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II ZR 207/65 - Bundesgerichtshof (-)
Entscheidungsdatum: 29.01.1968
Aktenzeichen: II ZR 207/65
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: -

Leitsätze:

1) Bei der Begegnung auf einer Flußstrecke mit Grube hat der Bergfahrer sein Weisungsrecht grundsätzlich so auszuüben, dass dem Talfahrer die Grube überlassen bleibt. Der Talfahrer hat aber der Weisung des Bergfahrers auch dann zu folgen, wenn der Bergfahrer dem Talfahrer den Weg so weist, dass dem Talfahrer nicht die Grube überlassen bleibt.

2) Der Bergfahrer hat auf der Elbe dem Talfahrer die Grube grundsätzlich auch dann zu überlassen, wenn das Fahrwasser so breit ist, dass dem Talfahrer bei Befahren des Fahrwassers außerhalb der Grube ein geeigneter Weg verbleibt.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 29. Januar 1968

(Schifffahrtsgericht Hamburg-Schifffahrtsobergericht Hamburg)

Zum Tatbestand:

Das der Klägerin gehörende unbeladene Tankmotorschiff „F" fuhr mit dem der Firma C gehörenden Tankleichter „Co" im Anhang linkselbisch am 23. 11. 1961 gegen 6.30 Uhr bei Mondschein und einer leichten Dunstschicht zu Tal. In der Rechtskrümmung der Oberelbe bei Strom 605, wo sich linkselbisch das tiefere Fahrwasser (Grube) befindet, das Fahrwasser über 300 m breit ist und das Hochwasser um 6.05 Uhr eintrat, stieß das dem Beklagten gehörende, zu Berg fahrende leere MS „A"- im Anhang die Schute "G" - gegen die Steuerbordseite von „Co". Darauf fuhr sich der Talschleppzug auf der nächsten Buhne unterhalb fest. Nach fehlgeschlagenen Versuchen, die Schiffe wieder abzubringen, brach bei ablaufendem Wasser „F" durch und knickte „Co" ein.
Die Klägerin macht von dem aufgrund übertragenen Rechts entstandenen Schaden an „Co" (ca. 18 500 DM) und von ihrem eigenen Schaden an „F" (ca. 51 000 DM) insgesamt nur einen Teilbetrag von 42 000 DM mit der Klage geltend und behauptet u. a., dass der Führer des „A"-Schleppzuges vorschriftswidrig dem Talzug nicht die Grube am linken Elbufer überlassen habe. Der Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung, soweit durch spätere Erklärungen der Klägerin im Berufungsverfahren weitere Ansprüche als zunächst eingeklagt rechtshängig gemacht wurden. Im Übrigen behauptet er, dass nach Schifffahrtsbrauch an der Unfallstelle die Begegnung von Schiffen Backbord an Backbord stattfinde und der Talschleppzug die entsprechende Kursweisung nicht beachtet habe. Die Hauptschäden seien erst dadurch entstanden, dass die Besatzung von „F" nicht sofort den Leichter „Co" losgeworfen und den mit  40t Wasser gefluteten vorderen Tank von „F" nicht wieder gelenzt hätte.
Das Schifffahrtsgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Schifffahrtsobergericht hat ihn bezüglich des „Co"-Schadens voll, bezüglich des „F"-Schadens aber nur zur Hälfte dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision des Beklagten sind auch die abgetretenen Ansprüche wegen des „Co"-Schadens nur zur Hälfte dem Grunde nach zugesprochen worden.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Nach § 38 Nr. 1 Abs. 2 BSchSO müssen auf Flüssen die Bergfahrer den Talfahrern nach Möglichkeit die tiefe Seite des Fahrwassers (Grube) überlassen und ihre Fahrt zu diesem Zweck erforderlichenfalls verlangsamen und einstellen. Die Revision des Beklagten meint, diese Vorschrift könne nur auf enge Fahrwasser angewendet werden, wo sie ihre Berechtigung habe, nicht aber auf breite Ströme wie die Elbe. Hier genüge es, wenn der Bergfahrer dem Talfahrer einen geeigneten Weg zur Begegnung zuweise. Auch für den Rhein bestehe keine solche Vorschrift.

Dieser Ansicht kann nicht zugestimmt werden. Zu den Flüssen, für die § 38 Nr. 1 Abs. 2 BSchSO gilt, gehört die Oberelbe bis zur oberen Grenze des Hamburger Hafens (Art. 1 der VO zur Einführung der BSchSO in Verbindung mit Abschn. X der Sonderbestimmungen des II. Teiles der BSchSO). Es ist ausschließlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich festzusetzen, in dem die bezeichnete Vorschrift gilt, die im Übrigen häufig einem Schifffahrtsbrauch entspricht. Dem Gesetzgeber konnte es auch sinnvoll erscheinen, für den ganzen Bereich der Oberelbe eine einheitliche Regelung zu treffen. Der Gesetzgeber hat den Geltungsbereich der Vorschrift klar abgegrenzt. Davon kann im Wege der von der Revision gewünschten Auslegung aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht abgewichen werden.

Zutreffend wird im angefochtenen Urteil ausgeführt, Abs. 2 der angeführten Vorschrift begründe kein Vorfahrts- oder Weisungsrecht des Talfahrers, sondern eine Art Anweisung für den Bergfahrer, im Rahmen der ihm nach Abs. 1 Satz 2 aa0 auferlegten Prüfung des zu wählenden Passierkurses auf die Besonderheit des Fahrwasserabschnitts und seine Bedeutung für den Talfahrer Rücksicht zu nehmen, weil diesem die Navigation bei Befahren der Grube erleichtert werden solle; wenn dem Talfahrer durch Abs.2 aa0 ein Vorrecht hätte verschafft werden sollen, so hätte dies in § 39 Nr. 1 BSchSO zum Ausdruck gebracht werden müssen, wo die Pflicht des Talfahrers zur Beachtung der Weisung des Bergfahrers stipuliert werde; da aber § 39 Nr. 1 BSchSO ausdrücklich nur den (hier nicht einschlägigen) § 40 Nr. 1 BSchSO, nicht aber den § 38 Nr. 1 Abs. 2 BSchSO unberührt lasse, bestehe beim Befahren einer Strecke mit Grube keine Ausnahme von der Pflicht des Talfahrers, der Weisung des Bergfahrers zu folgen. Für die Ansicht des Berufungsgerichts sprechen weiter Gründe der Verkehrssicherheit. Welche Weisung der Bergfahrer gibt, ist im Gesetz (§ 38 Nr. 2 und 3 BSchSO) eindeutig geregelt; bei Vorbeifahrt an Backbord kein Signal, bei Vorbeifahrt an Steuerbord hellblaue Flagge oder Blinklicht. Ob eine Grube überhaupt vorliegt und wo sie bejahendenfalls anfängt oder aufhört, kann dagegen im Einzelfall, insbesondere bei schwachen Krümmungen zweifelhaft sein; einen Anhaltspunkt kann zwar der Schifffahrtsbruch geben, über den aber häufig Streit besteht. Zweifel können vielleicht auch bestehen, ob es dem Bergfahrer möglich ist („nach Möglichkeit", § 38 Nr. 1 Abs. 2 BSchSO), dem Talfahrer die Grube zu überlassen. Würde man mit der Anschlussrevision die Bestimmung des § 38 Nr. 1 Abs. 2 BSchSO dahin auslegen, dass schon kraft Gesetzes die Begegnung beim Befahren einer Grube dahingehend vorgeschrieben ist, dass die Talfahrer die Grube und der Bergfahrer das andere Fahrwasser einzuhalten hat, so wäre wegen der bezeichneten Zweifel eine eindeutige Regelung für die Begegnung nicht gegeben. Gründe der Verkehrssicherheit sprechen deshalb dafür, dass der Talfahrer auch beim Befahren einer Strecke mit Grube der Weisung des Bergfahrers unterliegt, der Bergfahrer aber grundsätzlich seine Weisung so zu geben hat, dass dem Talfahrer die Grube überlassen wird.

Der Bergfahrer hätte seiner Pflicht, dem Talfahrer die Grube zu überlassen, nur genügt, wenn er dem ebenfalls im linkselbischen Fahrwasser fahrenden Talzug den Weg zur Begegnung an Steuerbord gewiesen, also geblinkt und dementsprechend seinen Kurs gewählt hätte. Dadurch, dass er kein Zeichen gegeben, also den Weg zur Vorbeifahrt an Backbord gewiesen hat, hat er eine mit seiner gesetzlichen Pflicht nicht zu vereinbarende Weisung erteilt. Dass die fehlerhafte Weisung des Schleppzugführers von „A" den Zusammenstoß herbeigeführt hat, bedarf keiner Erörterung.

Der Bergfahrer musste damit rechnen, dass der Talfahrer zunächst davon ausgehe, der Bergfahrer werde entsprechend seiner gesetzlichen Pflicht ihm, dem Talfahrer, die Grube überlassen. Auch der Umstand, dass er nur das grüne Licht des Talfahrers sah, musste in dem Bergfahrer Zweifel erwecken, ob der Talfahrer seine, des Bergfahrers, Weisung verstanden hatte. Der Bergfahrer musste daher rechtzeitig durch Steuerbordschallsignal auf seine (fehlerhafte) Absicht der Begegnung an Bacbord hinweisen.
Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Führer des Talschleppzuges schuldhafterweise den ihm vom Bergfahrer gewiesenen Weg nicht genommen hat (§ 39 Nr. 1 BSchSO). Auf § 40 Nr. 1 Abs. 3 BSchSO kann sich die Klägerin nicht berufen, da der Führer des Talzuges den Bergfahrer an seinen Lichtern als Schleppzug erkannte (vgl. Bild 12 der Anlage 4 BSchSO). Der Bergfahrer hat dem Talzug den Weg zur Begegnung an Backbord gewiesen.

Entscheidend für den Begegnungskurs bei Nacht ist allein, ob der Bergfahrer blinkt oder nicht blinkt. Der Führer des Bergzuges hat im vorliegenden Fall nicht geblinkt. Das hat der Führer des Talzuges erkannt. Damit war ihm der Weg zur Begegnung an Backbord gewiesen.

Der Führer des Talzuges hat auch schuldhaft gehandelt. Zwar ist der Anschlussrevision der Klägerin zuzugeben, dass der Talfahrer zunächst darauf vertrauen durfte, der Bergfahrer werde ihm pflichtgemäß die Grube überlassen, und es daher nicht zu beanstanden ist, dass er zunächst seinen Fahrtweg entlang den linken Buhnenköpfen nahm. Als er jedoch erkannte, dass der sich immer mehr nähernde Bergfahrer kein Blinklicht zeigte, musste er so rechtzeitig den ihm gewiesenen Weg nach Steuerbord einschlagen, dass eine gefahrlose Vorbeifahrt gewährleistet war. Dass er dieser Weisung rechtzeitig entsprechen konnte, hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler festgestellt. Wenn aber der Talfahrer (ohne rechtfertigenden Grund) Zweifel über den Begegnungskurs gehabt haben sollte, hätte er mindestens durch Achtungszeichen nach § 24 Nr. la BSchSO den Bergfahrer aufmerksam machen müssen, damit dieser seinerseits die Zweifel des Bergfahrers über den Begegnungskurs beseitigt hätte (BGH VersR 1964, 187, 188). Dagegen durfte der Talfahrer nicht selbst blinken oder Backbordschallsignal geben, um den Bergfahrer zu zwingen, seine Weisung zu ändern. Ein solches Recht steht dem Talfahrer, abgesehen von den Fällen des § 40 BSchSO und einem Ausnahmefall nach § 5 BSchSO, nicht zu.

Auch die Schuldabwägung des Berufungsgerichts lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Der an sich schwerwiegenden Missachtung der Kursweisung steht der fehlerhafte Gebrauch des Weisungsrechts gegenüber. Beide Parteien haben in gleich zu wertender Schwere durch ihr Verhalten die Kollisionsgefahr geschaffen, wobei zugunsten des Beklagten unterstellt ist, dass er das Fahrwasser vor der Kollision nicht gequert, also nicht gegen §§ 37 Nr. 2, 48 Nr. 1 BSchSO verstoßen hat. Darauf, dass der Bergfahrer zeitlich zuerst diese Gefahrenlage herbeigeführt hat, kommt es nicht entscheidend an, da der Talfahrer bei nautisch richtigem Verhalten der Gefahr unschwer hätte begegnen können.

Die hinsichtlich des weiteren Betrages von 26 968,25 DM erhobene Einrede der Verjährung greift jedenfalls deswegen durch, weil der Antrag auf Erlass eines Zahlungsbefehls erst am 26. Juli 1963 bei Gericht eingegangen ist, die einjährige Verjährungsfrist für die Schadensersatzansprüche aus der Kollision vom 23. November 1961 jedoch bereits mit dem Schluss des Jahres 1962 abgelaufen war (§§ 117 Nr. 7, 118 BSchG).

Der C.G.m.b.H. haften die Eigner von „A" und „F" als Gesamtschuldner gemäß § 92 BSchG, § 734 HGB, § 840 BGB. Für das Verschulden des Führers von „F" haftet die Eignerin des TL „Co" nicht (§ 4 Abs. 3 BSchG), auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 831 BGB, da die Eignerin von „Co" den Schiffsführer von „F" nicht zur Führung des TMS „F" bestellt hat. Die Eignerin von „Co" hat jedoch ihren Schadensersatzanspruch an die Klägerin abgetreten und die Klägerin macht diesen Anspruch geltend. Dieser Anspruch ist außerdem kraft Gesetzes (§ 426 Abs. 2 BGB) insoweit auf die Klägerin übergegangen, als diese von dem Beklagten Ausgleich verlangen kann, hier also nur zur Hälfte (§ 92 BSchG mit § 736 Abs. 1 HGB). Wie in BGHZ 17, 214, 222 ausgeführt, kann diese gesetzliche Regelung nicht dadurch umgangen werden, dass der verletzte Eigentümer seinen Schadensersatzanspruch gegen den anderen Gesamtschuldner an den ihn befriedigenden Gesamtschuldner abtritt. Durch die gesetzliche Regelung des (teilweisen) Forderungsübergangs wird die Abtretung des (vollen) Anspruchs gegenstandslos.

Der Beklagte hat dem Führer von „F" vorgeworfen, er habe den nach der Kollision gefluteten ersten Tank von „F" nach dem Aufebben nicht wieder gelenzt, worauf das Durchbiegen von „F" zurückzuführen sei.
Das Berufungsgericht hat diese Frage mit der Begründung, der Beklagte sei auf diesen Vortrag in der Berufungsbegründung nicht zurückgekommen, nicht entschieden. Tatsächlich hat der Beklagte in der Berufungsbegründung diesen Vorwurf wiederholt. Damit war auch die Berufung in diesem Punkt genügend begründet. Das Berufungsgericht hätte, soweit seine Sachkenntnis nicht ausreicht, die Begutachtung durch einen Sachverständigen anordnen müssen (§ 144 ZPO). Die irrtümliche Annahme des Berufungsgerichts gefährdet aber nicht den Bestand seines Urteils, da die Entscheidung über das Unterlassen der Schadensminderung (§ 254 Abs. 2 S. 1 BGB) dem Betragsverfahren überlassen werden kann, wenn die unterlassene Schadensminderung nicht zum völligen Wegfall der Schadensersatzpflicht des Beklagten führt (RGZ 81, 269, 272f, vgl. BGHZ 1, 34, 36). Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Ober die Frage ist daher im Betragsverfahren zu entscheiden."