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II ZR 39/62 - Bundesgerichtshof (-)
Entscheidungsdatum: 25.11.1963
Aktenzeichen: II ZR 39/62
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: -

Leitsatz:

Das verbotswidrige Überholen (§ 37 Nr. 1, § 42 Nr. 1 und 2 BSchSO) und das verbotswidrige Hineinfahren in die Abstände zwischen den Anhängen eines Schleppzuges (§ 48 Nr. 3 BSchSO) verstößt gegen Schutzvorschriften im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Der Beweis des ersten Anscheins spricht dafür, dass durch das verbotswidrige Handeln Gefahren und Beeinträchtigungen des Schiffsverkehrs hervorgerufen sind, die durch die Schutzvorschriften gerade vermieden werden sollen.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 25. November 1963

(Schiffahrtsobergericht Hamm)

II ZR 39/62


Zum Tatbestand

Auf völlig gerader Strecke des Dortmund-Ems-Kanals begegneten sich bei klarer Sicht in gehöriger Weise Schleppzug „A" mit 4 Anhängen, darunter auf 2. Länge Kahn „B", und Schleppzug „C" mit 5 Anhängen, darunter auf 4. Länge Kahn „D". Kurz vor der Begegnung begann das dem Beklagten zu 1 und vom Beklagten zu 2 geführte Motorschiff „E" (32,78 m lang, 5,64 m breit) den „A"-Schleppzug zu überholen. Da wegen Entgegenkommens des „C"-Schleppzuges das Überholmanöver nicht beendet werden konnte, fuhr „E" in den Abstand zwischen Kahn „B" und dem nachfolgenden 3. Anhang des „A"-Schleppzuges. Auf Kahn „B" brach plötzlich der Ruderdraht, worauf das steuerlose, nach Backbord verfallene Schiff mit Kahn „D" des entgegenkommenden „C"-Schleppzuges zusammenstieß. MS „E" setzte seine Fahrt ohne Rücksicht auf den Unfall fort.
Gegenüber den Beklagten verlangt der Kläger als Versicherer Ersatz der Schäden, die an den Kähnen „B" und „D" entstanden sind.
Das Schiffahrtsgericht hatte die Klage abgewiesen, das Schiffahrtsobergericht dagegen der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen

Fahrweise der Schiffe des Schleppzuges beeinträchtigt. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß durch die Annäherung von „E" der SK „B" unruhig geworden ist und seine Besatzung mit aller Gewalt das Ruder nach Steuerbord ausdrehen mußte, um ein Ausscheren des Kahnes zu vermeiden. Dies ist aber gerade eine Lage, die durch das wasserpolizeiliche Verbot des Hineinfahrens zwischen die Teile des Schleppzuges vermieden werden soll. Der Beweis des ersten Anscheins spricht somit dafür, daß „E" die Fahrweise des SK „B" beeinträchtigt hat, insbesondere dadurch, daß sie gegen den Schleppdraht angekommen ist. Das Berufungsgericht hat dies sogar festgestellt.
Im angefochtenen Urteil ist weiter festgestellt, der „A"¬-Schleppzug habe die äußerste rechte Fahrwasserseite eingehalten. Dann spricht aber ein weiterer Beweis des ersten Anscheins dafür, daß das Heck von „B" infolge der Beeinträchtigung ihrer Fahrweise durch „E" nunmehr in bedrohliche Ufernähe kam und dadurch das erheblich überstehende Ruder die Spundwand berührte. Denn da der SK „B" nach der Feststellung des Berufungsgerichts nach Backbord ausscheren wollte oder sogar ausgierte, kam das Heck in den Ufersog, worauf im angefochtenen Urteil zutreffend hingewiesen ist. Die Revision meint zwar, ein solcher Sog sei vom Sachverständigen nicht festgestellt. Sie hat hierbei aber die Ausführungen des Sachverständigen auf BI. 5 seines Gutachtens vom 20. November 1960 übersehen. Im übrigen ist es Erfahrungstatsache, daß bei zu großer Ufernähe das Schiff aus dem Ruder läuft (Dunkelberg, Rheinschiffahrtslexikon S. 115). Diesen weiteren Beweis des ersten Anscheins, der dahin geht, daß infolge der Störung der Steuerbarkeit des die äußerste Fahrwasserseite einhaltenden SK „B" das überstehende Ruder die Spundwand berührte, haben die Beklagten nicht entkräftet. In eingehender Beweiswürdigung, gegen die sich die Revision mit verschiedenen Rügen in unzulässiger Weise wendet, ist das Schiffahrtsobergericht zu der Überzeugung gekommen, daß nach dem tatsächlichen Verlauf der Ereignisse mit der erheblichen Wahrscheinlichkeit der Berührung des Ufers durch das Ruder infolge des verbotswidrigen Verhaltens der Schiffsführung von „B" zu rechnen ist. Damit greift der Anscheinsbeweis zuungunsten der Beklagten durch; denn der Beklagte zu 2 hat eine Gefahrenlage herbeigeführt, die durch die Schutzvorschriften gerade vermieden werden sollte. Der weitere Verlauf war dann zwangsläufig. Durch die Uferberührung des Ruders trat eine übermäßige Belastung des Ruderdrahtes ein, der Draht rifs, der steuerlos gewordene Kahn schor nach Backbord aus und stieß mit dem entgegenfahrenden SK „D" zusammen.
„Das angefochtene Urteil hält allen Revisionsangriffen stand.
Wenn ein Draht, sei es ein Schleppdraht oder ein Steuerdraht, reifst, so spricht ein Anscheinsbeweis dafür, daß der Draht nicht in Ordnung ist. Dieser Anscheinsbeweis ist aber im vorliegenden Falle widerlegt durch die Feststellung des Berufungsgerichts, daß der Steuerdraht neuwertig war und jede normale Belastung aushielt. Infolgedessen kommt nunmehr ein weiterer Anscheinsbeweis zum Tragen, der sich aus dem nautisch fehlerhaften Verhalten der Schiffsführung von „E" ergibt.
„E" hat verbotswidrig überholt (§ 37 Nr. 1, § 42 Nr. 1 und 2) und ist verbotswidrig in die Abstände zwischen den Teilen eines Schleppzuges hineingefahren (§ 48 Nr. 3). Die bezeichneten Verbote sind Schutzvorschriften im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Sie sollen typische Gefahrenlagen verhindern. Das gleichzeitige Begegnen und Überholen ist gefährlich, wenn der Raum für die Vorbeifahrt nicht ausreicht. Das Hineinfahren in die Abstände zwischen den Teilen eines Schleppzuges bringt u. a. die Gefahr mit sich, daß der Hineinfahrende gegen den Schleppdraht, der Teile des Schleppzuges miteinander verbindet, an¬kommt und hierdurch oder auch in sonstiger Weise die
Die Beklagten haben demnach den für ihr ursächliches Verschulden sprechenden Anscheinsbeweis nicht entkräftet. Sie haben nicht bewiesen, da) ihr verbotswidriges Verhalten für die Kollision nicht ursächlich gewesen sein könne.
Der Anscheinsbeweis könnte weiter auch dadurch entkräftet werden, daß Tatsachen bewiesen werden, aus denen sich die Möglichkeit eines anderen als des typischen Geschehensablaufes ergibt. Als eine solche Tatsache käme die mangelnde Betriebssicherheit der Ruderanlage des SK „B" in Frage.
Im Anschluß an die Ausführungen des Sachverständigen sieht das Berufungsgericht einen solchen Beweis nicht als erbracht an. Daß die Bedienung der Ruderanlage mehr Kraft erforderte als die einer modernen Anlage, hat mit der Frage der Betriebssicherheit nichts zu tun. Unerheblich ist, ob der SK „B" für Fahrten auf dem Rhein oder nur für solche auf Kanälen zugelassen war.

Schließlich genügt auch entgegen der Meinung der Revision zur Entkräftung des Anscheinsbeweises nicht, daß die Möglichkeit besteht, daß das Ruder durch im Wasser treibende Gegenstände blockiert worden sei. Vielmehr hätten die Beklagten beweisen müssen, dal3 treibende Gegenstände ein Blockieren herbeigeführt haben."