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II ZR 128/63 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 22.03.1965
Aktenzeichen: II ZR 128/63
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Das Wenden zu Tal ist wegen Verstolles gegen § 4 RhSchPVO unzulässig, wenn das wendende Fahrzeug mangels ausreichender Abstände zwischen den Einheiten der Anschluß fahrenden Talfahrt sich nicht in diese einreihen kann und es daher nach dem Wenden eine nach § 51 Nr. 1 RhSchPVO verbotene Parallelfahrt ausführen muß.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 22. März 1965

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort / Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Nach vorübergehend wegen Nebels bei km 827/828 eingestellter Fahrt setzen sich zahlreiche stilliegende Schiffe, langsam und besonders in der Talfahrt Anschluß fahrend, wieder in Bewegung, so dass das Revier stark belegt war. U. a. wendete der der Beklagten zu 1 gehörende und vom Beklagten zu 2 geführte Motorschlepper D mit 2 nebeneinander gemeerten Anhängen vom linksrheinischen Ufer kommend über Backbord zu Tal. Das TMS E überholte im gleichen Raum einen linksrheinisch fahrenden Bergzug.
Rechtsrheinisch fuhr das der Klägerin gehörende MS A mit Kahn K (backbords) und dem Kahn S (steuerbords) im Anhang zu Tal. Diesem Schleppzug begegnete Steuerbord an Steuerbord ein Schleppzug, bestehend aus dem Boot A, dem Vorspannboot B und dem auf einem 120 bis 150 m langen Strang hängenden Kahn De. Bei der Begegnung kam es zum Zusammenstoß zwischen De und S; letzterer stieß darauf gegen K. Alle drei Schiffe wurden beschädigt. Die Klägerin hat den an S entstandenen Schaden ersetzt.
Sie verlangt Schadensersatz von den Beklagten mit der Begründung, daß der D-Schleppzug beim Wenden den A-Talzug nach Steuerbord abgedrängt habe und außerdem mehr als einen Kilometer mit unzulässig geringem Zwischenraum neben diesem Schleppzug hergefahren sei. Durch E sei das Fahrwasser wegen dessen unzulässigem Überholmanöver eingeengt worden, so daß der A-Talzug nicht nach Backbord habe ausweichen können. Der Eigner von De ist dem Rechtsstreit auf der Seite der Klägerin als Nebenintervenient beigetreten. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage gegen die Beklagten zu 1 und 2 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Klage gegen E abgewiesen. Die Berufung der Beklagten und der Klägerin wurde zurückgewiesen. Hiergegen haben nur die Beklagten Revision eingelegt, die jedoch erfolglos blieb.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß nach der von ihm festgestellten Lage im Revier der Schleppzugführer von D nicht zu Tal wenden durfte. Das Wenden zu Tal ist wegen Verstoßes gegen § 4 RhSchPVO unzulässig, wenn das wendende Fahrzeug mangels ausreichender Abstände zwischen den Einheiten der Anschlug fahrenden Talfahrt sich in diese nicht einreihen kann und es daher nach dem Wenden eine nach § 51 Nr. 1 RhSchPVO verbotene Parallelfahrt ausführen muß. Das war hier der Fall. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht mit Recht auch einen Verstoß gegen § 47 Nr. 1 RhSchPVO angenommen, weil der A-Zug durch das Wendemanöver gezwungen gewesen sei, unvermittelt seinen Kurs nach Steuerbord zu verlegen. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der A-Zug nach Steuerbord ausgewichen ist; es konnte aus der Tatsache, daß D beim Wenden bis auf 2 m an die Anhangkähne des MS A herangekommen ist, den Schlug ziehen, daß A unvermittelt nach Steuerbord abgehen mußte, um seine Anhangkähne vor der vom Boot D drohenden Gefahr zu schützen. Ob D sein Wenden durch Schallsignal angekündigt hat, ist unerheblich, da der Führer des A-Schleppzuges auch bei einer solchen Ankündigung in Anwendung seiner nautischen Sorgfaltspflicht wegen der Anschlug fahrenden Talfahrt keine andere Maßnahme ergreifen konnte, als nach Steuerbord auszuweichen.
Da der Parallelfahrer nach § 51 Nr. 1 RhSchPVO zu beweisen hat, daß der verfügbare Raum ohne Störung oder Gefährdung der Schiffahrt das Fahren in gleicher Höhe gestattet, muß zu Lasten der Beklagten auch unterstellt werden, daß E den Salf-Zug im Unfallbereich überholt hat. Nach alledem kann keine Rede davon sein, daß die Beklagten die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Fahrens auf gleicher Höhe bewiesen hätten. Der Fahrer von D hat daher sowohl gegen § 51 Nr. 1 RhSchPVO verstoßen als auch in unzulässiger Weise zu Tal gewendet.
Aber auch abgesehen von den Feststellungen über die Parallelfahrt hat das unzulässige Wendemanöver die Kollision schon deshalb verursacht, weil der Führer des D-Schleppzuges nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil durch sein Wenden den A-Zug gezwungen hat, unvermittelt nach Steuerbord auszuweichen, der A-Zug dadurch in den zum rechten Ufer gehenden Hang geriet und wegen des starken Seitenwindes und der nur 30 bis 40 m voraus liegenden Talfahrt es schwierig, wenn nicht unmöglich war, die verfallenen, fast leeren Anhangkähne durch das fast treibende, lange MS A aus dem Hang herauszuziehen.
Wie bereits ausgeführt, ist nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht bewiesen, daß die Schiffsführung von MS A bei dem Versuch, die Anhänge aus dem Hang herauszuziehen, nautisch fehlerhaft gehandelt habe. Dies gilt um so mehr, als zu Lasten der beweisfälligen Beklagten unterstellt werden muß, daß das MS A wegen des überholenden TMS E die Köpfe seiner Anhangkähne nicht weiter nach Backbord ziehen konnte. Da nicht bewiesen ist, dass MS A weiter nach Backbord hätte halten können, kommt es nicht darauf an, ob der Führer des MS A, wie die Revision meint, bei seinen nautischen Erwägungen einen Zusammenstoß seines an der Backbordseite hängenden Kahnes mit dem Boot D hätte in Kauf nehmen müssen, ganz abgesehen davon, daß insoweit dem Führer von MS A kein Schuldvorwurf gemacht werden könnte."