/61

Zum Tatbestand:

Die Klägerin charterte 1959 mehrere Kähne von der Firma X auf die Dauer eines Jahres für Kohletransporte, und zwar zu einem Tagessatz von 0,12 DM pro t Ladevermögen und gegen Obernahme sämtlicher Oberstunden-, Lotsen-, Hafen- und Schleusengelder sowie sonstiger mit der Transportdurchführung verbundener Kosten. Firma X hatte die Grundlöhne und Versicherungsprämien sowie die Kosten für Schiffsausrüstung und Reparaturen zu tragen.

Bei einer Überprüfung der Firma X stellte die beklagte WSD fest, dass die Miete während des Jahres 1959 nach den jeweils in einem Monat tatsächlich angefallenen Reisetagen berechnet worden war. Wegen Unterbietung der Tagesmietsätze für Kähne gemäß den im FTB veröffentlichten Tarifen (A 100/2 und A 100/3 v. 15. 10. 1951), die beiden Vertragspartnern bekannt gewesen seien, zog die Beklagte den festgestellten Unterschiedsbetrag zwischen angeordnetem und vereinbartem Mietentgelt zugunsten der Bundesrepublik ein.

Die Klägerin legte gegen den Einziehungsbescheid Widerspruch ein und erhob gegen die Zurückweisung des Widerspruchs eine Verwaltungsgerichtsklage, u. a. mit der Begründung, dass die Beschlüsse des Frachtenausschusses für den Rhein FTB A 100/2 und A 100/3 von 1951 mangels Verkündung als Rechtsverordnungen nicht rechtsverbindlich gewesen und durch spätere ergänzende Rechtsverordnungen nicht rechtswirksam geworden seien. Die Beklagte sei für ein Einziehungsverfahren örtlich nicht zuständig, da der beanstandete Mietvertrag in Bremen abgeschlossen sei. Ferner hätten sich die vorgenannten Festsetzungen nur auf kurzfristige Reisecharterverträge, nicht auf langfristige Mietverträge bezogen. Die Rechtsverordnungen über die Festsetzung von Binnenschiffsentgelten seien mangels einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage auch verfassungswidrig.
Die Klage im Verwaltungsgerichtswege hatte Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

Zwar war die beklagte Wasser- und Schifffahrtsdirektion für den Erlass von Einziehungsbescheiden gegen die Klägerin, die ihre Verträge mit dem Schifffahrtsunternehmen X betrafen, örtlich zuständig. Gemäß § 39 BSchVG richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach den Vorschriften des Ordnungswidrigkeiten-Gesetzes. Nach § 51 Abs. 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten vom 25. 3. 1952 (BGBI. 1, 177) in der Fassung vom 26.7.1957 (BGBI. 1, 861) ist örtlich zuständig die Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk der Betrieb seinen Sitz hat, in welchem die Ordnungswidrigkeit begangen ist. Nach Abs. 4 ist auch zuständig die Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk die Ordnungswidrigkeit begangen worden ist. Dementsprechend ist nach II B 1 der Verwaltungsvorschriften vom 22. 6. 1954 (VkBI. 299, 301) geregelt, dass örtlich zuständig die Wasser- und Schifffahrts-Direktion ist, die die Aufsicht über den Frachtenausschuss führt, auf dessen Beschluss die Festtariffestsetzung beruht, gegen die zuwidergehandelt worden ist.

Voraussetzung ist ferner, dass zumindest die Ordnungswidrigkeit an einer Wasserstraße begangen worden ist, die zum Bereich der Aufsichtsbehörde gehört (vgl. Vortisch, BSchVG 1955 Anm. 2 zu § 39). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Die von der Klägerin abgeschlossenen und von der Beklagten noch beanstandeten Mietverträge betreffen Fahrten auf dem Rhein, der zum Bereich der Beklagten gehört.

Die die Festsetzung eines Entgelts betreffenden Beschlüsse müssen als Rechtsverordnungen nach Maßgabe der hierfür geltenden Bestimmungen erlassen und auch als Rechtsverordnungen bekanntgemacht werden. Gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Bestimmungen bestehen keine Bedenken (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 19. 12. 1961 - VIII A 416/61 - und Urteil der erkennenden Kammer vom 17. 2. 1961 - 5 K 1472/60). Sie verstoßen nicht gegen die nach Artikel 80 des Grundgesetzes für den Erlass von Rechtsverordnungen festgelegten Beschränkungen. Die nach § 21 in Verbindung mit § 29 BSchVG geregelte Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen ist nach ihrem Inhalt, Zweck und Ausmaß im Zusammenhang mit dem Ziel und Sinn der gesetzlichen Regelung genügend bestimmt.

Der FTB Nr. 100/2 über Tagesmietsätze für Kähne ist aber keine Rechtsverordnung im Sinne dieser Bestimmungen. Er ist zwar vom Frachtenausschuss für den Rhein beschlossen und im Verkehrsblatt bekanntgemacht worden. Dieser Beschluss ist aber nicht vom Bundesminister für Verkehr genehmigt, als Rechtsverordnung erlassen und veröffentlicht worden. Eine Bekanntmachung allein macht eine von einer Behörde getroffene Regelung noch nicht zur Rechtsverordnung, wie die Beklagte irrig zu meinen scheint. Im Verkehrsblatt werden neben Rechtsvorschriften auch eine große Anzahl von Erlassen und Verwaltungsvorschriften veröffentlicht. Eine veröffentlichte Regelung ist nur dann als Rechtsverordnung anzusehen, wenn sie ausdrücklich als Verordnung bezeichnet und in ihr auf die Gesetzesvorschrift, auf der sie beruht, hingewiesen ist. Ferner ist ihr Inkrafttreten und ihre Geltungsdauer anzugeben. Diese Voraussetzungen sind bei der Bekanntmachung der Beschlüsse des Frachtenausschusses für den Rhein vom 5. 12. 1951 nicht erfüllt. In dieser Bekanntmachung ist weder das Wort „Verordnung" noch eine gesetzliche Grundlage enthalten. Auch fehlen die Angaben über das Außerkrafttreten der Verordnung. Die Bekanntmachung beruht auf der Verordnung über die Frachtenbildung in der Binnenschifffahrt vom 3.10.1941 (RGBI. 1, 622). Nach dieser Verordnung war im Gegensatz zu den Vorschriften des Binnenschiffsverkehrsgesetzes die Festsetzung von Entgelten durch eine Rechtsverordnung nicht vorgesehen.

Der nach Gültigkeitsablauf des FTB Nr. 100/2 geltende FTB Nr. 100/3 vom 5. 12. 1951 durfte auch deshalb von der Beklagten nicht mehr als Rechtsvorschrift angewandt und zur Grundlage der angefochtenen Bescheide gemacht werden, weil gemäß § 45 Abs. 2 Ziff 3 BSchVG mit dem Inkrafttreten des Gesetzes die Verordnung über die Frachtenbildung in der Binnenschifffahrt vom 3. 10. 1941 ausdrücklich außer Kraft getreten ist. Damit sind alle auf ihr beruhenden etwaigen Rechtsvorschriften oder sonstige allgemeine Regelungen ebenfalls außer Kraft getreten. Von dem Außerkrafttreten der gesetzlichen Grundlage werden regelmäßig auch alle auf Grund der Ermächtigung erlassenen Verwaltungsvorschriften und Allgemeinregelungen erfasst. Nur durch Übergangsbestimmungen kann der Gesetzgeber ausdrücklich eine Fortgeltung beschließen. Solche Übergangsregelungen sind jedoch im Binnenschiffsverkehrsgesetzes nicht enthalten.

Ebenso hat der FTB Nr. 100/2 nicht auf Grund der Verordnung über die Festsetzung von Entgelten für Verkehrsleistungen der Binnenschifffahrt vom 27. 7. 1957 (VkBI. 374) rechtsverbindlich eine neue Geltung erlangt. Nach § 1 dieser Verordnung wurden die vom Frachtenausschuss für den Rhein - FA Nr. 2/57 - beschlossenen Entgelte für Verkehrsleistungen der Binnenschifffahrt rechtsverbindlich festgesetzt, und zwar unter Ziffer 5 Tagesmietsätze für Kähne. Nach Abs. 2 der Bestimmung war der Wortlaut der Beschlüsse im FTB – Frachten und Tarifanzeiger der Binnenschifffahrt - Nr. 30 vom 27. 7. 1957 veröffentlicht. Die Rechtsverordnung vom 27. 7. 1957 erfasst damit nach dem Wortlaut eindeutig nur die Beschlüsse des Frachtenausschusses, die im FA Nr. 2/57 angeführt und im FTB Nr. 30 vom 27. 7. 1957 ihrem Wortlaut nach veröffentlicht sind. Nur diese Beschlüsse sind für rechtsverbindlich erklärt. In diesen Beschlüssen aber ist der Wortlaut des FTB Nr. 100/2 nicht aufgeführt, sondern nur die Erhebung eines Zuschlags von 50% unter Bezugnahme auf den Tarif FTB Nr. 100/2 vom 29. 12. 1951, wie die Klägerin zu Recht vorgetragen und die Beklagte nicht bestritten hat. Der Frachtenausschuss hatte in dem im FTB Nr. 30 angeführten Beschluss nur den 50%igen Zuschlag, nicht aber den Grundtarif bzw. die Wiedereinführung des FTB Nr. 100/2 beschlossen. Da gemäß § 29 BSchVG als Rechtsverordnung nur die genehmigten Beschlüsse des Frachtenausschusses erlassen werden, ist vorliegend Inhalt der Rechtsverordnung nur der Beschluss über die Erhebung des Zuschlags geworden. Ein von dem Beschluss abweichendes Mehr konnte der Bundesverkehrsminister in diesem Verfahren nicht als Rechtsverordnung erlassen. Dafür fehlte schon die gesetzliche Ermächtigung. Die Bezeichnung unter Ziffer 5 der Verordnung vom 27. 7. 1957 ist daher in ihrem Wortlaut ungenau und fehlerhaft. Sie beinhaltete nicht die Neueinführung eines FTB Tagesmietsätze für Kähne, sondern nur die Erhebung des Zuschlags. Desgleichen hat der ungültige FTB A Nr. 100/2 nicht durch seine ausdrückliche Bezugnahme in dem gültigen Beschluss über die Erhebung eines Zuschlages eine rechtsverbindliche Geltung erlangt. Das war schon deshalb nicht möglich, weil der FTB Nr. 100/2 durch den ausdrücklich in ihm angeführten Fristablauf am 15. 10. 1951 abgelaufen war. Ferner kann nach im Verwaltungsrecht allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen eine ungültige, inzwischen aufgehobene oder durch Fristablauf oder sonst unwirksam gewordene Vorschrift nicht dadurch rechtswirksam werden, dass auf sie in einer geltenden Rechtsvorschrift Bezug genommen oder hingewiesen wird. Des Weiteren genügt eine Bezugnahme nicht den für die Verkündung von Rechtsverordnungen nach dem Gesetz vom 30.1.1950 (aaO) festgelegten formellen Voraussetzungen. Danach ist grundsätzlich der volle Wortlaut einer Verordnung zu verkünden. Nur für genehmigte Verkehrstarife gilt gemäß § 2 Abs. 2 des Gesetzes die Ausnahme, dass der volle Wortlaut nicht in den Amtsblättern verkündet zu werden braucht, wenn in der Verkündung im Amtsblatt zumindest die genaue Bezeichnung des Tarifs und seiner Bezugsquelle verkündet ist. In der Verordnung vom 27. 7. 1957 ist aber weder der FTB Nr. 100/2 oder Nr. 100/3 noch ihre Bezugsquelle angegeben worden. Auch fehlt es an einer Angabe über Beginn und Ende der Geltung der Tarife FTB Nr. 100/2 oder Nr. 100/3.

Es kommt hinzu, dass nach Auffassung der Kammer die von der Beklagten verfügte Einziehung ferner nicht gerechtfertigt war, weil die FTB Nr. 100/2 und Nr. 100/3, selbst wenn sie gültig gewesen wären, nicht auf die von der Klägerin abgeschlossenen langfristigen Charterverträge anzuwenden waren. Nach ihrem Wortlaut und insbesondere nach ihrem Sinn galten sie nur für kurzfristige Mietverträge. Aus dem Wortlaut „Tagesmietsätze" ohne weitere Zufügung lässt sich entnehmen, dass der Tarif auf solche Verträge anzuwenden war, die die tageweise Anmietung von Kähnen betrafen. Auch eine Sinndeutung kommt zu dem gleichen Ergebnis. Zwischen kurzfristigen und langfristigen Mietverträgen für Kähne bestehen im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Bedeutung wesentliche Unterschiede.

Der Abschluss langfristiger Mietverträge fördert gerade eine planwirtschaftliche Verkehrsordnung. Dementsprechend ist in dem zur Zeit geltenden FTB Nr. 100/4 vom 6. 8. 1960 für Tagesmietsätze für Binnenschiffe (vgl. Frachten- und Tarifanzeiger der Binnenschifffahrt Nr. 32 vom 6. B. 1960) eine deutliche Unterscheidung zwischen kurzfristigen Mietverträgen von 30 Tagen und weniger, zwischen der Anmietung von Kähnen unter einem Jahr und zwischen langfristigen Mietverträgen für die Anmietung für ein Jahr und länger getroffen worden.