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II ZR 165/64 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 27.02.1967
Aktenzeichen: II ZR 165/64
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Zur Verkehrssicherungspflicht der Wasserstraßenverwaltung bezüglich der Beseitigung von Brückentrümmern, die bei Sprengungen im Jahre 1945 in die Wasserstraße gelangt sind.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 27. Februar 1967

(Schiffahrtsgericht Dortmund; Schiffahrtsobergericht Hamm)

Zum Tatbestand:

Der mit Brechkoks beladene Schleppkahn „S 2" der Klägerin stieß als fünfter und letzter Anhang eines Talschleppzuges auf dem Rhein-Herne-Kanal 50 m unterhalb der Autobahnbrücke bei Henrichenburg in der Mitte des Fahrwassers unter Wasser an einen, wie sich später herausstellte, teilweise mit Muscheln besetzten Eisenträger von 4,35 m Länge, 45 cm Steghöhe, 20 cm Flanschbreite und etwa 10 Zentner Gewicht und schlug leck. Bei einer zugelassenen Tauchtiefe von 2,50 m und einer Wassertiefe von mindestens 3,30 m an der Unfallstelle betrug der Tiefgang des Kahnes 1,98 m. Die Klägerin behauptet, dass die Beklagte es als Eigentümerin und Verwalterin des Kanals schuldhaft unterlassen habe, wenigstens die größeren von der 1945 erfolgten Sprengung der Autobahnbrücke herrührenden Trümmerstücke auch unterhalb der Tauchtiefe zu beseitigen, obwohl dies in den 16 Jahren bis zum Unfall technisch möglich und zumutbar gewesen sei.
Die Beklagte bestreitet nicht, dass der Schiffsschaden auf die Anfahrung des Eisenträgers beruht, behauptet aber, dass der 1945 fast leere Kanal auf Hindernisse abgesucht worden sei. Unterlagen über die damaligen Räumungen seien allerdings nicht mehr vorhanden. Im Jahre 1952 habe man die Kanalsohle nach dem Wiederaufbau der Autobahnbrücke aber nochmals - mit negativem Erfolg - von einem Taucher absuchen lassen. Auch eine Abfahrung des Kanals an der Unfallstelle mit einem auf 3,20 m Tiefe eingestellten Peilrahmen sowie eine Echolotquerpeilung - beides im Jahre 1960 - hätten keine Ergebnisse gehabt.
Schifffahrts- und Schifffahrtsobergericht haben der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Die Revision der Beklagten führte zur Abweisung der Klage.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht führt aus: Die Havariestelle liege innerhalb des Auswirkungsbereichs der Sprengung der alten Autobahnbrücke. Der Eisenträger, auf den der Kahn aufgelaufen sei, sei ein Teil einer Regenrinne der im Jahre 1945 gesprengten Brücke und habe schon seit der Sprengung auf dem Kanalgrund gelegen. Zwar sei im Sommer und Herbst 1945 der leere Kanal durch britische Pioniere und durch Bedienstete der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung von Trümmern geräumt worden. Damals habe sich aber etwa in der Mitte des Kanals eine Wasserrinne mit der Tiefe bis zu 40 oder 50 cm befunden. „Flach in dieser Rinne liegend, wäre der Eisenträger nicht ohne weiteres sichtbar gewesen." Keiner der Zeugen habe bestätigt, dass auch in der Wasserrinne gründlich nach Trümmern geforscht worden sei. Infolge durchhängender Schlepptrossen oder Anker sei der Träger wohl zum Schifffahrtshindernis geworden.
Die von der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung im Jahre 1952 durch Taucher und Greifbagger vorgenommene Abschlusskontrolle habe sich nur auf das Kanalbett im nächsten Brückenbereich bis zu 20 m vor der Unfallstelle erstreckt. Durch tastendes Absuchen Meter für Meter, wie es in jenem Bereich geschehen sei, würde der Taucher an der Havariestelle den Eisenträger entdeckt haben, denn der Träger habe nicht unter einer tiefen, unzugänglichen Schlammschicht versteckt sein können, da der Kanalgrund aus einer festen Mergelschicht bestehe, auf der sich normalerweise kein Schlamm ablagere. Das Absuchen mit Peilrahmen, die Echolotpeilungen und die Bearbeitung mit Eimerbagger seien unzureichend gewesen, da bei der Tiefeneinstellung dieser Geräte die Kanalsohle an der Unfallstelle nicht habe erreicht werden können.
Der Ansicht im angefochtenen Urteil, die Beklagte habe im Jahre 1952 ihre Sorgfaltspflicht verletzt, weil sie damals die Abschlusskontrolle der Kanalsohle nicht auf den gesamten Bereich der Sprengwirkung angeordnet habe, kann nicht zugestimmt werden. Die Trümmer der gesprengten Brücke sind im Jahre 1945 beseitigt worden. 1952 bestand kein Anlass zu einer nochmaligen Kontrolle, da es sich damals nur darum gehandelt hat, die für die Freigabe des Kanalabschnitts zum zweischiffigen Verkehr erforderlichen Maßnahmen zu treffen, insbesondere das im Kanalbett für den einschiffigen Verkehr eingebaute Leitwerk nebst seinen Pfählen zu beseitigen. Dazu bedurfte es nicht der Kontrolle der Kanalsohle bis zur Unfallstelle. Mangels irgendwelcher konkreter Anhaltspunkte bestand für die Behörde im Jahre 1952 kein Anlass, die Frage, ob die Brückentrümmer im Jahre 1945 im Bereich der ganzen Sprengwirkung ordnungsgemäß beseitigt worden seien, erneut zu prüfen. Einen solchen Anlass bildete auch nicht die Tatsache, dass wegen der Nachkriegsverhältnisse (Besatzungszeit) schriftliche Unterlagen über die Durchführung der vom Oberpräsidenten in Münster im Jahre 1945 angeordneten Kanaluntersuchung nicht mehr vorhanden waren. Da inzwischen 7 Jahre vergangen waren, konnte die Behörde davon ausgehen, dass die Trümmerbeseitigung ordnungsgemäß vorgenommen worden war; sie konnte sich in diesem Zeitpunkt und in der Folgezeit darauf beschränken, das Kanalbett durch auf Solltiefe eingestellte Bagger oder entsprechende Peilungen zu überprüfen (vgl. BGH VersR 1963, 551). Es ist auch eine unzulässige rückschauende Betrachtung, wenn das Berufungsgericht meint, bei eingehender Befragung ihrer Bediensteten wäre die Sprache auf die Wasserrinne gekommen und die Frage aufgetaucht, ob diese gründlich auf Trümmer untersucht worden sei.
Zugunsten der Klägerin mag unterstellt werden, dass im Jahre 1945 die Bediensteten der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung die Wasserrinne pflichtwidrig nicht abgesucht haben und dass die Beklagte für diese Versäumnisse haftet. Auch dann ist die Klage nicht begründet, da nicht feststeht, dass durch eine solche pflichtwidrige Unterlassung der Beklagten der Schaden verursacht worden ist. Der entscheidende, oben unter 1 wörtlich wiedergegebene Satz des angefochtenen Urteils enthält keine Feststellung darüber, dass der Eisenträger 1945 tatsächlich flach der Länge nach in der Wasserrinne des ausgelaufenen Kanals gelegen habe. Er besagt vielmehr, dass der Träger dann nicht sichtbar gewesen wäre, wenn er so in dieser Rinne gelegen hätte. Damit ist nur gesagt, dass die Möglichkeit einer solchen zufälligen und außergewöhnlichen Lage bestand. Das genügt nicht für eine Haftung der Beklagten. Die Lage des bei gründlichem Absuchen auffindbaren Eisenträgers in der Wasserrinne, deren Breite nicht einmal festgestellt ist, gehört zu den haftungsbegründenden Tatsachen; denn das Berufungsgericht wirft der Beklagten lediglich vor, sie habe die Wasserrinne nicht gründlich absuchen lassen; dieser Vorwurf kann aber nur dann zu einer Schadensersatzpflicht der Beklagten führen, wenn sich der Eisenträger dort befunden hat. Dafür ist die Klägerin nach § 286 ZPO voll beweispflichtig. Diesen Beweis hat sie nicht geführt. Es ist nicht auszuschließen, dass sich der 10 Zentner schwere Träger, der durch die Sprengung 50 m weit geschleudert worden ist, so tief in das Kanalbett hineingebohrt hat, dass er nicht sichtbar war oder im Zusammenhang mit späteren Ereignissen so verdeckt worden ist, dass er damals beim Absuchen nicht mehr entdeckt werden konnte. Da die Lage des Trägers für das Jahr 1945 nicht festgestellt werden kann, fehlt es an einer genügenden tatsächlichen Grundlage für die Feststellung, dass die Beklagte damals infolge ihres Verschuldens den Träger nicht entdeckt hat."