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II ZR 161 /64 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 16.06.1966
Aktenzeichen: II ZR 161 /64
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Norm: § 39 Nr. 1 RhSchPVO; § 37 Nr. 3 RhSchPVO
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Gerade bei Nacht muß der vom Talfahrer nach § 39 Nr. 1 RhSchPVO einzuschlagende Kurs so rechtzeitig eingeleitet werden, daß Zweifel über die Art der Vorbeifahrt nicht entstehen können.

2) Das entgegen dem Kursänderungsverbot des § 37 Nr. 3 RhSchPVO erfolgte Abweichen von dem festgelegten Kurs auf kurze Entfernung erhöht die Gefahr des Zusammenstoffes außerordentlich.

3) Zur Abwägung des Verschuldens bei einer fehlerhaften Begegnung von Berg- und Tatfahrer.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 16. Juni 1966

II ZR 161 /64

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Bei Götterswickerham fuhren Ende Dezember gegen 18.00 Uhr das der Klägerin gehörende MS W linksrheinisch und der Schleppzug B, L rechtsrheinisch zu Berg. Zu Tal kam das dem Beklagten gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte, beladene KMS V, dem die rechtsrheinische Bergfahrt an der Steuerbordseite das Blinklicht zeigte; auf KMS V war das Blinklicht gleichfalls in Tätigkeit. MS W wurde zur gleichen Zeit backbords von dem der Streithelferin gehörenden F überholt.

Nach Behauptung der Klägerin ist die zu Tal fahrende V bei der Annäherung immer weiter zum linken Ufer hin geraten. Entgegen der von F und W erteilten Kursweisung habe der Schiffsführer von W. deshalb annehmen müssen, daß V die Begegnung auf Steuerbordseite habe vornehmen wollen. Während F noch zum linken Ufer habe ausweichen können, sei dies W wegen des dortigen Grundes nicht möglich gewesen. Als V nun Kurs nach Steuerbord genommen habe und in Schräglage vor den Bug von „W" gekommen sei, seien beide Schiffe bei dieser Kollision an Backbordseite schwer beschädigt worden.
Die Beklagten behaupten, daß MS W, als es sich dem KMS V auf 100 m bei festliegendem Kurs genähert habe, plötzlich hart nach Backbord gedreht und gleichzeitig Blinklicht auf Steuerbordseite gezeigt habe. Angesichts der kurzen Entfernung sei eine Kursänderung nicht mehr möglich, aber auch die Kollision trotz Abstoppens der Maschine nicht zu verhindern gewesen.
Die Streithelferin ist im ersten Rechtszug der Klägerin, im zweiten den Beklagten beigetreten.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage zur Hälfte, das Rheinschiffahrtsobergericht zu 2/3 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit der Revision wollen die Beklagten und die Streithelferin die Abweisung der Klage in vollem Umfang erreichen. Das Revisionsgericht hat das Urteil abgeändert und die Klage nur zu 1/3 für gerechtfertigt erklärt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht stellt fest: W sei in einem Abstand von etwa 60 m vom linken Ufer des 300 m breiten Fahrwassers zu Berg gefahren und dabei vom SB F in einem Seitenabstand von allenfalls 20 m überholt worden. Der Talfahrer V sei auf F und W zugefahren. 150 m vor V sei F nach Steuerbord gegangen, wobei zwischen F und V Steuerbordschallsignale gewechselt worden seien; danach habe sich das Boot vor W gesetzt. F sei in einem Abstand von 30 m an V vorbeigefahren, als V schon etwas zum rechten Ufer beigegangen sei. Aus alledem ergebe sich, dass V nicht in Strommitte, sondern weit linksrheinisch gefahren sei. Der Talfahrer sei zu einer solchen Fahrweise nicht gezwungen gewesen.
Der von dem Talfahrer gesteuerte Kurs sei fehlerhaft gewesen. Wegen der rechtsrheinischen, blinkenden Bergfahrt habe V blinken müssen. Das Blinklicht habe nicht für die linksrheinische Bergfahrt gegolten und habe von dieser auch nicht auf sich bezogen werden dürfen. Allein durch das Blinklicht habe der Schiffsführer von „Weerdesteyn" nicht irritiert werden können, wohl aber im Zusammenhang mit dem Kurs des Talfahrers auf dem linksrheinischen Fahrwasser. KMS V hätte zur Vermeidung voraussehbarer Irrtümer bei der linksrheinischen Bergfahrt schon wesentlich früher nach Steuerbord halten müssen.

Die Feststellungen und Erwägungen des Berufungsgerichts lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Die Rügen der Revision sind unbegründet.
Das Berufungsurteil enthält keinen Widerspruch. In dem Urteil ist nicht angenommen, V habe nach dem Passieren von F das linke Ufer angehalten. Vielmehr ist festgestellt, V habe schon während der Vorbeifahrt an F leichten Steuerbordkurs gehabt; es bestehe kein Anhaltspunkt für die Annahme, daß V nach der Vorbeifahrt nach Backbord gegangen sei.
Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Talfahrer hätte so rechtzeitig seinen Kurs nach Steuerbord richten müssen, daß bei der Schiffsführung von W kein Irrtum über die Art der Begegnung hätte entstehen können, ist rechtlich einwandfrei. Gerade bei Nacht muh der vom Talfahrer nach § 39 Nr. 1 RhSchPVO einzuschlagende Kurs so rechtzeitig eingeleitet werden, daß Zweifel über die Art der Vorbeifahrt nicht entstehen können. Dieser nautischen Sorgfaltspflicht ist die Führung von V nicht nachgekommen. Die Verletzung dieser Pflicht war auch ursächlich für den Unfall.
Das Berufungsgericht geht davon aus, der Talfahrer V habe in keiner Phase des Unfallgeschehens die Absicht gehabt, die Begegnung mit W an Steuerbord durchzuführen; auch der Bergfahrer W habe (bis zur Abgabe seines Blinklichtes in der letzten Phase des Unfallgeschehens) keine solche Absicht gehabt. Jedoch habe der Bergfahrer aus der Fahrweise des Talfahrers den Eindruck gewonnen, der Talfahrer wolle zwischen ihm und dem linken Ufer hindurchfahren. Der Bergfahrer habe daher nach § 38 Nr. 4 RhSchPVO Steuerbordsignal geben müssen; dies auch deshalb, weil die Gefahr eines Zusammenstoßes bestanden habe. Diese Ausführungen sind rechtsfehlerfrei. Insbesondere mußte der Bergfahrer schon deswegen das Steuerbordschallsignal geben, weil sich beide Schiffe auf Kollisionskurs befanden und der Talfahrer, für den Bergfahrer erkennbar, nicht rechtzeitig der Weisung des Bergfahrers zur Begegnung an Backbord durch ausreichendes Einschlagen des Steuerbordkurses folgte. Mit Recht sieht das Berufungsgericht das Unterlassen der Abgabe des Schallsignals für unfallursächlich an. Es hat dazu erwogen, bei Abgabe dieses Signals hätte der Talfahrer das Signal erwidert oder wäre weiter nach Steuerbord hinausgefahren, wodurch die Zweifel von W über die Art der Begegnung beseitigt worden wären und es nicht zum Ausweichen des Bergfahrers nach Backbord gekommen wäre.

Das fehlerhafte Manöver von W habe maßgeblich zum Zustandekommen des Unfalls beigetragen. Es könne auch nicht als Maßnahme des letzten Augenblicks entschuldigt werden, da W unterlassen habe, durch rechtzeitige Abgabe des vorgeschriebenen Schallsignals der entstandenen Gefahrensituation vorzubeugen.
Die Ausführungen im angefochtenen Urteil sind frei von Rechtsfehlern. Sie sind dahin zu ergänzen, daß das Backbordmanöver von W einen groben Verstoß gegen das Kursänderungsverbot des § 37 Nr. 3 RhSchPVO darstellt, da das Abweichen von dem festgelegten Kurs auf eine kurze Entfernung die Gefahr des Zusammenstoßes außerordentlich erhöht.
Das Berufungsgericht begründet seine Ansicht, das Verschulden der Führung von V überwiege nicht unerheblich das Verschulden der Führung von W, lediglich damit, die Gefahrensituation sei in erster Linie von der grob fehlerhaften, irritierenden Fahrweise des KMS V herbeigeführt worden; erst in dieser Gefahrensituation habe der Schiffsführer von W versagt.
Das Berufungsgericht hat bei seiner Schuldabwägung nicht berücksichtigt, daß durch die Nichtabgabe des Schallsignals seitens W die Gefahrenlage erheblich vergrößert worden ist. Dabei lag das Anwachsen der Gefahr im Bereich des Schiffsführers von W, da bei ihm der - insbesondere im Hinblick auf die vorausgegangene Begegnung von V und F - unentschuldbare Irrtum aufrechterhalten worden ist, der Talfahrer wolle ihm an der Steuerbordseite begegnen. Dazu kommt der schwere Verstoß der Führung von W gegen das Kursänderungsverbot. Unter diesen Umständen trifft die Führung von „Weerdesteyn das überwiegende Verschulden. Eine Schuldverteilung von 2:1 zu Lasten von W erscheint angemessen."