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II ZR 124/63 - Bundesgerichtshof (-)
Entscheidungsdatum: 25.01.1965
Aktenzeichen: II ZR 124/63
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: -

Leitsätze:

1) Auch der in Schrägfahrt den Übergang vollziehende Bergfahrer weist dem Talfahrer gemäß § 38 Nr. 1 S. 1 RhSchPVO den Weg.

2) Es würde eine Überspannung der Sorgfaltspflicht bedeuten, wenn verlangt würde, daß ein Bergfahrer entgegen seiner zunächst gegebenen Weisung, daß der Talfahrer an Steuerbord vorbeizufahren hatte, sich plötzlich und im letzten Augenblick zur Vorbeifahrt an Backbord entschließen sollte, wenn innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne ein so schwerwiegender Beschluß zu fassen ist, der keine Sicherheit für die Vermeidung eines Zusammenstoffes bietet.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 25. Januar 1965

(Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Das dem Beklagten gehörende und von ihm geführte beladene MS „B" folgte bergwärts bei St. Goar dem Kurs von MS „C" und anderer vor diesem fahrenden Bergmotore. Nach Übernahme des Lotsen in Höhe der Anlegestelle der Fähre war „B" im Begriff, den hier üblichen Übergang zum rechten Ufer durchzuführen, als das der Klägerin gehörende, leere TMS „A" talwärts um das Bankeck herumkam. „A" begegnete den Bergfahrern Steuerbord an Steuerbord. Gleich nach dem Passieren von „C" zog „A" die blaue Seitenflagge ein und fuhr mit Steuerbordkurs scharf zum rechten Ufer, während „B" mit Backbordkurs ebenfalls zum rechten Ufer hinüberwechselte. Dort fuhr „B" mit dem Bug gegen das Backbordvorderschiff von „A", wodurch beide Schiffe beschädigt wurden. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach zu 1/3 für gerechtfertigt erklärt. Das Rheinschifffahrtsobergericht hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Die Revision der Klägerin blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, daß ein Bergfahrer diese Eigenschaft nicht dadurch verliert und Querfahrer wird, daß er in Schrägfahrt den Übergang zum anderen Ufer macht. Auch der in Schrägfahrt den Übergang vollziehende Bergfahrer weist daher nach § 38 Nr. 1 S. 1 RhSchPVO dem Talfahrer den Weg. Das kommt in der Entscheidung des erkennenden Senats vom 28. April 1960 II ZR 68/59 (VersR 1960, 535) zum Ausdruck, da dort dem Querfahrer das Weisungsrecht gerade solange versagt ist, als er nicht zur Bergfahrt übergegangen ist.
In eingehender Beweiswürdigung ist das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Rheinschiffahrtsgericht zu der Überzeugung gekommen, daß der Bergfahrer B' während des Übergangs die blaue Seitenflagge gezeigt und damit dem Talfahrer A die Begegnung an Steuerbord vorgeschrieben hat (§ 38 Nr. 3 RhSchPVO). Die Revision hält das Beweisergebnis für zweifelhaft; die Feststellung des Berufungsgerichts ist jedoch für das Revisionsgericht bindend (§ 561 Abs. 2 ZPO). Ohne Rechtsfehler hält das Berufungsgericht die Mißachtung der Weisung des Bergfahrers durch den Talfahrer für einen auf Fahrlässigkeit beruhenden groben Verstoß gegen die Begegnungsregel, auf den die Kollision zurückzuführen ist.
Mit der Revisionsbegründung macht die Klägerin der Führung von B' den Vorwurf, sie habe unterlassen, die Fahrt zu verlangsamen und ihren Kurs nach Steuerbord zu richten, als sie erkannt habe, daß A' die Kursweisung nicht befolge. Dieser Revisionsrüge muß der Erfolg versagt bleiben. Es kann schon sehr zweifelhaft sein, ob solche von der Revision geforderten Maßnahmen den Zusammenstoß verhütet hätten. Die Fahrtherabsetzung allein hätte hierzu sicher nicht ausgereicht, zumal wenn man berücksichtigt, daß nach der nicht widerlegten Behauptung des Beklagten das Schiff vor dem Zusammenstoß gestoppt worden ist und B' gegen das Vorschiff von A' geraten ist. Das Unterlassen einer Änderung des Kurses nach Steuerbord kann der Führung von B' jedenfalls nicht zum Verschulden angerechnet werden. Die Schuldfrage darf nicht rückblickend unter Berücksichtigung der Vorgänge, wie sie sich dann tatsächlich abgespielt haben, sondern muß von der Situation aus beurteilt werden, wie sie für die Führung von B' in dem Augenblick gegeben war, als ,A' eindeutig Steuerbordkurs einschlug. Der Abstand beider Schiffe betrug in diesem Zeitpunkt 200 m. Die Geschwindigkeit ihres Schiffes hat die Partei B' mit 6 km/h, die des gegnerischen Schiffes mit 18 km/h angenommen. Die Partei A' hat hierzu keine Ausführungen gemacht. Wenn auch die Annahme einer Geschwindigkeit von 18 km/h hoch erscheint, so muh doch zugunsten des Beklagten eine solche von mindestens 14 km/h unterstellt werden. Dann stand aber der Führung von B' nur wenig mehr als eine halbe Minute zur Verfügung, um den der Vorschrift des § 37 Nr. 3 RhSchPVO glatt widersprechenden, wenn auch wohl durch § 5 RhSchPVO gedeckten Entschlul3 zu fassen, entgegen der gegebenen Weisung die Vorbeifahrt an Backbord durchzuführen. Es würde eine Überspannung der Sorgfaltspflicht bedeuten, wollte man von der Führung von B' fordern, innerhalb dieser kurzen Zeitspanne einen so schwerwiegenden Entschlug zu fassen, der keine Sicherheit für die Vermeidung eines Zusammenstoßes bot."