Rechtsprechungsdatenbank

II ZR 23/60 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 16.11.1961
Aktenzeichen: II ZR 23/60
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsätze:

a) Ein Schaden „in der Binnenschiffahrtsspedition" liegt auch dann vor, wenn der Spediteur neben der Besorgung der Güterversendung durch ein Binnenschiff den Umschlag der Güter vom Seeschiff auf das Binnenschiff übernommen hat und der Schaden durch die Verladung in ein untaugliches Binnenschiff entstanden ist.

b) Für die Frage des Haftungsausschlusses des Spediteurs ist es gleichgültig, ob der Spediteur oder der Versender die Transportversicherung abgeschlossen hat.

c) Hat der Transportversicherer dem Versender Versicherungsschutz gewährt, so ist der Schaden gedeckt. Unerheblich ist, ob der Transportversicherer verpflichtet war, dem Versender Versicherungsschutz zu gewähren.

d) Bei einer fehlerhaften Maßnahme des Spediteurs entfällt der Haftungsausschluß nicht, wenn der Transportversicherer dem Versender Versicherungsschutz gewährt hat.

e) Gegen die Freizeichnungsklausel in § 57 Nr. 5 der Allg. Deutschen Spediteurbedingungen bestehen keine grundsätzlichen Bedenken.

f) Zur Frage der Gültigkeit des Haftungsausschlusses bei grobem Verschulden des Repräsentanten des Spediteurs.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 16. November 1961

(Landgericht Hamburg, Oberlandesgericht Hamburg)

II ZR 23/60


Zum Tatbestand:

Die Firma A beauftragte die Beklagte mit dem Umschlag und der Weiterverladung einer mit Seeschiff in Bremerhaven eintreffenden Partie Weißzucker in Säcken nach Duisburg und Düsseldorf. Die Beklagte gab dem Schiffsmakler B den Auftrag, für die Gestellung des Binnenschiffahrtsraumes zu sorgen mit dem Hinweis, daß für Weißzucker saubere und trockene Räume zur Verfügung stehen müßten. Außerdem gab die Beklagte der Firma C den Auftrag zur Überwachung des Umschlages und erteilte dabei besondere Anweisungen für die unmittelbare Oberladung der Ware aus dem Seeschiff in das Binnenschiff. Vor allem sollte darauf geachtet werden, daß der Kahnraum sauber und trocken sei; nötigenfalls sei der Kahn mit Ölpapier auszulegen.

Darauf wurden über 4000 Säcke Weißzucker aus dem Seeschiff in den von der Firma B durch das Schiffahrtsunternehmen D aufgegebenen Kahn umgeladen. Für diesen Kahn - Baujahr 1888 - war von der Internationalen Vereinigung des Rheinschiffsregisters ein Tauglichkeitsattest mit der Klasse R II ausgestellt worden, wonach der Kahn geeignet war, „Güter zu laden, denen eine leichte Beschädigung durch Wasser nicht schadet". Vertreter der Firma C besichtigten den Kahn vor der Beladung und waren während der ganzen Löschzeit anwesend. Der Boden des Kahnes wurde vor der Beladung mit 01-papier ausgelegt.

Bei der Entladung wurden an der Ware Nässeschäden in Höhe von mehr als 6000,- DM festgestellt. Die Klägerin als Transportversicherin hat der Firma A den Schaden ersetzt und verlangt nunmehr von der Beklagten wegen angeblich grober Verletzung ihrer Pflichten aus dem Speditionsvertrag sowie wegen groben Verschuldens der Firma B und C als Erfüllungsgehilfen der Beklagten Schadensersatz gemäß §§ 67 VVG.
Die Beklagte hat jedes Verschulden bestritten und Haftungsausschluß nach § 57 Nr. 5 ADSp. eingewandt.

Die Klage blieb in allen drei Instanzen erfolglos.


Aus den Entscheidungsgründen:

Nach § 57 Nr. 5 der Allgemeinen deutschen Spediteurbedingungen, die unstreitig für die Rechtsbeziehungen zwischen der Rechtsvorgängerin der Klägerin und der Beklagten maßgebend sind, ist die Haftung des Spediteurs u. a. ausgeschlossen für Verluste und Schäden in der Binnenschiffahrtsspedition, die durch Transportversicherung gedeckt sind oder durch eine Transportversicherung allgemein üblicher Art hätten gedeckt werden können, oder nach den herrschenden Gepflogenheiten sorgfältiger Kaufleute über den Rahmen einer Transportversicherung allgemein üblicher Art hinaus gedeckt werden, es sei denn, daß eine ordnungsgemäß geschlossene Versicherung durch fehlerhafte Maßnahmen des Spediteurs unwirksam wird.

Die Revision verkennt, daß die Auswahl eines Binnenschiffes, bei der der Schaden entstanden ist, nicht demjenigen obliegt, der den Umschlag besorgt. Nach § 408 Abs. 1 HGB ist es Sache des Spediteurs, den Frachtführer auszuwählen, der den Transport mit dem Binnenschiff ausführt. Das Berufungsgericht hat daher recht, wenn es einen infolge Gestellung eines untauglichen Binnenschiffes entstandenen Schaden, für den der Spediteur verantwortlich gemacht wird, als einen Schaden „in der Binnenschiffahrtsspedition" ansieht. Im übrigen hat die Revision die Bestimmung des § 58a ADSp übersehen; danach wird, falls ein Schaden den Umständen nach aus einer im § 57 bezeichneten Gefahr entstehen könnte, vermutet, daß er aus dieser Gefahr entstanden ist. Kann also ein Schaden sowohl beim Umschlag als auch in der Binnenschiffahrtsspedition entstanden sein, so wird bis zum Beweis des Gegenteils durch den Geschädigten vermutet, daß er in der Binnenschiffahrtsspedition aufgetreten ist (vgl. Krien-Hay ADSp § 57 Anm. 8).

Zutreffend hält es das Berufungsgericht für unerheblich, ob die Transportversicherung von dem Spediteur oder dem Versender abgeschlossen worden ist. Dies geht klar daraus hervor, daß die zweite und dritte Alternative des § 57 Nr. 5, bei denen ein Schaden durch Transportversicherung nicht gedeckt ist, aber hätte gedeckt werden können, den unterlassenen Transportversicherungsabschluß durch den Versender und nicht durch den Spediteur betrifft. Denn der Spediteur ist, was die Revision übersieht, nach § 39a nur zum Abschluß der Speditionsversicherung nach dem Speditionsversicherungsschein (SVS) verpflichtet, dagegen nicht zum Abschluß einer Transportversicherung, es sei denn, daß ein Auftrag des Versenders dazu vorliegt (§ 35a). Ist der Schaden durch Transportversicherung gedeckt (erste Alternative), so kann es keinen Unterschied machen, ob diese Versicherung vom Versender oder - in seinem Auftrag - vom Spediteur abgeschlossen ist; in jedem Falle sind damit die Interessen des Versenders gewahrt und daher der Haftungsausschluß gerechtfertigt.

Hieraus ergibt sich gleichzeitig, daß es genügt, daß der Transportversicherer den Schaden tatsächlich gedeckt hat, und es nicht darauf ankommt, ob er ihn zu decken verpflichtet war (vgl. den vom Senat durch Urteil vom 28. September 1961 II ZR 101/59 entschiedenen Fall, VersR 1961, 992). Damit erübrigen sich alle Erörterungen über Gefahränderung und Gefahrerhöhung und ihre Folgen. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Versicherer seine Leistungen vom Versicherungsnehmer nach § 812 BGB zurückfordern könnte. Denn so lange er das nicht tut, ist der Schaden gedeckt, der Schutz des Versenders - auf ihn allein, nicht auf den Schutz seines Versicherers kommt es bei der Haftungsausschlußklausel an - ist gewahrt und damit der Haftungsausschluß gerechtfertigt.
Der Haftungsausschluß entfällt schließlich auch nicht deshalb, weil die Transportversicherung durch fehlerhafte Maßnahmen der Beklagten unwirksam geworden sei. Die Klägerin hat selbst ausgeführt, sie habe der Firma A den Versicherungsschutz nicht verweigern können. Jedenfalls hat sie, worauf es hier allein ankommt, den Versicherungsschutz gewährt, so daß die Versicherung gerade nicht unwirksam ist. Dies kann auch die Revision nicht ausräumen. Alle ihre Angriffe betreffen in diesem Punkt nur die Frage, ob eine fehlerhafte Maßnahme der Beklagten vorliegt. Eine solche allein würde aber, selbst wenn sie vorläge, den Haftungsausschluß nicht verhindern, da es schon an der weiteren Voraussetzung fehlen würde, daß die Transportversicherung unwirksam geworden ist.
Der Haftungsausschluß des § 57 Nr. 5, der auch den vom Spediteur ursächlich verschuldeten Schaden umfaßt (Krien-Hay § 57 Anm. 8; mißverständlich Schlegelberger-Schröder HGB 2. Aufl. § 408 Anm. 29), ist weder sittenwidrig noch verstößt er gegen Treu und Glauben.

Grundsätzlich bestehen gegen die Freizeichnungsklausel in § 57 Nr. 5 keine Bedenken. Ihre Rechtsgültigkeit ist aus den gleichen Gründen zu bejahen wie die der Haftungsbeschränkungsklausel nach § 54a Nr. 2 (BGHZ 20, 164, 167). Ein Verstoß gegen Treu und Glauben, insbesondere in Ansehung des das ganze Speditionsrecht beherrschenden Grundsatzes, daß der Spediteur die ihm anvertrauten Interessen des Versenders wahrzunehmen hat, kann in dem Haftungsausschluß um so weniger gesehen werden, als der Versender durch § 57 Nr. 5 auf die Möglichkeit, ja Notwendigkeit hingewiesen wird, sich durch Abschluß einer Transportversicherung vor Schaden zu bewahren. Die Möglichkeit der versicherungsrechtlichen Abdeckung eines Schadens ist aber bei der Frage der Gültigkeit von Freizeichnungsklauseln entscheidend zu berücksichtigen (BGHZ 33, 216). Maßgebend für die Einfügung des § 57 Nr. 5 in die ADSp war, wie das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang ausführt, gerade die Erwägung, daß seit Jahrzehnten die Deckung des Schadens durch Transportversicherung seitens des Versenders üblich war.

Nur die mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarende Freistellung des Spediteurs von eigener grober Fahrlässigkeit oder von grober Sorgfaltspflichtverletzung seiner leitenden Angestellten (Repräsentanten) kann nicht nur die Gültigkeit der Freizeichnungsklausel in Frage stellen (BGHZ 20, 167), sondern auch den Versicherungsanspruch des Versenders gegen den Transportversicherer gefährden (BGHZ 33, 216) und bei Verweigerung des Versicherungsschutzes auch aus diesem Grunde die Freizeichnungsklausel zu Fall bringen. Ob bei groben Verstößen des Spediteurs selbst oder seines Repräsentanten der Freizeichnungsklausel die Gültigkeit auch dann abzusprechen ist, wenn dem Versender tatsächlich Versicherungsschutz gewährt wird, bedarf hier keiner Entscheidung.
Wird ein Versicherungsschutz nicht gewährt, so sind in solchen groben Pflichtverletzungen gleichzeitig fehlerhafte Maßnahmen des Spediteurs zu erblicken, die die Versicherung unwirksam machen und damit auch die Unwirksamkeit der Freizeichnungsklausel zur Folge haben. Dies gilt aber nur bei groben Verstößen des Spediteurs oder seiner leitenden Angestellten (Repräsentanten), nicht aber bei - auch groben - Verstößen sonstiger Angestellter oder selbständiger Unternehmer, mögen sie auch Erfüllungsgehilfen des Spediteurs sein (BGHZ 20,167f; 33,216; BGH NJW 1956, 1056). Ob die Schiffsmaklerfirma B als Repräsentantin der Beklagten bei der Auswahl des Frachtführers angesehen werden könnte, kann dahingestellt bleiben. Denn die Klägerin hat nicht dargetan, daß die Firma B den Frachtführer, die Firma D, nicht mit der erforderlichen Sorgfalt ausgewählt hat, erst recht nicht, daß hierbei ein grober Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht unterlaufen sei.
Die Firma B hat dem Frachtführer mitgeteilt, daß ein Kahn zur Verladung von Weißzucker erforderlich war. Selbst wenn, worüber vom Berufungsgericht nichts festgestellt ist, die Firma B hierbei nicht darauf hingewiesen haben sollte, daß die Laderäume des zu stellenden Kahnes trocken sein müssen, würde hierin jedenfalls ein grober Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten nicht liegen, da schon aus der Mitteilung, daß Weißzucker geladen werden soll, ersichtlich ist, daß die Laderäume trocken sein müssen. Erst recht liegt ein solcher Verstoß nicht darin, daß die Beklagte bzw. die Firma B kein Schiff der Klasse 1 angefordert hat. Es war Sache des Frachtführers, ein für die Beladung von Weißzucker taugliches Schiff zu stellen, mag dieses nun der Klasse I oder II angehören.

Ob die Pflicht der Beklagten, das Interesse des Versenders wahrzunehmen, die Verpflichtung in sich schloß, die Tauglichkeit des gestellten Kahnes zu kontrollieren (vgl. Schlegelberger-Schröder aaO Anm. 10, 22), bedarf ebenfalls keiner Entscheidung. Denn selbst wenn dies anzunehmen ist, so ist das jedenfalls keine Tätigkeit, die der Spediteur selbst oder einer seiner leitenden Angestellten auszuführen hat. Hat er eine solche Kontrollpflicht übernommen, so kann er damit einen nicht leitenden Angestellten (oder selbständigen Unternehmer) betrauen. Daher ist die Firma C, die die Beklagte mit der Kontrolle beauftragt hat, nicht Repräsentant der Beklagten, so daß es unerheblich ist, ob diese Firma bei der Kontrolle in grober Weise gegen ihre Sorgfaltspflicht verstoßen hat. Die fachliche Eignung und Zuverlässigkeit der Firma ist nach der Feststellung des Berufungsgerichts nicht in Zweifel gezogen, so daß ein eigener grober Verstoß der Beklagten bei Auswahl dieser Firma ausscheidet.