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Bf. 1 20/67 - Oberverwaltungsgericht (-)
Entscheidungsdatum: 05.04.1968
Aktenzeichen: Bf. 1 20/67
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberverwaltungsgericht Hamburg
Abteilung: -

Leitsätze:

1) Ein Schifferbetriebsverband kann sich gegenüber einem früheren Mitglied, das sich irrtümlich als Zwangsmitglied betrachtet hatte und nach Feststellung dieses Irrtums die gezahlten Beiträge vom Verband zurückfordert, nicht auf einen Fortfall der Bereicherung entsprechend § 818 Abs. 3 BGB berufen.

2) Der an den Schifferbetriebsverband zu zahlende Beitrag ist zwar eine öffentlich-rechtliche Abgabe, aber keine Steuer im Sinne der Abgabenordnung, so dass Verjährungs- und Ausschlussbestimmungen des Steuerrechts nicht anwendbar sind.

3) Schifferbetriebsverbände sind aufgrund der aus ihrer Hoheitsgewalt fließenden Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitgliedern verpflichtet, vor Entgegennahme der Beitragszahlungen die gesetzlichen Voraussetzungen für deren Erhebung, also das Vorliegen der jeweiligen Mitgliedschaft zu klären.

Hanseatisches Oberverwaltungsgericht

Urteil

vom 5. April 1968

Zum Tatbestand:

Der Kläger war Zwangsmitglied des beklagten Schifferbetriebsverbandes für die Elbe. Im Jahre 1955 ließ er das bisher im Binnenschiffsregister beim Amtsgericht Tangermünde eingetragene Schiff in das Binnenschiffsregister beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg umtragen, da er als Mitglied der Transportgenossenschaft zu Berlin die Schifffahrt von Berlin-West aus betrieb.

Nachdem das Verwaltungsgericht Hamburg in einem Urteil vom 17. 3. 1964 festgestellt hatte, dass der Kläger wegen Wechsel seines Heimatortes und damit Wegfalls der Voraussetzungen nach § 13 BSchVG seit 1955 als Zwangsmitglied aus dem beklagten Verband ausgeschieden sei, verlangte der Kläger die Erstattung eines Teilbetrages von DM 2500,- der an den Beklagten vom Mai 1955 bis April 1962 insgesamt gezahlten Beiträge von über DM 4000,-. Das Verwaltungsgericht gab der Klage nur in Höhe von etwa DM 850,-, das Hanseatische Oberverwaltungsgericht dagegen in voller Höhe statt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Zutreffend ist die Vorinstanz davon ausgegangen, dass der Beklagte sich auf einen Wegfall der bei ihm durch die Beitragszahlungen des Klägers entstandenen Vermögensvermehrung nicht berufen kann. Zweifelhaft erscheint eine solche Möglichkeit bereits deshalb, weil der Beklagte als staatlicher Verband nach genau festzulegenden und abzurechnenden Haushaltsplänen wirtschaftet (§§ 15 Abs. 2 Nr. 6, 16 Abs. 2 BSchVG), die nach den Grundsätzen des Haushaltsrechts weder „Luxusausgaben" (vgl. Palandt, Komm. z. BGB 27. Aufl. § 818 Anm. 6Aa) noch einen Gewinn, sondern allenfalls die Erzielung eines Überschusses erlauben, der nur zur Verminderung des Kreditbedarfs oder zur Schuldentilgung verwendet werden darf (§ 75 Reichshaushaltsordnung). So wird denn die in der Rechtsprechung früher verbreitete Ansicht, die Bestimmungen des § 818 Abs. 3 BGB seien, wie die der §§ 812 ff BGB überhaupt, Ausdruck allgemeiner Rechtsgedanken, die ohne weiteres auch im öffentlichen Recht anzuwenden seien, heute mit Recht nicht mehr vertreten.

Es würde gegen alle Vorstellungen eines an Treu und Glauben orientierten Verhaltens und gegen das Gerechtigkeitsdenken verstoßen, wenn der Beklagte, der als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Beiträge von seinen (wirklichen oder vermeintlichen) Mitgliedern nach §§ 17 BSchVG, 325 ff AO zwangsweise beitreiben kann, dem Rückgewährungsanspruch des Klägers durch Berufung auf den Wegfall der Bereicherung entgehen könnte, nachdem er unter Ausnutzung seiner hoheitlichen Gewalt objektiv unrechtmäßig Beiträge vom Kläger eingezogen hat (vgl. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht Bd. ll 2. Aufl. 1954 S. 622). Aus diesem Grunde scheidet auch eine „Saldierung" der gegenseitig erbrachten Leistungen aus; sie stehen nicht im synallagmatischen Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zueinander und lassen eine Verrechnung nach der zu § 818 Abs.3 BGB entwickelten Saldotheorie nicht zu (vgl. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts Bd. II 8. Aufl. 1967 S. 309 ff, 312).

Ausschluss- oder Verjährungsvorschriften stehen dem Klageanspruch nicht entgegen. Eine unmittelbare Anwendung der Verjährungs- und Ausschlussbestimmungen des Steuerrechts (§§ 143 ff, 153 AO) scheidet bereits deshalb aus, weil der an eine berufsständische Organisation zu zahlende Beitrag zwar eine öffentlich-rechtliche Abgabe darstellt, aber keine Steuer im Sinne der Abgabenordnung ist (§ 1 Abs. 1 AO; herrschende Meinung; siehe Nachweise bei Klein in DVBI. 1959 S. 315 ff, a. A. Vogel in DVBI. 1958 5.491 ff). Eine analoge Heranziehung der Verjährungsvorschriften der §§ 143 ff AO entfällt, weil diese Vorschriften auf die Ansprüche des steuerberechtigten Staates gegen steuerpflichtige Personen abgestellt sind, während es vorliegend um ein umgekehrtes Anspruchsverhältnis geht. Aber auch die analoge Anwendung der Ausschlussfrist des § 153 AO, die Erstattungsansprüche steuerpflichtiger Personen betrifft, ist abzulehnen, weil sich die kurz bemessene Ausschlussfrist der Vorschrift nur aus dem formellen, bis ins einzelne geregelten Steuerheranziehungsverfahren rechtfertigt.

Im Gegensatz zur Vorinstanz ist der erkennende Senat der Meinung, dass der Kläger auch mit der Rückforderung der bis zum 15. Mai 1961 entrichteten Beiträge nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt.

Richtig ist, dass der Grundsatz von Treu und Glauben als Ausfluss eines allgemeinen Rechtsgedankens auch im öffentlichen Recht seinen Platz hat (BVerwGE Bd. 9 S. 155, 160 ff). Auch wenn davon ausgegangen wird, dass nicht nur der Bürger Vertrauensschutz gegenüber dem Verhalten des Staates ge-nießt, sondern auch der Hoheitsträger von dem Bürger ein an dem Grundsatz von Treu und Glauben orientiertes Verhalten erwarten darf, so lässt sich doch im vorliegenden Fall ein entsprechender Verstoß beim Kläger nicht erkennen. In Betracht kommt, dass der Kläger sein Recht auf Rückforderung der für die Zeit vom 18. Mai 1955 bis zum 15. Mai 1961 entrichteten Beiträge verwirkt haben könnte.

Der Kläger hat glaubhaft vorgetragen, dass er keine Kenntnis davon hatte, dass die Voraussetzungen für seine Zwangsmitgliedschaft fehlten und ihm aus dieser Rechtslage ein Erstattungsanspruch gegenüber dem Beklagten erwuchs. Nun ist allerdings die subjektive Zurechenbarkeit als Rechtsmerkmal der Verwirkung nicht unumstritten (zweifelnd: BVerwGE Bd. 5 5. 136, 140; dafür: BVerwGE Bd. 6 5.204, 206; dazu Stich in DVBI. 1959 a.a.O.). Letztlich kann jedoch diese Rechtsfrage unentschieden bleiben, weil es für die Annahme einer Verwirkung vorliegend jedenfalls auch am Vertrauenstatbestand und an der Vertrauensgrundlage beim Beklagten fehlt: Der Beklagte hat gar nicht darauf vertrauen können, dass der Kläger seinen Erstattungsanspruch für die Zeit vom 18. Mai 1955 bis 15. Mai 1961 nicht mehr geltend machen würde, weil ihm, wie er selbst vorträgt, ebenfalls nicht bewusst war, dass dem Kläger ein solcher Anspruch zustand. Außerdem wäre ein solches Vertrauen des Beklagten auch nicht als schutzwürdig anzuerkennen. Denn er war auf Grund der aus seiner Hoheitsgewalt fließenden Fürsorgepflicht gegenüber dem Kläger vor allem selbst verpflichtet, vor Entgegennahme der Beitragszahlungen - einer öffentlich-rechtlichen Abgabe - die gesetzlichen Voraussetzungen für deren Erhebung, also das Vorliegen der Mitgliedschaft des Klägers zu klären. Demgegenüber war der Kläger als Abgabenpflichtiger nicht in dem Maße gehalten, sich Aufklärung zu verschaffen. Die Aufklärungspflicht des Beklagten entstand bereits, als das Schiff vom Vater des Klägers, der als Schiffseigner Mitglied des Beklagten gewesen war, auf den Kläger im April/Mai 1955 überging. Der Beklagte bescheinigte damals unter dem 16. April 1955 durch seine Berliner Zweigstelle ausdrücklich, dass die Schifffahrt von Berlin aus betrieben werde. Er muss sich die Kenntnis seiner dortigen Angestellten von dieser Tatsache, die im Zusammenhang mit der Registereintragung vom 18. Mai 1955 gemäß § 6 Binnenschiffsgesetz (BGBI. III 1960 Folge 10 S. 104) den Heimatort des Schiffes bestimmte, zurechnen lassen.

Wenn der Beklagte in Kenntnis der entscheidenden Tatsachen einem Rechtsirrtum unterlegen war oder sogar überhaupt keine Prüfung angestellt hat, so geht dies ebenfalls zu seinen Lasten. Denn die Entscheidung über die Zugehörigkeit des Klägers als Mitglied fällt jedenfalls in seinen Verantwortungs-bereich (vgl. Kählitz, Handkommentar zum BSchVG 1953 § 13 RdNr. 22). Für den Fall der Kenntnis der Sach- und Rechtslage durfte der Beklagte dagegen nicht ohne weiteres auf eine freiwillige Mitgliedschaft des Klägers schließen. Denn diese ersetzt nach § 14 Abs. 3 BSchVG die Zwangsmitgliedschaft nur dann, wenn und solange diese aus Gründen des § 14 Abs. 2 BSchVG nicht besteht, nicht aber dann, wenn sie wegen Fehlens einer gesetzlichen Voraussetzung des § 13 BSchVG beendet worden oder nicht zustande gekommen ist.

Der Kläger verstößt ferner nicht deshalb gegen Treu und Glauben, weil er seine Mitgliedsbeiträge zurückfordert, obwohl er aus der „Zugehörigkeit" zum Beklagten Vorteile gezogen hat. Dieser Umstand könnte zwar im Zivilrecht als venire contra factum proprium gewertet werden, wenn bei Zulassung des Rückforderungsanspruchs das Synallagma von Leistung und Gegenleistung gestört wurde (vgl. Soergel-Siebert a.a.O. § 242 Anm. 146 ff; Staudinger-Weber 11. Aufl. 1961 § 242 D 330). Für den öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Erstattung von Beiträgen, deren Zahlung nicht in einem so engen Austauschverhältnis mit den Verbandsleistungen steht (vgl. Forsthoff a.a.0. S.466 Nr.1), ist der Gedanke jedoch nicht verwendbar.

Letztlich kann es auch dahingestellt bleiben, ob die Mitgliedsbeiträge des Klägers sich unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben mit den Vorteilen saldieren ließen, die ihm aus den konkreten Leistungen des Beklagten erwachsen sind. Denn der von den insgesamt vom Kläger geleisteten Beiträgen in Höhe von über DM 4000,- mit der Klage geltend gemachte Teilbetrag von DM 2500,- bliebe bei einer Gegenrechnung angesichts der geringfügigen Leistungen, die der Kläger vom Verband in Anspruch genommen hat, in jedem Falle unberührt."