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II ZR 218/63 - Bundesgerichtshof (-)
Entscheidungsdatum: 28.10.1965
Aktenzeichen: II ZR 218/63
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: -

Leitsatz:

1) Es ist ein schwerwiegender Verstoß gegen die nautische Sorgfaltspflicht, wenn ein Anhangkahn in der Dunkelheit bei einem bevorstehenden Begegnungsmanöver seinem Boot nicht im Kurs folgt.

2) Die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Schiffers verlangt es, dass er in Zweifelsfällen den Weg mit dem geringsten Risiko wählt. Er darf nicht darauf vertrauen, dass der Anhangkahn eines entgegenkommenden Bergzuges seinen falschen Kurs rechtzeitig berichtigt.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 28. Oktober 1965 

(Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschifffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Der bei der Klägerin versicherte beladene Schleppkahn "H" als einziger Anhang des Bootes „EH" kollidierte in der Dunkelheit auf der Bergfahrt bei Rhein km 630 etwa in Strommitte fast Kopf auf Kopf mit dem der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten, zu Tal fahrenden, beladenen Motorschiff „G".
Die Klägerin verlangt Schadensersatz von ca. 20000 DM. Aufgrund übergegangenen Rechtes und Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten wegen des weiteren Unfallschadens, vor allem, weil der Talfahrer sich mehr linksrheinisch gehalten habe, statt den Kurs mittstroms zu nehmen oder auf das Steuerbordsignal des Bootes sich in die rechte Stromhälfte zu begeben. Die Beklagten bestreiten jedes Verschulden. Allein der Kahn sei für den Unfall verantwortlich, weil er in der Dunkelheit trotz des linksrheinisch verlaufenden Bergweges etwa 60 m außerhalb des Kurses seines linksrheinisch befindlichen Bootes gefahren sei. Auf „G" habe man darauf vertrauen dürfen, dass der Kahn seinem Boot folgen würde.
Die Klägerin beruft sich darauf, dass der Kahn wegen einiger Ankerlieger das linke Ufer nicht nahe habe anhalten können und den Ahr Grund rechtzeitig habe frei fahren müssen. Außerdem sei „H" durch ein unvorschriftsmäßiges Hecklicht des Bootes - keine gelbe Farbe und zu dicht unter dem qualmenden Schornstein - irritiert worden. Das Hecklicht sei deshalb auch mit einem Licht am rechten Ufer weiter oberhalb verwechselt worden. Der Führer des Schleppbootes habe sich nicht rechtzeitig um den Kurs seines Anhangs gekümmert und diesen nicht berichtigt.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach gegen die Beklagte zu 1 zu 1/5 gegen die Beklagte zu 2 zu  1/4 für gerechtfertigt erklärt. Das Rheinschifffahrtsobergericht, das mitursächliche Fehler des Bootes "EH" für den Unfall nicht für erwiesen hält, hat der Klage gegen beide Beklagten zu 3 dem Grunde nach stattgegeben. In beiden Instanzen wurde die entsprechende Feststellung wegen der weiteren Schäden getroffen. Die Revision beider Parteien gegen das Berufungsurteil wurde zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das angefochtene Urteil hält allen Revisionsangriffen stand.

1. Revision der Klägerin:

Es bedeutet bei einem bevorstehenden Begegnungsmanöver in der Dunkelheit einen schwerwiegenden Verstoß gegen die nautische Sorgfaltspflicht, wenn der Anhang seinem Boot im Kurs nicht folgt. Nicht minder schwer wiegt der gleichzeitige Verstoß gegen das Kursänderungsverbot des § 37 Nr. 3 RhSchPVO. Durch die Signale des Bergbootes, die durch das Steuerbordschallsignal des Talfahrers bestätigt worden sind, war die Begegnung von Bergzug und Talfahrer Backbord an Backbord festgelegt. Da nach der Feststellung des Berufungsgerichts der Talfahrer zunächst linksrheinisch, dann mitstroms fuhr, gebot es die Verkehrslage gerade in der Dunkelheit, dass der Bergkahn seinen Kurs nach der vom Talfahrer abgewendeten Seite nahm (vgl. BGH VersR 1962, 320, 321). Ebenso ist es unter den hier vorliegenden Umständen unentschuldbar, dass "H" den Kurs sogar noch nach Backbord genommen hat, mag dies auch kurz vor dem Zusammenstoß gewesen sein. Abwegig ist die Meinung der Revision, die Steuerbordschallsignale des Bootes seien nur für den Entgegenkommer bestimmt und für den Anhang bedeutungslos gewesen. Ebenso unhaltbar ist ihre Auffassung, das Boot hätte seinen Anhang durch ein Achtungssignal (§ 24 Nr. 1 a RhSchPVO) aufmerksam machen müssen. Ein solches Signal hätte bei dem Talfahrer nur Verwirrung hervorrufen können und damit gegen § 58 Nr. 2 RhSchPVO verstoßen. Das allein in Frage kommende Signal war das Steuerbordschallsignal gewesen, das sowohl dem Talfahrer wie dem Anhang des Bootes anzeigte, dass die Begegnung Backbord an Backbord stattzufinden habe (§ 38 Nr. 4 RhSchPVO) und bei der gegebenen Verkehrslage gleichzeitig bedeutete, dass das Boot seinen Kurs nach Steuerbord nahm (§ 24 Nr. 1 b RhSchPVO). Damit hat der Schleppzugführer gleichzeitig seinen Anhangkahn angewiesen (§ 2 Nr. 4 Abs. 2 RhSchPVO), dem Boot zu folgen und nach linksrheinisch beizugehen, wozu der Anhangschiffer schon ohne Anweisung verpflichtet gewesen wäre.
Das Berufungsgericht hat der Besatzung von "H", die behauptete, sie habe das Hecklicht des Bootes mit einem Licht der Uferbeleuchtung verwechselt, nicht geglaubt. Es hat seine Ansicht rechtlich einwandfrei begründet.

2. Revision der Beklagten:

Der Talfahrer „G" musste nach Steuerbord ausweichen (§ 39 Nr. 1 RhSchPVO), wo unstreitig völlig ausreichender Platz vorhanden war.
Der Schiffsführer von "G" kann sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen, wenn er mit seiner Fahrweise ein ihm erkennbares Risiko einging. Das war hier der Fall. Gerade bei Dunkelheit werden, sei es verschuldet oder unverschuldet, leicht Fehler begangen. Die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Schiffers verlangt es, dass er in Zweifelsfällen den Weg wählt, der das geringste Risiko in sich birgt. Unter den gegebenen Umständen kann sich der Schiffsführer von "G" nicht damit entlasten, dass er darauf vertraut habe, der Bergkahn werde bis zur Begegnung seinen falschen Kurs genügend berichtigen.
Dagegen ist der Revision darin recht zu geben, dass die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht ausreichen, um den Vorwurf des Berufungsgerichts zu rechtfertigen. „G" habe den Kahn „H" scharf angehalten, um ihn bei Seite zudrücken. Das Berufungsgericht geht selbst davon aus, der Kapitän von „G" habe angenommen, der Bergkahn werde noch rechtzeitig hinter sein Schleppboot beigehen, wozu der Kahn auch verpflichtet war. Aus dieser Annahme des Kapitäns kann aber nicht ohne weiteres auf eine Absicht des Kapitäns geschlossen werden, den Bergkahn bei Seite zu drücken.
Im Hinblick darauf, dass) auch dem Schiffsführer von "G" nur ein fahrlässiger Verstoß; gegen § 39 Nr. 1 RhSchPVO zur Last zu legen ist, stimmt der Senat der Verschuldens- und Ursachenbewertung des Berufungsgerichts und der entsprechenden Schadensverteilung zu. Da das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum ein unfallursächliches Verschulden der Schiffsführung des Bootes „EH" nicht für bewiesen hält, ist die Schadensverteilung mit Recht auf die Schiffe „H" und „G" beschränkt worden (§ 92 BSchG, § 736 HGB)."