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II ZR 163/64 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 17.10.1966
Aktenzeichen: II ZR 163/64
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Für die Zulässigkeit des Wendemanövers kommt es auf die Lage im Zeitpunkt des Wendebeginns an. Der Aufdrehende ist dafür beweispflichtig, dass der übrige Verkehr das Aufdrehen zuläßt.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 17. Oktober 1966

II ZR 163/64

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Der der Klägerin gehörende Talschleppzug, bestehend aus dem leeren TMS A und dem leeren Tankkahn N, drehte in der Dunkelheit bei der Lahnmündung nach mehrfachen Wendesignalen über Steuerbord auf. Linksrheinisch kam es dabei zu einer Kollision zwischen dem Achterschiff des mit dem Kopf nach talwärts gerichteten Tankkahnes N und dem Backbordvorschiff des der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten MS M, das als Vorspann des zu Berg fahrenden MS R und dessen Anhangkahn R vom rechtsrheinischen zum linksrheinischen Ufer gewechselt hatte. Der Bergzug hatte rechtsrheinisch noch Blinksignale gegeben, diese aber beim Übergang gelöscht.

Die Klägerin verlangt Ersatz des an N entstandenen Kollisionsschadens, weil der Bergzug seine Geschwindigkeit nicht rechtzeitig herabgesetzt habe und nicht genügend nach linksrheinisch ausgewichen sei. Die Beklagten bestreiten diese Behauptung und wenden ein, daFS das Aufdrehen des Talzuges wegen zu geringen Abstandes der beiden Schleppzüge unzulässig gewesen sei.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Rheinschiffahrtsobergericht hat sie zu 1/4 für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision der Klägerin wurde unter Zurückweisung der Revision der Beklagten das Urteil aufgehoben, soweit die Klage zu mehr als der Hälfte abgewiesen worden war, und zur anderweiten Verhandlung zurückverwiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision der Klägerin muh die Feststellung im angefochtenen Urteil hinnehmen, dass MS M bereits den äußersten Rand des in der Dunkelheit noch fahrbaren Wassers eingenommen habe und nicht weiter zum linken Ufer habe ausweichen können, um die Kollision zu vermeiden.
Die Wendestelle war übersichtlich, die Führung des Talzuges hatte den Bergzug erkannt. Mit Recht hat das Berufungsgericht dem Führer des Talzuges die Pflicht auferlegt, bei der tatsächlichen Einleitung seines Aufdrehmanövers zu prüfen, ob der Abstand zum Bergzug für ein gefahrloses Wenden ausreichte. Für die Zulässigkeit des Wendemanövers kommt es auf die Lage im Zeitpunkt des Wendebeginns an, nicht dagegen auf die Verkehrslage, wie sie im Zeitpunkt der Abgabe des (vorletzten) Aufdrehsignals bestanden hat; diese frühere Lage spielt nur für das Mitverschulden des Bergschleppzuges eine Rolle. Die Revision der Klägerin kann demnach für die Frage der Zulässigkeit des Wendemanövers für sich nichts aus dem Umstande herleiten, daß etwa im Zeitpunkt der Abgabe des vorletzten Signals das Wenden zulässig gewesen wäre.
Auch wenn unterstellt wird, der Talzug habe für seine Maßnahmen (Wenden von MTS A etwa bis zur Querlage, Setzen des Bugankers von MTS A, Fieren der Kreuzdrähte von MTS A zu SK N, Backbordruder durch SK N und sodann Springenlassen des Ruders, Aufstreckbewegung des MTS A und Einschwenken von SK N fast bis zur Querlage) 10 Minuten benötigt, war das Wendemanöver unzulässig. Die Revision beachtet nicht die Feststellungen im angefochtenen Urteil, daß der Talzug mit dem Wenden erst begonnen hat, als sich der Bergzug bereits im Übergang befand, daß der Bergzug diesen Seitenwechsel so kurz wie möglich durchgeführt und danach seine Geschwindigkeit verringert hat. Diese Feststellungen stehen der Behauptung der Revision entgegen, der Bergzug sei während dieser 10 Minuten größtenteils mit Vollkraft gefahren. Mit voller Kraft fuhr der Bergzug während des Seitenwechsels. Das hat das Berufungsgericht - rechtlich unangreifbar - für nautisch richtig gehalten, weil bei der Verkehrslage der Bergzug erst einmal alle Kraft habe einsetzen müssen, um aus der eigentlichen Gefahrenzone herauszukommen. Die Revision meint zwar, der Bergzug sei hierdurch gerade beschleunigt in die Gefahrenzone hineingefahren. Sie hat dabei aber die weitere zutreffende Feststellung des Berufungsgerichts übersehen, daß die Führung des Bergzuges in der Dunkelheit den Ablauf des Aufdrehmanövers im voraus nicht habe abschätzen können. Die Führung des Bergzuges konnte nicht voraussehen, wie weit der Talzug beim Aufdrehen abgetrieben werden würde, und muhte daher in erster Linie danach trachten, aus dem Drehkreis des Bergzuges herauszukommen.
Im übrigen ist der Aufdrehende (§ 46 RhSchPVO) nach der Rechtsprechung des Senats (VersR 1964, 502, 503; vgl. VersR 1965, 659, 660), von der abzugehen kein Anlaß besteht, dafür beweispflichtig, daß der übrige Verkehr, hier der Bergzug, das Aufdrehen zuläßt, daß also der Abstand zwischen den beiden Schleppzügen bei Wendebeginn für ein gefahrloses Aufdrehen ausreicht, wenn der Gegenfahrer seiner gesetzlichen Pflicht entsprechend seine Geschwindigkeit vermindert oder (und) seinen Kurs ändert. Einen solchen Abstand hat die Klägerin jedenfalls nicht bewiesen.
Hiernach ist die Revision der Klägerin insoweit unbegründet, als sie ein Verschulden ihres Schleppzugführers bestreitet.
Die Führung des MS M kann sich entgegen der Ansicht der Revision der Beklagten nicht darauf berufen, sie habe bei der Dunkelheit die Eigenschaften des Talzuges, insbesondere die Länge des SK N nicht rechtzeitig ausmachen können. Die Führung von MS M hat erkannt, dah ihr ein Schleppzug entgegen kam. Sie muhte auch einen derartig zusammengestellten Schleppzug, der auf dem Rhein nichts Ungewöhnliches darstellt, in Rechnung stellen. Deshalb und gerade weil sie den Anhang des Talzuges nicht rechtzeitig ausmachen konnte, konnte die Führung von MS M bei der bedrohlichen Annäherung des Talzuges auch nicht darauf vertrauen, daß ihr eine gefahrlose Durchfahrt am linken Rheinufer freigehalten würde. Sie muhte daher die Fahrt sofort einstellen.
Die Revision der Klägerin ist der Auffassung, MS M habe ihre Geschwindigkeit nicht erst dann herabsetzen müssen, als bemerkt worden sei, dass der Talzug tatsächlich aufdrehte, sondern bereits nach Wahrnehmung der ersten Aufdrehsignale des Talzuges.
Ein Zeuge hat bekundet, er habe, neben seinem Vater stehend, in einer Entfernung von mehr als einem Kilometer das Aufdrehsignal von MTS A optisch wahrgenommen. MS M habe dann zunächst noch drei Einzelfahrer, die zu Tal gekommen seien, vorbeigelassen und sei hinter diesen zur linken Rheinseite unter Ausschaltung des Blinklichtes hinübergegangen; nach dem Übergang sei die Maschine auf halbe Kraft gesetzt worden.
Bei der Dunkelheit konnte man auf MS M weder die Zusammensetzung des entgegenkommenden Talzuges ausmachen noch die Entfernung zu diesem zuverlässig schätzen. Um jedes Risiko auszuschließen, muhte man auf MS M während der rechtsrheinischen Fahrt bis zur Beendigung der Vorbeifahrt der drei Talfahrer mit verminderter Fahrt fahren; man hätte erst vom Beginn des Überganges an bis zum Erreichen des linken Ufers mit voller Kraft fahren dürfen.
Das Berufungsgericht hat zu diesem Punkt lediglich die Ansicht der Klägerin gewürdigt, MS M hätte schon auf die Aufdrehsignale des Talzuges hin, vor dem Seitenwechsel, die Geschwindigkeit vermindern müssen; es hält diesen Standpunkt für unbegründet, weil MS M habe versuchen müssen, möglichst schnell aus dem Drehkreis des Talzuges hinauszukommen. Dabei ist übersehen, dass der Abstand zwischen den beiden Schleppzügen beim Beginn des Aufdrehens gröber gewesen wäre, wenn MS M auf das Aufdrehsignal hin seine Fahrt vermindert hätte.
Das Berufungsurteil muss daher teilweise aufgehoben werden.
Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob der Unfall vermieden worden wäre, wenn MS M nach Wahrnehmung des Aufdrehsignals bereits während seiner Fahrt am rechten Ufer und während der Vorbeifahrt der drei Talfahrer seine Fahrtstufe herabgesetzt hätte. Wird diese Frage bejaht, so kann die Ansicht des Berufungsgerichts nicht aufrechterhalten werden, zugunsten der Beklagten falle entscheidend ins Gewicht, dass der Kapitän von MS M erst in der letzten Phase des Unfallgeschehens versagt habe. In diesem Falle ist die mangelnde Rücksichtnahme des Bergzuges um so mehr auf die Waagschale zu legen, als sich die Führung von MS M der nicht einfachen Lage eines aufdrehenden Schleppzuges bei Dunkelheit bewußt sein muhte. Letzteres gilt in erhöhtem Mahe für die Führung von MTS A, der überdies die Hauptverantwortung für das Gelingen des Wendemanövers zufiel (BGH VersR 1961, 1087,-1088)."