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II ZR 172/65 - Bundesgerichtshof (-)
Entscheidungsdatum: 05.02.1968
Aktenzeichen: II ZR 172/65
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: -

Leitsätze:

1) Der Grundsatz, daß das Wenden in einem engen Drehkreis zu erfolgen hat, darf im Interesse der Verkehrssicherheit und für andere Verkehrsteilnehmer klar erkennbarer Situationen auf der Wasserstraße nicht durch Berufung auf sogenannte übliche Kurse verwässert werden.

2) Wird ohne Vorliegen besonderer Umstände in weitem Bogen gewendet, so wird das Wenden zur Querfahrt, die nur unter den Voraussetzungen der §§ 49 Nr. 1, 47 Nr. 1 RhSchPolVO zulässig ist.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 5. Februar 1968

II ZR 172/65

(Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)

Zum Tatbestand:

Das beladene Tankmotorschiff R der Klägerin stieß auf der Bergfahrt rechtsrheinisch bei Mainz mit einem in weitem Bogen über Backbord zu Tal wendenden Schleppzug zusammen, der aus dem dem Beklagten gehörenden und von ihm geführten MS A und dem backbords längsseits gekoppelten Kahn D - beide unbeladen - bestand.
Die Klägerin verlangt Schadenersatz mit der Behauptung, daß der Schleppzug beim Wenden in unzulässiger Weise den Strom überquert habe. Der Beklagte bestreitet jedes Verschulden; R sei mit fehlerhaftem Backbordkurs in den Drehkreis des wendenden Schleppzuges hineingefahren.
Rheinschiffahrts- und Rheinschiffahrtsobergericht haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin ist das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Rheinschiffahrtsobergericht zurückverwiesen worden.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, von der auch das Berufungsgericht ausgeht, muß, wenn nicht besondere Umstände das Wenden in weitem Bogen erfordern, in engem Drehkreis gewendet werden, wenn dem von einer Reede zu Tal Wendenden das Vorrecht gegenüber der durchgehenden Schifffahrt nach §§ 47 Nr. 2, 46 RhSchPVO zustehen soll; nur dann kann der Wendende von der durchgehenden Schiffahrt verlangen, daß sie eine sofortige und wesentliche Fahrtbehinderung in Kauf nimmt. Wird ohne das Vorliegen solcher Umstände, die der Wendende zu beweisen hat, in weitem Bogen gewendet, so wird das Wenden zur Querfahrt, die nur unter den Voraussetzungen der §§ 49 Nr. 1, 47 Nr. 1 zulässig ist. Die durchgehende Schiffahrt darf von dem Querfahrenden weder zu einem sofortigen Handeln gezwungen sein noch darf sie in ihrer Fahrt wesentlich beeinträchtigt werden (vgl. BGH VersR 1960, 535, 536 f; 1961, 881; 1087 f; 1962, 417 f; 1964, 1169 f, 1966, 465).
Der Schleppzug hat nicht in engem Drehkreis gewendet, sondern ist in weitem Bogen nach rechtsrheinisch gefahren. Besondere Umstände, die ihn zu dieser Fahrweise genötigt hätten, hat der Beklagte nicht bewiesen. Ein solcher Umstand ist nicht, daß die Talfahrt etwa üblicherweise das rechte Fahrwasser benutzt (BGH VersR 1967, 276). Zutreffend hat das Wasser- und Schiffahrtsamt Mainz in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 7. April 1965 darauf hingewiesen, daß sich der Schiffsführer beim Wenden zu Tal von der Reede Mainz nach der jeweiligen Situation und den allgemeinen Verkehrsregeln richtet. Ein besonderer Umstand ist auch nicht, daß der Schleppzug in der über einen Kilometer vom Unfallort entfernten Mainzer Straßenbrücke die rechte Brückendurchfahrt zu benutzen hatte. Der beklagte Schleppzugführer hat daher eine Querfahrt vorgenommen. Das nimmt auch das Berufungsgericht an. Es hat aber keine ausreichenden Feststellungen für die Zulässigkeit der Querfahrt getroffen.

Entscheidend fällt ins Gewicht, daß bei Beginn eines Wendemanövers, wenn nicht besondere Umstände gegeben sind, die durchgehende Schiffahrt nicht erkennen kann, ob das Wenden in kurzem oder weitem Bogen ausgeführt wird. Die Verkehrssicherheit verlangt aber Klarheit. Gerade deswegen ist der Grundsatz des Wendens in engem Drehkreis aufgestellt, damit die durchgehende Schiffahrt sich auf das zu erwartende Verhalten des von einer Reede Ablegenden einstellen kann. Es geht nicht an, daß dieser Grundsatz durch die Berufung auf sogenannte übliche Kurse verwässert wird, da über den üblichen Fahrtweg vielfach Streit besteht und ein erheblicher Unsicherheitsfaktor entstehen würde, wollte man auf den üblichen Kurs entscheidendes Gewicht legen, ganz abgesehen davon, daß die Rheinschiffahrtpolizeiverordnung die Einhaltung des üblichen Kurses nicht vorschreibt. Als daher der Beklagte in 350 bis 400 m Höhenabstand vom Bergfahrer sein Wendemanöver einleitete, mußte er sich fragen, ob die von ihm beabsichtigte Querfahrt den Bergfahrer wesentlich in seiner Fahrt behindern und in ihm Unsicherheit über den vom Wendenden beabsichtigten Fahrtweg hervorrufen könnte. Konnte die Frage vom Standpunkt des Beklagten aus nicht unbedenklich bejaht werden, so durfte er mit seinem ziemlich schwerfälligen Schleppzug nicht in größerem Bogen als unbe¬dingt erforderlich wenden. Für die Beantwortung der Frage ist von Bedeutung, wo sich der Bergfahrer in diesem Zeitpunkt befand (noch in der linken Fahrwasserhälfte oder bereits in Fahrwassermitte); u. U. auch, ob er in diesem Zeitpunkt geradeaus oder mit leichtem Backbordkurs fuhr. Der Beklagte mußte die Geschwindigkeit des Bergfahrers und seine eigene Geschwindigkeit berücksichtigen, dabei besonders beachten, daß sein längsseits gekoppelter Schleppzug während des Querens erheblich zu Tal abgetrieben werden würde, wenn er nicht das Abtreiben dadurch verhinderte, daß er beim Queren die Köpfe seines Schleppzuges nach Oberstrom richtete. Insbesondere mußte aber der Beklagte darauf achten, daß der Bergfahrer davon auszugehen hatte, daß er, der Beklagte, in kurzem Bogen wenden würde, und dem Bergfahrer seine, des Beklagten, Querfahrt-Absicht erst dann mit Sicherheit erkennbar werden würde, wenn der Schleppzug nahezu den Schnittpunkt der sich kreuzenden Kurse erreichen würde.
Auch bei zulässiger Querfahrt kann, was ebenfalls zu prüfen sein wird, ein unter § 4 RhSchPVO fallendes Verschulden des Schleppzugführers darin liegen, daß er während der Querfahrt trotz der Annäherung des Bergfahrers begonnen hat, Talkurs einzuschlagen, statt den Kopf seines Schleppzuges nach Oberstrom zu richten.
Dagegen kann ein Verschulden des Bergfahrers nicht darin gesehen werden, daß er etwa beim Wendebeginn in Strommitte geradeaus oder mit leichtem Backbordkurs fuhr und diesen Kurs zunächst beibehielt, da er davon ausgehen konnte und mußte, daß der Schleppzug in kurzem Drehkreis wenden würde, die Kurse sich also entweder überhaupt nicht oder jedenfalls dann nicht schneiden würden, wenn er, der Bergfahrer, durch Einschlagen des Backbordkurses sich aus dem engen Drehkreis des Wendenden heraushalten würde. Als in ihm jedoch Zweifel über die Kursabsicht des Schleppzuges auftauchten, war es nautisch fehlerhaft und vorwerfbar, daß er seine Fahrt fortsetzte und durch die immer größere Annä¬herung an den Schleppzug die Gefahr des Zusammenstoßes erhöhte. Zum mindesten mußte er, wenn er schon seinen Backbordkurs fortsetzen wollte, seine Absicht nach § 24 Nr. 1 c RhSchPVO durch Abgabe eines Backbordschallsignals klarstellen (BGH VersR 1967, 676, 678). Schuldhaft war auch, wenn der Bergfahrer in 50 bis 100 m Abstand vom Schleppzug mit voller Kraft stark nach Backbord fuhr. Entgegen der Ansicht der Revision kann von einem entschuldbaren falschen Handeln im letzten Augenblick nach den Umständen des Falles nicht gesprochen werden. Denn der Bergfahrer war durch die Entwicklung der Verkehrslage auf die Gefahr vorbereitet, er ist nicht überrascht worden.
Das Berufungsgericht wird ferner gegebenenfalls zu prüfen haben, ob der Beklagte, wie er behauptet hat, rechtzeitig Wendesignal und während seiner Querfahrt Achtungssignal (vgl. dazu BGH VersR 1960, 535, 536) gegeben hat. Falls dies festgestellt wird, ist zu prüfen, ob der Zusammenstoß dadurch mitverursacht wurde, daß man auf R diese Signale nicht gehört hat. Da man auf R kein Besatzungsmitglied zur Beobachtung von Signalen, entfernt vom eigenen Motorengräusch, aufgestellt hat, kann das Nichthören der etwaigen Signale nicht mit der Feststellung entschuldigt werden, daß es „überall fleutete" (vgl. BGH VersR 1965, 251 f; 1967, 676, 677)."