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II ZR 141/62 - Bundesgerichtshof (-)
Entscheidungsdatum: 30.01.1964
Aktenzeichen: II ZR 141/62
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: -

Leitsätze:

1) Eine Ermäßigung von Festfrachten liegt auch vor, wenn das Entgelt zwar richtig berechnet und in voller Höhe bezahlt wird, aber entsprechend einer Vereinbarung bei Abschluss des Frachtvertrages oder vor Bezahlung des tarifmäßigen Frachtentgeltes ein bestimmter Teil des Entgeltes, z. B. in Form von Vermittlerprovisionen vom Unternehmer an den Absender zurückgezahlt wird.

2) Das Güterkraftverkehrsgesetz ist kein Schutzgesetz zugunsten der am Abschluss der Güterfernverkehrsverträge beteiligten Unternehmer.

3) Eine Verladerfirma, die in Ausnutzung ihrer wirtschaftlichen Machtstellung die tatsächliche Möglichkeit hat, den Transportunternehmern die Bedingungen für die Frachtabschlüsse vorzuschreiben, und die Möglichkeit der Vergabe von Frachtaufträgen dazu benutzt, Vereinbarungen zu treffen, die gesetzeswidrig zu einer untertariflichen Bezahlung der Frachtentgelte führen, verstößt gegen die guten Sitten und ist gemäß § 826 BGB schadensersatzpflichtig.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 30. Januar 1964 

(Landgericht Berlin / Kammergericht Berlin)

II ZR 141/62


Zum Tatbestand

Die Klägerin macht als Frachtprüfstelle gemäß § 23 GüKG zugunsten einiger an der Durchführung von Lkw-Transporten beteiligten Unternehmer Nachforderungsansprüche in Höhe der Frachtunterschiedsbeträge zwischen tarifmäf3igem und tatsächlichem Entgelt geltend.

In rechtlicher Hinsicht hatte das Revisionsgericht insbesondere zu der Frage des Scheintatbestandes und zu den Ansprüchen aus unerlaubter Handlung Stellung zu nehmen.

Die Revision führte wegen einiger aufklärungsbedürftiger Tatbestände zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

Der 1. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat in seinem in NJW 1960, 284 (s. auch ZfB 1960, 5. 64 und 65) abgedruckten Urteil unter b) der Entscheidungsgründe ausgeführt, eine Ermäßigung des Beförderungsentgeltes (§ 22 Abs. 2) liege vor, wenn zwar das Entgelt richtig berechnet und in voller Höhe bezahlt, aber entsprechend einer von vornherein getroffenen Vereinbarung ein bestimmter Teil des Entgeltes vom Unternehmer an den Absender zurückgezahlt werde. Dem tritt der Senat bei, da in solchen Fällen die Ermäßigung in einer rechtlich unbeachtlichen Weise verschleiert wird. (Dabei steht einer von vornherein, d. h. bei Abschlug des Frachtvertrages, getroffenen Vereinbarung eine solche gleich, die vor Bezahlung des tarifmäßigen Frachtentgeltes getroffen wird.)

Wird die Vereinbarung einer unmittelbaren oder mittelbaren Rückvergütung des Beförderungsentgeltes an den Auftraggeber erst nach Bezahlung der vollen tarifmäßigen Fracht getroffen, so liegt eine nachträgliche Ermäßigung des Beförderungsentgeltes vor, die sich als Zahlung oder Zuwendung i. S. des § 22 Abs. 2 S. 2 darstellt; in diesen Fällen ist kein vertraglicher Anspruch auf Rückgewähr gegeben, da der Frachtzahlungsanspruch durch die Zahlung des tarifmäßigen Entgeltes erloschen ist; wohl aber hat der Unternehmer gegen den Auftraggeber einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 817 S. 1 BGB), da die Rückvergütung des Unternehmers an den Auftraggeber gegen das Gesetz verstößt (§ 134 BGB). Wendet der Unternehmer im Zusammenhang mit dem Beförderungsvertrag einem Dritten etwas zu, ohne dass darin eine mittelbare (verschleierte) Zuwendung an den Auftraggeber zu erblicken ist, so kommt diese Zuwendung dann einer Umgehung des tarifmäßigen Beförderungsentgeltes gleich, wenn der Dritte auf das Zugewendete keinen Rechtsanspruch hat (s. auch ZfB 1960, S. 210).

Wenn die Revision der Beklagten zu 1 und 2 darauf hinweist, dass „A" und „B" zwei selbständige juristische Personen seien, so verkennt sie, dass gerade durch Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts oder des Handelsrechtes ein Scheintatbestand im Sinne des Gesetzes geschaffen wird (BGH NJW 1960, 1057, 1058; s. auch ZfB 1960, S. 210). Der Fall muss wegen der wirtschaftlichen Identität beider Firmen rechtlich nach dem GüKG so betrachtet werden, als wäre die „A" zu Vermittlungsgeschäften befugt gewesen (wie dies für die „B" unterstellt wird) und als hätte sie sich für die Vermittlung der Beförderungsaufträge eine Provision zahlen lassen. Dann liegt aber eine Tarifverkürzung vor, weil dem Auftraggeber kein Anspruch auf Vermittlungsgebühr gegen den von ihm beauftragten Unternehmer zusteht, in der Vereinbarung und Zahlung einer solchen Provision daher eine unzulässige Ermäßigung des Beförderungsentgeltes liegt.

Unerheblich sind die Ausführungen der Revisionen darüber, dass der Klägerin und den Unternehmern das tarifwidrige Verhalten der Beklagten bekannt gewesen sei. Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass selbst ein vorsätzlicher Verstoß der Unternehmer gegen den Tarif diese nicht von ihrer Verpflichtung entbunden hätte, den Unterschiedsbetrag nach § 23 GüKG zurückzufordern. Auch die Klägerin kann Tarifverstöße nicht „genehmigen". Der Einwand der Arglist kann bei Kenntnis des Unternehmers oder seines Rechtsnachfolgers nicht durchgreifen, da sonst der Zweck des Gesetzes, die Leistung der Festentgelte im Kraftwagengüterverkehr durchzusetzen, vereitelt würde und die Vorschrift des § 23 Abs. 3 in vielen Fällen gegenstandslos wäre (BGH vom 27. September 1955 1 ZR 212/53, MDR 1956, 161).

Im angefochtenen Urteil sind die Ansprüche gegen die Beklagte zu 1 auch auf § 823 Abs. 2 BGB gestützt. Das Berufungsgericht sieht im GüKG ein Schutzgesetz auch zugunsten der am Abschluss der Güterfernverkehrsverträge beteiligten Unternehmer. Dem kann nicht zugestimmt werden. Gewiss wirkt sich das Gesetz dahin aus, dass durch die Bestimmung von Festentgelten die am Beförderungsvertrag Beteiligten geschützt werden, insbesondere die Unternehmer vor Frachtverkürzungen, Durch diese tatsächliche Schutzwirkung wird aber das Gesetz für die an den Frachtverträgen beteiligten Unternehmer noch nicht zum Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2. Dal3 das Gesetz nicht den Zweck verfolgt, die Parteien des Beförderungsvertrages zu schützen, ergibt sich daraus, dass bei schuldhaften Tarifverstößen sich beide Parteien strafbar machen (§ 98 GüKG). Das Verhalten der „A" stellt sich aber nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt als unerlaubte Handlung i. S. des § 826 BGB dar Kraft ihrer wirtschaftlichen Machtstellung hatte die „A" die tatsächliche Möglichkeit, den Unternehmern die Bedingungen für die Frachtabschlüsse vorzuschreiben. Sie hat diese Möglichkeit in gesetzeswidriger Weise dazu ausgenutzt, um die Unternehmer um einen Teil ihres Frachtlohns zu bringen. Damit hat sie nicht nur gegen das Gesetz, sondern auch gegen die guten Sitten verstoßen, da ihr Verhalten mit dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden nicht zu vereinbaren ist. Nach der Feststellung des Berufungsgerichts war das Verhalten der Beklagten zu 1 und 2 bewusst darauf eingestellt, unter Schaffung eines Scheintatbestandes die zwingenden Vorschriften des Gesetzes zu umgehen. Die Beklagte zu 1 hat daher vorsätzlich gehandelt. Der durch die teilweise Frachtrückzahlung den Unternehmern entstandene Schaden wird nicht dadurch ausgeschlossen, da) den Unternehmern ihr vertraglicher Anspruch auf Frachtnachzahlung erhalten geblieben ist.