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II ZR 15/65 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 06.06.1968
Aktenzeichen: II ZR 15/65
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Gegenüber der im Interesse der Verkehrssicherheit erlassenen und daher streng zu beachtenden Pflicht zum Ausweichen nach Steuerbord sind Zweckmäßigkeitserwägungen eines Schiffsführers unbeachtlich.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 6. Juni 1968

II ZR 15/65

(Oberlandesgericht Oldenburg)

Zum Tatbestand:

Das dem Schiffsführer Z. gehörende und unter seiner Führung stehende, mit dessen Sohn als Matrose bemannte MS A kollidierte, mit dem Ebbstrom seewärts fahrend, bei klarer Sicht des Nachts im nördlichen Fahrwasser der Ems oberhalb der Hafeneinfahrt Emden mit einer entgegenkommenden Schute, die von dem der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 - ohne Patent für die Ems - geführten Schlepper J auf 35 m langem Strang geschleppt wurde. Die Schute hatte Schlick geladen, der - in der Fahrtrichtung des Schleppers - an einem auf der linken (nördlichen) Seite des Fahrwassers gelegenen Spüler gelöscht werden sollte. Zu diesem Zweck hatte der etwa 100 m lange Schleppzug das Fahrwasser schon in Höhe der Hafeneinfahrt von der südlichen zur nördlichen Seite gewechselt und die Fahrt hart entlang des Tonnenstrichs fortgesetzt. Nach beiderseits gegebenen Ausweichsignalen passierten A und J einander backbords; jedoch geriet A in den Kurs der Schute, wurde von dieser an der Steuerbordseite gerammt und überrollt. Z. und sein Sohn ertranken.

Die Klägerin als Witwe und Mutter der Verunglückten verlangt Ersatz der Beerdigungskosten und Rente mit der Behauptung, daß J vorschriftswidrig das backbords liegende Fahrwasser befahren und fehlerhaft nicht nach Steuerbord ausgewichen sei.
Die Beklagten tragen vor, daß J aus Zweckmäßigkeitsgründen die linke Fahrwasserseite eingehalten habe; A habe den zuerst eingeschlagenen Kurs in der Fahrwassermitte einhalten müssen, bei dem ein ein¬wandfreies Begegnen möglich gewesen wäre. Auf die Backbordsignale von J habe sie eingehen, stoppen, rückwärts gehen oder die Geschwindigkeit herabsetzen müssen. Der Zusammenstoß sei unvermeidlich geworden, als A nach Passieren von J nach Backbord und in den Kurs der Schute gefahren sei.
Das Landgericht hat die Klageansprüche dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung, in der die Beklagten eine Abweisung der Klage nur bezüglich des 1/3 der. Ansprüche übersteigenden Teiles der Klage beantragten, wurde zurückgewiesen. Auch die Revision der Beklagten blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Gleichgültig ist, ob bei vorschriftsmäßigem Verhalten das Anlegemanöver des Beklagten zum Spüler beeinträchtigt worden wäre, eine Frage, die im angefochtenen Urteil übrigens ohne Rechtsfehler verneint worden ist. Es kommt nicht darauf an, ob für den Beklagten, wie die Revision meint, seine Fahrweise zweckmäßig gewesen sei. Gegenüber der im Interesse der Verkehrssicherheit erlassenen und daher streng zu beachtenden Pflicht zum Ausweichen nach Steuerbord sind Zweckmäßigkeitserwägungen eines Schiffsführers unbeachtlich. Wenn der Beklagte in der Annäherungsgeschwindigkeit der Fahrzeuge sich etwa verschätzt und geglaubt haben sollte, vor A den Spüler zu erreichen, so mag das sein Verschulden in geringerem Grade erscheinen lassen, kann ihn aber nicht entlasten. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht die Ursächlichkeit der fehlerhaften Fahrweise des Beklagten für den Zusammenstoß und den Tod der Besatzungsangehörigen von A festgestellt und damit zutreffend die Schadenersatzpflicht der Beklagten nach §§ 823, 831, 840, 844 BGB angenommen.
Rechtlich einwandfrei hat das Berufungsgericht ferner ein Mitverschulden des Schiffsführer von A für nicht bewiesen erachtet.
Solange keine Gefahrenlage gegeben war, mußte A ihren Kurs beibehalten, wollte sie nicht gegen die Vorschrift des Art. 21 SSO. verstoßen. Dabei ist es unerheblich, ob sie erkennen konnte, daß der Schleppzug am Spüler anlegen wollte. Zum mindesten kann der Schiffsführung von A kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß sie Kurs und Geschwindigkeit beibehielt, da sie, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, darauf vertrauen konnte, daß der Schleppzug seiner Ausweichpflicht nachkommen werde. Entgegen der Ansicht der Revision kann keine Rede davon sein, daß A eine unklare Verkehrslage herbeigeführt habe. Dabei, kommt es auf die gewechselten Blinkzeichen nicht entscheidend an, da solche Zeichen weder nach der Seeschiffahrtstraßen-Ordnung noch nach der Seestraßenordnung vorgesehen sind.

Die Revision meint, da das Berufungsgericht angenommen habe, daß die Seitenlampen der Schute durch J verdeckt gewesen sein könnten, habe es den Schluß ziehen müssen, daß die Schute links gestaffelt hinter J habe liegen müssen. Die Rüge ist nicht verständlich. Wenn die Fahrzeuge auf Kollisionskurs fuhren, wie das Berufungsgericht annimmt, so lag die Schute in Kiellinie hinter dem Schlepper, durch dessen Aufbauten die Seitenlichter der Schute verdeckt gewesen sein konnten. Erst als A erkannt habe - so nimmt das Berufungsgericht an -, daß die Schute zur Vorbereitung ihres Anlegemanövers Backbordkurs einschlug, habe A den „letzten Versuch" unternommen, durch Backbordmanöver die Kollision zu vermeiden. Da das Backbordmanöver von A, wie zugunsten ihrer Schiffsführung zu unterstellen ist, ein Manöver des letzten Augenblicks war, kann gegen ihre Schiffsführung kein Schuldvorwurf daraus hergeleitet werden, daß sie etwa eine nautisch falsche Maßnahme ergriffen, insbesondere nicht zurückgeschlagen, sondern voll nach Backbord vorausgegangen ist. Aus diesem Grund in Verbindung mit dem Umstand, daß A entsprechend dem Backbordschallsignal des Schleppers selbst Backbordkurs einschlug, kann ihr auch nicht angelastet werden, daß sie selbst kein Backbordsignal gegeben hat.
Die Kollisionsgefahr mit ihren schweren Folgen sind durch den Beklagten herbeigeführt worden. Selbst wenn hierzu ein Verschulden der Schiffsführung von A beigetragen haben sollte, wäre dieses so geringfügig, daß es im Rahmen der Ursachen- und Schuldabwägung des § 254 BGB außer Betracht bleiben müßte."