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II ZR 191/65 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 07.12.1967
Aktenzeichen: II ZR 191/65
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Ist ein Schiffszusammenstoß durch gemeinsames Verschulden der Besatzungen der Schiffe des Klägers und des Beklagten herbeigeführt worden und steht nach den zwischen den Parteien getroffenen Feststellungen fest, daß der Zusammenstoß auch durch das Verschulden eines dritten Schiffes, dessen Eigner am Rechtsstreit nicht beteiligt ist, herbeigeführt worden ist, so ist bei der Festsetzung der auf den Beklagten treffenden Schadensquote die Mitverantwortlichkeit des dritten Schiffes zu berücksichtigen. Das Urteil erwächst aber nicht gegenüber dem Eigner des dritten Schiffes in Rechtskraft.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 7. Dezember 1967

II ZR 191/65

(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar / Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Ein Bergschleppzug, bestehend aus dem Schleppboot A, dem Kahn R auf 1. Länge und dem Kahn S auf 2. Länge, ging bei Dunkelheit bei Rheinkilometer 599 vor Anker, wo sich rechtsrheinKahn „R"isch schon viele Fahrzeuge wegen unsichtigen Wetters angesammelt hatten. Nachdem S während der Nacht von dem leer zu Tal kommenden MS Se angefahren war, das darauf in den linksrheinischen Kribben liegengeblieben war, kam es am Morgen im Bereich zwischen S und Se zu verschiedenen Fehlmanövern und Unfällen; u. a. havarierte Talschleppzug MTS M mit seinen Anhängen T und Mu beim Aufdrehen oberhalb von S. Als das der Klägerin gehörende Schleppboot R1 mit seinen Anhängen, auf 1. Länge W steuerbords und O backbords, auf 2. Länge R34 steuerbords und R40 backbords, zu Tal kommend im Unfallrevier eintraf, machte die 2. Länge los und ländete linksrheinisch kopfvor oberhalb von S, während Boot R1 mit der 1. Länge aufdrehte, wobei die Drähte rissen. O geriet mit dem Backbord-Achterschiff gegen M und blieb dann zusammen mit W in Querlage vor dem Pulk um Kahn S liegen, der abzutreiben begann. Anschließend geriet der weitere Talschleppzug Wi mit seinem auf 1. Länge schleppenden Backbordkahn B gegen Kahn R34. Das gleiche geschah, als der Talschleppzug F mit je 2 Kähnen auf 2 Längen die beengte Unfallstelle zu passieren versuchte und dessen Backbord-Anhangkahn auf 1. Länge RK mit seinem Backbord-Vorschiff unter das Steuerbord-Achterschiff von R34 lief und letzteren beschädigte.

Die Klägerin macht die Eignerin und den damaligen, inzwischen verstorbenen Schiffsführer von Kahn S - Beklagte - für alle an R34 entstandenen Schäden verantwortlich, weil S vorschriftswidrig im linksrheinischen Fahrwasser gelegen und dadurch den Zusammenstoß mit dem Anhang des M-Zuges sowie alle weiteren Kollisionen verschuldet habe.
Die Beklagten meinen, daß S als äußerstes Fahrzeug des Stapels der Bergfahrt den üblichen Sicherheitsabstand zu dem an seinem Backbord-Achterschiff liegenden I gehalten habe. Die anderen Schleppzüge hätten ihre Fahrt trotz unsichtigen Wetters zu lange fortgesetzt und zu spät aufgedreht oder ständig gemacht.
Rheinschiffahrtsgericht und Rheinschiffahrtsobergericht haben der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Die Revision führte zur Zurückverweisung und zur anderweiten Verhandlung an das Berufungsgericht.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Der Kahn S mußte nach § 67 RhSchPVO seinen Liegeplatz auch nach der Anfahrung durch Se so nahe am Ufer wählen, wie es sein Tiefgang und die örtlichen Verhältnisse gestatteten; er durfte keinesfalls die Schiffahrt behindern. Gegen diese Vorschrift hat die Führung von S verstoßen, als sie ihren Kahn in einem Abstand von 30-40 m zu I liegen ließ. Sie mußte sich von ihrem Boot in die Reihe der Stillieger hochziehen lassen, zum mindesten weit näher an I herangehen. Hierdurch wären die Kollisionen vermieden worden, da die exponierte Lage von S den Führer von M zum scharfen Aufdrehen veranlaßte und der Kahn T gerade noch den Bug von S erfaßte, wodurch der Pulk um S entstand. An dem näheren Beigehen wurde S auch nicht durch den Nebel gehindert.
Unhaltbar ist die Rechtsansicht der Revision, eine Behinderung der Schiffahrt liege dann nicht vor, wenn das Fahrwasser für die Durchfahrt breit genug sei; die Ankerlieger hätten nicht die Pflicht, für Aufdrehmanöver ausreichend Platz zu lassen. Abgesehen davon, daß der bezeichneten Vorschrift schon dann zuwidergehandelt wird, wenn der Stillieger mehr Raum im Fahrwasser als unbedingt nötig in Anspruch nimmt, mußte im vorliegenden Fall Platz für die nach der Lage im Revier notwendigen Aufdreh- oder Anhaltemanöver geschaffen werden. Weil der Beklagte zu 2 das nicht getan hat, hat er die Schiffahrt behindert.
Die Revision beanstandet, das Berufungsgericht habe übersehen, daß die Anfahrung durch MS Se wegen Versagens des Ankergeschirrs zur Manövrierunfähigkeit des Kahnes S geführt habe, die gemäß § 94 RhSchPVO durch ein rotes und weißes Licht angezeigt worden sei. Die Rüge ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat in dem Urteil vom 17. August 1965 in der Sache Z. (Se) gegen Sch. 3 U 206/64 = II ZR 21/66 festgestellt, daß durch den Zusammenstoß mit MS Se der Kranbalken herausgerissen worden und die Ohringkette gebrochen seien, ohne daß die eigentliche Ankervorrichtung beschädigt worden sei, und daß am Morgen bei der beabsichtigten Fahrtaufnahme der Kahn den Anker nicht habe herausdrehen können. Die Beklagten haben aber nicht dargetan, geschweige denn bewiesen, daß die Schäden am Ankergeschirr es dem Beklagten zu 2 unmöglich gemacht hätten, näher an I heranzugehen, als dies tatsächlich geschehen ist (wird ausgeführt).
Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht angenommen, der Schiffsführer von S habe sich nicht darauf verlassen können, daß wegen des in seinem Raum herrschenden unsichtigen Wetters keine Talfahrt kommen werde. Er kannte die Sichtverhältnisse oberhalb nicht, konnte sich also nicht darauf verlassen, daß sie ebenso schlecht seien wie an seinem Standort. Sein Vorbringen, wegen der Schiffsansammlung und des unsichtigen Wetters wäre eine Fortsetzung der Talfahrt auch dann nicht möglich, gewesen, wenn er vorschriftsmäßig näher an I gelegen wäre, kann ihn nicht entlasten. Gerade mit Rücksicht hierauf mußte er der etwaigen Talfahrt möglichst viel freien Raum zum Aufdrehen oder Anhalten lassen. Daß er das nicht getan hat, war sein Fehler.

Die Ursächlichkeit dieses Fehlers für den Strangschaden von R1 und die Kosten der Hilfeleistung dieses Bootes sowie für die an R34 durch die Kollision mit „Bach" und RK entstandenen Schäden ist vom Berufungsgericht ohne Rechtsfehler festgestellt.
Im Hinblick auf die nach § 92 BSchG anzuwendende Vorschrift des § 736 Abs. 1 HGB ist zu prüfen, ob die Schiffsführer der Schleppzüge M, R1, Wi, F und A ein Verschulden an den vorgenannten Schäden der Klägerin trifft. Ein Verschulden der klägerischen Fahrzeuge ist vom Berufungsgericht verneint. Im übrigen ist die Frage im hier angefochtenen Urteil nicht behandelt, braucht auch vom Standpunkt des Berufungsgerichts nicht behandelt zu werden (vgl. § 735 HGB).
Zu einer Schuldabwägung und Verteilung der Schäden der Klägerin kann es nur kommen, wenn ein Mitverschulden von R1 bejaht wird. In diesem Falle hat das Berufungsgericht in eigener Verantwortung abzuwägen und zu verteilen. Jedoch mögen folgende Hinweise gegeben werden:
Infolge der schlechten Wetterlage im Raum St. SebastianBendorf-Engers und der dadurch bedingten Schiffsansammlung ist für die Schiffahrt eine erhebliche Gefahrenlage entstanden. Die Gefahrenlage hat sich für die Talfahrt dadurch verschärft, daß oberhalb St. Sebastian die Sichtverhältnisse die Talfahrt noch zuließen, während die vielen Schiffe (vom Bootsführer F. auf etwa 150 m geschätzt), die sich wegen der schlechten Wetterverhältnisse unterhalb angesammelt hatten, wegen des unsichtigen Wetters die Fahrt nicht aufnehmen konnten (§ 80 RhSchPVO). Dazu kam, daß die Schiffe in einer Stromkrümmung lagen und die Einsicht in die Innenseite dieser Krümmung für die Talfahrer bei zu nahem Anhalten des linken Ufers erschwert war. In dieser Gefahrenlage haben jedenfalls die Schiffsführer von S, W und F, möglicherweise auch die von M und R1, unter Verletzung ihrer nautischen Sorgfaltspflicht versagt.

Der an sich erhebliche Schuldvorwurf gegen den Führer von S,  er habe das Fahrwasser nicht genügend freigemacht, dürfte deshalb in milderem Licht erscheinen, weil er - unrichtig - geglaubt hat, die Lage seines Kahnes erlaube Talfahrern, mit denen er an sich nicht gerechnet habe, die Durchfahrt. Doch trifft ihn auch der Vorwurf, daß er nicht die Verstopfung des Reviers unterhalb seines Kahnes und damit die Möglichkeit, ein Talzug werde vielleicht in seiner Höhe aufdrehen, rechtzeitig in Erwägung gezogen hat.

Falls anzunehmen ist, daß den Schiffsführern von R1, dem wegen seines großen und teilweise beladenen Schleppzuges eine erhöhte Sorgfaltspflicht oblag, besonders im Hinblick auf die erkennbare Schiffsansammlung in der Stromkrümmung einen falschen Kurs gefahren ist, so dürften die Umstände des Falles nicht dafür sprechen, daß das Verschulden eines der beiden Schiffsführer schwerer wiegt als das des andern (§ 736 Abs. 1 Satz 2 HGB).
Für die Schwere des Verschuldens des Schleppzugführers des MS M dürfte das gleiche gelten wie für R1. Zwar schleppte MS M nur eine Länge, dafür war aber das Schleppschiff schwerfälliger als das Boot R1.
Das Verschulden des Schleppzugführers des Bootes Wi wiegt wesentlich schwerer als das der Schiffsführer von S, R1 und M. Er war rechtzeitig gewahrschaut worden. Er wußte, daß das Revier bei St. Sebastian verstopft war. Trotzdem ist er noch weitergefahren, statt sofort anzuhalten. Sein unverständliches Verhalten ist nur dadurch zu erklären, daß er sich der nach der Sachlage unbegründeten Hoffnung hingab, er könne noch aufdrehen, und daß einem Schleppzugführer der Entschluß, seine Fahrzeuge kopfvor zu länden, schwerer fällt als der Entschluß, aufzudrehen. Sein Verschulden dürfte etwa doppelt so hoch zu bewerten sein wie das von S.

Für das Verschulden des Schleppzugführers des Bootes F dürfte das gleiche gelten wie für Wi.
Bei der Schadenverteilung und Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 1 wird zu beachten sein, daß die durch den Anstoß von B gegen R34 entstandenen Schäden der Klägerin verursacht sind durch die falsche Lage von R34, durch die falsche Lage von S und der an diesem Kahn hängengebliebenen Kähne M und T, schließlich durch den kollidierenden Kahn B selbst. Die durch den Anstoß von RK gegen R34 entstandenen weiteren Schäden der Klägerin sind außerdem durch den Schleppzugführer von F schuldhaft herbeigeführt. Da nach den in diesem Rechtsstreit zwischen den Parteien getroffenen Feststellungen die Mitverantwortlichkeit des Bootes F feststeht, muß sie, obwohl der Eigner dieses Bootes am Rechtsstreit nicht beteiligt ist, nach § 92 BSchG i. V. m. § 736 Abs. 1 HGB bei der Frage, welche Schadensquote die Beklagte zu 1 zu tragen hat, berücksichtigt werden.

Falls den R-Schleppzugführer gleich schweres Verschulden wie den Beklagten zu 2 trifft, ist letzterer der Klägerin für die durch die beiden Kollisionen entstandenen Schäden in Höhe der Hälfte der Schäden ersatzpflichtig (§§ 823, 254 BGB). Seine etwaigen Ausgleichsansprüche gegen die Führer und Eigner der anderen schuldigen Schiffe (§§ 426, 823, 840 BGB; §§ 3, 4, 92 BSchG mit § 739 Abs. 2 HGB) sind nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Es sei darauf hingewiesen, daß - unbeschadet der Interventionswirkung der §§ 74, 68 ZPO - das Urteil nur zwischen der Klägerin und den Beklagten in Rechtskraft erwächst.

Da der Rechtsstreit wegen der Frage des etwaigen Mitverschuldens der Schiffsführer von R1 und M noch nicht zur Endentscheidung reif ist, war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen."