Rechtsprechungsdatenbank

II ZR 196/57 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 03.03.1960
Aktenzeichen: II ZR 196/57
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Zur Frage von Scheintatbeständen und Umgehungen, die an den vom Gesetz angeordneten Rechtsfolgen, wie z. B. an der Festentgeltseigenschaft der Frachten, vorbeiführen sollen. Zuwendungen, die einer Umgehung der festgesetzten Entgelte gleichkommen, sind auch dann unzulässig, wenn sie dritten, nicht am Frachtvertrag beteiligten Personen gewährt werden.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 3. März 1960

II ZR 196/57

Zum Tatbestand:

Die Erstbeklagte B hatte früher Zuckertransporte im Werkfernverkehr mit eigenen Kraftfahrzeugen durchgeführt. Sie vereinbarte eines Tages mit dem Fernverkehrsunternehmer C einen notariellen Gesellschaftsvertrag, in welchem sich B als stille Gesellschafterin an dem Geschäft von C mit einer Bareinlage von 30000,- DM beteiligen wollte. Als Gegenleistung sollte B 6,6°/o des Bruttofrachtumsatzes von C erhalten (ohne Verlustbeteiligung). Außerdem erhielt C die Versicherung, daß ihr die bei B anfallenden Zuckertransporte angeboten würden.
B verkaufte zur gleichen Zeit zwei Lastzüge für 30000,- DM und 22000,- DM an C. Dieser verrechnete den Kaufpreis für den ersten Lastzug (30 000,- DM) mit der Einlage von B. Der Preis für den zweiten Lastzug wurde gestundet. Zur Sicherung ihrer Ansprüche aus dem Gesellschaftsvertrag gegen C ließ sich B das Eigentum an dem ersten Lastzug zurückübertragen.
B und C schlossen am Tage des oben bezeichneten Gesellschaftsvertrages ferner einen besonderen privatschriftlichen Vertrag, in welchem C der Erstbeklagten B garantiert, daß der ihr zukommende Anteil an den gesamten Bruttofrachteinnahmen 22°/o derjenigen Bruttofrachteinnahmen betragen werde, die C aus den von B erteilten „Aufträgen" für die Ausführung von Zuckertransporten erzielen würde. Einen den Garantiebetrag überschreitenden, ihr an sich zustehenden Anteil an den Gesamtfrachteinnahmen sollte B zurückzuzahlen verpflichtet sein.
Aus den von B veranlaßten Zuckertransporten erzielte Fa. C von Februar bis November 1955 einen Bruttofrachtgewinn von 277 431,31 DM und zahlte 57 596,54 DM (20,89°/o) an B aus.
Die Klägerin A sah diese Zahlung als Umgehung des tarifmäßigen Beförderungsentgelts an. Sie erklärte durch Bescheid, daß der daraus sich ergebende Rückzahlungsanspruch der Fa. C gegen B auf sie übergegangen sei, da C vorsätzlich gehandelt habe.

Die Klage gegen die Erstbeklagte B und ihre beiden Gesellschafter (Beklagte zu 2 und 3) war in den ersten beiden Instanzen erfolglos. Auf die Revision der Klägerin wurde die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht hält für fraglich, ob § 23 GüKG einen auf die Klägerin überleitbaren Rückgewähranspruch auch für solche Leistungen begründe, die der Fernverkehrsunternehmer an einen Dritten erbracht habe. Es meint, der Wortlaut des § 23 Abs. 2 GüKG lasse die Auffassung zu, daß er - im Gegensatz zu § 23 Abs. 1 GüKG, der sich mit untertariflicher Berechnung des Beförderungsentgelts befasse - allein über den Tarif hinausgehende Zahlungen oder andere Zuwendungen an den Unternehmer im Auge habe, daher Zuwendungen des Unternehmers selbst nicht erfasse, so daß ein Anspruch, der auf die Klägerin hätte übergehen können, danach nicht bestehe. Ausdehnender Auslegung sei § 23 GüKG als Ausnahmevorschrift nicht zugänglich.
Der Wortlaut des Gesetzes deckt jeden Fall rückforderbarer tarifwidriger Zahlungen oder Zuwendungen, gleichgültig, von wem sie gewährt wurden oder wer sie erhalten hat, bringt daher eine Beschränkung auf Zahlungen, die der Unternehmer empfangen hat, gerade nicht zum Ausdruck.
Der Zweck dieser gesetzlichen Regelung, die Einhaltung des Tarif sicherzustellen, würde beeinträchtigt und einer Tarifumgehung Tür und Tor geöffnet werden, wenn der Zwang, tarifwidrige Zuwendungen rückgängig zu machen, auf Zuwendungen zu beschränken wäre, die der Unternehmer oder sonst ein am Frachtvertrag Beteiligter empfangen hat. Aus Wortlaut und Zweck des Gesetzes ist vielmehr abzuleiten, daß jede unter Tarifverstoß gewährte Zuwendung rückgängig gemacht werden soll und der dazu in § 23 GüKG getroffenen Regelung unterworfen ist, also auch die Zuwendung an einen Dritten, wenn ein am Frachtvertrag Beteiligter oder der Dritte selbst als Lieferant, Abnehmer, Vertriebsagent des Lieferanten oder dergleichen an der Niedrighaltung der Beförderungskosten wirtschaftlich interessiert ist. Demnach ist auch der Anspruch auf Rückgewähr einer tarifwidrigen Zuwendung, der dem Unternehmer gegen einen solchen am Frachtvertrag nicht beteiligten Dritten zusteht, eines Übergangs auf die Bundesanstalt fähig.
Das Berufungsgericht durfte sich nicht darauf beschränken, eine Tarifumgehung schon deshalb zu verneinen, weil die Beteiligung der Erstbeklagten an dem Unternehmen der Firma C ernst gemeint gewesen sei. Die daraus gezogene Folgerung, ein Scheintatbestand habe nicht geschaffen werden sollen, trägt dem Sinngehalt des § 5 Abs. 1 GüKG, wonach Vorschriften des GüKG durch Schaffung von Scheintatbeständen nicht umgangen werden dürfen, nicht gebührend Rechnung.
Für die Auslegung des § 5 Abs. 1 GüKG ist auf die zu § 6 SteueranpG entwickelten Grundsätze zurückzugreifen, da das hier ausgesprochene Verbot der Steuerumgehung dem Umgehungsverbot in § 5 GüKG zum Vorbild gedient hat. Danach liegt eine Umgehung gesetzlicher Vorschriften dann vor, wenn die Rechtsfolgen, die sie einem bestimmten, von ihm ins Auge gefaßten Verhalten beilegen, dadurch vermieden werden sollen, daß zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolges nicht der den Umständen nach gewöhnliche und zweckmäßige Weg, sondern unter Ausnutzung der Vertragsfreiheit ein anderer, den wirtschaftlichen Vorgängen ferner liegender und daher ungewöhnlicher Weg eingeschlagen wird, der an den vom Gesetz angeordneten Rechtsfolgen vorbeiführen soll.
Das Verbot führt dazu, daß bei einer Umgehung der Umgehungstatbestand unbeachtet zu bleiben hat, das Verhalten der Beteiligten vielmehr die rechtlichen Folgen auslöst, die das Gesetz an das dem erstrebten wirtschaftlichen Ziel angemessene und für ihn gewöhnliche Verhalten knüpft (Hein/Eichhoff/Pukall/Krien, a.a.O. Anm. 1, 2; Bartholomeyczik, a.a.O. Anm. 2; Becker, AbgO, 3. Aufl., § 5 Anm. 5, 6; Kühn, AbgO, 3. Aufl., § 6 SteueranpG Anm. 1, 2, 3, 5). Da § 5 Abs. 1 GüKG für den gesamten Bereich des GüKG gilt (Hein/Eichhoff/ Pukall/Krien, a.a.O. Anm. 5; Baumbach/Duden, HGB, 13. Aufl., Anm. zu § 5 GüKG), verbietet er auch eine Umgehung des Tarifentgelts, insbesondere sind in Umgehung des Tarifs geleistete Zahlungen und andere Zuwendungen untersagt (§ 22 Abs. 2 GüKG).
Es war unerläßlich, die gesamte wirtschaftliche Betätigung der Erstbeklagten in die Betrachtungen einzubeziehen, da der Abschluß ihrer Verträge mit der Firma C offenbar nur ein Teilstück im Rahmen ihrer Umstellung vom Zuckergroßhandel auf den Betrieb einer Verkaufsagentur für den Absatz der Zuckerfabriken darstellte. Da die Umstellung nur für vorübergehende Zeit von der Erstbeklagten beabsichtigt war, wie deren Vorbehalt vorzeitiger Kündigung im notariellen Vertrage vom 14. Februar 1955 erkennen läßt, ist es unwahrscheinlich, daß sie allein in dem Bestreben wurzelte, Umsatzsteuer zu sparen, wie dies die Beklagten behaupten. Eine Änderung umsatzsteuerrechtlicher Vorschriften war kaum zu erwarten. Dagegen kann durchaus die damals eingeführte höhere Besteuerung des Werkfernverkehrs, die nach dem Vortrag der Beklagten als verfassungswidrig mit der Verfassungsbeschwerde angefochten ist und die eine Erhöhung der Beförderungskosten und damit eine Minderung des Gewinns der Erstbeklagten nach sich zu ziehen geeignet war, für deren Entschluß zur Umstellung zum mindesten mitbestimmend gewesen sein. Sie kann die Erstbeklagte veranlaßt haben, eine zu erwartende Gewinnminderung dadurch zu begrenzen, daß zwar nunmehr die Firma C die Transporte durchführte, dies aber gegen untertarifliches Entgelt tat, den Tarifverstoß hingegen dadurch zu rechtfertigen, daß sie nach außenhin nicht selbst als Auftraggeber der Transporte auftrat, obwohl sie wirtschaftlich über deren Durchführung weiterhin zu bestimmen und an der Niedrighaltung der Kosten interessiert war, und daß sie die gewährten Frachtrückzahlungen als gesellschaftlichen „Gewinn"-Anteil erscheinen ließ. In diese Richtung deutet der Umstand, daß die Erstbeklagte dafür garantierte, daß die anfallenden Zuckertransporte der Firma C angeboten würden.
Ergibt die in dem dargelegten Rahmen anzustellende, vom Berufungsgericht aber unterlassene Untersuchung, daß wirtschaftlich die Erstbeklagte als Auftraggeberin der Zuckertransporte anzusehen und an der Niedrighaltung der Frachtkosten interessiert war, und daß sie die Firma C durch Abschluß ihrer Verträge eine Verbilligung der nach dem Tarif zu zahlenden Frachten bezweckten, so stellten die Zahlungen der Firma C Frachtrückzahlungen dar, die gegen den Tarif verstießen. Der Firma C steht dann nach § 817 Satz 1 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung der von der Erstbeklagten unter Verstoß gegen §§ 5 Abs. 1, 22 Abs. 2 GüKG empfangenen Beträge zu, der nach § 23 Abs. 2 und 3 GüKG auf die Klägerin übergehen konnte und dem § 817 Satz 2 BGB wegen des Ausschlusses dieser Bestimmung durch § 23 Abs. 2 GüKG nicht entgegenstand.
Mit der Feststellung, Leistung und Gegenleistung hätten in keinem offensichtlichen Mißverhältnis gestanden, konnte ein Tarifverstoß nicht verneint und ein auf ihm beruhendes Rückforderungsrecht nicht ausgeschlossen werden. Damit würde die wirtschaftliche Betrachtungsweise, nach der Tarifverstöße zu beurteilen sind (vgl. auch BGH Urteil vom 3. November 1959 1 ZR 120/58), verlassen werden.
Die Beklagte hat an die Firma C zwei Lastzüge verkauft und übereignet. Das zu berücksichtigende Entgelt hierfür ist der Kaufpreis, und, soweit er gestundet ist, seine angemessene Verzinsung. Das gesellschaftliche Beteiligungsverhältnis hat als Umgehungstatbestand außer Betracht zu bleiben, soweit er nur der Verschleierung der unzulässigen teilweisen Frachterstattung diente.
Ist ein Anspruch der Firma C auf Rückgewähr tarifwidriger Zahlungen entstanden, kann ihn die Klägerin doch nur geltend machen, wenn er auf sie übergegangen ist. Ein Obergang wird aber nicht schon dadurch bewirkt, daß die Klägerin einen Überleitungsbescheid erlassen hat. Nach § 23 Abs. 3 GüKG ist hierzu weiter erforderlich, daß die Leistung tarifwidriger Zahlungen vorsätzlich erfolgt ist. Ob dies der Fall ist, unterliegt entgegen der Ansicht der Revision der Prüfung durch das ordentliche Gericht, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 22. Oktober 1959 II ZR 167/57 (BGHZ 31, 88) ausgesprochen hat. Denn die Beantwortung der Frage, ob vorsätzliches Handeln vorliegt, kann von der Prüfung, ob überhaupt ein Tarifverstoß - besonders im Falle einer Tarifumgehung - gegeben und ob die Bundesanstalt zur Geltendmachung der Forderung legitimiert ist, nicht getrennt werden.