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II ZR 107/63 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 08.02.1965
Aktenzeichen: II ZR 107/63
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Schuldhaftes Unterlassen von Nebelsignalen beim Aufdrehen im Nebel. Solange ein fallengelassener Anker nicht gefaßt hat, liegt ein Schiff noch nicht vor Anker und gilt „als in Fahrt befindlich.

2) Fahrwasser ist der nach dem jeweiligen Wasserstand für die durchgehende Schiffahrt bezeichnete Teil des Stromes und braucht sich nicht mit der ausgebauten Fahrrinne zu decken, mangels einer dem § 54a BSchSO entsprechenden Vorschrift der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung auch dort nicht, wo auf dem Rhein Fahrwasserzeichen ausgelegt sind.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 8. Februar 1965

(Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)

 Zum Tatbestand:

Wegen plötzlich hereinbrechenden Nebels drehte das der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte MTS „B" bei Rhein-km 485,700 in der Talfahrt über Backbord auf. Vom linksrheinischen Grund lief) der Beklagte zu 2 sein Schiff wieder in Richtung Strommitte abgehen. Das der Klägerin gehörende MS „A", das dem TMS „B" von Nierstein ab im Morgengrauen gefolgt war, drehte wegen des plötzlichen Nebels im gleichen Raum ebenfalls über Backbord auf. Es stieg, nahezu in Querlage ankommend, mit seiner Steuerbordseite in Höhe des Laderaumes Nr. 2 an den Steven von „B" und sank innerhalb kurzer Zeit. Nebelsignale waren von beiden Schiffen nicht gegeben worden.
Die Klägerin hat die Hälfte ihres angeblichen Schadens eingeklagt. Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage dem Grund nach stattgegeben. Berufung und Revision blieben erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Mit Recht macht das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Schiffahrtsgericht dem beklagten Schiffsführer zum Vorwurf, er habe entgegen § 81 Nr. 1 RhSchPVO während seines Aufdrehens im Nebel kein Nebelsignal gegeben. Dag ein aufdrehendes Schiff in Fahrt befindlich' (§ 81 Nr. 1, § 1 k RhSchPVO) ist, steht außer Frage. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch angenommen, daß B' im Unfallzeitpunkt noch in Fahrt gewesen sei. Dies würde auch gelten, wenn man der Beurteilung dieser Frage ausschließlich die Aussage des damaligen Matrosen ,C', die sich die Revision zu eigen macht, zugrundelegen würde. Solange ein Anker, der fallen gelassen ist, noch nicht gefagt hat, liegt das Schiff noch nicht vor Anker und gilt daher als in Fahrt befindlich. Im übrigen kommt es, was die Revision verkennt, entscheidend nicht darauf an, ob das Schiff im Zeitpunkt der Kollision stillag, sondern darauf, daß während des Zeitraumes des Aufdrehens kein Nebelsignal gegeben worden ist.
Wie das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend angenommen hat, erforderten die Umstände des Falles, daß Nebelsignale in kürzeren Abständen als einer Minute abgegeben wurden. Je mehr A' sich der aufdrehenden B' näherte, desto stärker wären auf A' die Nebelsignale vernommen worden. Sie hätten, wie beide Vorinstanzen ohne Rechtsfehler annahmen, A' davon abgehalten, vor B' aufzudrehen. Hierdurch wäre der Unfall verhütet worden. Das kurz vor der Kollision gegebene Steuerbordsignal des MTS B' konnte den Lauf der Ereignisse nicht mehr ändern.
Die Vorinstanzen erheben gegen den beklagten Schiffsführer mit Recht den weiteren Vorwurf, er habe entgegen § 80 Nr. 4 RhSchPVO beim Anhalten das Fahrwasser nicht so weit wie möglich freigemacht. Im angefochtenen Urteil wird festgestellt, der Unfall habe sich bei km 485,850 etwa 100 m vom linken Rheinufer (Insel Kisselwörth) entfernt zugetragen. Dort verlaufe die Grenze des Fahrwassers bei dem gegebenen Pegelstand für Schiffe mit der Abladetiefe des MTS B' etwa 30 m aus dem linken Ufer. Innerhalb dieses Uferabstandes hätte das Schiff anhalten müssen.
Die von der Revision gegen die Feststellung des Kollisionsortes erhobenen Verfahrensrügen sind unbegründet.

Die Revision meint ferner, dadurch, daß an der linken Stromseite Fahrwassertonnen ausgelegt seien, sei die linke Fahrwassergrenze bestimmt gewesen. B' habe sich auf5erhalb dieser Abgrenzung befunden. Auch dieser Revisionsangriff geht fehl. Der erkennende Senat hat wiederholt (VersR 59, 662, 663; BGHZ 37, 69, 71) als Fahrwasser den nach dem jeweiligen Wasserstand für die durchgehende Schiffahrt bezeichneten Teil des Stromes bezeichnet. Das Fahrwasser braucht sich, wie in der zuletzt genannten Entscheidung dargelegt, nicht mit der ausgebauten Fahrrinne zu decken. Die Ansicht der Revision, auf dem Rhein würden sich beide Begriffe dort decken, wo Fahrwasserzeichen ausgelegt sind, ist rechtsirrig. Eine dem § 54a BSchSO entsprechende Vorschrift kennt die Rheinschifffahrtspolizeiverordnung nicht (vgl. Kählitz, Verkehrsrecht auf Binnenwasserstrafyen II, § 54a BSchSO Anm. II). Die Bekanntmachung der Wasser- und Schiffahrtsdirektionen Mainz und Duisburg vom 28. September 1955 (s. Kählitz a.a.O.) weist darauf hin, daß die ausgelegten Fahrwasserzeichen die von der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung unterhaltene Fahrrinne kennzeichnen. Durch diese Zeichen werden also auf dem Rhein die Grenzen der Fahrrinne, nicht die des Fahrwassers bestimmt. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht unter den hier gegebenen Umständen die linksseitige Grenze des Fahrwassers in einem Uferabstand von 30 m angenommen; die hierfür maßgebende Tiefenlinie von 1 m verläuft nach dem Sohlenplan nicht schlangenförmig, sondern nähert sich nur hin und wieder etwas mehr dem Ufer. Mit den Fahrwasserverhältnissen muß der Schiffsführer vertraut sein; dem beklagten Schiffsführer kann daher die Schutzbehauptung, er habe geglaubt, sich außerhalb des Fahrwassers zu befinden, nicht abgenommen werden. Wo der übliche Talkurs verläuft, ist für den Begriff des Fahrwassers gleichgültig. Zutreffend nimmt daher das Berufungsgericht an, die Führung von B' hätte innerhalb des Uferabstandes von 30 m anhalten müssen, um dem Gebot des § 80 Nr. 4 RhSchPVO zu genügen.
Außer Streit ist, daß die Schiffsführung von A' die Kollision dadurch schuldhaft mitverursacht hat, dass sie entgegen §§ 46 Nr. 2, 81 Nr. 1 RhSchPVO kein Aufdrehsignal und keine Nebelsignale gegeben hat.
Dagegen hat sich das Berufungsgericht den Vorwurf der Beklagten, A' habe zu spät aufgedreht, nicht zu eigen gemacht; denn die Nebelwand, in die das Schiff während des Aufdrehens hineingeraten sei, sei plötzlich aufgetreten. Was die Revision hiergegen vorbringt, geht nicht über den Rahmen unzulässiger Angriffe gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts hinaus.
Unbegründet ist der von der Revision wiederholte Vorwurf der Beklagten, A' habe einen falschen Kurs gefahren. Es war, wie auch das Berufungsgericht annimmt, richtig, daß das Schiff sein Aufdrehmanöver von der Strommitte aus ansetzte, um auf diese Weise mit kleinem Drehkreis am linken Ufer außerhalb des Fahrwasser zum Anhalten zu kommen. Dagegen wäre es nautisch verfehlt gewesen, wenn das Schiff, wie die Revision meint, am rechten Ufer zu Tal fahrend in weit ausholendem Bogen zum linken Ufer gefahren wäre.

Das Berufungsgericht hat das ursächliche Verschulden beider Schiffsführungen für gleich schwer gehalten und dementsprechend den Schaden im Verhältnis von 1 :1 geteilt. Die im angefochtenen Urteil hierfür gegebene Begründung läßt keinen Rechtsfehler erkennen.

Die Klage, mit der die Hälfte des entstandenen Schadens ersetzt verlangt wird, ist daher mit Recht als dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden."