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II ZR 37/61 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 04.03.1963
Aktenzeichen: II ZR 37/61
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Die Schleusung von 2 Schiffen, die insgesamt länger als die Schleusenkammer sind, aber durch entsprechende Schräglage sich innerhalb des nutzbaren Raumes der Schleusenkammer aufhalten, ist nicht unzulässig. Das Schleusenpersonal hat nicht die Rechtspflicht, vor und während des Schleusungsvorganges zu prüfen, ob die Deckmannschaft gemäff § 105 Nr. 5 BSchSO sich vollzählig an Deck befindet.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 4. März 1963

(Schiffahrtsobergericht Karlsruhe)

II ZR 37/61

Zum Tatbestand

Das Motorschiff A (ca. 52 m lang) und das Tankmotorschiff D (67 m lang) fuhren talwärts in die 110 m lange linke Schleusenkammer in Kochendorf. Beide Schiffe lagen schräg mit den Vorschiffen steuerbords. Das zuletzt eingefahrene MS „A" hatte vom Vorschiff steuerbords nach rückwärts ca. 10-12 m Draht und vom Achterschiff backbords etwa 5-6 m Vorausdraht gesetzt und lag mit seinem Hinterschiff vorschriftsmäßig vor dem Drempel. Außer dem Schiffsführer B bestand die Besatzung aus dem Matrosen C, dessen Ehefrau sich während der Schleusung an Deck aufhielt. Schiffsführer B hatte sich nach Festlegen seines Fahrzeuges von Bord zum Schleusenbüro zwecks Abholung der Schiffspapiere begeben.
Während der eigentlichen Schleusung wurde der Vorwärtsdraht von dem Matrosen C, bedient. Der Rückwärtsdraht, der unbeobachtet blieb, wurde beim Absinken des Wassers rack und brach. Darauf geriet MS „A" in Rückwärtsbewegung und geriet auf den Drempel. Bei folgenden Manövern sackte das Hinterschiff ab und die Ruderanlage wurde beschädigt.
Die Klägerin als Versicherin des MS „A" verlangt wegen Versagens des Schleusenpersonals und wegen gewisser Organisationsmängel im Schleusenbetrieb Schadensersatz. Die Klage blieb in allen 3 Instanzen erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen

„Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin aus der Klageschrift befand sich das Hinterschiff von „A" ungefähr 0,75 m vor der roten Begrenzungslinie, also innerhalb des nutzbaren Raumes der Schleusenkammer. Der seitliche Abstand zwischen dem Hinterschiff von „D" und dem Vorschiff von „A" habe ausgereicht, um beide Fahrzeuge zusammen abzuschleusen. Bei dieser Sachlage, von der sich nach den Ausführungen in der Klage die Schleusenbediensteten E und F überzeugt hatten, besteht kein Anhaltspunkt dafür, daß die Zulassung beider Schiffe zur gemeinsamen Schleusung unsachgemäß gewesen wäre. Später haben sich zwar die beiden Schiffe geklemmt; das war aber darauf zurückzuführen, dal3 die Besatzung von „A" in Vernachlässigung ihrer Pflicht (§ 105 Nr. 4 BSchSO) den Vorausdraht auf dem Hinterschiff nicht gefiert hatte. Die für den Bezirk des Neckarbauamts Heidelberg erlassenen Vorschriften gelten für die Schleuse Kochendorf nicht.

Das Nichtfieren des Vorausdrahtes war darauf zurückzuführen, daß Schiffsführer „B" sein Schiff verlassen hatte, um im Schleusenbüro seine Schiffspapiere zu holen, das Schiff aber nur zwei Mann Besatzung hatte und der auf dem Schiff befindliche Matrose den Rückwärtsdraht auf dem Vorschiff bedienen mußte. Nach § 105 Nr. 5 BSchSO muß während der Durchfahrt durch die Schleuse die Deckmannschaft vollzählig an Deck sein.

Dies sind eindeutig der Schiffsbesatzung auferlegte Verpflichtungen, gegen die der Schiffsführer von „A" verstoßen hat. Das Berufungsgericht hat recht, wenn es der Auffassung ist, das Schleusenpersonal treffe in dieser Richtung keine Überprüfungspflicht, es sei denn die Pflicht bei wahrgenommenen Fehlern und Mängeln tätig zu werden. Gerade bei den stark in Anspruch genommenen Neckarschleusen muß das Durchschleusen zügig vor sich gehen. Eine Prüfungspflicht des Schleusenpersonals würde zu Verzögerungen führen. Das Schleusenpersonal muß sich darauf verlassen können, daß die Schiffsbesatzung ihre Pflichten erfüllt. Das Gesetz geht, wie sich aus § 105 Nr. 5 ergibt, davon aus, daß sich an das (von dem Schleusenpersonal zu prüfende) Festlegen der Fahrzeuge in der Schleuse das Abschleusen anschließt. Das in § 105 geregelte „Durchfahren der Schleuse" ist ein einheitlicher Vorgang, beginnend mit der Einfahrt und endend mit der Ausfahrt. Wenn das Zeichen zur Einfahrt gegeben wird, müssen die Fahrzeuge bei Vermeidung der Zurückstellung schleusungsbereit sein (§ 103 Nr. 2), die Deckmannschaft muß also vollzählig an Deck sein.

Wenn die Schiffsbesatzung aus irgendeinem Grund während der Durchfahrt ihren Verpflichtungen nicht nachkommen kann, so ist es ihre Sache, das Schleusenpersonal zu verständigen. Es kommt daher nicht darauf an, ob der Schleusengehilfe übungsgemäß den Schiffsführer fragte, ob er zur Abschleusung fertig sei. Er hat nicht unsachgemäß gehandelt, wenn er nicht versucht hat, den Schiffsführer, der den Vorausdraht hätte bedienen müssen,') ohne daß sein Standort wahrzunehmen gewesen wäre, herbeizurufen und zu befragen. Er durfte darauf vertrauen, daß die Schiffsbesatzung ihre Pflicht erfüllte.
Wenn der Schiffsführer die Papiere schon nicht durch die Ehefrau des Matrosen abholen lassen wollte, so hätte er mit dem Abholen bis nach Beendigung der Ausfahrt aus der Schleuse warten müssen."