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II ZR 122/61 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 02.05.1963
Aktenzeichen: II ZR 122/61
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Die Bundesrepublik genügt ihrer Verkehrssicherungspflicht, wenn sie bei der Prüfung der Fahrrinnentiefe des Rheins, insbesondere beim Absuchen des Strombettes nach Hindernissen jeder Art, den Peilrahmen genau auf die Solltiefe einstellt. Sie braucht keinen Sicherheitszuschlag vorzunehmen, um Gefahren der Schiffahrt, die bei Vorhandensein der Solltiefe wegen zu tiefer Abladung, der Sogwirkung anderer Schiffe oder aus sonstigen Gründen bestehen, zu verhüten oder zu vermindern.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 2. Mai 1963

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort / Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

II ZR 122/61


Zum Tatbestand

Das der Klägerin gehörende, zu Tal fahrende Motorschiff „A" hat durch Raken auf einem 10 m rechts von der Mitte des Rheinfahrwassers befindlichen Hindernis Schäden erlitten, und zwar zu einem Zeitpunkt, als die beklagte Wasser- und Schiffahrtsverwaltung durch ihre zuständige Dienststelle - wegen vorausgegangenen Rakens dreier anderer Schiffe an der gleichen Stelle - mit einem Peilrahmen gerade eine Querfahrt vom linken zum rechten Ufer durchführen ließ.
Im übrigen wird auf das erste Revisionsurteil vom 6. 11. 1958 - 11 ZR 298/56 - verwiesen (s. ZfB 1959 S. 161). Auf die damalige Zurückverweisung hin hat das Berufungsgericht die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte angenommen und die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision der Beklagten wurde der Rechtsstreit nun erneut an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Aus den Entscheidungsgründen

Der Senat hat bereits in seinem inzwischen erlassenen Urteil vom 29. März 1962 - II ZR 43/60 (BGHZ 37, 69, 72) ") darauf hingewiesen, daß die Beklagte den natürlichen Veränderungen, denen das Strombett, insbesondere die Stromsohle, ständig unterworfen sei, für den Bereich der Fahrrinne Rechnung tragen und für den übrigen Fahrwasserbereich natürliche und künstliche Hindernisse kennzeichnen müsse, sobald sie ihr bekannt würden. Daran ist festzuhalten. Der Revision kann nicht zugegeben werden, daß eine Aufsuchungs- und Beseitigungspflicht im vorliegenden Fall deshalb nicht bestanden habe, da der das Hindernis bildende Stein keinen festen Standort gehabt habe. Darauf kann es nicht ankommen; denn wenn ein Fahrzeug auf einem Hindernis rakt, so lägt sich noch gar nicht feststellen, ob es sich um einen beweglichen Stein handelt, der in kürzester Frist wieder verschwindet; um eine weitere Gefährdung der Schiffahrt zu vermeiden, muh nach einem solchen Hindernis sofort gesucht werden.
Jedoch ist der Revision beizutreten, wenn sie die Auffassung des Berufungsgerichts, daß hinsichtlich der Fahrwassertiefe nicht auf Zentimeter abgestellt werden könne, ablehnt. Die Beklagte bestimmt, wie der Senat in dem oben bezeichneten Urteil BGHZ 37, 71f ausgeführt hat, als Eigentümerin der Wasserstraße im Rahmen ihrer öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen, in welchem Umfange der Schiffsverkehr auf dem Rhein eröffnet ist; sie kann durch das Verhalten der Schiffahrt nicht gezwungen werden, die Fahrrinne zu vertiefen. Vielmehr hat sich die Schiffahrt bei der Abladung auf die Solltiefe der befahrenen Strecke einzustellen und den Sicherheitsabstand („Flohwasser") zur Sohle in ihrem eigenen Interesse so zu wählen, daß jede Grundberührung ausgeschlossen ist. Dazu mögen ihr gewisse „Faustregeln" eine Hilfe bieten. Ob diese Faustregeln jede denkbare Gefahrensituation berücksichtigen (hier z. B. den Sog, der von dem quer nach dem linksrheinischen Ufer fahrenden Peilrahmen etwa auf das Vorschiff des dicht am Peilrahmen stromabwärts fahrende MS „A" wirkte), bedarf keiner Prüfung. Denn falls die Berührung mit einem unterhalb der Sollsohle befindlichen Gegenstand stattfindet, geht das ausschließlich zu Lasten der Schiffahrt, gleichgültig, ob dabei ihrerseits ein Verschulden vorliegt oder nicht. Die Verkehrssicherungspflicht muß so weit als möglich klar abgegrenzt werden. Die Beklagte handelt daher nicht fehlsam, wenn sie bei ihren Sucharbeiten den Peilrahmen auf den Zentimeter der Solltiefe abstellt. Hieraus ergibt sich aber gleichzeitig, daß die Beklagte im vorliegenden Fall ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht genügt hat. Mit Recht führt das Berufungsgericht aus, daß der Unfall von „B" die Beklagte hätte veranlassen müssen, sofort die Suchaktion einzuleiten und durchzuführen.
Der Peilrahmen hatte am 23. August beim Einstellen auf die Solltiefe eine „ganz leichte Grundberührung, die zeigte, daß hier die Soll-Sohle gerade erreicht war", was das Amt pflichtgemäß veranlagte, das (wenn auch geringfügige) Hindernis zu kennzeichnen.

Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, daß eine Feststellung darüber, daß das Hindernis erheblich über die Soll-Sohle hinausragte, nicht getroffen werden könne; dem stehen die hier obwaltenden Umstände (scharfes Einschwenken des Motorschiffs hart hinter dem weichenden Peilrahmen, Berührung und mögliche Veränderung des Hindernisses durch das Raken von „C", tiefe Abladung des MS „A", festgestellte Höhe des Hindernisses am nächsten Tag) entgegen. Offensichtlich beeinflußt von seinem irrigen Standpunkt, bei der Abrahmung dürfe nicht auf den Zentimeter abgestellt werden, hat das Berufungsgericht jedoch die Frage nicht geprüft, ob, ordnungsgemäße Abladung vorausgesetzt, bei einer Berührung mit einem so geringfügig über die Soll-Sohle hinausragenden Hindernis überhaupt ein Schaden am MS „A" entstanden wäre; die nicht selten vorkommenden Grundberührungen brauchen nicht stets zu Schaden zu führen. Adäquat verursacht ist nur ein Schaden, der durch das (ganz geringfügige) Hineinragen des Hindernisses in die Solltiefe entstanden ist. Ob es hiernach zu einer Beschädigung des Fahrzeuges gekommen wäre, ist eine dem Tatrichter obliegende, gemäß § 287 ZPO vorzunehmende Prüfung. Da die Frage nicht geprüft ist, unterliegt das angefochtene Urteil der Aufhebung.

Sowohl für die Frage, ob der Klägerin ein Schaden auch bei einem Hindernis von so geringfügiger Höhe entstanden wäre, als auch für die Frage des mitwirkenden Verschuldens ist die Abladung des klägerischen Motorschiffs entscheidungserheblich. Auch insoweit ist das angefochtene Urteil rechtlich nicht bedenkenfrei
(wird ausgeführt).