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II ZR 140/63 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 01.04.1965
Aktenzeichen: II ZR 140/63
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Norm: §§ 101 bis 105 BSchSO
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Es besteht keine Verkehrssicherungspflicht der Bundesrepublik, nur so viele Fahrzeuge in eine Schleuse einfahren zu lassen, als darin Platz finden.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 1. April 1965

(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort / Schiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Der Schleppzug D fuhr mit 3 Anhängen, auf 2. Länge Kahn S, auf 3. Länge der bei der Klägerin versicherte Kahn A, in die 350 m lange, schon mit 3 Motorschiffen belegte Ruhr-Schleuse in Duisburg bei grünem Licht ein. Nachdem S die Vorausfahrt eingestellt hatte, weil die Schleusenkammer vor ihm belegt war, fuhr A auf ihn auf, der vergeblich zu stoppen versuchte und außerdem nicht mehr ganz in die Kammer hineinpaßte.
Die Klägerin, die die an den beiden Schiffen entstandenen Schäden ersetzt hat, nimmt die Bundesrepublik als Beklagte wegen angeblicher Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch, weil sie das Schleusenpersonal nicht angewiesen habe, darauf zu achten, daß bei grünem Licht nur so viele Schiffe in die Kammer fahren, als hineinpassen, und die anderen rechtzeitig anzuhalten. Der beklagte Schleusenmeister habe es schuldhaft unterlassen, den die Schleuse bedienenden Schleusenwärter in diesem Sinne genügend überwacht zu haben.
Die Klage blieb in allen 3 Instanzen erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Verkehr in Schleusen ist im XII. Abschnitt BSchSO (§§ 101 bis 105) geregelt. Die Schleuseneinfahrt war dem Schleppzug „D 207" durch die beiden grünen Lichter freigegeben worden. Das bedeutete, daß der Schleppzug, und zwar auch sein letzter Anhang, solange nicht eine gegenteilige Weisung erfolgt, über das vor der Schleuse befindliche Haltezeichen hinausfahren (§ 101 Nr. 2 BSchSO) und in die Schleuse einfahren durfte (§ 105 Nr. 1c). Das bedeutet aber entgegen der Meinung der Revision nicht, daß damit die Gewähr übernommen wurde, daß alle Fahrzeuge des Schleppzuges in der Kammer Platz finden würden. Die Übernahme einer solchen Gewähr verbietet sich schon aus praktischen Gründen; der Kammerraum muh soweit wie möglich ausgenutzt werden; ob ein Fahrzeug noch in der Kammer aufgenommen werden kann, kann unter Umständen erst entschieden werden, wenn es eingefahren ist. Denn die Aufnahmefähigkeit der Kammer hängt nicht nur von ihrer Länge und der Länge der aufzunehmenden Fahrzeuge, sondern auch von ihrer Breite und der Breite und Schiffsform der Fahrzeuge ab; durch entsprechende Verschachtelung der Fahrzeuge kann die Aufnahmefähigkeit der Kammer erhöht werden. Das Schleusenpersonal wird zwar pflichtgemäß die Einfahrt eines Fahrzeuges, das keinen Platz mehr hat, in die Kammer verhindern müssen, um unnötige Schiffsbewegung und den damit verbundenen Zeitverlust zu vermeiden. Der Revision kann aber nicht zugegeben werden, daß in solchen Fällen zur Sicherung des Verkehrs die Wegnahme der grünen Lichter oder eine entsprechende Wahrschau geboten ist. Das könnte nur der Fall sein, wenn durch das Unterlassen dieser Maßnahmen eine Gefahrenlage entstehen würde. Die Revision nimmt dies zu Unrecht an. Jedes Fahrzeug muß bei der Einfahrt in die Kammer mit ganz besonderer Sorgfalt navigieren. Trotz der kurz geholten Schlepptrossen (§ 102 Nr. 6 BSchSO) muß es so rechtzeitig anhalten können, daß es nicht auf seinen Vordermann auffährt. Dazu muß sich ein Schleppkahn der Festmachevorrichtungen (Pollern und Haltekreuzen) bedienen. Dieses Anhaltemanöver ist weder besonders schwierig noch birgt es besondere Gefahren in sich, sondern hält sich im Rahmen der normalen Navigation, wie sie beim Schleusen üblich ist. Wären die Festmachevorrichtungen nicht ordnungsgemäß, insbesondere nicht in den richtigen Abständen vorhanden gewesen, so könnte hierin eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liegen; in dieser Richtung hat aber die Klägerin nichts vorgetragen. Der Unfall ist deshalb darauf zurückzuführen, daß die Besatzung von A auf das Anhaltesignal ihres Bootes diese Vorrichtungen im Gegensatz zu ihren Vordermännern nicht richtig benutzt hat.
Sie hatte, um rechtzeitig anhalten zu können, auf das Verhalfen ihres Vordermannes zu achten, das Anhaltesignal ihres Bootes sofort zu befolgen und dementsprechend sich der Festmachevorrichtungen sorgsam zu bedienen. Es würde eine Überspannung der Verkehrssicherungspflicht oder der Pflicht zur Regelung des Verkehrs bedeuten, wollte man eine solche Pflicht schon immer dann annehmen, wenn mit nautischen Fehlern der Schiffsbesatzung zu rechnen ist."