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II ZR 101/60 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 05.02.1962
Aktenzeichen: II ZR 101/60
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Unter Kurs im Sinne des § 37 Nr. 3 ist der Fahrtweg zu verstehen, den Berg- und Talfahrer zur gefahrlosen Vorbeifahrt zu wählen haben, nicht aber die Lage und Richtung ihres Schiffes im Augenblick der Zeichengebung. Die Verkehrslage und ihre Entwicklung im Laufe des Begegnungsmanövers kann es erfordern, daß auch der Bergfahrer nicht in gestreckter Lage, sondern nach der vom Talfahrer abgewendeten Seite fährt.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 5. Februar 1962

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg Ruhrort / Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

II ZR 101/60

Zum Tatbestand:

Das bei der Klägerin versicherte MS „A" (etwa 340t) fuhr an einem Dezemberabend gegen 18.00 Uhr bei Ruhrorter Pegelstand von nur 2,38 m, stürmischem Wetter und Dunkelheit auf der Duisburger Reede zu Berg. Etwa beim Parallelhafen begann „A" einen rechtsrheinisch mit einem Anhang fahrenden Bergschleppzug auf dessen Steuerbordseite zu überholen. Vor „A" fuhren 2 Motorschiffe hintereinander her, die den Schleppzug auf gleiche Weise überholten. Zu Tal kam das der Bekl. zu 1 gehörende, vom Bekl. zu 2 geführte Schleppboot „B" mit 2 längsseits gekuppelten Kähnen im Anhang, steuerbords Kahn „C" (1136 t) und backbords Kahn „D" (699 t). Sämtliche Bergfahrer und das Talboot gaben Blinkzeichen für Begegnung Steuerbord an Steuerbord. Trotzdem stießen MS
„A" und Boot „B" zusammen. Dabei geriet „A" zwischen die Kähne „C" und „D" und trennte sie. Kahn „D" kollidierte mit einem auf dem Tankschiffsliegeplatz oberhalb des Hafens Diergardt liegenden Kahn „E" und dann nochmals mit MS „A". Alle beteiligten Schiffe erlitten
Schäden.
Die Klägerin fordert von den Beklagten Ersatz des an MS „A" entstandenen Schadens mit der Behauptung, dass sich der Talzug zu weit nach rechtsrheinisch gehalten habe und dem MS „A" in den Kurs gefahren sei. Die Beklagten bestreiten und behaupten, MS „A" sei aus seinem Kurs nach Steuerbord gefahren.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Rheinschiffahrtsobergericht hat ihr jedoch dem Grunde nach zur Hälfte stattgegeben. Die Revision beider Parteien war erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

B" ist in der Mitte des 300 m breiten Stromes, allenfalls etwas mehr nach linksrheinisch hin, zu Tal gekommen; da der Stapel der drei linksrheinischen Ankerlieger höchstens 60 m aus dem linken Ufer lag, hat „B" nach der ausdrücklichen Feststellung des Berufungsgerichts das vorhandene Fahrwasser nach linksrheinisch hin praktisch nicht ausgenutzt. Hieraus folgt, daß für das Begegnen und gleichzeitige Überholen unzweifelhaft hinreichender Raum vorhanden gewesen ist (§ 37 Nr. 1 RheinSchPolVO). Damit entfällt jedes Vorrecht des begegnenden Talfahrers gegenüber dem überholenden Bergfahrer.
Da der weisungsberechtigte Bergfahrer durch sein weißes Blinklicht die Begegnung an Steuerbord vorgeschrieben hatte, mußte „B" so weit nach Backbord ausweichen, daß eine gefahrlose Vorbeifahrt gewährleistet war (§ 39 Nr. 1 RheinSchPolVO). Hierzu hatte der Schleppzug nach der rechtsfehlerfreien Feststellung des Berufungsgerichts, dessen Beweiswürdigung die Revision der Beklagten auch in diesem Punkt in unzulässiger Weise angreift, hinreichend Platz, ohne seine eigene Sicherheit zu gefährden. Dadurch, daß der Beklagte zu 2 es unterließ, den ihm zur Verfügung stehenden Durchfahrtsraum zum ausreichenden Ausweichen nach Backbord auszunutzen, statt dessen einen Kurs fuhr, der ihn bei der Begenung in die bei Dunkelheit besonders gefährliche Nähe des Bergfahrers bringen mußte, hat er gegen die Vorschrift des § 39 Nr. 1 RheinSchPolVO verstoßen.
Durch seine Weisung legt der Bergfahrer auch seinen eigenen Kurs im Sinne der von ihm verlangten Begegnung fest. Sein Weisungsrecht gibt ihm keinen Freibrief dafür, unbekümmert in gestreckter Lage weiterzufahren. Vielmehr hat er bis zur Beendigung der Begegnung seinen Fahrtweg so zu wählen, daß die Vorbeifahrt an der von ihm verlangten Seite sich gefahrlos vollziehen kann. Je nach der Verkehrslage und ihrer Entwicklung im Laufe des Begegnungsmanövers kann dieser Kurs ein gestreckter sein oder nach der vom Gegenfahrer abgewendeten Seite hin führen; auch der Bergfahrer muß seinen Kurs der jeweiligen Verkehrslage stets anpassen und seinerseits alles tun, um eine reibungslose Vorbeifahrt an der von ihm verlangten Seite zu gewährleisten. Erfüllt er diese Verpflichtung nicht, so verstößt er nicht nur gegen seine allgemeine nautische Sorgfaltspflicht, sondern auch gegen die in § 37 Nr. 3 getroffene Sonderregelung. Denn unter Kurs im Sinne des § 37 Nr. 3 ist der Fahrtweg zu verstehen, den Berg- und Talfahrer zur gefahrlosen Vorbeifahrt zu wählen haben, nicht aber die Lage und Richtung ihres Schiffes im Augenblick der Zeichengebung (vgl. BGH VersR 1959, 608, 609). Das Berufungsgericht hat daher recht, wenn es das Verschulden des Schiffsführers von „A" darin sieht, daß er trotz der erkannten gefährlichen Situation nicht nach Backbord gegangen, sondern - wie zu seinen Gunsten zu unterstellen ist - in gestreckter Lage weitergefahren ist.
Ein weiteres Verschulden des Bergfahrers ist darin zu sehen, daß er es entgegen der Vorschrift in § 38 Nr. 4 unterlassen hat, zusätzlich durch Schallzeichen Backbordsignal zu geben, als ihm in 200 m Entfernung vom Talfahrer auffiel, daß der Talzug „recht weit nach rechtsrheinisch geriet". Denn wenn der Talfahrer einen Kurs hält, der der Weisung des Bergfahrers zuwiderläuft, so steht zu befürchten, daß die Absicht des Bergfahrers vom Talfahrer nicht verstanden worden ist (Kählitz, Verkehrsrecht auf Binnenwasserstraßen II, RheinSchPolVO § 38 Anm. 15), wobei es für die Verpflichtung des Bergfahrers zur Abgabe des Schallzeichens gleichgültig ist, ob im konkreten Fall der Talfahrer diese Absicht richtig verstanden hat oder nicht. Im übrigen hätte der Bergfahrer das Schallzeichen auch wiederholen müssen, als die Gefahr des Zusammenstoßes immer deutlicher wurde (§ 37 Nr. 4 letzter Satz; Kählitz a.a.O. Anm. 16).
Der Kurs von „A" war aber darüber hinaus schon fehlerhaft, bevor ihr Schiffsführer den Talzug wahrgenommen hat. Da „A" in der Dunkelheit auf der Innenseite der Stromkrümmung fuhr und jederzeit mit Talfahrt gerechnet werden mußte, gebot ihrem Schiffsführer die nautische Sorgfaltspflicht, sich von der Strommitte möglichst weit entfernt zu halten und den Bergzug möglichst dicht anzuhalten, um nicht erst beim plötzlichen Auftauchen eines die Strommitte oder gar die rechte Fahrwasserhälfte befahrenden Talfahrers gezwungen zu sein, scharf nach Backbord zu gehen.
Das scharfe Anhalten des Bergfahrers in der Dunkelheit ist als grobes Verschulden des Talschleppers zu werten. Die dem Bergfahrer zur Last liegenden nautischen Fehler erscheinen in ihrem Zusammenhalt als eine grobe Vernachlässigung der nautischen Sorgfaltspflicht. Die Gleichbewertung des unfallursächlichen Verschuldens beider Schiffsführer durch das Berufungsgericht läßt keinen Rechtsfehler erkennen.