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II ZR 25/62 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 12.12.1963
Aktenzeichen: II ZR 25/62
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

In der Regel ist gemäß § 71 BSchSO das Stilliegen nicht nur im Fahrwasser, sondern auch an der Grenze des Fahrwassers verboten. Es ist die Aufgabe des Schleppbootführers, einen Anhangkahn so nahe, als es der Tiefgang erlaubt, zum Ankerwerfen an das Ufer zu schleppen, um ein Ankern im Fahrwasser oder an dessen Grenze zu vermeiden. Zur Schuld- und Schadensverteilung, wenn in der Dunkelheit ein „blind" fahrendes Schiff mit einem im Fahrwasser oder an seiner Grenze vor Anker liegenden Schleppkahn zusammenstößt. Bei der Schadensverteilung ist nicht von der Schiffseignerhaftung, sondern von der Verursachung und dem Verschulden der Schiffsführer auszugehen.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 12. Dezember 1963

(Schiffahrtsgericht Mannheim/ Schiffahrtsobergericht Karlsruhe)

II ZR 25/62


Zum Tatbestand

Der dem Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte Kahn „C" im Anhang des der Nebenintervenientin zu 3 gehörenden, vom Nebenintervenienten zu 4 geführten Bootes „B" ging auf der Bergfahrt unterhalb der Fähre Mainflingen auf der linken Mainseite (km 74,0) an einem Februarabend zur Nachtruhe vor Anker. Das Schleppboot warf den Schleppstrang los und legte sich unmittelbar unterhalb der Fähre an das linke Ufer. Die Fahrrinne des Main ist bei km 74,0 37,5 m breit, ihre linke Grenze ist vom linken Ufer etwa 40 m entfernt. Am anderen Morgen stieß auf der Talfahrt das bei der Klägerin versicherte MS „A" noch bei Dunkelheit nach Durchfahren des von 4 je 200 Wattlampen hell erleuchteten Fährenbereichs mit seinem Backbordschiff gegen den Steven des vor Anker gegangenen Schleppkahnes „C", der am Mast ein gut sichtbares weißes Licht führte, das aber mit Lichtern einer weiter unterhalb liegenden Ortschaft verwechselt worden war.
Die Klägerin erhebt Anspruch auf Ersatz der für die Wiederherstellung von „A" notwendig gewordenen Aufwendungen von etwa 55 000 DM und weist zur Begründung u. a. darauf hin, daß der Liegeplatz von Kahn „C" falsch gewählt worden sei, der außerdem auch innerhalb des eigentlichen Fahrwassers gelegen habe. Eignerin und Führer des Schleppbootes „B" wurde der Streit verkündet, die den Beklagten als Streithelfer beigetreten sind.
Beklagte und Nebenintervenienten behaupten, daß MS „A" mit übermäßiger Geschwindigkeit zu Tal und außerdem nach Durchfahren des hell erleuchteten Fährenbereichs „blind" in die unterhalb gelegene Zone gefahren sei, ohne diese mit dem Scheinwerfer abzuleuchten. Kahn „C" habe nicht innerhalb des Fahrwassers, sondern höchstens 25 m vom linken Ufer entfernt gelegen. Wegen der Abladeliefe (1,80 m) sei ein weiteres Beigehen nicht möglich gewesen.

Das Schiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach zu 2/7, das Schiffahrtsobergericht zu 1/3 für gerechtfertigt erklärt. Die Klägerin hat gegen den abweisenden Teil der vorinstanzlichen Entscheidungen keine Revision eingelegt. Die Revision der Beklagten und Nebenintervenienten war erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen

"Mit Recht nimmt das Berufungsgericht an, die Schiffsführung von „C" habe gegen die Vorschrift des § 67 BSchSO über den Liegeplatz stilliegender Fahrzeuge verstoßen. Nach dieser Bestimmung müssen Fahrzeuge ihren Liegeplatz so nahe am Ufer wählen, wie es ihr Tiefgang und die örtlichen Verhältnisse gestatten; sie dürfen keinesfalls die Schiffahrt behindern.
Das Berufungsgericht geht ebenso wie die Revisionen von einer Fahrwasserbreite von 37,5 m an der Unfallstelle aus und kommt daher zu einem Abstand von 40 m zwischen linker Fahrwassergrenze und Ufer. Dabei wird offensichtlich der Begriff des Fahrwassers mit der Fahrrinne oder Schiffahrtrinne gleichgestellt, wie sich aus den vorgelegten Plänen und Profilzeichnungen ergibt., Diese Gleichstellung enthält einen Rechtsfehler. Fahrwasser ist derjenige Teil einer Schiffahrfsstraße, der von der durchgehenden Schiffahrt unter Beachtung der nautischen Erfahrungsgrundsätze befahren wird (BGH VersR 1959, 662, entschieden für die RhSchPVO, s. auch ZfB 1962 S. 221). Die Breite des Fahrwassers ist vom jeweiligen Wasserstand und für jedes Fahrzeug von seinem Tiefgang abhängig. Wo Schiffahrtszeichen angebracht sind - das wird für die Unfallstelle nicht festgestellt -, bestimmen diese die Breite des Fahrwassers (nicht notwendigerweise der Fahrrinne) bei normalen Wasserständen. Unter den gegebenen Verhältnissen (Wasserstand 35 cm über Normalstau, Sohlenlage im Bereich der Unfallstelle) konnte und durfte die durchgehende Schiffahrt an der Unfallstelle ohne Verletzung nautischer Grundsätze auch den Teil des Flusses befahren, der im angefochtenen Urteil als Fahrwassergrenze bezeichnet wird, an der nach der Feststellung des Berufungsgerichts „C" geankert hat. Hiernach lag „C" im Bereich des Fahrwassers. Im übrigen würde die Feststellung des Berufungsgerichts über die unzulässige Lage des Kahns auch dann zutreffen, wenn dieser nicht im Fahrwasser, sondern an der Grenze des Fahrwassers gelegen hätte. Denn das Fahrwasser ist in seiner vollen Breite für die durchgehende Schiffahrt bestimmt, nur aus zwingenden Gründen dürfen Fahrzeuge unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen im Fahrwasser oder in seiner Nähe stilliegen (§ 71). Damit ist auch, von Ausnahmefällen abgesehen, ein Stilliegen an der Fahrwassergrenze verboten, da ein solches Verhalten es ausschließt, daß die durchgehende Schiffahrt wegen des erforderlichen Sicherheitsabstandes, der von stilliegenden Fahrzeugen eingehalten werden muß, die volle Fahrwasserbreite ausnutzen kann.

Sodann wenden sich die Revisionen gegen die Feststellung im angefochtenen Urteil, „C" hätte, wenn seine Schiffsführung das in § 67 BSchSO enthaltene Gebot befolgt hätte, bei seinem Tiefgang von 1,80 m bis zu 5 m an das linke Ufer herangebracht werden können. Das Berufungsgericht hat sich dabei auf die Auskunft des Wasser- und Schiffahrtsamtes Aschaffenburg vom 24. Dezember 1957 und die Flußprofile gestützt. ... Für die Entscheidung ist aber unerheblich, ob der Kahn bis auf 5 m oder 6 m oder 12 m an das Ufer hätte gelegt werden können. Auch in den beiden letzteren Fällen liegt der Verstoß gegen § 67 BSchSO klar auf der Hand.

Unerheblich für die Entscheidung ist, ob an der Stelle, an der „C" ankerte, nur selten andere Schiffe stilliegen.

Rechtsverkehr mag auf dem Main üblich sein, ist aber nicht vorgeschrieben. Die Schiffsführung von „C" hätte bei genügender Aufmerksamkeit erkennen können, dat3 sie durch das Ankern an verbotener Stelle, d. h. im Fahrwasser oder mindestens an der Grenze des Fahrwassers, nicht nur den Bergverkehr, sondern auch den Talverkehr behindern konnte. Es ist auch nicht fehlerhaft, wenn das Berufungsgericht der Ansicht ist, der Kahnführer hätte bedenken müssen, sein Mastlicht könne bei seiner Lage wegen der irritierenden Lichter der Ortschaft D nicht gehörig ausgemacht werden.

Durch das unvorsichtige Verhalten des zu Tal fahrenden MS „A" entfällt nicht die Fahrlässigkeit der Führung des stilliegenden Kahnes.

Nach § 2 Nr. 5 Abs. 1 BSchSO ist für die Befolgung der für Schleppzüge geltenden Bestimmungen der Schleppzugführer verantwortlich. Danach besteht neben der Verantwortung des Kahnführers für die sichere und zulässige Lage seines stilliegenden Kahnes die Verantwortung des Schleppzugführers für die Auswahl des Ankerplatzes (Kählitz, Verkehrsrecht auf Binnenwasserstraßen II § 2 Anmerkung 15 BSchSO; Vortisch-Zschucke, Binnenschifffahrts- und Flößereirecht, 2. Auflage, § 92 BSchG Anm. 7 c S. 445; Wassermeyer, Der Kollisionsprozel3, 2. Auflage S. 275). Denn es ist in aller Regel Sache des Schleppzugführers, den Kahn an seinen Ankerplatz zu schleppen. Nur wenn der Kahnführer beim Ankermanöver oder Stilliegen ohne Mitverschulden des Schleppzugführers sich nautisch fehlerhaft verhält, besteht keine Verantwortung des Schleppzugführers. Dieser Fall liegt hier entgegen der Auffassung der Revision der Nebenintervenienten nicht vor. Es war die Aufgabe des Führers von „B", den Kahn so nahe, als es sein Tiefgang erlaubte, ans Ufer zu schleppen, um ihm zu ermöglichen, dort den Anker zu werfen. Er durfte nicht zulassen, dat3 der Anker im Fahrwasser oder an dessen Grenze geworfen wurde. Die Revision verkennt, daß es sich hierbei um die eigene Verantwortung des Führers von „B" handelt. Ob dieser sich seiner Verantwortung bewußt war (was von der Revision zu Unrecht verkannt wird), ist unerheblich; denn er hätte jedenfalls wissen müssen, daf3 es sich bei der Wahl des Ankerplatzes für den Kahn auch um eine ihm obliegende Tätigkeit handelte.

Keinesfalls durfte „A", wenn sie den üblichen Kurs der Talfahrt verlief, blind fahren. Das tat aber, wie das Berufungsgericht feststellt, der Schiffsführer von „A", der nach seinen eigenen Angaben im Verklarungsverfahren nach Passieren des Lichterbereichs der Fähre keinerlei Orientierungsmöglichkeit mehr hatte und daher erst kurz vor seinem Bug den Schatten von „C" wahrnahm. Der Schiffsführer hätte die Orientierung nicht verloren, wenn er das im Dunklen liegende Revier mit seinem Scheinwerfer abgeleuchtet hätte. Mit Recht sieht darin das Berufungsgericht ein erhebliches ursächliches Verschulden des Führers von „A".

Das Schiffahrtsgericht hat sowohl den von den Schiffsführern als auch den von den Schiffseignern zu tragenden Schaden im Verhältnis von 3 („A"): 2 („C"): 2 („B") verteilt. Das Schiffahrtsobergericht hat die Verteilung im Verhältnis 1:1:1 vorgenommen. Seine vom Erstrichter abweichende Ansicht hat es damit begründet, daß der Schiffsführung von „A" eine überhöhte Geschwindigkeit nicht vorgeworfen werden könne und die Schiffsführung von „A" sich lediglich der Unterlassung der generellen Sorgfaltspflicht nach § 4 BSchSO schuldig gemacht habe, während die Schiffsführung von „C" und „B" gegen das spezielle Gebot des § 67 verstoßen hätten.

Es ist nicht richtig, daß im angefochtenen Urteil die Wahl des falschen Ankerplatzes zu Lasten der Beklagten und der Nebenintervenienten doppelt berücksichtigt sei. § 254 BGB stellt bei der Schadensverfeilung nicht auf die Ursache als solche, sondern auf das Verhalten des Schädigers (der Schädiger) und des Geschädigten ab: es kommt darauf an, inwieweit sie den Schaden schuldhaft verursacht haben. § 736 HGB stellt auf das gemeinsame Verschulden der Besatzung der beteiligten Schiffe ab; Schleppboot und geschlepptes Schiff haben aber nach Binnenschiffahrtsrecht verschiedene Besatzungen.
Jedoch haben Schiffahrts- und das Schiffahrfsobergericht bei der Schadensverteilung nicht richtig verfahren, indem sie von der Schiffseignerhaftung ausgegangen sind. Wie der Senat in seinem Urteil vom 29. Juni 1959 II ZR 3/58 (VersR 1959 S. 608, 612, L-M RhSchPVO 1954 Nr. 3) dargelegt hat, ist wegen der adjektizischen Natur der Schiffseignerhaftung bei der Schadensverfeilung von der Verursachung und dem Verschulden der Schiffsführer (Besatzungen) auszugehen. Das ursächliche Verschulden jedes einzelnen Schiffsführers der anderen beteiligten Schiffe ist gegen das ursächliche Verschulden des Schiffsführers des klägerischen Schiffes gemäß § 254 BGB abzuwägen und quotenmäßig festzustellen. In Höhe der geringsten Quote haften die schuldigen Schiffsführer dem klagenden Schiffseigner als Gesamtschuldner; zusammen haften sie jedoch zu keinem höheren Betrag als ihrer Gesamtverantwortung an dem Unfall entspricht (s. BGHZ 30, 203, 211 ff; vgl. dazu Groß, VersR 1960, 489). Die Bruchteile des Verschuldens der einzelnen Schiffsführer ergeben den Verteilungsmaßstab für die quotenmäßige Haftung der Schiffseigner, die zusammen mit ihrem Schiffsführer, aber nicht mit den übrigen beteiligten Schiffen gesamtschuldnerisch haften. Zutreffend rügen ferner die Revisionen, daß der Umstand, ob ein Schiffer gegen spezielle oder gegen generelle Normen verstößt, nicht in jedem Fall ein geeignetes Kriterium für die Schwere des Verschuldens bei der Schuldabwägung darstellt.

Das ursächliche Verschulden der Schiffsführungen von „C" und „A" wiegt gleich schwer. „C" hat durch sein Liegen im Fahrwasser oder an der Grenze des Fahrwassers zur Nachtzeit eine gefahrvolle Lage geschaffen, die durch die behinderten Sichtverhältnisse im Fahrbereich noch erhöht worden ist.

Die Schiffsführung von „A" hat durch ihr Blindfahren, das dazu führte, daß sie in das linke Fahrwasser geriet, eine ebenso große Gefahr geschaffen.

Den Kapitän von „B" trifft der Vorwurf, den Liegeplatz falsch gewählt zu haben. Der Senat teilt die Ansicht des Berufungsgerichts, daß der Bootsführer ein geringeres Maß von Verschulden trägt als der in erster Linie für seinen Kahn verantwortliche Kahnführer. Beide Schiffsführer trifft die Verantwortung für die Auswahl des Ankerplatzes. Nach dem Loswerfen des Stranges und der damit beendeten Schlepptätigkeit war der Kahnführer für sein Schiff während der ganzen Liegezeit allein verantwortlich. Von seinem Schiff ging die Gefahr aus. Der Senat bemißt daher das ursächliche Verschulden des Schleppzugführers nur halb so groß als das des Kahnführers. In dem gleichen Verhältnis steht das ursächliche Verschulden des Schiffsführers vom Boot „B" zu dem des Führers des MS „A", nämlich im Verhältnis von œ : 1.
Nach §§ 823 Abs. 1, 254 Abs. 1 BGB sind daher der Schiffsführer von „C" (Beklagter zu 2) an sich zur Hälfte, der Schiffsführer von „B" (Nebenintervenient zu 4) zu einem Drittel zum Ersatz des dem. Schiffseigner von „A" entstandenen Schadens verpflichtet. In Höhe von einem Drittel haften sie nach § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner. Zusammen haften aber die Schiffsführer von „C" und „B" zu keinem höheren Betrag als ihrer Gesamtverantwortung an dem Unfall gegenüber der Verantwortung des Schiffsführers „A" entspricht. Das bedeutet, daß die Verantwortung des Schiffsführers von „A" 2/5 und die Gesamtverantwortung der Schiffsführer von „C" und „B" 3/5 beträgt. Die Klägerin hätte daher von dem Schiffsführer von „C" an sich 1/2 ihres Schadens, von dem Schiffsführer von „B“ 1/3 ihres Schadens ersetzt verlangen können, von beiden zusammen aber nicht mehr als 3/5.. Da jedoch die Klägerin keine Revision eingelegt hat, kann der Beklagte zu 2 (Schiffsführer des Kahnes „C") nicht schlechter gestellt werden, als er nach dem Berufungsurteil stehen würde (§ 559 ZPO). Es bleibt demnach bei seiner Verurteilung zum Ersatz des Schadens in Höhe von '/3.
Da die Bruchteile des Verschuldens der einzelnen Schiffsführer den Verteilungsmaßstab für die quotenmäßige Haftung der Schiffseigner bilden, ist zwischen den beteiligten Schiffen „A", „C" und „B" der Schaden des Schiffseigners von „A" nach § 92 BSchG, § 736 HGB im Verhältnis 1:1 :'/2 oder 2:2:1 aufzuteilen.

Daraus ergibt sich, daß der Schiffseigner von „C" (Beklagter zu 1) an sich für 2/5, der Schiffseigner von „B" (Nebenintervenient zu 3) für '/5 des Schadens aufzukommen haben. Auch hier darf die Lage der Beklagten zu 1 gegenüber dem Berufungsurteil nicht verschlechtert werden, so daß es bei der Verurteilung zum Ersatz des Schadens in Höhe von '/3 verbleibt. Beide Beklagten haften also in Höhe von '/3, und zwar als Gesamtschuldner gemäß § 840 Abs. 1 BGB, die Beklagte zu 1 dinglich und beschränkt persönlich.