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II ZR 242/63 - Bundesgerichtshof (Zivilgericht)
Entscheidungsdatum: 21.10.1965
Aktenzeichen: II ZR 242/63
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Zivilgericht

Leitsätze:

1) Weisen Befrachter oder Empfänger dem Schiffer einen privaten Liegeplatz zur Einnahme oder Löschung der Ladung an, so haften sie für Verschulden in der Auswahl des Liegeplatzes aus positiver Vertragsverletzung und aufgrund ihrer Verkehrssicherungspflicht. 2) Sie müssen dafür sorgen, daß der Platz nach Wassertiefe und sonstigen Einrichtungen die Sicherheit des Schiffes nicht gefährdet.
3) Die zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht obliegen den Vorkehrungen sind ohne überspannte Anforderungen zu bestimmen; für abnorme Verhältnisse braucht keine Vorsorge getroffen zu werden.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 21. Oktober 1965 

II ZR 242/63

(Landgericht Lübeck; Oberlandesgericht Schleswig)

Zum Tatbestand:

Das vom Kläger bereederte Küstenmotorschiff „Ingrid Troles" beförderte ca. 300 to Schamottesteine von Schweden nach Lübeck, wo die Beklagte einen privaten Anlegeplatz an der Trave mit einer Wassertiefe von 3,40 m bei mittlerem Wasserstand hat. Nach der mit dem Beklagten geschlossenen Charterpartie war der Kläger verpflichtet, das Schiff an dem ihm vom Beklagten angewiesenen Platz des Löschhafens zu legen, jedoch nur, wenn die Tiefe es erlaubte. Bei seiner 4. Reise machte das Schiff am 10. Januar 1960 ca. 15.00 Uhr mit einem höchsten Tiefgang von 2,92 m am Anlegeplatz fest. Anschließend sank der Wasserstand infolge starken Windes stark ab. Gegen 18.00 Uhr geriet das Schiff an Steuerbord auf der Landseite auf Grund; es mußte vorzeitig gelöscht werden.
Der Kläger verlangte Schadenersatz für dadurch verursachte Bodenschäden. Der Löschplatz sei ungeeignet gewesen, weil er nicht die nötige Wassertiefe gehabt habe und auch bis zu 50 cm aus dem Boden herausragende Steine auf dem Grund gelegen hätten.
Der Beklagte bestreitet diese Behauptungen. Die Grundberührung beruhe nur auf dem ungewöhnlich niedrigen Wasserstand. Jahrzehntelang hätten Schiffe mit einem Tiefgang von 2,30 m bis 3,20 m niemals eine Grundberührung an der Anlegestelle gehabt.
Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach zu 3/4 für gerechtfertigt erklärt, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Die Revision des Klägers blieb erfolglos.


Aus den Entscheidungsgründen:

Nach §§ 560, 592 HGB hat der Schiffer zur Einnahme und Löschung der Ladung das Schiff auf dem vom Befrachter oder Empfänger angewiesenen Platz hinzulegen. Die Anweisung ist nicht zu beachten, wenn der Platz wegen der Wassertiefe, der Sicherheit des Schiffes oder nach den örtlichen Verordnungen und Einrichtungen nicht geeignet ist. Der Befrachter oder der Empfänger haften für Verschulden in der Auswahl des Liegeplatzes aus positiver Vertragsverletzung (vgl. BGHZ 11, 83). Sofern es sich um einen privaten Liegeplatz handelt, an dem sie einen entsprechenden Verkehr eröffnet haben, müssen der Befrachter und Empfänger dafür sorgen, daß der Platz nach Wassertiefe und sonstigen Einrichtungen die Sicherheit des Schiffes nicht gefährdet. Für eine Verletzung dieser Pflicht haften sie auch nach § 823 Abs. 1 BGB. In beiden Fällen sind die zu treffenden Vorkehrungen ohne überspannte Anforderungen nach Maßgabe desjenigen zu bestimmen, was für den ordnungsgemäßen Verkehr zu verlangen und zumutbar ist. Für abnorme Verhältnisse braucht keine Vorsorge getroffen zu werden.
Ein solches Niedrigwasser, das nicht gezeitenmäßig, sondern unregelmäßig bei bestimmten Winden eintritt, ist jedenfalls ein verhältnismäßig seltenes Ereignis. Den hieraus für anlegende Schiffe entstehenden Gefahren ist nicht dadurch zu begegnen, daß die Beklagte für verpflichtet zu halten ist, den unmittelbar am Trave-Fahrwasser (ca. 7 m Tiefe) liegenden Anlegeplatz um 1 bis 2 m auszubaggern, was unter Umständen technisch nicht möglich ist, jedenfalls aber mit erheblichen Aufwendungen verbunden ist. Vielmehr ist der Liegeplatz für ein Schiff mit 2,92 m Tiefgang an sich für geeignet zu halten und die von außergewöhnlichen Wasserständen herrührende Gefahr dadurch zu vermeiden, daß ein solches Schiff den Platz bei niedrigem Wasserstand nicht benutzt oder bei während des Liegens eintretendem Niedrigwasser rechtzeitig wieder verläßt. §§ 561 Abs. 2, 592 Abs. 2 HGB heben ausdrücklich hervor, daß eine Anweisung des Liegeplatzes nicht befolgt zu werden braucht, wenn die Wassertiefe das Anlegen nicht gestattet. Dabei kann es nach den Umständen zu den Sorgfaltspflichten des den Liegeplatz anweisenden Befrachters oder Empfängers gehören, den mit den örtlichen Verhältnissen nicht vertrauten Schiffer darauf hinzuweisen, daß die Wassertiefe knapp ausreicht und daß bei bestimmten Windlagen das Wasser stark abläuft. Hier kommt dieser Gesichtspunkt nicht in Betracht, weil das Schiff von einem Lübecker Kapitän geführt wurde, der die Wassertiefe des Liegeplatzes mit 3,50 m bei mittlerem Wasserstand kannte und mit den Verhältnissen auf der Trave vertraut war. Mit Recht hat das Berufungsgericht es als Sache des Schiffers bezeichnet, die nötigen Maßnahmen zur Abwendung der dem Schiff drohenden Gefahren zu treffen, wenn während des Liegens ein abnorm tiefer Wasserstand eintritt.
Das Berufungsgericht hat den Löschplatz auch nicht deshalb für ungeeignet gehalten, weil sich etwa auf seinem Grund Steine befanden, die ein Schiff bei Grundberührung schädigen konnten. Die Revision meint zu Unrecht, die Beklagte habe in jedem Falle Vorsorge treffen müssen, daß das MS „Ingrid Troles" am Löschplatz gefahrlos habe aufliegen können, wozu es an sich nach seiner Bauart (kein Kiel, doppelter Boden) geeignet gewesen sei. Jedoch brauchte von der Beklagten ein Aufliegen des Schiffes am Löschplatz wie es in offenen Tide¬häfen vorkommt („Trockenfallen"; vgl. BGH VersR 64, 424), für Lübeck nicht in Betracht gezogen zu werden. Das Berufungsgericht hat nicht festzustellen vermocht, daß durch Steine, die etwa aus dem Betrieb der Beklagten beim Laden oder Löschen ins Wasser fielen, eine beachtliche Verminderung der Wassertiefe herbeigeführt wurde ..."