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II ZR 31/66 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 06.07.1967
Aktenzeichen: II ZR 31/66
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsätze:

1) Aus dem Frachtvertrag ergibt sich die Verpflichtung, eine beladene Schute im Falle einer auf der Reise erlittenen Leckage bis zur Löschung der Ware besonders zu überwachen.

2) Bei Verletzung der Bewachungspflicht widerspricht die Freizeichnung nicht den Geboten der Billigkeit, wenn'' das Verhalten nicht grob fahrlässig war und sich der' Eigentümer der Ladung gegen den Schaden durch den Abschluß einer Transportversicherung abdecken konnte.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 6. Juli 1967

II ZR 31/66

(Landgericht Hamburg/Oberlandesgericht Hamburg)

Zum Tatbestand:

Die Klägerin war mit sechs anderen Versicherern Transportversicherin einer Partie Rohreis. Im Auftrag der Versicherungsnehmerin und Eigentümerin übernahm die Beklagte den Transport mit ihrer Kastenschute Nr. 220 im Hamburger Hafen von einem Seeschiff zur Reismühle der Eigentümerin nach Maßgabe der „Allgemeinen Bedingungen der Hafenfrachtschiffahrt betreibenden Firmen des Hafens Hamburg" (AB). Die Scheute wurde zusammen mit vier weiteren Schuten von dem der Beklagten gehörenden Motorschlepper P geschleppt. Auf der Fahrt geriet die Schute zeitweise auf Grund, wurde aber von dem Schlepper wieder freigezogen und bei der Reismühle neben die Schute Nr. 222 gelegt, die am Kai festgemacht hatte. Am nächsten Morgen verliehen die Schutenschiffer von Schute Nr. 220 und 222 auf Anordnung des Inspektors der Beklagten ihre Schiffe, um anderweitig zu arbeiten. Die Schuten waren von da ab unbewacht. In der Mittagszeit sank die Schute Nr. 220, weil gemäß späteren Feststellungen ein im Schiffsboden befindlicher Spüllochverschluß infolge äußerer Gewaltanwendung undicht geworden war.
Die Klägerin verlangt Ersatz des an der Reisladung entstandenen Schadens von über 100000,- DM.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr in Höhe von 10 000,- DM entsprochen und sie im übrigen abgewiesen. Unter Zurückweisung der Revision der Klägerin ist auf die Anschlußrevision der Beklagten die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz nur noch darüber, ob und inwieweit die Beklagte die Schute bewachen lassen mußte und ob bei Verletzung der Bewachungspflicht Freizeichnungen der Beklagten im vollen Umfang oder teilweise oder überhaupt nicht durchgreifen.

Die Anschlußrevision meint, die Schute sei von Leuten der Beklagten, die auf anderen, im gleichen „Päckchen" 30 bis 50 m entfernt liegenden Schuten mit dem Löschen von Ladung beschäftigt waren, bewacht worden; für diese Leute sei es selbstverständlich gewesen, daß sie auf sämtliche Schuten des Päckchens" Obacht zu geben hätten. Dieser Vortrag der Anschlußrevision reicht nicht aus für die Annahme, die Beklagte sei ihrer für den vorliegenden Fall erforderlichen Bewachungspflicht nachgekommen. Wie unstreitig ist und vom Berufungsgericht auch ausdrücklich festgestellt worden ist, haben diese Leute der Beklagten, die auf anderen, nicht zu dem „Päckchen" gehörenden Schuten arbeiteten, keine besondere Anweisung erhalten, die Schute Nr. 220 zu bewachen; es war ihnen insbesondere nicht gesagt worden, daß die Schute am Tag zuvor Grundberührung gehabt habe und sie deshalb darauf achten müßten, ob die Schute Wasser mache. Nur wenn dieser Hinweis gegeben worden wäre, hätten die anderen Leute der Beklagten Anlaß gehabt, die Schute Nr. 220 ständig auf ihre Lage im Wasser im Auge zu behalten. Der Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe ihrer Bewachungspflicht nicht genügt, kann daher aus Rechtsgründen nicht entgegengetreten werden.
Jedoch greift der weitere Angriff der Anschlußrevision durch, die Beklagte habe sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht nur in beschränktem Umfang (Nr. 24 AB), sondern im vollen Umfang (Nr. 19 AB) von der Haftung für die Verletzung der Bewachungspflicht freigezeichnet.

Es kann unterstellt werden, daß der Betriebsinspektor W. leitender Angestellter der Beklagten war. In diesem Fall könnte die Freizeichnung von der Haftung für sein Verschulden nicht Platz greifen, wenn ihm grobe Fahrlässigkeit anzulasten wäre (vgl. BGHZ 38, 183). Das ist jedoch nach den Umständen des Falles zu verneinen. W. hat - der Behauptung der Beklagten entsprechend - ausgesagt, der Schleppzugführer habe ihm berichtet, das Abziehen der festgekommenen Schute sei sehr leicht vor sich gegangen. Die Klägerin hat zwar behauptet, der Schlepper habe die Schute freigerissen.
Darauf kommt es jedoch nicht an. Für das Verschulden des Betriebsinspektors ist allein entscheidend, was ihm mitgeteilt worden war. Er konnte daher von einer leichten Grundberührung ausgehen.

Dem Betriebsinspektor kann unter Umständen fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden, weil er den Schutenführer frühmorgens nicht nochmals angewiesen hat, vor dem Verlassen der Schute zu prüfen, ob in die Bilge Wasser eingedrungen ist (wobei allerdings nicht einmal feststeht, daß zu diesem Zeitpunkt die Schute bereits geleckt hat); fahrlässig war es, dass er trotz der vorausgegangenen Grundberührung, wenn er schon die Schute nicht sofort entladen lief), nicht dafür gesorgt hat, daß die Schute ausreichend bewacht wurde. Jedoch liegt in seinem Verhalten keine grobe Fahrlässigkeit, er hat seine Sorgfaltspflicht nicht in sehr schwerem Maße verletzt.

Der Schaden an der Ladung ist durch Leckage verursacht, wobei zum Eintritt des Schadens die Nachlässigkeit und der Fehler des Betriebsinspektors mitgewirkt haben, da er die Schute nicht ordnungsgemäß bewachen ließ. Betriebsinspektor W. war bei der Abwicklung des Transportauftrages Erfüllungsgehilfe der Beklagten; dabei spielt keine Rolle, ob er leitender Angestellter war oder nicht. Denn die Beklagte konnte sich in ihren AB von der Haftung für gewöhnliche Fahrlässigkeit ihres leitenden Angestellten freizeichnen (vgl. BGHZ 33, 216, 221), was die Revision der Klägerin verkennt; das hat die Beklagte auch rechtswirksam getan. Der Frachtvertrag, den sie abgeschlossen hatte, begründete an sich nach § 58 BSchG die Haftung für den Schaden, welcher seit der Empfangnahme bis zur Ablieferung durch Beschädigung des Frachtgutes entstanden ist. Von der Haftung für Leckageschäden während dieses Zeitraums hat sich die Beklagte auch für den Fall freigezeichnet, daß zum Schadenseintritt Nachlässigkeiten oder Fehler ihrer Erfüllungsgehilfen mitgewirkt haben. Zu dem Schadenseintritt hat mitgewirkt, daß der Erfüllungsgehilfe W. der Beklagten fehlerhaft die besonderen Überwachungsmaßnahmen, die wegen der Leckage erforderlich gewesen wären, nicht getroffen hat. Der Zeitraum zwischen dem Festmachen der Schute am Kai der Reismühle bis zur Löschung der Ladung wird vom Frachtvertrag erfasst; die Pflicht, die Schute während dieses Zeitraums wegen der Leckage besonders zu überwachen, entspringt aus dem Frachtvertrag.

Die Freizeichnung widerspricht auch nicht den Geboten der Billigkeit, die bei Aufstellung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu beachten sind. Denn die Eigentümerin der Ladung konnte sich gegen den Schaden durch Abschluß einer Güterschaden-Transportversicherung abdecken (vgl. BGHZ 33, 216, 220 f) und hat dies getan; ihr Sachversicherer ist die Klägerin."