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II ZR 209/58 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 07.07.1960
Aktenzeichen: II ZR 209/58
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Rechtswirksamkeit der Freizeichnungsklauseln in den Oberrheinischen Konnossementsbedingungen. Zur Frage, inwieweit ein unter Zugrundelegung allgemeiner Geschäftsbedingungen vereinbarter Haftungsausschluß zugunsten Dritter bei deren Haftung aus unerlaubter Handlung wirkt.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 7. Juli 1960

II ZR 209/58

Zum Tatbestand:

Die Firma A beauftragte die Reederei B, Eisenkonstruktions-Großteile auf dem Wasserwege von Köln zu einer Lahnstation zu befördern. Der Auftrag wurde mit unwidersprochen gebliebenem Schreiben der Reederei B unter ausdrücklicher Bezugnahme auf ihre Konnossementsbedingungen bestätigt. Darin war nach Art der üblichen „Oberrheinischen Konnossementsbedingungen" (KB) Freizeichnung der Reederei B von Ansprüchen u. a. „wegen irgendwelcher Handlungen oder Unterlassungen des Schiffes oder der Schiffsmannschaft, z. B. wegen falsch ausgeführter Bewegungen, begangener Unvorsichtigkeiten, bewiesener Unfähigkeit oder Nachlässigkeit beim Manipulieren der Güter oder Navigation des Schiffes . . ." ausbedungen (§ 20 der KB).
Als Unterfrachtführerin legte sodann eine andere mit der Firma B zusammenarbeitende Reederei, nämlich die Beklagte, das Motorschiff „C", geführt vom Beklagten, vor. Bei der Verladung waren außer dem Beklagten verschiedene Herren der Reederei B (ein Lademeister, ein kaufm. Angestellter und ein Inspektor) sowie ein Montageingenieur der Firma A anwesend. Nach der Verladung von mit Drahtseilen und Runddraht befestigten schweren Konstruktionsteilen wollte der Beklagte das Schiff um etwa 50 m talwärts sacken lassen, um dort noch Kleinzeug zu verladen. Hierbei kam das Schiff aus ungeklärter Ursache ins Schaukeln. Darauf rissen Befestigungsdrähte und es kippten einige Eisenteile nach Backbord. Das Schiff kenterte und sank. Die Klägerin hat der Firma A als deren Transportversicherin den Schaden ersetzt und macht diesen nunmehr gegen die Beklagten geltend.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage gegen beide Beklagten abgewiesen. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat dagegen der Klage gegen die beklagte Reederei stattgegeben. Auf deren Revision wurde das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

I. Das Bestehen vertraglicher Ansprüche (§§ 26 ff., insbesondere § 58 BSchG) verneint das Berufungsgericht auch in Richtung gegen die Beklagte, da diese als Unterfrachtführerin der Firma B mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 432 Abs. 2 HGB nicht in vertragliche Beziehungen zu der Firma A getreten sei. Gegen diese Auffassung des Berufungsgerichts werden keine Revisionsangriffe erhoben. Ob aus dem zwischen der Beklagten und der Firma B geschlossenen Unterfrachtvertrag hinsichtlich des Beförderungsgutes vertragliche Sorgfalts- und Schutzpflichten auch der Firma A gegenüber herzuleiten sind, die zu einer Anwendung des Vertragsrechtes führen könnten (BGH JZ 1960, 124; vgl. auch Lorenz daselbst S. 108 ff.; Heiseke und Larenz in NJW 1960, 77, 78), bedarf keiner Prüfung, da die Haftung der Beklagten an sich schon nach §§ 3, 4 Abs. 1 Nr. 3 BSchG begründet ist. Das gleiche gilt hinsichtlich des zwischen der Beklagten und dem Beklagten bestehenden Dienstvertrages, da der Beklagte an sich schon nach § 823 Abs. 1 BGB haftet.

II. 1. Das Rheinschiffahrtsobergericht hält an sich die Voraussetzungen der Haftpflicht beider Beklagter nach §§ 3, 7 BSchG für gegeben.
2. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Voraussetzungen für eine Haftung des Beklagten nach § 7 BSchG seien an sich gegeben, ist rechtsirrig. Nach § 7 Abs. 2 haftet der Schiffsführer „den Ladungsbeteiligten (Absender und Empfänger)" für den durch die Vernachlässigung seiner Sorgfaltspflicht entstehenden Schaden. Die Firma A war nicht Absender. In dem zwischen der Firma B und der Beklagten geschlossenen (Unter-) Frachtvertrag war Absenderin die Firma B (Vortisch-Zschucke, Binnenschiffahrts- und Flößereirecht 2. Aufl. § 26 Anm. 3c); sie und nicht die Firma A wäre als Absenderin zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs gegen den Beklagten nach § 7 Abs. 2 aktiv legitimiert. Als Abladerin ist die Firma A (im Gegensatz zu der seerechtlichen Regelung nach § 512 HGB) nicht anspruchsberechtigt (Vortisch-Zschucke, § 7 Anm. 3c).
Wohl aber haftet der Beklagte an sich aus unerlaubter Handlung wegen Eigentumsverletzung nach § 823 BGB. Der Beklagte hatte sowohl auf Grund Gesetzes (§ 8 Abs. 2 BSchG) als auch auf Grund seines mit der Beklagten geschlossenen Dienstvertrages die Pflicht zur ordnungsgemäßen Stauung der Wände.
Die Beklagte haftet der Firma A für den durch das Verschulden des Beklagten verursachten Schadens an sich nach §§ 3, 4 Abs. 1 Nr. 3 BSchG. Zwar setzt die Haftung des Schiffseigners gegenüber dem Dritten, der hier im Gegensatz zu § 7 nicht ein Ladungsbeteiligter zu sein braucht, nach § 3 nicht nur das Verschulden einer Person der Schiffsbesatzung voraus, sondern darüber hinaus, daß gegen diese wegen ihres Verschuldens ein Schadensersatzanspruch besteht. Als solcher kommt aber nicht nur ein Anspruch nach § 7 BSchG, sondern auch ein Anspruch auf Grund der allgemeinen bürgerlichrechtlichen Vorschriften, insbesondere auf Grund unerlaubter Handlung in Frage (BGHZ 26, 152, 157).
III. Das Rheinschiffahrtsobergericht ist in Übereinstimmung mit dem Rheinschiffahrtsgericht der Ansicht, daß die an sich auf Grund des Verschuldens des Schiffsführers bestehende Haftung der beiden Beklagten durch w-20- der Konnossementsbedingungen (KB) ausgeschlossen sei. Die zwischen den Firmen A und B vereinbarte Freizeichnung wirke als echter Vertrag zugunsten Dritter im Sinn des § 328 BGB unmittelbar befreiend auch für die beiden Beklagten.
Dieser Auffassung stimmt der erkennende Senat im wesentlichen zu. Der Senat kann die Konnessementsbestimmungen frei auslegen, da ihre Geltung über den Bereich eines Oberlandesgerichtsbezirks hinausreicht. Bei der Auslegung sind nicht die Belange beider Vertragsparteien für den Einzelfall, sondern die Belange beider Wirtschaftskreise, denen die Vertragsschließenden angehören, in billiger Weise gegeneinander abzuwägen (RGZ 170, 241).
a) Zwischen zwei Vertragsparteien kann vereinbart werden, daß die (künftige) Haftung eines Dritten ausgeschlossen sein soll. Zwar hat nach herrschender Meinung (RGZ 124, 325 f; 148, 257, 262; aA Erman BGB 2. Aufl. § 397 Anm. 2), deren Richtigkeit hier keiner Nachprüfung bedarf, eine solche Vereinbarung keine dingliche Wirkung, also nicht die Wirkung, daß beim Vorliegen des haftungsbegründenden Tatbestandes der Anspruch des am Vertrag beteiligten Gläubigers gegenüber dem Dritten überhaupt nicht zur Entstehung kommt, da ein Erlaßvertrag nur eine bestehende, nicht eine künftige Forderung zum Gegenstand haben kann, jedenfalls aber die Zustimmung des Dritten voraussetzt, die Rechtsfigur des Vertrages zugunsten eines Dritten nach § 328 BGB aber nur für Verpflichtungsgeschäfte, jedoch nicht für Verfügungen in Betracht kommt (RGZ 127, 126, 128; 148, 262 f). Wie das Reichsgericht in den beiden zuletzt genannten Entscheidungen zutreffend ausgeführt hat, kann aber nach dem das Schuldrecht beherrschenden Grundsatz der Vertragsfreiheit der Gläubiger sich gegenüber dem Schuldner verpflichten, einen (auch künftig erst entstehenden) Anspruch nicht geltend zu machen (pactum de non petendo), und durch Vertrag zugunsten eines Dritten (§ 328) kann auch bedungen werden, daß dem Dritten ein unmittelbarer Unterlassungsanspruch gegen den Gläubigern auf Nichtgeltendmachung des Haftungsanspruchs zustehen soll. Dadurch wird für den Dritten eine Einrede begründet, die der Geltendmachung des Haftungsanspruches entgegensteht.
b) Der Haftungsausschluß in § 20 KB bezieht sich nicht nur auf die Firma B, sondern auch auf die Beklagte. Der in § 20 enthaltene Haftungsausschluß wäre ohne weiteres zum Zuge gekommen, wenn die Firma B den Transport mit ihrem eigenen Schiff durchgeführt hätte. Die Interessenlage hat sich nicht dadurch geändert, daß für den Transport ein Schiff der Beklagten, wie im übrigen von vornherein vereinbart, verwendet worden ist. Denn für die Firma A konnte es gleichgültig sein, wem das MS „C" gehörte. Die Rechtslage, die für sie durch den Haftungsausschluß geschaffen wurde, konnte sich nicht dadurch verbessern, daß für den Transport ein nicht der Firma B gehörendes Schiff eingesetzt worden ist.
Im übrigen ist auch den Ausführungen des Berufungsgerichts über den Zweck der Freizeichnung, den Frachtbetrag in ein bestimmtes Verhältnis zu dem Risiko des Frachtführers zu setzen, beizustimmen. Aus dem Sinn des Haftungsausschlusses zugunsten der Beklagten ergibt sich ohne weiteres, daß die Beklagte ein selbständiges Recht gegen die Firma A erwerben sollte, von ihr die Unterlassung der Geltendmachung von Haftungsansprüchen wegen eines Verschuldens ihres, der Beklagten, Schiffsführers, zu verlangen.
c) Das Berufungsgericht hat auch recht, wenn es die Freizeichnung zugunsten des Beklagten eingreifen läßt. Die Revision der Klägerin kann dem keine stichhaltigen Einwendungen entgegensetzen. Nicht der Wortlaut der Freizeichnung, sondern nur ihr Sinn und Zweck kann entscheidend sein; dieser Auslegungsgrundsatz kann auch bei der an sich gebotenen einschränkenden Auslegung von Freizeichnungsklauseln nicht unbeachtet bleiben. Die Auffassung des Rheinschiffahrtsobergerichts wird schon von seiner in Obereinstimmung mit dem Rheinschiffahrtsgericht getroffenen Feststellung getragen, daß Freizeichnungsklauseln für die Reederei nach allgemeiner Auffassung und Übung in der Rheinschiffahrt auch zugunsten der Schiffsführer gelten. Denn eine solche Übung ist eine wichtige Erkenntnisquelle für die Auslegung und Deutung allgemeiner Geschäftsbedingungen (RGZ 170, 242).
d) Nach Auffassung des Berufungsgerichts verstößt die Freizeichnung nicht gegen die guten Sitten (§ 138 BGB). Die Rheinreedereien, so führt das Berufungsgericht aus, die den Abschluß von Frachtverträgen von der Annahme der Oberrhein-Konnossementsbedingungen abhängig machten, hätten keine monopolähnliche Stellung inne.
Auch wenn unterstellt wird, daß die Rheinreedereien, zu denen die Firma B und die Beklagte gehören, eine wirtschaftliche Monopolstellung ausüben, würde die Freizeichnung im vorliegenden Fall nicht gegen § 138 BGB verstoßen. Denn Voraussetzung für einen Verstoß ist immer, daß der Vertragsgegner in dem zu entscheidenden Fall unter dem Druck der wirtschaftlichen Machtstellung des anderen Teiles sich zu einer unangemessenen oder unbilligen Haftungsbeschränkung bereitgefunden hat (BGHZ NJW 1956, 1066). Davon kann aber hier keine Rede sein. Nach der Feststellung im angefochtenen Urteil handelte es sich um einen besonders schwierigen und gefährlichen Transport. In einem solchen Falle ist es nicht unbillig, daß der Frachtführer und der Schiffseigner die Übernahme eines Risikos ablehnen, das in keinem Verhältnis zu dem Frachtbetrag steht, und es dem Absender überlassen, seinerseits durch Abschluß einer Transportversicherung das Risiko abzudecken, wie es im vorliegenden Falle geschehen ist. Das Vorgehen der Beteiligten entspricht einer vernünftigen wirtschaftlichen Handlungsweise und kann rechtlich nicht beanstandet werden. Das Vorgehen der Klägerin, die das von ihr gegen Prämienzahlung übernommene Risiko nun wieder auf den Schiffseigner und Schiffsführer abwälzen will, entbehrt der rechtlichen Grundlage. Der Vergleich, den die Revision der Klägerin mit der seerechtlichen Regelung zieht, geht schon deshalb fehl, weil auch dort die Haftungsbeschränkung möglich ist, wenn kein Konnossement ausgestellt ist (§ 662 HGB).

e) Nach der Ansicht des Berufungsgerichts sind unter den durch § 20 KB freigezeichneten Schäden „bei Durchführung des Transportes" nicht nur die auf dem eigentlichen Transportweg, sondern auch die beim Verladen entstehenden Schäden zu verstehen.
Die „Durchführung des Transportes" beginnt mit dem Einladen und ist mit dem Ausland beendet. Allein schon der Wortlaut „bei Durchführung des Transportes" und nicht „während des Transportes" (wie in § 16 KB, auf die sich die Revision beruft), spricht für die Auslegung des Berufungsgerichts. Ein „Manipulieren der Güter" wird in erster Linie beim Verladen und Entladen vorgenommen, während des Transportes nur ausnahmsweise.

f) Dem Berufungsgericht ist auch darin beizutreten, daß nach Wortlaut und Sinn des § 20 KB alle Schadensersatzansprüche ausgeschlossen sind, gleichgültig auf welchem Rechtsgrund (Vertrag, §§ 3, 7 BSchG, §§ 823 ff. BGB) sie beruhen. Eine Haftung aus unerlaubter Handlung kann, wie nicht zweifelhaft ist (BGHZ 9, 301, 306), durch Vertragsabrede, auch in Form von allgemeinen Geschäftsbedingungen, ausgeschlossen werden, und zwar auch zugunsten eines Dritten. Dies ist hier der Fall.

IV. Das- Berufungsgericht kommt zu einer Schadensersatzpflicht der Beklagten nach §§, 823 Abs. 1, 31 BGB wegen fehlerhafter Organisation ihres Unternehmens. Es habe sich, so wird im angefochtenen Urteil ausgeführt, um einen ungewöhnlichen, besonders schwierigen und gefahrvollen Transport gehandelt. Es habe auf der Hand gelegen, daß zur Verstauung der schweren Wände auf dem Schiff weit mehr Drahtseile benötigt werden, als der Kapitän aus seinem Schiffszubehör habe entbehren können. Bei dieser Sachlage hätten sich die Organe der Beklagten darum kümmern müssen, daß zur Verladung genügend starke Drahtseile aus den Beständen der Reederei zur Stelle gewesen seien.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe für die Stellung der geeigneten Drähte zum Befestigen sorgen müssen, entspricht dem Gesetz. Nach § 41 BSchG hat der Absender (das war nicht einmal die Firma A, sondern die Firma B) gepackte Güter, zu denen die Wände gehörten, auf das Schiff zu liefern. Die Verstauung im Schiff ist Sache des Schiffsführers (§ 8 Abs. 2). Die Beschaffung des Befestigungsmaterials fällt daher in den Pflichtenkreis der Reederei.
Bei der gegebenen engen Zusammenarbeit der beiden Schiffahrtsgesellschaften bedurfte es aber für die Verstauung der Bunkerwände nicht _der Überwachung durch eigenes technisches Personal der Beklagten zu 1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, bei schwierigen Transporten müßten sich der Vorstand oder leitende Angestellte mit der Beschaffung des Befestigungsmaterials befassen, kann nicht gebilligt werden. Es bedeutet eine Überspannung des Aufgabenbereichs des Vorstands oder der leitenden Angestellten, wenn sie sich bei solchen Transporten um die Beschaffung des Befestigungsmaterials kümmern müßten.