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II ZR 169/60 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 12.03.1962
Aktenzeichen: II ZR 169/60
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Das Wenden zu Tal ist bereits dann unzulässig, wenn ohne die sofortige Reaktion eines anderen Fahrzeugs (im Sinne einer erheblichen Geschwindigkeits- oder Kursänderung) eine Gefahrenlage geschaffen würde, mag diese auch bei sofortiger Reaktion durch geschicktes nautisches Verhalten der Beteiligten noch gemeistert werden können. Das Wenden ist immer dann unzulässig, wenn das andere Fahrzeug nicht nur seine Fahrt vermindern, sondern abstoppen oder gar zurückschlagen müßte. Der Wendende hat zu beweisen, daß er das Wenden in genügender Entfernung von dem anderen Fahrzeug angekündigt oder, falls er kein Wendesignal gegeben hat, begonnen hat. Das zu Tal wendende Fahrzeug ist kein Talfahrer im Sinne des § 38.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 12. März 1962

(Rheinschiffahrtsgericht DuisburgRuhrort/Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

II ZR 169/60

Zum Tatbestand:

Während oberhalb Neuwied der Schleppzug „F" mit 5 Anhängen am linken Ufer zu Berg fuhr, wendete rechtsrheinisch der dem Bekl. zu 1 gehörende, vom Bekl. zu 2 geführte Motorschlepper „B" mit dem beladenen Kahn „C" auf erster Länge und 2 leeren Kähnen „D" und „E" auf zweiter Länge über Steuerbord zu Tal. Dabei kam es zwischen dem der Klägerin gehörenden, mehr zur Strommitte hin zu Berg fahrenden Tankmotorschiff „A", das zuvor an Steuerbordseite ein zu Tal kommendes Motorschiff „H" vorbeigelassen und zu diesem Zweck die blaue Seitenflagge gesetzt hatte, und dem Kahn „C" zur Kollision. MTS „A", das am Vorschiff backbords erfaßt wurde, macht Schadensersatzansprüche gegen „B" mit der Behauptung geltend, daß das Wendemanöver unzulässig gewesen sei. Der Eigner von Kahn „C" hat sich als Nebenintervenient wegen seiner eigenen Schäden der Klägerin angeschlossen.
Die Klage wurde vom Rheinschiffahrtsgericht dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Ebenso wie die Berufung war auch die Revision der Beklagten erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach § 47 Nr. 1 RhSchPVO ist das Wenden zu Tal nur erlaubt, wenn dieses Manöver ausgeführt werden kann, ohne daß andere Fahrzeuge gezwungen sind, unvermittelt ihre Geschwindigkeit zu vermindern oder ihren Kurs zu ändern. Wie der Senat anläßlich einer Entscheidung (VersR 1960 S. 535, 536 f), die eine Querfahrt (§ 49 Nr. 1 i. Zus. mit § 47 Nr. 1) zum Gegenstand hatte, ausgeführt hat, wird durch § 47 Nr. 1 der durchgehenden Schiffahrt ein Vorrecht eingeräumt; der fließendeVerkehr muß zwar auf den zu Tal Wendenden Rücksicht und eine geringfügige Fahrtbeeinträchtigung in Kauf nehmen, das Wendemanöver darf aber nicht in unzumutbarer Weise zu einer wesentlichen Fahrtbehinderung der durchgehenden Schiffahrt führen. Eine „unvermittelte" Maßnahme eines anderen Fahrzeuges, mag dieses ein Berg- oder ein Talfahrer sein, ist dann erforderlich, wenn das Fahrzeug auf das Wendesignal oder, falls ein solches nicht gegeben wird, auf den Wendebeginn hin sofort erheblich seine Geschwindigkeit vermindern oder seinen Kurs ändern muß, um eine sonst entstehende Gefahrenlage zu verhüten. Das bedeutet einmal, daß das Wenden zu Tal schon dann unzulässig ist, wenn auf die Ankündigung oder den Beginn des Wendens hin bei der Anwendung nautischer Sorgfaltspflicht ein sofortiges Reagieren eines anderen Fahrzeuges im Sinne einer erheblichen Geschwindigkeits- oder Kursänderung erforderlich wäre. Es bedeutet aber weiter, daß das Wenden auch dann unzulässig ist, wenn ohne diese sofortige Reaktion nur eine Gefahrenlage geschaffen würde, mag diese auch bei sofortiger Reaktion durch geschicktes nautisches Verhalten der Beteiligten noch gemeistert werden können. Selbstverständlich ist das Wenden erst recht dann unzulässig, wenn das andere Fahrzeug nicht nur seine Fahrt vermindern, sondern abstoppen oder gar zurückschlagen müßte. Wie der Senat in dem bezeichneten Urteil weiter ausgeführt hat, geht es zu Lasten des Querfahrers (hier des Wendenden), wenn ausreichende Feststellungen für die Zulässigkeit einer Querfahrt (hier des Wendens zu Tal) nicht getroffen werden können.
Die Revision steht auf dem Standpunkt, bei den im angefochtenen Urteil angenommenen 150 bis 200 m Abstand vom Ende des Schleppzuges sei „A" nicht gezwungen gewesen, die Geschwindigkeit oder den Kurs „unvermittelt" zu ändern. Dabei irrt die Revision schon in tatsächlicher Richtung, da sie offensichtlich außer acht läßt, daß ein Tankmotorschiff, das vollan zu Berg fährt, durch seine Schubkraft selbst nach abgestelltem Motor noch eine weite Strecke voraus getrieben wird, und daß ein von der Stelle drehender Schleppzug während des Wendens von der Strömung zu Tal getrieben wird.
Die Revision ist weiter der Ansicht, auch der zu Tal wendende Schleppzug sei im Sinne des § 38 ein Talfahrer, so daß § 37 Nr. 2 mit seinem Verbot der Kursänderung eingreife. Dabei ist schon der tatsächliche Ausgangspunkt der Revision, „A" habe seinen Kurs unter Fahrtverminderung nur beizubehalten brauchen, unrichtig. Nach der auch hier maßgebenden Feststellung des Rheinschiffahrtsgerichts hat sich „A" vor dem Wendesignal und Wendebeginn nicht im gleichen Kurs wie der Schleppzug „B" befunden, sondern hat im Verhältnis zu diesem mehr zur Strommitte gelegen. Danach hätte also „A" unter Beibehaltung seines Kurses keinesfalls den Schleppzug achtern umfahren können, sondern wäre voll in den Drehkreis des wendenden Zuges hineingefahren. Die Schiffsführung von „A" hat demnach § 37 Nr. 2 nicht verletzt. Eine Verletzung des § 37 Nr. 2 scheidet aber auch deshalb aus, weil diese Bestimmung nur für das Begegnen und Überholen, nicht aber für das Wenden gilt. Unhaltbar ist die Ansicht der Revision, das zu Tal wendende Fahrzeug sei im Sinne des 38 ein Talfahrer. Diese Ansicht hat der Senat in dem bezeichneten Urteil (VersR 1960, 536) schon für den Querfahrer abgelehnt; das gilt erst recht für den Wendenden. Damit erweist sich aber auch die Meinung der Revision, der Beklagte zu 2 habe die von „A" gesetzte blaue Seitenflagge (§ 38 Nr. 3a) auf sich beziehen dürfen, als Irrtum. „A" hatte diese Flagge setzen müssen, da sie die ankommende Talfahrt „H" an Steuerbord vorbeifahren lassen wollte. Mit Recht hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, der Beklagte zu 2 könne sein objektiv unzulässiges Wendemanöver nicht damit entschuldigen, daß er die Flagge auf sich bezogen und deshalb gemeint habe, „A" wolle seinen Zug achtern umfahren. „A" mußte die Flagge bis zur Beendigung der Vorbeifahrt des Talmotors „H" beibehalten (§ 38 Nr. 3) und danach einziehen, da sie das inzwischen zu Tal gedrehte Schleppboot „B" an Backbord vorbeifahren lassen wollte. In dieser Weise hat sich das Flaggenzeichen von „A" nach der Feststellung im angefochtenen Urteil vollzogen.

Aus all dem ergibt sich, daß das Berufungsgericht ebenso wie das Rheinschiffahrtsgericht ohne Rechtsfehler zu der Auffassung gekommen ist, daß das Wendemanöver des Beklagten zu 2 unzulässig war und der Beklagte schuldhaft gegen die Vorschrift des § 47 Nr. 1 verstoßen hat. Daß sein Verhalten für den Unfall ursächlich war, bedarf keiner Darlegung. Die Beklagten sind daher nach §§ 3, 4, 92, 114 BSchG, §§ 735, 739 Abs. 2 HGB, §§ 823, 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner zum Schadensersatz verpflichtet.

Ein Mitverschulden der Schiffsführung von „A" hat das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum verneint. Zuungunsten der die Beweislast tragenden Beklagten muß davon ausgegangen werden, daß „A" beim Beginn des Wendemanövers, das nach der Feststellung des Berufungsgerichts gleichzeitig mit der Signalabgabe erfolgte, bereits die zweite Länge des wendenden Zuges erreicht hatte. Dann mußte die Schiffsführung von „A" ohne Überlegungsfrist den Entschluß fassen, ob sie abstoppen und zurückschlagen oder nach Steuerbord ausweichen wollte. Jede dieser durch das nautisch fehlerhafte Verhalten des Beklagten zu 2 erzwungenen Maßnahmen trug ihre Gefahren in sich. Das gilt auch von dem Abstoppen und Zurückschlagen. Denn einerseits wurde, worauf oben bereits hingewiesen ist, der wendende „B"-Zug beim Wenden von der Stelle weg nicht unerheblich zu Tal getrieben; dies ergibt sich aus der Feststellung des Berufungsgerichts, der ebenfalls von der Stelle weg abgezogene große Kahn „C" habe im Zeitpunkt der Kollision quer im Strom gelegen und die zweite Länge habe gerade erst begonnen, mitzugehen. Andererseits wäre das fast vollbeladene Tankschiff auch nach dem Zurückschlagen noch eine erhebliche Strecke vorausgefahren. Wenn das Berufungsgericht unter diesen Umständen zu der Überzeugung gekommen ist, es sei nicht bewiesen, daß der Entschluß des Ausweichens nach Steuerbord unsachgemäß gewesen sei, so kann dies aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden. Wenn in dem angefochtenen Urteil schließlich ein Verschulden der Schiffsführung von „A" auch nicht darin gesehen wird, daß sie im letzten Augenblick nicht noch näher an den „F" Schleppzug herangegangen ist, sondern ihr Schiff aufstreckte, um mit ihrer empfindlichen Ladung nicht noch viel gefährlicher breitseits von dem schweren Talkahn getroffen zu werden, so liegt auch darin kein Rechtsfehler. Eine Anwendung des § 736 HGB und des § 254 BGB scheidet demnach aus.