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II ZR 169/67 - Bundesgerichtshof (-)
Entscheidungsdatum: 28.02.1969
Aktenzeichen: II ZR 169/67
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: -

Leitsatz:

Zu den Pflichten des Schiffseigners/Frachtführers und des Schiffsführers eines Motortankschiffs, das brennbare Flüssigkeiten der Gefahrenklasse K 1 befördert. - Über Wahrschau der Schiffahrt beim Leckwerden des Tankschiffs.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 28. Februar 1969

(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar; Rheinschifffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Das der Beklagten zu 4 gehörende, vom Beklagten zu 5 geführte und mit Cyclohexan beladene TMS „E 17" wurde auf der Bergfahrt am 14. 7. 1964 nach 17.00 Uhr bei Rhkm 449,3 von dem der früheren Beklagten zu 1 gehörenden zu Tal fahrenden MS „H" - verantwortlicher Schiffsführer war der frühere Beklagte zu 2, Rudergänger kurz vor der Kollision der frühere Beklagte zu 3 -angefahren. Infolge der Kollision, die allein von der Besatzung des MS „H" verschuldet war, floß ein Teil der Ladung aus TMS „E 17" aus und trieb auf der Wasseroberfläche unter Entwicklung starker Dämpfe zu Tal. Bei km 452,1-3 erreichte das ausgeströmte Cyclohexan die der Klägerin gehörenden, aneinander gemeerten und zu Berg fahrenden MS „BC" und „M". Bei einer Explosion um 18.32 Uhr gerieten die beiden Motorschiffe in Brand, auf denen 5 Personen den Tod fanden.
Die Klägerin hat von den 5 Beklagten als Gesamtschuldnern die Erstattung des Sachschadens, des Nutzungsverlustes und der Expertisekosten in Höhe von insgesamt etwa 43000,- DM verlangt und dabei die Beklagte zu 4, unbeschränkt persönlich sowie zugleich mit TMS „E 17" und der am Unfalltage geladenen Fracht haftend, in Anspruch genommen.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat die Klage gegen die Beklagten zu 1-3 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und gegen die Beklagten zu 4 und 5 abgewiesen. Das Rheinschifffahrtsobergericht hat die Klage gegen die 5 Beklagten dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Lediglich die Beklagten zu 4 und 5 (nur noch als die und der Beklagte oder die Beklagten bezeichnet) haben Revision eingelegt, nach deren Einlegung die Klägerin von den Beklagten zu 1-3 befriedigt worden ist. Darauf beantragte die Klägerin, die Hauptsache für erledigt zu erklären und den beiden Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, hilfsweise die Revision zurückzuweisen. Das Revisionsgericht erklärte die Hauptsache für erledigt und legte den Beklagten die Kosten auf.

Aus den Entscheidungsgründen:

Tatsächlich geht der Streit der Parteien darum, ob die Klage gegen die beiden Beklagten überhaupt begründet war. War sie begründet, so ist der Rechtsstreit durch die Zahlung der Beklagten zu 1 bis 3 erledigt und sind den Beklagten zu 4 und 5 nach § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. War die Klage nicht begründet, so ist sie gegenüber den beiden Beklagten abzuweisen und trifft die Klägerin die Kostenpflicht (RGZ 156, 372, 376 f; BGHZ 23, 333, 340; 37, 137, 142; BGH NJW 1965, 296, 297; BGH WM 1968, 452).
Für die Zulässigkeit der Revision der beiden Beklagten ist der einseitige Antrag der Klägerin auf Erledigterklärung ohne Bedeutung (§ 4 Abs. 1 ZPO), da die Klägerin nicht durch die Beklagten, sondern durch Dritte, nämlich die Beklagten zu 1 bis 3, klaglos gestellt worden ist (RGZ 168, 355; BGH NJW 1951, 274).
Den Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen der Beschädigung ihrer Schiffe sieht das Berufungsgericht deshalb für dem Grunde nach gerechtfertigt an, weil die Beklagte es unterlassen hat, ihren Schiffsführer über die spezifischen Eigenschaften und die besondere Gefährlichkeit des von ihm beförderten Cyclohexans in Kenntnis zu setzen, und der Beklagte verabsäumt hat, selbst sich in dieser Hinsicht zu informieren.
Im angefochtenen Urteil wird zugunsten der beiden Beklagten unterstellt, dass der Beklagte unverzüglich nach der Kollision um 17.15 Uhr fernmündlich der Wasserschutzpolizei den Unfall gemeldet und mitgeteilt habe, das aus dem Tanker ausströmende Cyclohexan gehöre der Gefahrenklasse K 1 an. Infolge seiner eigenen, von der Beklagten verschuldeten Unkenntnis über die Eigenschaften der Ladung (der Beklagte hatte angenommen, das Cyclohexan vermische sich mit dem Wasser und sei dann nicht mehr feuergefährlich) habe der Beklagte bei seiner fernmündlichen Meldung die Wasserschutzpolizei nicht über die unmittelbar drohende Explosionsgefahr, die im Bereich des stromabwärts fließenden Cyclohexans für die Schifffahrt bestanden habe, unterrichtet. Die Polizei habe daher erst bei der BASF Erkundigungen einziehen müssen, wodurch wertvolle Zeit verlorengegangen sei. Da sich die Explosion um 18.32 Uhr ereignet habe, habe knapp eine Stunde zur Verfügung gestanden; dieser Zeitraum hätte, wofür ein Anscheinsbeweis spreche, ausgereicht, um gefahrabwendende Maßnahmen zu treffen, wenn der Beklagte die Polizei von der Explosionsgefahr unterrichtet hätte.
Es kann die Ansicht der Revision, das Berufungsgericht habe die an einen Frachtführer und Schiffsführer zu stellenden Anforderungen überspannt, nicht gebilligt werden. Wer gefährliches Gut befördert, muss sich - unbeschadet der etwaigen Pflichten von Absender, Verlader und Empfänger -nicht nur über die von dem Gut ausgehenden möglichen Gefahren genau informieren. Er muss, schon bevor eine Gefahr akut wird, Überlegungen anstellen, wie er etwa eintretenden Gefahrenlagen, insbesondere solchen bei Leckwerden eines Tankschiffs, zu begegnen hat. Dabei muss er alle solche denkbaren Gefahrenlagen ins Auge fassen und planmäßig festhalten, wie er sich bei Eintritt einer akuten Gefahr zu verhalten hat.
Hätten die Beklagten sich pflichtgemäß über die Eigenschaften des Cyclohexan unterrichtet, so hätten sie erfahren, was der Wasserschutzpolizei auf fernmündlichen Anruf bei der BASF mitgeteilt worden ist, dass nämlich Cyclohexan nicht wasserlöslich ist und sich etwa wie Benzin verhält, von dem man, wie die Revisivon selbst ausführt, jedenfalls seit der Katastrophe von Emmerich am 7. Oktober 1960 (vgl. BGHZ 45, 237 = VersR 1966, 650 - ZfB 1966, 238) weiß, dass es auch auf dem Wasser in Brand geraten und verheerende Schäden hervorrufen kann. Da, wie im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt ist, mit Kollosionen und daher auch mit dem Auslaufen des Cyclohexan in den Strom stets gerechnet werden muss, hätten die Beklagten vor Reiseantritt überlegen müssen, welche Maßnahmen die Besatzung in einem solchen Fall zu ergreifen hat. Unter sorgfältiger Überlegung müssen Eigner und Führer eines Motortankschiffs von vorneherein planmäßig festlegen, dass nicht nur die Wasserschutzpolizei und das Wasser- und Schifffahrtsamt oder die Wasser- und Schifffahrtsdirektion sofort unter nachdrücklichem Hinweis auf die der Schifffahrt drohende schwere Gefahr von der Kollision und dem Ausströmen der gefährlichen Ladung zu unterrichten sind, sondern dass auch die Schiffsbesatzung selbstentsprechend der beim Festfahren oder Untergang eines Schiffs in § 93 RhSchPVO vorgeschriebenen Wahrschau - die von Oberstrom und vor allem von Unterstrom sich nähernde Schifffahrt zu wahrschauen hat, da bis zum behördlichen Eingreifen kostbare Zeit verstreicht. Dabei sind die zu treffenden Maßnahmen (Achtungssignale, Zuruf durch Handlautsprecher usw.) von vorneherein im einzelnen festzulegen. Insbesondere ist dafür zu sorgen, dass ein Matrose unmittelbar nach dem Entdecken des Auslaufes der Ladung mit dem Nachen vor dem mit der Strömung treibenden Cyclohexan den Bergfahrern entgegenzufahren und diese durch Handlautsprecher aufzufordern hat, sofort am Ufer zu halten, die Maschinen abzustellen, alle Feuer zu löschen und jede Funkenbildung durch Rauchen, Schalten usw. zu vermeiden. Um die Wahrschaupflicht erfüllen zu können, muss jedes Motortankschiff mindestens zwei Handlautsprecher an Bord haben. Kein Schiffseigner oder Schiffsführer kann sich auf das Fehlen von Vorschriften berufen, durch die im einzelnen angeordnet wird, welche Vorkehrungen und Maßnahmen von einem Motortankschiff im Falle des Auslaufens der Ladung getroffen werden müssen. Denn es handelt sich hier um Sorgfaltspflichten, deren Erfüllung durch § 276 BGB geboten ist.
Zu den vom Berufungsgericht erwogenen behördlichen Maßnahmen kommen also die Wahrschau-Maßnahmen hinzu, die die Schiffsbesatzung selbst pflichtgemäß hätte treffen müssen. Dann kann aber umso weniger beanstandet werden, dass das Berufungsgericht zu der Überzeugung gekommen ist, dass bei pflichtgemäßem Verhalten der beiden Beklagten der tragische Unglücksfall vermieden worden wäre. Dass der Matrose mit seinem Nachen die Motorschiffe der Klägerin früher erreicht hätte als das Cyclohexan, die Besatzungen dieser Schiffe daher rechtzeitig hätte warnen können, kann schon im Hin¬blick darauf, dass die Dämpfe sich erst allmählich stark entwickelten und die Explosion erst nach über einer Stunde in einer Entfernung von 2,8 bis 3 km vom Kollisionsort stattfand, nicht zweifelhalt sein.
Hiernach sind die Revisionsangriffe gegenstandslos, die sich gegen die Ausführungen im angefochtenen Urteil über die Ursächlichkeit des Verhaltens der Beklagten, insbesondere gegen die Annahme eines Anscheinsbeweises richten.
Die Beklagten sind der Klägerin, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, unbeschränkt zum Schadensersatz nach § 823 BGB verpflichtet. Der Beklagte hat in Ausführung seiner Dienstverrichtung schuldhaft unterlassen, die Motorschiffe der Klägerin zu wahrschauen; für den dadurch entstandenen Schaden haftet die Beklagte auch mit Schiff und Fracht (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 3 BSchG). Die Meinung der Revision, § 3 Abs. 1 BSchG sei nur im Falle nautischen Verschuldens anzuwenden, findet im Gesetz keine Grundlage. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass der Beklagte die Kollision nicht verschuldet hat. Auf der Rechtsgrundlage des § 92 BSchG in Verbindung mit § 734 ff HGB wird die Beklagte nicht zur Verantwortung gezogen. Ihre Haftung gründet sich, ebenso wie die Haftung des Beklagten, darauf, dass sie die im Falle des Leckwerdens des TMS „E 17" erforderlichen Maßnahmen nicht getroffen hat.
Das Berufungsgericht hat daher zutreffend die Klage gegenüber den Beklagten zu 4 und 5 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Eine Erörterung der gegen die Beklagte gerichteten Klage unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 22 Abs. 2 WHG erübrigt sich.
Hiernach ist die Hauptsache erledigt und dem Klageabweisungsantrag der beiden Beklagten nicht stattzugeben."

Veröffentlicht in ZfB 1969, S. 166; ZfB 1969, 166

Zu den Pflichten des Schiffseigners/Frachtführers und des Schiffsführers eines Motortankschiffs, das brennbare Flüssigkeiten der Gefahrenklasse K 1 befördert. - Über Wahrschau der Schifffahrt beim Leckwerden des Tankschiffs.

Anmerkung der Redaktion:

I. Die Schadensersatzverpflichtung wird auf eine schuldhafte Unterlassung einer Dienstverrichtung gestützt. Es seien die im Falle des Leckwerdens erforderlichen Maßnahmen nicht getroffen worden. Konkret wird der Vorwurf erhoben, es schuldhaft unterlassen zu haben, die anderen Schiffe zu wahrschauen. Die Kernfrage ist also, ob und welche Wahrschau bzw. sonstigen Maßnahmen hätten durchgeführt werden können und müssen.

1. Der BGH hält die Abgabe von Achtungssignalen für eine in derartigen Fällen zu treffenden Maßnahme. Er lässt jedoch außer Acht, dass keines der in der RheinSchPVO vorgesehenen Zeichen für den Fall gilt, dass gefährliches Ladegut frei wird. Andere als die in dieser Polizeiverordnung vorgesehenen Zeichen und Lichter dürfen aber nach § 25 Rhein-SchPVO nicht gebraucht werden; sie dürfen auch nicht unter anderen als denjenigen Umständen gebraucht werden, für die sie vorgeschrieben oder zugelassen sind. Allenfalls der „lange Ton" nach § 24 Nr. 1 a RheinSchPVO hätte gegeben werden können, „um andere Fahrzeuge aufmerksam zu machen". Wie hierdurch der Gefahrenlage hätte begegnet werden können, ist jedoch nicht erkennbar. Es wäre eher die Folge eingetreten, dass andere Fahrzeuge zur Hilfe geeilt wären, wodurch erst recht eine Gefahrenlage entstanden wäre. Die Möglichkeit der Abgabe von „wirksamen" Achtungssignalen war also nicht gegeben; sie fehlt, solange das vom Schifffahrtsgewerbe seit vielen Jahren beantragte „Bleib-weg-Signal", ein gekoppeltes akustisches und optisches Zeichen, nicht eingeführt bzw. zugelassen wird. Das akustische Zeichen ist übrigens von der Schifffahrt bereits selbst entwickelt worden.

2. Dass eine „Wahrschau" in der Weise durchgeführt werden könnte und müsste, wie sie sich der BGH vorstellt, konnten die Beklagten nicht ahnen, zumal bisher nicht einmal der zuständige Verordnungsgeber hieran gedacht hat. Auf Drängen des Schifffahrtsgewerbes hat er nur in der „BSchSO 1966" vorgeschrieben (§ 92), dass der Schiffsführer unverzüglich für die Benachrichtigung der nächsten Strom- und Schifffahrtspolizeibehörde oder der nächsten Dienststelle der Wasserschutzpolizei sorgen muss, wenn aus seinem Fahrzeug gefährliche Ladung frei oder frei zu werden droht. Dabei „soll" die Art der gefährlichen Ladung so genau wie möglich angegeben werden. Die im vorliegenden Fall geltende Rhein-SchPVO ist aber noch nicht in entsprechender Weise ergänzt worden. Gleichwohl hat der Schiffsführer unverzüglich, und zwar innerhalb von 15 Minuten(!) der Wasserschutzpolizei den Unfall gemeldet und sogar mitgeteilt, das aus dem Tanker ausströmende Cyclohexan gehöre der Gefahrenklasse K 1 an. Er hat also einer über die Vorschriften hinausgehenden Meldepflicht genügt. Damit dürfte er alles getan haben, was in seiner Macht stand. Es wäre nun Sache der Wasserschutzpolizei und der von ihr zu verständigenden Wasser- und Schifffahrtsverwaltung gewesen, weitere Maßnahmen, insbesondere die Wahrschau der anderen Fahrzeuge durchzuführen, zumal diese Behörden noch besser als der einzelne Schiffsführer „seit der Katastrophe von Emmerich am 7. 10. 1960" wissen, dass Flüssigkeiten der Gefahrenklasse K 1 nicht mit Wasser mischbar und entzündbar sind.

3. Eine Wahrschau, wie sie sich der BGH vorstellt, kommt ohnehin nicht in Betracht. Es hätte ihm bekannt sein müssen, dass die (nur) für den Fall des Festfahrens oder Sinkens eines Schiffes vorgeschriebene Wahrschau meistens von der Wasserschutzpolizei durchgeführt wird, zweckmäßigerweise und in Anbetracht der Notlage des betroffenen Schiffes. Erst recht wenn gefährliches Ladegut frei wird, kann die Wahrschau nur Aufgabe der „Hilfskräfte" sein. Selbst wenn „Opas Schifffahrt" noch bestünde, könnte nicht erwartet werden, dass ein Matrose mit dem Nachen „vor" dem mit der Strömung treibenden Cyclohexan den Bergfahrern entgegenfährt und diese durch Handlautsprecher auffordert, sofort am Ufer zu halten, die Maschinen abzustellen, alle Feuer zu löschen und jede Funkenbildung durch Rauchen, Schalten usw. zu vermeiden. Erstens stellt sich die Frage, wie es zu gewährleisten ist, dass ein Matrose so in den Nachen gelangt, dass er noch vor dem auslaufenden Stoff zu Tal rudern kann und die Bergfahrer rechtzeitig warnt. Dass er mit oder hinter der - übrigens unsichtbaren - Flüssigkeit zu Tal rudert, hält der BGH offenbar selbst für nutzlos. Die Anforderungen an Matrosen der Tankschifffahrt müssten also derart sein, dass sie in der Lage sind, ein Freiwerden des gefährlichen Stoffes vorauszusehen und sich rechtzeitig in Bereitschaft zu versetzen, noch bevor der gefährliche Stoff in das Wasser gelangt, in den Nachen zu springen und schneller als mit Stromgeschwindigkeit zu Tal zu rudern. Genügende Lungenkraft für gleichzeitiges Rufen durch den Handlautsprecher, der zweckmäßigerweise vor dem Gesicht zu befestigen wäre, da die Hände zum Weiterrudern frei bleiben müssen, weil die Flüssigkeit ja immer weiter treibt und auch nach weiter unterhalb gelangt, wo sich weitere Schiffe nähern können, müsste dabei übrigbleiben. Nicht zu vergessen wäre die erforderliche Besonnenheit und die Fähigkeit, anderen Schiffsführern die geeigneten Maßnahmen beliebt zu machen, ohne sich lange auf Diskussionen einzulassen, wenn z.. B. das Halten am Ufer und das Abstellen der Maschinen aus nautischen Gründen nicht möglich sein sollte, denn die Nachenreise des Matrosen muss ja mindestens mit Stromgeschwindigkeit weitergehen. Schließlich müsste der Matrose die Todesgefahr in Kauf nehmen, die ihm durch die Gefahr der Zündung der ihm folgenden Flüssigkeitslache droht. Zweitens mag die Andeutung genügen, dass Matrosen nicht befugt sein dürften, schiffahrtpolizeiliche Anordnungen zu treffen, wie z. B. Schiffe festzulegen. Aber auch wenn diese Bedenken nicht zutreffen sollten, könnte nicht die Überzeugung gewonnen werden, dass bei diesem „pflichtgemäßen Verhalten" der tragische Unglücksfall vermieden worden wäre. Wer kann die Gewähr dafür bieten, dass sich die Besatzungen anderer Schiffe auch tatsächlich so verhalten und verhalten können, wie es ein eilig vorbeirudernder Matrose rät, zumal schon Polizeiboote mit eingeschaltetem Blaulicht keine leichte Aufgabe haben, wenn sie die Schifffahrt sperren sollen. - Für die Wahrschau nach Oberstrom soll offenbar der 2. Handlautsprecher verwendet werden. Insoweit wird allerdings nicht erwartet, dass ein zweiter Matrose mit einem Nachen zu Berg rudert. Wahrscheinlich stellt sich der BGH vor, dass Zurufe vom betroffenen Schiff aus genügen. Das wäre aber, wie jeder Schiff-fahrtskundige weiß, eine unzureichende Maßnahme. Nicht ohne Grund ist eine Wahrschau nach § 93 RheinSchPVO „hinreichend" weit oberhalb aufzustellen. Was im Falle des Festfahrens oder Sinkens eines Schiffes gilt, ist zumindest auch erforderlich, wenn gefährliches Ladegut frei wird, denn die Talfahrer müssen Gelegenheit haben, oberhalb der Unfallstelle aufzudrehen. Das kann Bestenfalls mit Hilfe eines weithin sicht- und hörbaren Bleib-weg-Sinals bewirkt werden, dessen Bedeutung bekannt ist. Übrigens ist auch die herbeigeeilte Polizei nicht auf die Idee gekommen, vom Schiff aus per Lautsprecher nach Oberstrom wahrschauen zu lassen.
 
II. Danach fragt es sich, was die Beklagten im Hinblick auf den Schutz anderer Schiffe anderes und mehr als die schnelle und präzise Unfallmeldung hätten vorbereiten können und müssen. Es kann schon als Glücksfall angesehen werden, dass der Schiffsführer überhaupt die Unfallmeldung so schnell erstatten konnte, also trotz des Havariefalles die Ruhe bewahrt hat, aus der Vielzahl der Telefonnummern die richtige auszusuchen und dass es ihm gelang, die richtige Stelle zu erreichen. Die vom Schifffahrtsgewerbe seit langem geforderte einheitliche Notrufnummer, verbunden mit einer zentralen Unfallmeldestelle der Wasserschutzpolizei gibt es ja noch nicht. Wenn aber die Wasserschutzpolizei und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung eine Unfallmeldung nicht verwerten können, dürfte dies nicht zu Lasten des Schiffseigners und des Schiffsführers gehen. Im Übrigen sollte bedacht werden, dass es für den, der gefährliches Ladegut befördert, unmöglich ist, „alle denkbaren Gefahrenlagen ins Auge zu fassen und planmäßig festzuhalten, wie er sich bei Eintritt einer akuten Gefahr zu verhalten hat". Nicht ohne Grund befassen sich Sachverständigengremien des Gewerbetechnischen Beirats des Bundesverkehrsministeriums und der Schifffahrt mit dieser Frage schon seit Jahren. Das Schifffahrtsgewerbe ist sich mit den Sachverständigen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung und der Wasserschutzpolizei längst im Klaren, dass der Schiffsführer außer der Schiffssicherung bestenfalls die Unfallmeldung erstatten und das (noch nicht eingeführte) Bleib-weg-Signal auslösen kann. Hinsichtlich der von der Schiffsbesatzung erwarteten ersten Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen sind die vom Gewerbetechnischen Beirat des Bundesverkehrsministerium berufenen Sachverständigen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Maßnahmen, auf die demnächst durch einheitliche Merkblätter, welche die Firmen-Merkblätter der chemischen Industrie ablösen werden, hingewiesen wird, nur insoweit ergriffen werden, als sie im Einzelfall durchführbar sind. Die Einschätzung besonderer Umstände des Einzelfalles müsse der Schiffsführung und -besatzung überlassen bleiben. Die Aufzählung der Maßnahmen könne daher auch keine Rangfolge zum Ausdruck bringen. Wer die intensiven Beratungen in dem Sachverständigengremium kennt, in dem die Kenntnisse und Erfahrungen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, der Bundesanstalt für Materialprüfung, der Berufsgenossenschaften der Binnenschifffahrt und der Chemischen Industrie, der Ärzte und der Feuerwehr sowie der Chemischen Industrie und des Schifffahrtsgewerbes zur Erstellung von „Stoff-Merkblättern" verwertet werden, weiß, dass der einzelne Schiffseigner und Schiffsführer schlechthin nicht in der Lage ist, die im Gefahrenfall in Betracht kommenden Maßnahmen planmäßig festzulegen. Einer Berufung auf fehlende Vorschriften bedarf es zur Entlastung der Beklagten nicht. Auch ohnedies kann ihnen nicht die schuldhafte Unterlassung einer Dienstverrichtung vorgeworfen werden. Was die fehlenden Vorschriften angeht, so könnte zwar ein Schuldvorwurf hergeleitet werden. Hierüber hat der BGH aber leider nicht zu entscheiden.


III. Es wäre sehr zu wünschen, wenn alsbald die Aufgaben erfüllt würden, die der BGH bis in die letzte Amtsstube hinein hat offenbar werden lassen. Es sollte möglich sein, wenigstens innerhalb von 10 Jahren nach dem Emmericher Unfall vom 7. 10. 1960
a) das Bleib-weg-Signal,
b) die einheitliche Notrufnummer nebst zentraler Unfallmeldestelle der Wasserschutzpolizei,
c) das Merkblatt mit allgemeinen Hinweisen an die Schifffahrt für den Gefahrenfall,
d) die Merkblätter über erste Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen an Bord (individuell zu dem betreffenden Ladegut) einzuführen und
e) Wasserschutzpolizei, Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sowie alle übrigen Hilfskräfte darauf
vorzubereiten, welche Maßnahmen im Einzelfall zu ergreifen sind.
Diese Maßnahmen werden vom Schifffahrtsgewerbe und seinen Organisationen seit langem unter aktiver Beteiligung an der Vorbereitung nachdrücklich gefordert.
Ferner sollte es nicht versäumt werden, geeignete Sachverständige zu Rate zu ziehen. Die Mitglieder der genannten Sachverständigengremien würden sich dazu am besten eignen. Nicht zuletzt sollten „etwaige Pflichten von Absender, Verlader und Empfänger" nicht „unbeschadet" bleiben. Die Urteilsfindung würde erheblich erleichtert und zu gerechten Ergebnissen führen.