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II ZR 40/63 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 17.12.1964
Aktenzeichen: II ZR 40/63
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsätze:

1) Zur Frage, ob das unstreitig fehlerhafte Verhalten der Schiffsführung, das den Anprall eines Schiffes gegen die Kaimauer und sofort sichtbar gewordene Oberwasserschäden am Schiff herbeigeführt hat, auch die Ursache für erst später festgestellte Unterwasserschäden an diesem Schiff bildet.

2) Bei der Feststellung des Ursachenzusammenhangs nach § 287 ZPO ist im Gegensatz zu § 286 ZPO nicht zu fordern, daß eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Das Gericht darf sich hierbei nicht nach der Beweislastverteilung richten, wie sie im Falle des § 286 ZPO eine Rolle spielt.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 17. Dezember 1964

(Landgericht Hamburg - Kammer für Handelssachen-/Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg)

Zum Tatbestand:

Das Motorschiff „A" lag im Außenhafen von Emden mit seiner Backbordseite am Kai vertäut (Heck seewärts) und war mit dem Löschen seiner Getreideladung durch Saugrohre beschäftigt, als das Motorschiff „B" der Beklagten über Heck in den Hafen geschleppt wurde, u. a. von Schlepper „C". MS „B" sollte mit seiner Steuerbordseite am Kai befestigt werden und zu MS „A" Heck an Heck liegen. Auf einen Zuruf des Hafenmeisters betätigte die Schiffsführung von „B" die Maschine, um die Gefahr einer zu starken Annäherung an den Kai und an das Heck von „A" zu vermeiden. Der Schraubenstrom von „B" drückte so erhebliche Wassermassen zwischen MS „A" und Kaimauer, daß das Schiff nach Reißen von 3 Trossen zuerst gegen den Schlepper „C" und dann gegen die Kaimauer geworfen wurde. In einer ersten Schadenstaxe wurden eine Reihe von Überwasserschäden, gelegentlich eines Werftaufenthaltes in einer späteren Taxe auch Unterwasserschäden festgestellt.
Durch Zwischenurteil ist der Erstattungsanspruch des Klägers, den dieser aufgrund übergangenen Rechts geltend macht, dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Im vorliegenden Betragsverfahren geht es in erster Linie um die Frage, ob nicht nur die Überwasser-, sondern auch die Unterwasserschäden ersetzt werden müssen.
Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben, das Oberlandesgericht hat den Ersatz der Unterwasserschäden jedoch abgelehnt. Auf die Revision der Klägerin ist das landgerichtliche Urteil z. T. wiederhergestellt und die Sache im übrigen zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Mit Recht rügt die Revision, das Berufungsgericht habe die Vorschrift des § 287 ZPO nicht richtig angewandt. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen, die für die richterliche Überzeugung im Falle des § 287 ZPO gestellt werden müssen, überspannt. Es führt zwar richtig aus, der Kläger habe für seine Behauptung, die Unterwasserschäden seien durch den Anprall des Schiffes an die Kaimauer entstanden, nicht den strengen Beweis nach § 286 ZPO zu führen. Seine weiteren Ausführungen ergeben aber, daß es doch diesen Beweis fordert. Das Berufungsgericht verlangt für seine Überzeugungsbildung wiederholt eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Das ist rechtlich fehlerhaft. Wenn der Ursachenzusammenhang nach § 287 ZPO festzustellen ist, ist gerade nicht wie im Falle des § 286 ZPO zu fordern, dal3 eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Dies würde eine zu starke Einengung der freien richterlichen Überzeugung bedeuten, die sich das Gericht unter Würdigung aller Umstände zu bilden hat. Liegen keine besonderen entgegenstehenden Umstände vor, so genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Wahrscheinlichkeit (vgl. BGH VersR 1960, 656, 657), wobei dem Kläger gegebenenfalls insbesondere der Beweis des ersten Anscheins zugutekommen kann.
Bei der Bildung seiner freien Überzeugung darf sich das Gericht grundsätzlich nicht nach der Beweislastverteilung richten, wie sie im Falle des § 286 ZPO eine Rolle spielt (RGZ 158, 34, 37). Mit Unrecht verlangt ferner das Berufungsgericht für die Bildung seiner Überzeugung die sichere Feststellung, wie im einzelnen das Schiff gegen die Kaimauer geprallt ist. Zur Erleichterung der Schadensfeststellung setzt § 287 ZPO an die Stelle der sonst erforderlichen Einzelbegründung das freie Ermessen des Gerichts (RGZ 155, 38, 39; BGH LM Nr. 3 zu § 287 ZPO). Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht der Behauptung der Beklagten nicht gefolgt, der Unterwasserschaden könne nicht als Folge des fehlerhaften nautischen Verhaltens der Schiffsführung von MS A entstanden sein. Im angefochtenen Urteil ist die Frage offengeblieben, ob zuerst das Achterschiff und dann das Mittelschiff gegen die Kaimauer geschlagen sei. Ebenso kann offen bleiben, ob sich der Vorgang nicht umgekehrt abgespielt hat. Das Berufungsgericht hat schließlich die Lebenserfahrung außer acht gelassen, daß beim heftigen Anprall eines Schiffes gegen eine Kaimauer mit Schäden der hier im Streit befindlichen Art zu rechnen ist, wie auch die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen ergeben. Anders wäre es nur, wenn festgestellt wäre, daß das Schiff nur achtern angekommen wäre. Das ist aber nicht festgestellt.
Letzte Zweifel werden sich bei der Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs häufig ergeben. Sie können einer solchen Feststellung nicht entgegenstehen (RGZ 162, 223, 229). Bestehen mehrere denkbare Möglichkeiten von Ursachen, so können der Entscheidung nur solche Ursachen zugrundegelegt werden, für die greifbare tatsächliche Anhaltspunkte im Rahmen der Lebenserfahrung bestehen. Hätte das Berufungsgericht die Vorschrift des § 287 ZPO richtig angewandt, so hätte es unter Berücksichtigung seiner eigenen Ausführungen den ursächlichen Zusammenhang nicht verneinen können.
Die Beklagte ist hiernach verpflichtet, dem Kläger die Unterwasserschäden, den Entgang der Nutzungen während der Reparaturzeit für diese Schäden und die insoweit angefallenen Kosten der Schadensaufnahme zu ersetzen."