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II ZR 245/62 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 14.05.1964
Aktenzeichen: II ZR 245/62
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Die rechtliche Wirksamkeit eines nach § 128 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung gefällten Urteils wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß bei der Zustellung der Urteilsformel an die Anwälte der Parteien die Unterschrift unter dem Empfangsbekenntnis eines Anwalts fehlt, jedenfalls dann nicht, wenn über den Empfang dieses Urteils durch den Anwalt kein Streit besteht. Das Vorliegen einer Fahrwasserenge kann nicht mit der Begründung verneint werden, daß die Strom- und Schiffahrtspolizeibehörde die Stelle nicht als Fahrwasserenge bezeichnet hat.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 14. Mai 1964

(Schiffahrtsgericht Dortmund/ Schiffahrtsobergericht Hamm)

Zum Tatbestand:

Das der Klägerin gehörende MS „A" und das der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte MS „B" stießen im Januar 1959 unmittelbar unter der alten Amelsbürener Straßenbrücke zusammen. Vor der Begegnung an der damals im Ausbau befindlichen, nicht als Engstelle gekennzeichneten und für den zweischiffigen Verkehr freigegebenen Kanalstrecke hatten beide Schiffe unverändert Steuerbordkurs gehalten. Erst als sie nur noch 20 m voneinander entfernt waren, scherte MS „B" plötzlich hart nach Backbord aus dem Ruder und geriet in den Kurs des entgegenkommenden MS „A". Obwohl MS „A" sofort „voll rückwärts" gab, kam es zum Zusammenstoß. An dieser Stelle betrug die Breite des Wasserspiegels 26 m und des Fahrwassers 22 m sowie der Wasserstand mindestens 2,80 m. Am Ruder von MS „A" stand dessen Schiffsführer, während die übrige Besatzung, ein Matrose und ein Schiffsjunge, sich unter Deck aufhielten. Das Ruder auf MS „B" bediente der Bootsmann „C", während sich der Beklagte zu 2 gerade im Maschinenraum befand.

Der Anspruch der Klägerin auf Ersatz der Schiffsschäden wurde vom Schiffahrtsgericht dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Auch die Revision wurde zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Bundesgerichtshof hat sich in den Entscheidungsgründen zunächst von Amts wegen mit der Frage befaßt, ob das Urteil des Schiffahrtsgerichts im Hinblick auf gewisse Formmängel überhaupt rechtlich existent geworden ist, da nur ein solches die Grundlage für eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts bilden kann. Im schriftlichen Verfahren, mit dem sich die Parteien einverstanden erklärt hatten, war nämlich die Rechtswirksamkeit der Zustellung zweifelhaft geworden, weil das zu den Gerichtsakten gekommene Empfangsbekenntnis der prozeßbevollmächtigten Anwälte der Beklagten lediglich den Stempel dieser Anwälte ohne Unterschrift enthielt.

Der Bundesgerichtshof stellt dazu fest:


„Noch § 310 Abs. 2 ZPO wird bei einem Urteil, das nach § 128 Abs. 2 ohne mündliche Verhandlung ergeht, die Verkündung durch Zustellung der Urteilsformel ersetzt. Bei der Zustellung an einen Anwalt genügt nach § 212a ZPO zum Nachweis der Zustellung das mit Datum und Unterschrift versehene schriftliche Empfangsbekenntnis des Anwalts. Es fragt sich, ob der Mangel der Unterschrift unter dem Empfangsbekenntnis der Anwälte der Beklagten das schiffahrtsgerichtliche Urteil nicht zur Entstehung gelangen ließ, so daß nur ein Urteilsentwurf (Scheinurteil) vorliegt. Die Frage ist zu verneinen. Jedes Urteile bedarf, um zum rechtlichen Dasein zu gelangen, der Verlautbarung. Als Formen der Verlautbarung sieht § 310 ZPO die Verkündung und die Zustellung vor. Wie der große Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung BGHZ 14, 39, 44 ff ausgeführt hat, müssen die zum Wesen der Verlautbarung gehörenden Formerfordernisse erfüllt sein, damit ein rechtlich wirksames Urteil ergeht; nicht alle Verkündungs- oder Zustellungsmängel, auch wenn sie zwingende Gesetzesvorschriften verletzen, vermögen das Vorliegen einer Verlautbarung in Frage zu stellen; vielmehr ist an Hand jeder einzelnen Formvorschrift zu beurteilen, ob sie zu den wesentlichen Formerfordernissen für die Verlautbarung gehören.
Der Senat vermag in der Unterschrift des Anwalts in dem Empfangsbekenntnis nach § 212a ZPO kein wesentliches Formerfordernis zu sehen, ohne das eine Verlautbarung des Urteils im Sinne des § 310 Abs. 2 ZPO nicht angenommen werden könne. Die wesentlichen Erfordernisse der Verlautbarung sind jedenfalls dann erfüllt, wenn die Urteilsformel auf Veranlassung des erkennenden Richters durch Zustellungen nach außen hin in Erscheinung getreten ist.
Besteht kein Streit darüber, daß der Anwalt das Urteil empfangen hat, so kann die fehlende Unterschrift die durch den Empfang des Urteils bereits vollzogene Verlautbarung in ihrer Rechtswirkung nicht berühren. Der Empfang des Urteils und nicht das Empfangsbekenntnis stellt das Wesen der Verlautbarung bei Zustellung der Urteilsformel dar.
Ausschlaggebend für die Auffassung des Senats ist, daß der nur aus den Akten ersichtliche Formfehler der mangelnden Unterschrift des Anwalts unter das Empfangsbekenntnis, soweit es sich nur um diesen Formfehler (nicht um die Tatsache des Empfangs des Urteils selbst) handelt, nicht zu einer untragbaren Rechtsunsicherheit führen darf. Eins Urteil, auf dessen rechtliche Existenz die Parteien vertrauen, darf nicht deswegen als Nichturteil behandelt werden, weil - vielleicht nach Jahren - sich dieser Formfehler herausstellt. Eine solche Auffassung würde die Form zum Schaden des Rechtsfriedens zum Selbstzweck erheben."

In der Sache selbst führt der Bundesgerichtshof u. a. folgendes aus:


„Die Revision ist der Auffassung, das Ausscheren sei auf Untiefen im Kanalbett, die etwa 100 m vor der Brückendurchfahrt vorhanden gewesen sein müßten, zurückzuführen. Insoweit handelt es sich aber um reine Vermutungen. Der Beweis für die Behauptung von Untiefen kann nicht durch Antrag auf Vernehmung eines Sachverständigen geführt werden. Im übrigen spricht auch der Sachverständige der Beklagten nur eine Vermutung aus, wenn er in seinem Gutachten ausführt, die Behauptung der Beklagten sei nicht von der Hand zu weisen.
Die Revision meint schließlich, das Berufungsgericht habe bei der von ihm erörterten Erklärungsmöglichkeit des Ausscherens nicht festgestellt, daß der Rudergänger schuldhaft gehandelt habe, wenn er mit dem Heck des Schiffes zu nahe an das Ufer geraten sei. Auch das ist nicht richtig. Wie sich aus dem Zusammenhang der Ausführungen im angefochtenen Urteil ergibt, sieht das Berufungsgericht gerade in einer solchen Ruderführung einen schuldhaft nautischen Fehler und das mit Recht.
Das Vorliegen einer Fahrwasserenge kann nicht mit der Begründung verneint werden, daß die Strom- und Schifffahrtspolizeibehörde die Stelle nicht als Fahrwasserenge (oder schwierige Stelle) bezeichnet hat. Die Ausführungen des Berufungsgerichts in tatsächlicher Richtung rechtfertigen aber seinen Schlug, daß eine Fahrwasserenge nicht vorlag. Eine Fahrwasserenge im Sinne des § 41 BschSO ist dann gegeben, wenn das Fahrwasser für das Begegnen unzweifelhaft hinreichenden Raum für die Vorbeifahrt nicht gewährt. Entgegen der Ansicht der Revision ist dabei nicht darauf abzustellen, ob Schiffe mit der größten für dieses Fahrwasser zugelassenen Schiffsbreite (hier von 8,20 m) sich gefahrlos begegnen können, sondern darauf, ob die Schiffsbreiten der sich tatsächlich begegnenden Schiffe eine gefahrlose Vorbeifahrt ermöglichen. Das Berufungsgericht stellt fest, daß die beiden Schiffe bei nautisch richtigem Verhalten in einem Abstand von 2,75 m aneinander hätten vorbeifahren können. Wenn das Berufungsgericht unter den hier gegebenen Umständen (wobei insbesondere die geringe Fahrtgeschwindigkeit zu berücksichtigen ist) die Gewähr für ein gefahrloses Begegnen als gegeben erachtet hat, so kann dem aus Rechtsgründen nicht entgegengetreten werden.

Mit Recht hält das Berufungsgericht das Fehlen des zweiten Mannes an Deck von MS „A" und damit den Verstoß gegen § 8 WK - BSchSO für nicht unfallursächlich. Es führt aus, die Beklagten hätten selbst in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, daß ein zweiter Mann an Deck den Zusammenstoß nicht hätte verhindern können; ein Besatzungsmitglied, das versucht hätte, durch Fender oder Reibholz den Zusammenstoß zu mildern, hätte sich unstreitig in Lebensgefahr gebracht.

Da die Begegnung beider Schiffe unter der Brücke erlaubt war und sich der Schiffsführer vom MS „A" nautisch richtig verhalten hat, kommt es nicht darauf an, ob ein zweiter Mann an Deck den am Ruder stehenden Schiffsführer auf etwaige Gefahren bei gleichzeitiger Brückendurchfahrt hingewiesen hätte."