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II ZR 103/62 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 13.04.1964
Aktenzeichen: II ZR 103/62
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Zur Frage des Kursweisungsrechtes des Bergfahrers bei einer von dem üblichen Schiffahrtskurs abweichenden Kursweisung. § 38 Nr. 1 Abs. 2 BSchSO findet auf Seitenkanäle keine Anwendung.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 13. Januar 1964

(Schiffahrtsgericht Mannheim, Schiffahrtsobergericht Karlsruhe)

II ZR 103/62

Zum Tatbestand

Zwischen Neckar-km 119,6 und 119,7 stießen auf der linken Seite des Horkheimer Schiffahrts- und Kraftwerkskanals das leer zu Tal fahrende, bei der Klägerin versicherte MS „A" und das zu Berg fahrende, der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte, beladene MS „B" mit ihren Steuerbordvorschiffen zusammen.
Die Klägerin behauptet, daß MS „B" falschen Kurs gefahren sei, da es schiffahrtsüblich dem zu Tal fahrenden „A" die (geografisch) linke Seite der Wasserstraße hätte überlassen und durch richtige Ausnutzung des Weisungsrechts eine Begegnung beider Schiffe steuerbords von vornherein herbeiführen müssen.

Die Beklagten bestreiten eine derartige Schiffahrtsübung und führen den Zusammenstoß darauf zurück, daß MS „A" die Weisung des Bergfahrers (Nichtsetzen der blauen Flagge) nicht befolgt und sich nicht in der rechten Fahrwasserhälfte gehalten habe.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage wegen Alleinschuld des Beklagten zu 2 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Schiffahrtsobergericht hat die Berufung zurückgewiesen, jedoch die Revision zugelassen. Die Revision führte zur Aufhebung der Entscheidung und zur Rücküberweisung an das Berufungsgericht.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Bergfahrer handle schuldhaft, wenn er ohne zwingenden Grund von dem üblichen Kurs abweiche, kann in dieser Allgemeinheit nicht gebilligt werden. Der Satz könnte nur für den Fall gelten, daß nach den örtlichen Verhältnissen für ein gefahrloses Begegnen überhaupt kein anderer als der gebräuchliche Kurs in Frage käme, also nur dieser den für den Talfahrer geeigneten Weg bilden könnte. Die Feststellungen des Berufungsgerichts über die örtlichen Verhältnisse an der Unfallstelle berechtigten nicht zu einer solchen Annahme; von einem zwingenden Schiffahrtsbrauch kann nicht gesprochen werden. Ein Verschulden des Beklagten zu 2 kann daher nicht schon darin gesehen werden, daß er einen von dem üblichen Weg abweichenden Kurs gewiesen hat.
Es kommt also darauf an, ob der Beklagte zu 2 rechtzeitig und genügend den Kurs zur Vorbeifahrt an Backbord gewiesen und ob die Schiffsführung von „A" die Weisung nicht befolgt hat. Das Berufungsgericht geht anscheinend davon aus, daß der Talfahrer, als sich die beiden Fahrzeuge auf etwa 300 m oder mehr in Sicht bekamen, noch nicht erkennen konnte, daß der Bergfahrer keine blaue Flagge zeigte und damit gemäß § 38 Nr. 2 dem Talfahrer den Weg zur Vorbeifahrt an Backbord wies. Es fehlt aber eine Feststellung darüber, wann der Ausguck von „A" frühestens das erkennen konnte, und ob in diesem Zeitpunkt der Talfahrer der damit feststehenden Kursweisung des Bergfahrers für Backbordbegegnung noch ohne Gefahr hätte Folge leisten können, was vor allem für die Frage der Mitschuld der Führung von „A" von Bedeutung ist.
Was sodann die Schallzeichen anlangt, so ist im angefochtenen Urteil ausgeführt, der Talfahrer habe rechtzeitig zur Klarstellung seiner Kursabsichten entsprechende Signale (also Backbordsignal, zwei kurze Töne) gegeben. Dieser Satz zeigt, daß das Berufungsgericht die Rechtslage verkannt hat. Der Talfahrer muh von den Kursabsichten des Bergfahrers ausgehen; er muh sich fragen, welchen Fahrtweg der Bergfahrer wählt, wobei maßgebend ist, ob der Bergfahrer die blaue Seitenflagge (oder das Blinklicht) zeigt oder nicht; mit dem der Kursweisung des Bergfahrers entsprechenden Zeichen kann der Talfahrer die Lage klarstellen (vgl. den vom Senat entschiedenen Fall VersR 1961, 125, 126). Kann der Talfahrer die Steuerbordseite des Bergfahrers, an der die Zeichen zu setzen sind, nicht einsehen, fährt jedoch der Bergfahrer einen klaren Kurs, so kann der Talfahrer ein in Übereinstimmung mit diesem Kurs stehendes Zeichen für Backbord- oder Steuerbordbegegnung geben. Dagegen darf der Talfahrer seine eigenen Kursabsichten nicht in einer Weise „klarstellen", die nichts anderes bedeutet, als daß er  nunmehr dem Bergfahrer den Kurs weist, insbesondere ihm eine Änderung seines bisherigen Kurses vorschreibt. Das ergibt sich klar aus § 38 Nr. 4.
Wenn ein Bergfahrer eine von dem üblichen Kurs abweichende Kursweisung gibt und die Kurse beider Fahrzeuge nicht jede Gefahr des Zusammenstoßens ausschließen (§ 37 Nr. 2), so kann insbesondere an Fluhkrümmungen eine Zeichengebung des Bergfahrers nach § 38 Nr. 4 erforderlich sein. Im vorliegenden Fall muhte der Beklagte zu 2, wenn er seinen Kurs beibehalten wollte, das Signal zur Vorbeifahrt an Backbord (ein kurzer Ton) spätestens geben, als er das Steuerbordbegegnungssignal von „A" gehört hatte.
Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts läßt nicht erkennen, ob es die Vorschrift des § 10 mit Anlage 1 zur BSchSO beachtet hat. Ein Achtungssignal (§ 24 Nr. la) ist nur ein Ton von mindestens vier Sekunden Dauer, während die Dauer des kurzen Tones etwa eine Sekunde beträgt.
Aber selbst wenn „B" ein Achtungssignal gegeben haben sollte, wäre dieser Fehler nicht unfallursächlich, da das Signal auf MS „A" nicht gehört worden ist. Letzteres mühte aber der Besatzung von „A" zum Verschulden angerechnet werden; dies um so mehr, als sie auf das Sorgfältigste darauf zu achten hatte, wie „B" auf das von „A" abgegebene Signal reagieren werde. Die Klägerin hat keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergeben könnte, daß der Ausguckposten auf „A" in entschuldbarer Weise das Signal nicht hörte. Auch wenn zugunsten der Klägerin unterstellt wird, daß das von der Besatzung des MS „A" nicht gehörte Signal ein Achtungssignal war, würde damit ihr Verschulden nicht entfallen. Denn „A" durfte Backbordkurs nur nehmen, wenn „B" Backbordsignal, also zwei kurze Töne, gegeben hätte; das war aber unstreitig nicht der Fall.
Ein weiteres Verschulden des Beklagten zu 2 sieht das Berufungsgericht darin, daß er der als Bergfahrer zum Anhalten eine kürzere Strecke benötigt habe als das zu Tal fahrende MS „A", nicht ebenso wie „A" sein Schiff auf kürzeste Entfernung ständig gemacht habe. Für diese Ansicht des Berufungsgerichts fehlt es an einer ausreichenden Begründung. Im Tatbestand des erstrichterlichen Urteils ist festgestellt, daß der Zusammenstoß (je mit dem Steuerbordschiff) etwa 100 m unterhalb des Hochwasserabschlusses erfolgt sei. Nach dem (in der Beilagenmappe befindlichen) Lageplan liegt der Hochwasserabschluß bei Kanal km 119,760 (nicht 119,720, wie das Schiffahrtsgericht annimmt). Die Kollision hat daher etwa bei km 119,660 stattgefunden.

Um zu entscheiden, ob ein schwer beladener, 80 m langer Bergfahrer gegenüber einem leeren, 60 m langen Talfahrer bei einer Stromgeschwindigkeit von nur 0~,5 m/Sek. eher anhalten kann, bedarf es wohl der Anhörung eines Sachverständigen. Sollte die Anhaltestrecke für beide Schiffe gleich lang sein, und hätte durch rechtzeitiges Handeln beiderseits der Unfall vermieden werden können, so würde die Schiffsführung von „A" der gleiche Schuldvorwurf treffen wie die von „B".
Die Schiffsführung von „A" hat insbesondere deswegen fehlerhaft gehandelt, weil sie ohne entsprechende Kursweisung durch „B" Backbordkurs genommen hat (Schriftsatz der Klägerin v. 9. Februar 1961 S. 2 f)} und damit in die Fahrwasserhälfte gelangt ist, in der „B" schon zur Zeit des Insichtkommens gefahren ist. Dem Berufungsgericht kann nicht zugestimmt werden, wenn es meint, der Talfahrer habe darauf vertrauen dürfen, daß ihm der Bergfahrer das linksseitige Fahrwasser als den der (7bung entsprechenden und damit geeigneten Weg freigeben werde.
Ein geeigneter Weg stand dem Talfahrer auf der rechten Fahrwasserseite zur Verfügung. Der Vertrauensgrundsatz, der auch bei den üblichen Schiffahrtskursen eine Rolle spielt, geht nicht so weit, daß das Kursweisungsrecht des Bergfahrers mißachtet werden darf. Das würde eine erhebliche Gefährdung der Verkehrssicherheit bedeuten. Über den üblichen Schiffahrtsweg gibt es, wie auch der vorliegende Fall zeigt, häufig verschiedene Meinungen. Demgegenüber beruht das Kursweisungsrecht des Bergfahrers auf einer klaren und eindeutigen gesetzlichen Regelung, an der im Interesse der Verkehrssicherheit nicht gerüttelt werden darf. Die Bedeutung des Kursweisungsrechts des Bergfahrers, von dem nach der bestehenden gesetzlichen Regelung die Verkehrssicherheit auf Binnenwasserstraßen entscheidend abhängt, hat der Senat in seiner Rechtsprechung immer wieder betont (vgl. außer den genannten Urteilen die von VersR 1959, 608, 609; 1961, 1132, 1133 abgedruckten Entscheidungen). Hätte der Gesetzgeber dem üblichen Schiffahrtsweg die Bedeutung beigemessen, die ihm das Berufungsgericht gibt, so hätte er das Kursweisungsrecht für die Fälle aufgehoben, in denen nach dem Schiffahrtsbrauch von Berg- und Talfahrt ein bestimmter Kurs einzuschlagen ist. Gerade davon hat aber der Gesetzgeber im Interesse der Verkehrssicherheit abgesehen und das bedingungslose Weisungsrecht des Bergfahrers festgesetzt. Das bedeutet nicht eine Bevorzugung des Bergfahrers, da es ihm die Verantwortung für den geeigneten Weg des Talfahrers auferlegt. Mißachtet der Talfahrer das Kursweisungsrecht des Bergfahrers, so ist er nur entlastet, wenn ein Ausnahmefall des § 5 vorliegt.

Nach all dem muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Dabei wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, seine Ansicht über den von ihm angenommenen Schifffahrtsbrauch nochmals zu überprüfen, falls es darauf nach den vorstehenden Ausführungen ankommt.

Sodann fehlt im angefochtenen Urteil, wie die Revision mit Recht unter Hinweis auf den Schriftsatz der Beklagten vom 8. November 1961 rügt, jede Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Übung sich für alle Fahrzeuge, also auch für Einzelfahrer, und nicht nur für Schleppzüge herausgebildet hat. Auch darf sich das Gericht bei Feststellung des Schiffahrtsbrauches nicht wesentlich von der Tatsache beeinflussen lassen, daß eine gewisse Fahrweise zweckmäßig wäre.
Falls das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen sollte, daß kein Schiffahrtsbrauch festgestellt werden kann, könnte die zwischen den Parteien streitige Frage eine Rolle spielen, ob der Beklagte zu 2 nach § 38 Nr. 1 Abs. 2 verpflichtet war, dem Talfahrer „A" die linke Fahrwasserseite zu überlassen. Dabei ist freilich dem Berufungsgericht zuzustimmen, daß das Kursweisungsrecht des Bergfahrers nicht dadurch entfällt, daß er diese Pflicht verletzt; denn das Kursweisungsrecht wird nicht dadurch aufgehoben, daß der Bergfahrer davon einen falschen Gebrauch macht. § 38 Nr. 1 Abs. 2 ist aber im vorliegenden Fall überhaupt nicht anwendbar. Der Schiffahrts- und Kraftwerkskanal ist kein Flug, sondern als Seitenkanal eine künstliche Wasserstraße; die Vorschrift gilt aber nur für Flüsse. Aul3erdem weist der Kanal keine tiefe Seite des Fahrwassers (Grube)" auf; allein darauf stellt es das Gesetz ab, nicht auf die Strömung (Hang), mag auch an der Außenseite einer Flugkrümmung meist tiefes, schnell strömendes Wasser vorhanden sein. Zu einer ausdehnenden Auslegung der Vorschrift besteht kein Anlag, da der Bergfahrer schon noch § 38 Nr. 1 S. 2 verpflichtet ist, dem Talfahrer einen geeigneten Weg freizulassen; diese Pflicht versäumt der Bergfahrer, wenn der von ihm gewiesene Weg für den Talfahrer wegen starken Seitenwindes und starker Strömung gefährlich ist. Solche Umstände sind aber im vorliegenden Fall nicht festgestellt."