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II ZR 138/63 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 18.03.1965
Aktenzeichen: II ZR 138/63
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Den Führern von Anhängen im Schleppzug obliegt die selbständige Aufgabe, daß ein Verfallen der Kähne verhindert wird und die Anhänge im Rahmen ihrer Steuerfähigkeit in der Weise hinter dem Boot fahren, daß eine gegenseitige Beschädigung der Fahrzeuge, eine Behinderung der Schiffahrt sowie die Beschädigung der Ufer und von Anlagen jeder Art vermieden werden.

2) Der Schleppzugführer hat sich davon zu überzeugen und ist dafür verantwortlich, daß die Anhänge den durch die jeweilige Situation gebotenen richtigen Kurs einschlagen. Diese Verantwortung des Schleppzugführers besteht selbständig neben der Verantwortung des Kahnführers für richtiges Nachsteuern.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 18. März 1965

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort / Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Ein Schleppzug, bestehend aus dem dem Beklagten zu 1 gehörenden und von ihm geführten Boot D sowie den der Beklagten zu 2 gehörenden, nebeneinander auf einer Länge gekoppelten, beladenen Anhangkähnen B (959 t) - steuerbords, geführt vom Beklagten zu 3 - und R (1497 t) - backbords, geführt vom Beklagten zu 4 - begegnete auf der Talfahrt unterhalb der Düsseldorf-Neußer Straßenbrücke dem Kabelleger E der damit beschäftigt war, vom rechten Rheinufer aus in etwas schräger Berglage zum linken Ufer hin Kabel der Bundespost durch das Flugbett zu verlegen. Der Kabelleger hatte an der Steuerbordseife eine rot-weiße Tafel und an der Backbordseite eine rote Tafel gesetzt. Weiter oberhalb wahrschaute ein Boot der Wasserschutzpolizei die Arbeiten im Strom. Der Schleppzug fuhr gemäß den gegebenen Zeichen zwischen E und linkem Ufer hindurch. Dabei geriet das Steuerbordachterschiff von B gegen die an der Steuerbordseite von E angebrachten, um 2,20 m über die Außenbordwand hinausragenden Träger einer Arbeitsbühne. Neben Schäden an E und B entstand sehr großer Sachschaden an den von E verlegten Kunststoffrohren.
Die Klägerin verlangt aufgrund eigener und von der Bundespost übertragener Rechte Schadensersatz mit der Behauptung, daß der Schleppzug nicht zügig durchgefahren sei und entgegen den gesetzten Zeichen den Kurs zu weit nach Steuerbord genommen habe, obwohl zwischen E und linkem Ufer 120 m Raum gewesen sei. Außerdem seien die Anhänge nicht richtig nachgesteuert worden. Der Schleppzugführer habe den fehlerhaften Kurs der Anhänge nicht durch entsprechende Anweisungen richtiggestellt.
Die Beklagten bestreiten jedes Verschulden, behaupten ein mitwirkendes Verschulden von E oder geben sich gegenseitig die Schuld, wie z. B. der Beklagte zu 1, der beanstandet, daß das Ruder auf Kahn R zur Unfallzeit einem Matrosen überlassen war.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde lach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufungen der Beklagten sind zurückgewiesen worden. Auch die Revision blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, daß bei dem vom Boot eingehaltenen, auf E gerichteten Kurs die Führer der Anhangkähne verpflichtet und in der Lage waren, ihre Fahrt hinter dem Boot um eine Schiffsbreite nach Backbord zu verlegen, um ein Risiko bei der Vorbeifahrt an dem Kabelleger auszuschließen. Unter Berufung auf die Entscheidung des Senats in BGHZ 28, 84, 87f meint die Revision der Beklagten zu 2 bis 4, die Anhangkähne seien nur gehalten gewesen, ihren bisherigen Kurs hinter dem Boot beizubehalten; sie hätten darauf vertrauen dürfen, daß das Boot den richtigen Kurs wählte, auch dann noch, als sie erkannt hätten, daß das Boot nicht so frühzeitig nach Backbord ausbog, wie sie vielleicht erwarteten, zumal vom Schleppzugführer keine Weisungen erteilt worden seien; ein eigenmächtiges Handeln der Kahnführer wäre nur in Frage gekommen, wenn sie sich in bedrängter Lage befunden hätten und eine Verständigungsmöglichkeit mit dem Schleppzugführer gefehlt hätte.
Die Revision verkennt die Pflichten der Kahnführer eines fahrenden Schleppzuges. Ihre wesentlichste Pflicht ist das richtige Nachsteuern. Diese hat nicht ein eigenmächtiges Handeln, sondern eine ihnen im Schleppverband zukommende - selbständige - Aufgabe (BGHZ aaO S. 87) zum Inhalt. Sie bedeutet zunächst, dal7 die Kahnführer so zu steuern haben, daß ein Verfallen der Kähne verhindert wird. Sie bedeutet darüber hinaus, daß die Anhangkähne im Rahmen ihrer Steuerfähigkeit in der Weise hinter dem Boot fahren, dal3 gegenseitige Beschädigung der Fahrzeuge, Behinderung der Schiffahrt sowie Beschädigung der Ufer und von Anlagen jeder Art vermieden werden (§ 4 RhSchPVO). Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß das Herausliegen des Kahnes B mit seiner Schiffsbreite nach Steuerbord aus der Kiellinie des Bootes ein Risiko bedeutete, das immer größer wurde, je mehr sich das Boot mit seinem auf E gerichteten Kurs diesem Schiff genähert hat. Dieses Risiko zu vermeiden oblag den Kahnführern, insbesondere auch dem Schiffsführer von R als dem Führer des größeren Kahns, als ihre eigene, selbständige Pflicht. Das Risiko wäre nur dann ausgeschlossen und die Beibehaltung der bisherigen Fahrweise der Kähne hinter dem Boot nautisch zu rechtfertigen gewesen, wenn das Boot nach Insichtkommen des Kabellegers seinen Kurs auf die Durchfahrt zwischen Kabelleger und linkem Ufer genommen hätte. Je länger aber das Boot seinen auf E gerichteten Kurs beibehielt, desto mehr muhten sich die Kahnführer ihrer Pflicht bewußt werden, in der Weise nachzusteuern, daß ihre Begegnung mit dem Kabelleger in genügendem Abstand erfolgen konnte. Dieses Nachsteuern hätte so rechtzeitig geschehen müssen, daß die Kähne bei der Vorbeifahrt an E wieder in gestreckter Lage hinter dem Boot gewesen wären. Das wäre den Kahnführern auch möglich gewesen. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht angenommen, bei einer Schleppstranglänge von 45 m hätten die Anhangkähne über eine hinreichende Steuerfähigkeit verfügt, um eine Schiffsbreite weiter nach Backbord zu halten.
Der Schleppzugführer trägt die Verantwortung nicht nur für den richtigen Kurs seines Bootes, sondern grundsätzlich auch für den richtigen Kurs seiner Anhänge; falls diese nicht richtig nachsteuern, muß er diesen Fehler durch entsprechende Anweisung, notfalls durch geeignete Gegenmaßnahmen seines Bootes berichtigen (§ 2 Nr. 4 RhSchPVO; BGH VersR 1958, 759). Diese Verantwortung des  Schleppzugführers besteht selbständig neben der Verantwortung der Kahnführer für das Nachsteuern (§ 2 Nr. 3 S. 2 RhSchPVO).
Der Führer von D mußte, solange er seine, wie das Berufungsgericht sagt, „zweifellos unzweckmäßige Fahrweise", nämlich den auf E gerichteten Kurs, beibehielt, sich durch Beobachtung der Anhänge davon überzeugen, daß diese den durch seine Fahrweise und die Annäherung an den Kabelleger gebotenen richtigen Kurs einschlugen und demgemäß um eine Schiffsbreite nach Backbord verlegten. Da er sehen mußte, daß die Anhänge in fehlerhafter Weise den bisherigen Kurs beibehielten, war er zur Wahrschau verpflichtet.
Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der Kurs der Anhänge - R in Kiellinie des Bootes - zunächst richtig war. Er wurde aber unrichtig, als das Boot nach Insichtkommen des Kabellegers den Kurs auf dieses Schiff eingehalten hat. Der Kurs des Schleppzuges im Ganzen wäre nur richtig gewesen, wenn entweder bei Beibehaltung der bisherigen Fahrweise der Anhänge das Boot Kurs auf die Durchfahrt zwischen E und linkem Ufer genommen oder bei Einhaltung des auf E gerichteten Kurses die Anhänge ihre Lage zum Boot um eine Schiffsbreite nach Backbord verändert hätten. Der Schleppzugführer hat also nicht nur durch seine eigene Handlungsweise dazu beigetragen, daF3 ein bisher nicht zu beanstandender Kurs seiner Anhänge fehlerhaft wurde; vielmehr war sein eigener Kurs im Hinblick darauf, daß er die Anhänge nicht zu einer Änderung ihrer Lage zum Boot veranlasste, nautisch nicht zu verantworten. So, wie der Schleppzug tatsächlich gefahren ist, war seine Fahrweise infolge gemeinsamen Verschuldens von Boot und Anhangkähnen bereits fehlerhaft, bevor das Boot im Abstand von 200 m vor E nach Backbord ausgewichen ist. Weder können sich die Anhangkähne mit ihrer Behauptung entlasten, sie hätten darauf vertraut, das Boot werde den richtigen Kurs einschlagen, noch kann das Boot sich mit seiner Behauptung entlasten, es hätte darauf vertraut, die Anhangkähne würden ihren Kurs hinter dem Boot um eine Schiffsbreite nach Backbord verlegen.