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II ZR 32/60 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 15.02.1962
Aktenzeichen: II ZR 32/60
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

In der Rheinschiffahrt besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kein allgemeiner Rechtssatz des Inhaltes, daß der Überholer die Gefahr des Überholmanövers trägt.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 15. Februar 1962

(Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

II ZR 32/60

Zum Tatbestand:

Bei Boppard wurde ein linksrheinisch zu Berg fahrender Schleppzug, bestehend aus MS „C" und dem der Bekl. zu 1 gehörenden und vom Bekl. zu 2 geführten Kahn „D", auf Backbordseite von dem der Klägerin gehörenden MS „A" sowie dem eine Schiffslänge vorausfahrenden MS „B" überholt. Als von oben her ein Fahrgastschiff der Köln-Düsseldorfer und 2 weitere Einzelfahrer erschienen, wich der Schleppzug nach rechtsrheinisch aus. Beide überholenden Motorschiffe „A" und „B" gerieten in Höhe des Kahnes „D" auf die dem rechten Ufer vorgelegten Steine und wurden beschädigt.
Die Klägerin verlangt Ersatz der durch die Grundberührung von MS „A" entstandenen Schäden, weil Kahn „D" in einem „Hauer" fast quer zum Strom weit nach rechtsrheinisch herübergekommen und MS „A" dadurch an das Land gedrückt worden sei.
Die Beklagten bestreiten einen nautischen Fehler. Die Motorschiffe „A" und „B" hätten die Überholung nicht beginnen dürfen oder rechtzeitg abbrechen müssen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Rheinschiffahrtsobergericht hat ihr stattgegeben. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Es komme, so führt das Berufungsgericht aus, nicht entscheidend darauf an, ob die Kurse der beiden Motorschiffe in allen Phasen genau festgelegt werden könnten. Nur drei Momente seien wesentlich:

1. Der auf 130 bis 150 m langem Strang hinter dem MS „C" hängende Kahn „D" habe sich beim Beginn seines Überholens ganz am linken Ufer, dicht am Steiger in Boppard, befunden. In diesem Zeitpunkt hätten sich die Motorschiffe „B" und „A", die mit allenfalls einer Schiffslänge Abstand hintereinander hergefahren seien, bereits eindeutig im rechtsrheinischen Teil des Fahrwassers und in einem seitlichen Abstand von mindestens 70 bis 100 m von dem Kahn bewegt.

2. Der Kahn habe scharf nach Backbord abgesteuert (staffelförmig, d. h. parallel, zu seinem Schleppschiff) und sei quer über den Strom hinweg von der Seite her so weit nach Backbord gekommen, daß er in den Sog des MS „B" geraten sei. Die unzulässige Annäherung der beiden Fahrzeuge sei also eindeutig von „D" ausgegangen.

3. In der Schlußphase sei „D" vom rechten Ufer höchstens 50 m entfernt gewesen.
Die Revision meint, es komme nicht darauf an, ob dem Beklagten zu 2) ein nautisches Versagen zur Last falle, da „B" und „A" überhaupt nicht hätten überholen dürfen und selbst die entscheidende Ursache für den Schaden gesetzt hätten. Das ist nicht richtig. Abgesehen davon, daß das Überholen nach der rechtsfehlerfreien Ansicht des Berufungsgerichts zulässig war, würde ein unzulässiges Überholen zwar das Mitverschulden der beiden Motorschiffe begründen, aber nicht den Beklagten zu 2) von eigenem Verschulden völlig freistellen.
Nach der rechtfehlerfreien Ansicht des Berufungsgerichts war der Beklagte zu 2) durch die entgegenkommende Talfahrt nicht genötigt, so scharf nach Backbord abzusteuern und so nahe an das rechte Ufer heranzugehen und damit „B" und „A" zu behindern; denn die Talfahrer seien in genügend weiter Entfernung in Sicht gekommen, so daß sich der Kahn auf den Übergang hätte einstellen können, und sie hätten auch bei rechtzeitigem Aufstrecken von „Josefine" genügend Platz gehabt. Es liegt kein Rechtsfehler des Berufungsgerichts darin, daß es den seitlichen Abstand, in dem die Talfahrer den Kahn passierten, nicht festgestellt hat. Hätte sich der Kahn (ebenso wie es sein Schleppschiff „C" getan hat) im rechtsrheinischen Fahrwasser nahe an der Strommitte aufgestreckt, so hätten die beiden hintereinander fahrenden Talfahrer genügend Platz zum Vorbeifahren gehabt, da sich der Passagierdampfer nach der Feststellung des Berufungsgerichts im Zeitpunkt dieser Vorbeifahrt ganz linksrheinisch befunden hat.
Wäre der Kahn „D" bei richtiger Fahrweise in der rechten Fahrwasserhälfte unmittelbar an der Strommittellinie geblieben, so hätte der Talfahrt, die die Weisung des bergfahrenden Schleppzuges zur Begegnung Steuerbord an Steuerbord hätte befolgen müssen, die ganze Fahrwasserhälfte in einer Breite von nahezu 100 m zur Verfügung gestanden. Dies wäre selbst dann ausreichend gewesen, wenn gleichzeitig zwei Talfahrer in normaler Weise überholt hätten. Das Überholen von „B" und „A" war also zulässig.
Das Berufungsgericht hat weiter ausgeführt, es sei nicht bewiesen, daß das Motorschiff der Klägerin, als das Fehlerhafte Verhalten des Kahns „D" erkennbar geworden sei, noch rechtzeitig die Überholung hätte abbrechen können. Bei einem seitlichen Abstand von mindestens 70 bis 100 m habe nicht von vornherein befürchtet zu werden brauchen, daß der Kahn beim Seitenwechsel auslaufen würde. Erst als der Kahn schon mitten im Übergang gewesen sei, sei plötzlich deutlich geworden, daß er im Begriffe gewesen sei, stark nach Backbord auszulaufen. Auf den Motorschiffen habe man nicht voraussehen können, daß der Kahnführer den Kahn erheblich zu spät aufstrecken würde. Es sei nicht bewiesen, daß das Motorschiff der Klägerin auch über diesen Zeitpunkt hinaus die Fahrt noch unverändert fortgesetzt habe.
Die Revision vermag dem nur ihre Ansicht entgegenzusetzen, angesichts des feststehenden Rechtssatzes, daß das Risiko des Überholmanövers zu Lasten des Überholers gehe, habe das Motorschiff der Klägerin mit dem Ausscheren des Kahns bei seiner Kursänderung rechnen und daher das Überholmanöver rechtzeitig abbrechen müssen.
Der Senat hat wiederholt (VersR 1957, 194; 1960, 594) - darauf hingewiesen, daß in der Rheinschiffahrt kein allgemeiner Rechtssatz des Inhalts bestehe, daß der Überholer die Gefahr des Überholmanövers zu tragen habe. Zutreffend hat daher das Berufungsgericht die Beklagten für beweispflichtig gehalten. Die Behauptung der Revision, die Führung des klägerischen Motorschiffes habe mit dem Ausscheren des Kahns rechnen müssen, stellt einen unzulässigen Angriff gegen die rechtsirrtumsfreie Beweiswürdigung des Berufungsgerichts dar.