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II ZR 212/62 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 09.03.1964
Aktenzeichen: II ZR 212/62
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsätze:

1) Auch bei in Kette fahrenden Schiffen gilt die im Interesse der Rechtssicherheit streng zu befolgende Regel, daß jeder einzelne Bergfahrer dem Talfahrer den Weg weist.

2) Die Vorschrift des § 102 Nr. 5 Abs. 1 BSchSO soll in erster Linie den Schleusenrang gewährleisten, dient aber gleichzeitig der Verhinderung unnötiger Schiffsbewegungen und damit der Sicherung des Verkehrs im Schleusenbereich.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 9. März 1964

(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort/Schiffahrtsobergericht Köln)

II ZR 212/62


Zum Tatbestand

Das bei der Klägerin versicherte MS „A" (167 t, 70 PS) kollidierte auf dem Wesel-Datteln-Kanal unterhalb der Schleuse Dorsten bei Dunkelheit, aber klarem Wetter als viertes Schiff in einer Kette von Bergfahrern mit dem zu Tal aus der Schleuse kommenden, dem Beklagten zu 1 gehörenden und vom Beklagten zu 2 geführten MS „B" (499 t, 195 PS).
Die Klägerin verlangt Ersatz der für die Beseitigung der Schäden am Vorschiff erfolgten Aufwendungen von annähernd 10000,- DM mit der Behauptung, dass MS „B" gegenüber dem dicht am südlichen Kanalufer fahrenden MS „A" den ursprünglichen Kurs in Fahrwassermitte verlassen und in einem Abstand von 40 m mit hoher Geschwindigkeit nach Backbord gegangen sei. Obwohl „A" in diesem Augenblick ein Steuerbordsignal gegeben, zurückgeschlagen und darauf fast stillgelegen habe, sei es zum Zusammenstoff gekommen.
Die Beklagten berufen sich darauf, daß alle in der Kette fahrenden Schiffe den aus der Schleuse kommenden Fahrzeugen, von denen „B" an erster Stelle fuhr, Blinkzeichen zur regelwidrigen Begegnung gegeben hätten. „B" habe die Zeichen erwidert und entsprechenden Kurs eingeschlagen. Die vor A" fahrenden Bergfahrer seien auch an den nördlichen Wall gegangen. Dagegen sei „A" von der Fahrwassermitte nach Steuerbord gekommen und in den Kurs von „B" gefahren.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Schiffahrtsobergericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Ihre Revision führte zur Zurückweisung an das Berufungsgericht.

Aus den Entscheidungsgründen

Das Berufungsgericht hat das Recht und die Pflicht des Bergfahrers zur Kursweisung verkannt. Auch bei in Kette fahrenden Schiffen gilt die im Interesse der Rechtssicherheit streng zu befolgende Regel, daß jeder einzelne Bergfahrer dem Talfahrer den Weg weist. Nur muß der Bergfahrer dem Talfahrer unter Berücksichtigung des übrigen Verkehrs, zu dem auch die in der Kette fahrenden Schiffe gehören, einen geeigneten Weg freilassen, was nicht der Fall ist, wenn der Talfahrer durch die Weisung des Bergfahrers gezwungen wird, einen gefährlichen Zickzack-Kurs zu fahren. Auch muß der Bergfahrer rechtzeitig die Kursweisung geben. Auch bei in Kette fahrenden Schiffen kann es durchaus zulässig sein, daß ein Bergfahrer aus der Kette "ausschert", nämlich dann, wenn er in genügender Entfernung vom Talfahrer zum anderen Ufer hinüberwechselt und der Talfahrer ausreichend Raum hat, zwischen diesem Bergfahrer und der Kette der anderen Schiffe hindurchzufahren. Daraus ergibt sich, da4 die Ansicht des Berufungsgerichts, die übrigen in der Kette fahrenden Schiffe hätten durch ihre Weisung zur Vorbeifahrt an Steuerbord auch den Kurs von „A" festgelegt, so daß dieser nicht habe geändert werden können, rechtsirrig ist. Entscheidend kann nur sein, ob „A" so rechtzeitig zum Südufer hinübergefahren ist, daß der in Kanalmitte fahrende Talfahrer zwischen „A" und den am Nordwall stilliegenden oder entlangfahrenden Schiffen seinen Weg nehmen konnte. Soweit das Berufungsgericht zu dieser Frage überhaupt konkrete, in der Revisionsinstanz nachprüfbare Ausführungen gemacht hat, sprechen diese eher für ein nautisch richtiges Verhalten des zu Berg fahrenden MS „A".
Wenn man mit dem Berufungsgericht davon ausgeht, daß „B" mit einer Geschwindigkeit von 2 bis 3 km/h fuhr und wenn man für „A" dieselbe Geschwindigkeit annimmt, dann ist „A" in einer Entfernung von 200 bis 300 m vor „B", etwa drei Minuten vor dem Zusammenstoß hinübergewechselt. Es müßten schon besondere, vom Berufungsgericht bisher nicht aufgezeigte Umstände vorliegen, die die Annahme rechtfertigen könnten, das MS „B" habe die Weisung von „A", an seiner Backbordseite vorbeizufahren, nicht befolgen können, zumal nicht ersichtlich ist, daß der in Kanalmitte sich haltende Talfahrer überhaupt seinen Kurs wesentlich hätte ändern müssen, um den nur 5 m breiten, dicht am Südufer entlang fahrenden Bergfahrer gefahrlos zu passieren. Es ist auch nicht ersichtlich, daß die 100 bis 150 m weiter unterhalb am Nordufer nebeneinander liegenden Schiffe dem entgegengestanden hätten.
Zutreffend sieht das Berufungsgericht ein Mitverschulden der Schiffsführung von „A" darin, da3 dieses Schiff entgegen § 102 Nr. 5 Abs. 1 BSchSO an anderen auf die Schleusung wartenden Schiffen vorbeigefahren ist, obschon es nicht vorgeschleust werden sollte. Die Vorschrift soll zwar in erster Linie den Schleusenrang (§ 103 Nr. 1 BSchSO) gewährleisten. Sie dient aber gleichzeitig der Sicherung des Verkehrs im Schleusenbereich, in dem unnötige Schiffsbewegungen bei der häufig im Schleusenbereich herrschenden Verkehrsdichte vermieden werden sollen. Insoweit stellt sich die Vorschrift auch als Schutzvorschrift für die aus der Schleuse fahrenden Schiffe dar.
Aus den angegebenen Gründen war das angefochtene Urteil aufzuheben. Sollte das Berufungsgericht bei erneuter Prüfung zu dem Ergebnis kommen, da3 die Besatzung von „B" gegen die Kursweisung von „A" schuldhaft versto3en oder sogar wegen mangelnder Beobachtung den Bergfahrer „A" nicht rechtzeitig erkannt hat, so wird bei der Schuldabwägung zu berücksichtigen sein, da3 ein Verstoß gegen die Grundregel des § 39 Nr. 1 BSchSO schwerer wiegt als ein solcher gegen § 102 Nr. 5 Abs. 1 BSchSO, sofern nicht ein besonders rücksichtsloses Verhalfen des gegen die letztere Bestimmung verstoßenden Schiffes vorliegt.