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II ZR 141/67 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 16.12.1968
Aktenzeichen: II ZR 141/67
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Beweislast desjenigen, der Ansprüche aus einer von ihm behaupteten Kursweisung herleitet.

2) Besteht zwischen Bergfahrer und Talfahrer Streit darüber, welchen Begegnungskurs der Bergfahrer gewiesen hat, so muß derjenige, der aus der von ihm behaupteten Kursweisung Ansprüche herleitet, seine Behauptung beweisen.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 16. Dezember 1968

II ZR 141/67

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort, Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Das dem Kläger gehörende MS M (943 t; mit 482 t beladen) befand sich bei Niedrigwasser gegen 24.00 Uhr auf Bergfahrt. Bei Krefeld-Uerdingen begegnete ihm das der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte MS Z (960 t; mit 171 t beladen). Beide Schiffe hatten ihre Positionslichter gesetzt und fuhren etwa Fahrwassermitte. Die mindestens 150 m breite Fahrwasserrinne nimmt in der starken Rechtskurve des Stromes die linksrheinische Hälfte des etwa 350 m breiten Strombettes ein. Die Bergfahrt benutzt hier üblicherweise den zum rechtsrheinischen Mündelheimer Grund im Innenbogen gelegenen Teil der Fahrwasserrinne.

Der Beklagte zu 2 bemerkte nach Passieren der Uerdinger Brücke zunächst das Topplicht und das rote Backbordpositionslicht des Bergfahrers. Als letzterer auf Steuerbordseite ein weißes Licht einschaltete - ob das Licht blinkte, ist streitig - erwiderte MS Z bei einer Entfernung von etwa 800 bis 1000 m mit Blinklicht. Die neben dem Ruderhaus aufgehängte, allseits gut sichtbare und gleichzeitig als Steuerbordankerlicht verwendbare Lampe auf MS M kann durch Umstecken der Leitung im Maschinenraum sowohl als festes Licht als auch als Blinklicht betätigt werden.
In der Annahme, MS M richte seinen Kurs nach Steuerbord, nahm auch MS Z Steuerbordkurs zwecks Backbordbegegnung. Mit dem Bug zum rechten Ufer zeigend, geriet letzteres sodann quer vor MS M, das mit seinem Vordersteven mitschiffs in die Backbordseite von MS „Zuidland" fuhr. Anschließend geriet MS Z mit dem Vorderschiff rechtsrheinisch auf Grund. Beide Schiffe erlitten Schäden.
Der Kläger verlangt Schadenersatz mit der Behauptung, daß MS M durch vorschriftsmäßiges Blinken dem Talfahrer den Weg zur Begegnung an Steuerbord gewiesen habe. Nachdem das Blinklicht bei einem Abstand von etwa 800 m MS Z erwidert worden sei, habe Z erst in einer Entfernung von etwa 100 bis 150 m plötzlich harten Kurs zum rechten Ufer genommen. Der Zusammenstoß habe trotz Einstellung des Rückwärtsganges auf M nicht verhindert werden können.
Die Beklagten bestreiten, daß auf M geblinkt worden sei. Als auf etwa 700 m Entfernung vom Beklagten zu 2 festgestellt worden sei, daß M nur ein festes weißes Licht gezeigt habe, sei auf MS Z das Blinklicht ausgeschaltet und der Kurs unter Abgabe eines mit Lichtsignal gekoppelten Steuerbordschallsignals nach rechtsrheinisch gerichtet worden. Ohne Erwiderung dieses Signals und ohne weiteres Signal habe M in einem Abstand von etwa 200 bis 250 m dann plötzlich seinen Kurs nach Backbord gerichtet. Trotz vollen Rücklaufs der Maschine auf MS Z habe der Zusammenstoß nicht verhindert werden können. Kurz nach der Anfahrung habe auf M das bis dahin starre Steuerbordlicht zu blinken begonnen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Anspruch dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt; das Rheinschifffahrtsobergericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die Revision der Beklagten führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung an das Rheinschiffahrtsobergericht.

Aus den Entscheidungsgründen:

Entscheidend für die Feststellung des Berufungsgerichts über das Blinken des Bergfahrers war, daß es zu „der sicheren Überzeugung" gekommen ist, daß der Schiffsführer des Talfahrzeuges ein ständiges weißes Licht nicht mit einem Blinklicht erwidert hätte; sich so zu verhalten, wie der Beklagte bekundet habe, widerspreche jeglicher Übung und Lebenserfahrung. Zwar sei es „in der Tat verwunderlich", daß der Schiffsführer von Z die Polizei unmittelbar nach dem Unfall darauf habe hinweisen können ..., MS M habe nicht geblinkt." Jedoch „inhaltlich stärker" als dieser letztere Umstand sei der Schluß, der aus dem (vorübergehenden) Blinken des Talfahrers gezogen werden müsse.
Diese Überlegung hält sich nicht frei von Denkfehlern. Das Berufungsgericht hätte bei Würdigung des Vortrags des beklagten Schiffsführers bedenken müssen, daß es außergewöhnlich ist, wenn ein Schiff an Steuerbordseite dort, wo das Blinklicht angebracht ist, ein ständiges weißes Licht zeigt, ein Vorgang, der mit der Vorschrift des § 25 RhSchPVO unvereinbar ist. Es unterstellt selbst, daß die Verwendung derselben Lampe als Blinklicht und (ständiges) Ankerlicht unüblich sei. Wenn dem aber so ist, so hat der Schiffsführer von „Zuidland" mit seinem eigenen Blinken auf einen ungewöhnlichen Vorgang reagiert. Wie sich jemand In einer ungewöhnlichen, den gesetzlichen Vorschriften widersprechenden Lage zu verhalten hat und verhält, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Für die Reaktion gegenüber einer so außergewöhnlichen, nur ganz ausnahmsweise selten vorkommenden Lage wie im vorliegenden Fall kann sich keine „Übung" entwickeln. Auch die Annahme, daß sich jemand nach der "Lebenserfahrung" in einer bestimmten Weise verhält, setzt voraus, daß er sich in einer nicht ganz selten vorkommenden Lage befindet. Gewiß ist es fehlsam, auf das Zeigen eines ständigen weißen Lichtes auf Steuerbordseite mit einem Blinken zu antworten. Aber in ungewöhnlichen Lagen wird oft fehlsam gehandelt. Der Beklagte hat, legt man seine Angaben zugrunde, in weiter Entfernung vom Bergfahrer dessen ständiges weißes Licht zunächst offensichtlich für ein Blinklicht gehalten, wobei zu seinem Irrtum beigetragen haben mag, daß die Bergfahrt am rechtsrheinischen Grund hochzufahren pflegt. Beim Näherkommen hat er nach kurzer Zeit seinen Irrtum erkannt und daher sein Blinklicht ausgeschaltet, da er nunmehr angenommen hat, der nicht blinkende Bergfahrer verlange die Begegnung an Backbord.
Aktenwidrig ist die Ansicht des Berufungsgericht, es habe sich nichts dafür ergeben, daß MS M nach der - im angefochtenen Urteil angenommenen - Kursweisung zur Begegnung an Steuerbord jemals nach Steuerbord gefahren sei. Immerhin haben das nicht nur der Schiffsführer von Z, sondern auch sein Matrose R. vor der Polizei bekundet. Die Auffassung des Berufungsgerichts, für M habe kein Anlaß bestanden, den Kurs zum linksrheinischen Ufer zu nehmen, berücksichtigt nicht, daß der Bergfahrer M in einem offensichtlich zum linken Ufer gehenden Hang gefahren ist, so daß nicht von der Hand zu weisen ist, daß er - zumal bei dem bestehenden Verdacht der Unaufmerksamkeit des Schiffsführers - zur Nachtzeit im Hang verfallen ist.
Bei der danach gebotenen anderweitigen Verhandlung der Sache wird das Berufungsgericht folgendes zu beachten haben: Gewisse von ihm zur Beseitigung „letzter Zweifel" verwertete Beweisanzeichen bedürfen der Überprüfung. (Wird ausgeführt.)
Bei der Beweiswürdigung hinsichtlich des Zeigers des Blinklichts wird zu berücksichtigen sein, daß auf M eine besondere Gefahrenquelle dadurch geschaffen war, daß dieselbe Lampe für Blinklicht (§ 38 Nr. 3 b RhSchPVO) und Steuerbordankerlicht (§ 72 Nr. 1 RhSchPVO) verwendbar war.
Auch wird sich das Berufungsgericht bei der Bildung seiner Oberzeugung vor Augen halten müssen, daß der Kläger für seine Behauptung, er habe geblinkt, beweispflichtig ist. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Der geltenden Rheinschiffahrts-Polizeiverordnung ist eine regelwidrige Begegnung unbekannt. Nach § 38 Nr. 2 und 3 RhSchPVO haben die. Begegnungen an Backbord und an Steuerbord gleichen Rang. Diesen Vorschriften kann daher nichts für die Beweislastverteilung entnommen werden. Auch der Umstand, daß der Bergfahrer die Backbordbegegnung durch Unterlassen einer Zeichengebung, die Steuerbordbegegnung durch die hellblaue Seitenflagge oder durch Blinklicht verlangt, gibt für die Beweislastregelung nichts her. Es bleibt daher bei dem allgemeinen Grundsatz, daß derjenige, der einen Anspruch erhebt, die Voraussetzungen seines Anspruchs zu beweisen hat. Besteht zwischen Berg- und Talfahrer Streit darüber, welchen Begegnungskurs der Bergfahrer gewiesen hat, so muß derjenige, der aus der von ihm behaupteten Kursweisung des Bergfahrers Ansprüche herleitet, seine Behauptung beweisen. Insoweit handelt es sich also nicht um die Frage des Mitverschuldens des Anspruchsgegners, sondern um eine Voraussetzung des Anspruchs des Geschädigten. Bereits in seinem in VersR 1965, 152, 153 abgedruckten Urteil vom 26. 11. 1964 -- II ZR 56/63 - hat der Senat ausgeführt, daß der klagende Bergfahrer beweisen muß, daß der Talfahrer den vom Bergfahrer gewiesenen Weg nicht genommen hat.
Daraus ergibt sich, daß der klagende Bergfahrer die von ihm behauptete Kursweisung zu beweisen. hat. Im vorliegenden Fall muß daher der Kläger, der den ihm entstandenen Schaden ersetzt verlangt, beweisen, daß sein Schiff ordnungsgemäß geblinkt hat.

Auch die Ansicht des Berufungsgerichts, der von ihm offensichtlich angenommene Verstoß des Bergfahrers gegen die Vorschrift des § 38 Nr. 4 RhSchPVO sei für den Unfall nicht ursächlich gewesen, bedarf der Überprüfung. Nach dem Tatbestand fuhren beide Schiffe etwa Fahrwassermitte, also auf Kollisionskurs. Daran ändert nichts, daß die Schiffe in einer Stromkrümmung fuhren, da dies beide Schiffsführer zu beachten hatten. Wenn aber der Bergfahrer bei aufmerksamer Beobachtung feststellen mußte, daß der Talfahrer nicht rechtzeitig in gehöriger Entfernung nach dem linken Ufer hin auswich, sondern auf Kollisionskurs blieb, so mußte er das Schallzeichen nach § 38 Nr. 4 RhSchPVO geben. Auch mußte er selbst rechtzeitig im Sinne seiner Kursweisung ausweichen (BGH Vers13 1962, 320, 321; 1966, 771, 773).

Sollte das Rheinschiffahrtsobergericht keine Feststellung darüber treffen können, ob der Bergfahrer geblinkt hat, so wird den Beklagten nicht vorgeworfen werden können, daß Z einen falschen Kurs gefahren ist. Es bleibt dagegen der Vorwurf, daß Z kurze Zeit geblinkt hat, obwohl der Bergfahrer keine Weisung zur Begegnung an Steuerbord gegeben hat. Wenn eine Feststellung darüber nicht möglich ist, in welchem Abstand vom Bergfahrer auf Z das Blinklicht ausgeschaltet wurde und Z zum rechten Ufer ausgewichen ist, muß' zugunsten der nicht beweispflichtigen Beklagten von ihrer Behauptung ausgegangen werden, daß man auf Z in einem Abstand von ca. 700 m diese Maßnahmen getroffen hat. Im übrigen wird das Gewicht des Schuldvorwurfs, das MS M bei fehlendem Blinklicht einen mit seiner Kursweisung nicht übereinstimmenden Kurs gefahren ist, gegen den die Schiffsführung von Z zu erhebenden Schuldvorwurf erneut abzuwägen sein. Dabei wird zu berücksichtigen sein, daß ein schuldhaftes Verhalten des beklagten Schiffsführers nicht darin erblickt werden kann, daß er bei fehlendem Blinklicht von M seinen Kurs durch Steuerbordsignal klargestellt hat (BGH VersR 1961, 1132, 1134, 1. Sp. u.)."