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II ZR 143/62 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 09.03.1964
Aktenzeichen: II ZR 143/62
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Es ist ein großer nautischer Fehler, wenn entgegen der Grundregel des § 37 Nr. 3 BSchSO der nach §§ 38 bis 40 BSchSO festgelegte Kurs in kurzer Entfernung vom begegnenden Fahrzeug geändert wird.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 9. März 1964

(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort / Schiffahrtsobergericht Köln)

II ZR 143/62


Zum Tatbestand

Zwischen dem bei der Klägerin versicherten, auf der Talfahrt befindlichen Motorgüterschiff „A" und dem zu Berg fahrenden, von dem Beklagten geführten, ihm selbst gehörenden Motorgüterschiff „B" kam es auf dem Wesel-Datteln-Kanal bei verminderter Sicht wegen Nebels zum Zusammenstoß, der das Sinken von „A" verursachte. Beide Schiffsführer machten erst auf etwa 200 m den Gegenfahrer aus. Als sich die Schiffe auf etwa 100 m genähert hatten, gab der Beklagte Backbordsignal und nahm Backbordkurs. Sie stießen dann mit ihren Backbordvorschiffen zusammen. Unbeteiligte Zeugen für den Unfallhergang sind nicht vorhanden.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage von „A" in vollem Umfang, das Schiffahrtsobergericht nur zu vier Fünftel für gerechtfertigt erklärt. Die beiderseitige Revision war erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei der Beurteilung des Verschuldens der beiden Schiffsführungen geht das Berufungsgericht grundsätzlich jeweils von ihrer eigenen Darstellung des Unfallhergangs aus. Das entspricht dem Gesetz.
Das Berufungsgericht führt aus, der Beklagte habe den Unfallhergang wie folgt dargestellt: Er habe auf ca. 200 bis 250 m Entfernung den ihm entgegenfahrenden „A" an seinem hellen Licht erkannt und unmittelbar darauf auch das Schiff in seiner Gesamtheit. „A" habe ihm in seiner (des Beklagten) Fahrwasserhälfte direkt gegenüber gelegen und sogar Kurs auf den südlichen Kanalwall gehabt. Als er das Licht von „A" gesehen habe, habe er seine Maschine auf niedrigste Tourenzahl gestellt und einen langen Ton mit dem Typhon gegeben. Seinen eigenen Kurs habe er beibehalten, bis sich, beide Schiffe auf 100 bis 120 m genähert hätten. Als A" jetzt immer noch nicht nach Steuerbord abgedreht habe, habe er zwei kurze Töne mit dem Typhon gegeben und sein Ruder hart Backbord gelegt. Gleichzeitig sei er mit der Maschine auf Voraus gegangen, um die Ruderwirkung zu unterstützen. Daraufhin habe „A" nach Steuerbord abgedreht; auf „B" habe man dann mit der Schraube zurückgeschlagen aber die Kollision nicht mehr vermeiden können.
Die Revision des Beklagten geht von der richtigen Ansicht aus, zugunsten des Beklagten sei zu unterstellen, daß er auf der richtigen und „A" auf der falschen Seife gefahren sei. Unrichtig ist aber der von der Revision daraus gezogene Schluf3, der Beklagte könne deshalb für den Unfall nicht verantwortlich gemacht werden. Die Revision hat außer acht gelassen, daß der auf seiner rechten Fahrwasserhälfte fahrende Beklagte 100 bis 120 m vor „A" plötzlich Backbordkurs genommen hat und dadurch in die nördliche Fahrwasserhälfte geraten ist, wo der Zusammenstoff erfolgte. In diesem Verhalfen liegt ein schwerer Verstoß gegen die Grundregel des § 37 Nr. 3 BSchSO, wonach beim Begegnen Fahrzeuge ihren Kurs nicht ändern dürfen, nachdem dieser nach den §§ 38 bis 40 BSchSO festgelegt ist. Durch seine Fahrweise in der südlichen Hälfte des Fahrwassers ohne Zeichengebung hat der Beklagte dem Gegenfahrer den Weg zur Vorbeifahrt an Backbord gewiesen (§ 38 Nr. 1 und 2 BSchSO). Zwar wäre der Beklagte, immer seine Darstellung als richtig unterstellt, darüber hinaus gemäß § 38 Nr. 4 BSchSO verpflichtet gewesen, seine Absicht, den Talfahrer an Backbord vorbeifahren zu lassen, durch Abgabe eines Schallzeichens mit einem kurzen Ton (nicht eines weiteren Achtungssignals, wie das Berufungsgericht meint) klarzustellen Jedenfalls war der Kurs von „B" zur Begegnung an Backbord festgelegt und es war ein grober nautischer Fehler, diesen Kurs in einer so kurzen Entfernung vom Talfahrer zu ändern. Dieser Fehler hat den Zusammenstoff herbeigeführt.

Der Beklagte kann seinen groben nautischen Fehler auch nicht damit entschuldigen, daß es sich um ein Manöver des letzten Augenblicks gehandelt habe, worauf er sich in den Tatsacheninstanzen berufen hat. Wenn ein Schiffsführer unverschuldet in eine Gefahrenlage kommt, die ihn ohne ausreichende Überlegungsmöglichkeit zum sofortigen Handeln zwingt, und er dabei objektiv nautisch fehlerhaft handelt, so kann dies sein Verschulden ausschließen. Hier hat aber der Beklagte infolge eigenen Verschuldens die falsche Maßnahme des Backbordkurses im letzten Augenblick ergriffen. Wenn er, wie er behauptet, in einer Entfernung von 200 bis 250 m den Talfahrer in der südlichen Fahrwasserhälfte mit Kurs zum Südufer gesehen hat, also, wie er selbst angibt, in völlig falscher Lage, so gab es, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, nur eine zweckmäßige Reaktion, um der drohenden Gefahr des Zusammenstoffes zu entgehen, nämlich die Vorausfahrt einzustellen und mit der Schraube zurückzuschlagen. Um diese einfache, durch die nautische Sorgfaltspflicht gebotene Überlegung anzustellen, hatte der Beklagte genügend Zeit.

„A" ist nach der Darstellung der Besatzung dieses Schiffes in seiner rechten, also der nördlichen Fahrwasserhälfte, so gefahren, daß die gedachte Mittellinie des Kanals an die Backbordseite des Schiffes entlang lief. Auf ca. 200 m habe man auf „A", wie das Berufungsgericht unter Zugrundelegung der Aussage seines Kapitäns ausführt, die Situation erkannt. Man habe die hohe Fahrtstufe von „B" gesehen und bemerkt, daß dieses Schiff keineswegs etwa nach Steuerbord abgegangen sei, um auch seinerseits eine glatte Begegnung zu ermöglichen. Das Steuerbordsignal von „A" sei von „B" nicht erwidert worden. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, daß bei dieser Sachlage „A" die Fahrt hätte wegnehmen und notfalls zurückschlagen müssen. Denn für seine Schiffsführung sei die Situation unklar gewesen: Bei nebligem Wetter habe ein mit hoher Fahrt herankommender Gegenfahrer im engen Kanal nicht auf Verständigungsversuche über die Begegnung reagiert, obschon die Kurse beider Schiffe nahe nebeneinander gelegen hätten. Man habe auf „A" mit einer falschen Beurteilung der Lage durch den offensichtlich unaufmerksamen Gegenfahrer rechnen müssen. Ein rechtzeitiges Abstoppen von A" häute zumindest die Wucht des Zusammenpralls gemildert. Die Unterlassung dieser Maßnahme stelle einen Verstoß gegen § 4 BSchSO dar und sei zumindest für das Ausmaß des Unfalls mitursächlich geworden.
Diese Ausführungen lassen einen Rechtsfehler nicht erkennen.

Die Ansicht des Berufungsgerichts überspannt auch nicht die von der Schiffsführung von „A" zu fordernde Sorgfaltspflicht. Die Revision der Klägerin läßt außer acht, daß es sich um eine Begegnung bei unsichtigem Wetter handelt. In der Schuldabwägung tritt der Senat dem Berufungsgericht im Ergebnis bei. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dem Beklagten der Vorwurf erhöhter Geschwindigkeit zu machen ist, so daß der in dieser Richtung gehende Revisionsangriff keiner Erörterung bedarf. Ausschlaggebend für die Schuldabwägung ist der schuldhafte schwere Verstoß des Beklagten gegen das Kursänderungsverbot des § 37 Nr. 3 BSchSO, demgegenüber das leicht fahrlässige Verhalfen des Schiffsführers von „A" in den Hintergrund tritt."