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II ZR 12/59 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 13.10.1960
Aktenzeichen: II ZR 12/59
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Zur Wirkung von Neerströmen zwischen Buhnenköpfen. Das Abtreiben eines vor Anker gegangenen Schiffes muß nach allen Regeln der Erfahrung auf unzureichende Befestigung oder die Wahl eines ungeeigneten Liegeplatzes zurückgeführt werden.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 13. Oktober 1960

II ZR 12/59

Zum Tatbestand:

Das Motorschiff „A" war an einem Januarabend bei km 802 linksrheinisch zwischen zwei Buhnenköpfen außerhalb der Buhnenstreichlinie vor Anker gegangen. Später hat in der Nähe dieses Motorschiffes ein Schleppzug geankert, bestehend aus dem Vorspannboot „B" und dem Hauptschlepper „C", beide der Beklagten zu 1 gehörend, geführt von dem Beklagten zu 2 und 3, sowie den Kähnen „D" und „E". Nach einiger Zeit fiel MS „A" mit Kopf zur Backbordseite und geriet abtreibend vor den Kopf von Kahn „D". Nach der Darstellung der Klägerin, die als Versicherin des MS „A" Schadensersatzforderungen gegen die Beklagten geltend macht, hat das Vorspannboot „B" an dem Buhnenkopf oberhalb von MS „A" gelegen, während Kahn „D", mit Schlepper „C" an seiner Steuerbordseite, an dem Buhnenkopf unterhalb von MS „A" geankert hat. Dadurch sei an beiden Buhnenköpfen die Strömung erhöht und der Neerstrorn zwischen den Buhnen so verstärkt worden, daß er das Vorschiff von MS „A" nach Strommitte abgedrückt und „A" von seinen 2 Ankern gerissen habe. Die Klage auf Ersatz der an MS „A" entstandenen Schäden wurde in 1. und 2. Instanz abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Ansicht der Klägerin, nach der Lebenserfahrung spreche eine Vermutung für ein ursächliches Verschulden der beklagten Schiffsführer, sei selbst dann nicht zutreffend, wenn „A" längere Zeit vor der Ankunft des Schleppzuges ruhig vor seinen beiden Ankern gelegen hätte. Wenn ein ankerndes Schiff loskomme und abtreibend Schaden anrichte, so sei nach allen Regeln der Erfahrung ein derartiges Abtreiben auf unzureichende Befestigung oder die Wahl eines ungeeigneten Liegeplatzes zurückzuführen. Unzureichende Verankerung und ungünstige Stromverhältnisse könnten sich sehr allmählich auswirken. „A" habe zwischen zwei Buhnen bei hohem, noch wachsendem Wasser im Wirkungsbereich der dort herrschenden Neerströme geankert, deren Wirkung erst nach einer gewissen Zeit des Loskommens von den Ankern habe herbeiführen können. Unter diesen Umständen müsse die Klägerin ein ursächliches Verschulden der beklagten Schiffsführer beweisen.
Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe den Antrag der Klägerin auf Vernehmung eines Sachverständigen über ihre Behauptung, ein Motorschiff, das hinter zwei Ankern fast zwei Stunden ruhig gelegen habe, könne nicht ohne Einwirkung dritter Fahrzeuge ins Treiben geraten, übergangen. Die Rüge ist nicht begründet. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Erfahrungssatz für die unter Beweis gestellte Behauptung der Klägerin besteht. Die Revision übersieht, daß nach der Feststellung des Berufungsgerichts „A" bei hohem, noch wachsendem Wasser im Wirkungsbereich von Neerströmen gelegen habe. Wenn das Berufungsgericht unter diesen Umständen die Anwendung des von der Klägerin behaupteten Erfahrungssatzes für den vorliegenden Fall ablehnt, so liegt darin kein Rechtsfehler. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat genügend Sachkunde, um hierüber ohne Zuziehung eines Sachverständigen zu entscheiden. Die Klägerin trägt daher, ohne daß ihr ein Beweis des ersten Anscheins zu Hilfe kommt, die volle Beweislast für das ursächliche Verschulden der beklagten Schiffsführer.
Das Gutachten des Sachverständigen der Klägerin ist darauf aufgebaut, daß „A" zwischen zwei Buhnen, „B" unmittelbar neben der oberen Buhne und „D" mit „C" in Höhe der unteren Buhne gelegen habe. Die Klägerin hat selbst diese von ihr behaupteten Tatsachen als ausschlaggebend bezeichnet. Die Feststellung der Lage der Schiffe ist keine Sachverständigenfrage. Die von der Klägerin behauptete Position der Schiffe sieht das Berufungsgericht nicht als bewiesen an. Daß das vom Berufungsgericht allein festgestellte Ankern des Schleppzuges in der Nähe von „A" auch unter Berücksichtigung des zeitlichen Ablaufes der Ereignisse zur Annahme eines schuldhaften Verursachens des Unfalles durch die beklagten Schiffsführer nicht genügt, konnte das Berufungsgericht ohne Anhörung eines Sachverständigen entscheiden.
Das Berufungsgericht würdigt die Zeugenaussagen rechtfehlerfrei dahin, daß entgegen der Meinung des Sachverständigen der Klägerin ausreichende Feststellungen hinsichtlich der Lage der Schiffe zueinander und im Verhältnis zu den Buhnen nicht getroffen werden konnten. Damit ist den gutachtlichen Schlußfolgerungen des Sachverständigen die tatsächliche Grundlage entzogen.