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II ZR 192/60 - Bundesgerichtshof (-)
Entscheidungsdatum: 29.10.1962
Aktenzeichen: II ZR 192/60
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: -

Leitsatz:

Fahrweise bei Ausfahrten aus Flussmündungen (§ 50 Nr. 3 RhSchPoIVO). - Einige Grundsätze zur Führung der blauen Seitenflagge

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 29. Oktober 1962 

(Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort/Rheinschifffahrtsobergericht Köln)

II ZR 192/60

Zum Tatbestand:

Das bei der Klägerin zu 1 versicherte Motorschiff A, dessen Ladung bei der Klägerin zu 2 versichert war, hatte an einem Dezembertage an der Ruhrorter Mühlenweide gebunkert und gegen 15.00 Uhr die Bergfahrt angetreten. Bevor es von der rechtsrheinischen Seite zum linksrheinisch verlaufenden Kurs hinüberwechseln konnte, lieg es einige Talfahrer, u. a. das Tankmotorschiff „C" Steuerbord an Steuerbord passieren. In dieser Situation kam das der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte Motorschiff „B" aus der Ruhrmündung und nahm Kurs stromabwärts. Bei dem Versuch dieses Schiffes, „A" ebenfalls auf dessen Steuerbordseite zu begegnen, geriet „B" mit seinem Bug gegen „A" Mitschiffs. „A" stieß anschließend gegen das Hinterschiff des unstreitig schuldlosen Tankmotorschiffes „C" und sank sodann.

Die Klägerinnen verlangen Schadenersatz mit der Behauptung, dag „B" aus der Ruhrmündung nicht nach linksrheinisch habe zu Tal fahren und dadurch den Kurs von „A" kreuzen dürfen. Die Beklagten meinen, „A" sei bei der Ausfahrt von „B" aus der Ruhrmündung noch so weit entfernt gewesen, dass „B", der bereits in gestreckter Lage zu Tal gefahren sei, die Kursweisung von „A" habe befolgen müssen. Der Unfall sei nur deshalb entstanden, weil „A" entgegen seiner Kursweisung plötzlich stark nach Steuerbord gehalten habe. Das Rheinschifffahrtsgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben, das Rheinschifffahrtsobergericht jedoch nur zu  3/5. Auf die Revision der Klägerinnen wurden die Beklagten vom Bundesgerichtshof zur vollen Schadenersatzleistung verurteilt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Zutreffend hat das Berufungsgericht in der Fahrweise des Beklagten zu 2 einen klaren Verstoß gegen § 50 Nr. 3 RhSchPVO gesehen. Nach dieser Vorschrift ist die Ausfahrt aus Flugmündungen nur gestattet, wenn das Manöver ausgeführt werden kann, ohne dag andere Fahrzeuge gezwungen sind, unvermittelt ihre Geschwindigkeit zu verhindern oder ihren Kurs zu ändern. Für „B" wäre die Ausfahrt erlaubt gewesen, wenn das Schiff bei der Ausfahrt scharf Steuerbordkurs genommen und entlang der rechtsrheinischen Uferlinie gefahren wäre, da dort nach den getroffenen Feststellungen hinreichend Raum zur gefahrlosen Begegnung Backbord an Backbord mit „A" gewesen wäre. Der Beklagte zu 2 hat aber Kurs nach dem link-rheinischen Ufer genommen, um Steuerbord an Steuerbord des MS „A" vorbeizufahren. Das mute notwendigerweise dazu führen, dag „B" den Kurs von „A" kreuzte. Nach den zugunsten der Beklagten getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts betrug der Abstand der beiden Schiffe bei der Ausfahrt von „B", an der Uferlinie gerechnet, weniger als 300 m. „B" mute aber, um an der Steuerbordseite von „A" vorbeifahren zu können, noch einen Querabstand von über 100 m überwinden. Da beide Schiffe gute Fahrt machten, hätte das Kreuzen des Kurses, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei annimmt, unter den gegebenen Verhältnissen nur gelingen können, wenn „A" eindeutig und sehr unvermittelt entweder den Kurs geändert, d. h. nach Backbord gegangen, oder seine Geschwindigkeit herabgesetzt hätte. Da für „B" die Voraussetzungen, unter denen die Ausfahrt mit linksrheinischem Kurs gestattet gewesen wäre, nicht gegeben waren, hat der Beklagte zu 2 gegen die Vorschrift des § 50 Nr. 3 verstoßen, die der durchgehenden Schifffahrt in gewissem Umfange die Vorfahrt vor den von der Uferseite herkommenden Fahrzeugen einräumt. Mit Recht bezeichnet das Berufungsgericht das Verhalten des Beklagten zu 2, der für sich die Vorfahrt vor dem Bergfahrer erzwingen wollte, als unverantwortlich, umso mehr, als „B" auch die Talfahrer gefährdet hat.

Zutreffend sieht das Berufungsgericht weiter ein grob fahrlässiges Verhalten des Beklagten zu 2 darin, dass er nach seinen Angaben die blaue Seitenflagge von „A" auf sich bezogen und daher geglaubt habe, „A" wolle ihn zur Begegnung Steuerbord an Steuerbord anweisen (§ 38 Nr. 3). „B" war, als er aus der Ruhrmündung herausfuhr, nicht Talfahrer, sondern Querfahrer, wie das Berufungsgericht richtig des näheren ausgeführt hat. Die Querfahrt wurde nicht dadurch zur Talfahrt, dass sie schräg stromabwärts zum linksrheinischen Ufer gerichtet war. Als Querfahrer konnte der Beklagte zu 2 die blaue Seitenflagge, die für ihn klar erkennbar den Talfahrern „C" und „D" galt, nicht auf sich beziehen (vgl. BGH VersR 1962, 417). Die beiden Backbordsignale, die der Beklagte nach der Feststellung des Berufungsgerichts gegeben hatte, noch ehe er sich auf dem Strom befand, standen mit seinem früheren Ausfahrtssignal, das seine Absicht kundgab, nach Steuerbord zu fahren, in Widerspruch, da sie bedeuteten, er wolle seinen Kurs nach Backbord, also stromaufwärts richten (§ 49 Nr. 1 S. 2. a. E), während der Beklagte zu 2 nicht nach Backbord ging, sondern seine Schrägfahrt zum linken Ufer antrat. Die Abgabe der Backbordsignale war daher nach § 25 unzulässig (BGH VersR 1960, 535). Der Beklagte zu 2 hat durch seine Fahrweise gleichzeitig gegen das Querfahrtverbot des § 49 Nr. 1 S. 1, 47 Nr. 1 (vgl. dazu Kählitz, Verkehrsrecht auf Binnenwasserstraßen II RhSchPVO § 49 Anm. III 1) verstoßen; nach diesen Vorschriften ist die Querfahrt nur unter denselben Voraussetzungen erlaubt wie die Ausfahrt.

Das Überhören der Schallsignale von „B" durch die Besatzung von „A" lässt entgegen der Annahme des Berufungsgerichts keinen Schlug auf ein unfallursächliches schuldhaftes Verhalten dieser Besatzung zu. Hätte die Schiffsführung von „A" das oder die Ausfahrtssignale von „B" gehört, so hätte sie erst recht den von ihr genommenen Kurs einschlagen können, da „B" durch sein Signal kundgab, nach der Ausfahrt den Kurs nach Steuerbord zu richten, d. h. entlang der rechten Uferlinie zu fahren. Die vor der Ausfahrt von „B" abgegebenen beiden Backbordsignale waren unzulässig. Wenn sie schon eine Bedeutung haben sollten, konnten sie nur die in § 49 Nr. 1 für die Querfahrt geregelte Bedeutung haben, dass „B" seinen Kurs nach Backbord, also stromaufwärts habe richten wollen. Keinesfalls konnten sie die Bedeutung einer „Klarstellung" der Begegnung Steuerbord an Steuerbord mit „A" haben, da „B" sich bei der Abgabe der Signale noch auf der Ruhr befand, also nicht auf dem Rhein zu Tal gefahren sein konnte. Wenn die Schiffsführung von „A" diese Signale gehört hätte, hätte ihr keinerlei Vorwurf daraus gemacht werden können, wenn sie auf diese Signale nicht reagiert hätte. Wenn das Oberlandesgericht verlangt, dass „A" bereits bei der Ausfahre von „B" die blaue Flagge hätte einziehen müssen, so mutet es dem Bergfahrer einen klaren Verstoß gegen die Vorschrift des § 38 Nr. 3 Satz 2 zu, wonach die Flagge bis zur Beendigung der Vorbeifahrt an den Talfahrern („C" und „D") gezeigt werden musste. Gewiss kann es von der Pflicht zur Einhaltung dieser Vorschrift Ausnahmen geben, wenn das Abweichen hiervon zur Abwendung einer unmittelbar drohenden Gefahr notwendig ist (§ 5). Eine solche unmittelbare Gefahr bestand aber bei der Ausfahrt von „B" nicht. In diesem Zeitpunkt hätte die Schiffsführung von „A", wenn sie die Signale vorher gehört hätte, nicht mit einer derart grob verkehrswidrigen Fahrweise von „B" rechnen können.